20.46

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Herr Präsident! Werte Mitglieder des Bundes­rates! Werte Zuseherinnen und Zuseher, falls uns noch Menschen zuschauen! (Bun­desrat Schennach: Unbedingt!) Ich würde mich darüber freuen, denn das, was wir hier beschließen, ist tatsächlich, dass wir die Straßenverkehrsordnung in weiten Teilen aus den 1960er-Jahren ins 21. Jahrhundert holen, ganz egal, ob man Auto fährt, ob man zu Fuß geht.

Ich bitte, sich daran zu erinnern: Jeder und jede auch hier im Saal geht jeden Tag zu Fuß – jeden Tag! Ein Viertel der Menschen in unserem Land fährt täglich oder mehrmals in der Woche mit dem Rad. Wir holen damit die Regeln für die Rücksichtnahme, für das Miteinander im Verkehr in das 21. Jahrhundert. Ich denke, das ist höchst an der Zeit, und deswegen freue ich mich, dass wir heute alle, wenn auch zu später Stunde, diese Novelle diskutieren. Ich darf ganz am Anfang von dem, was ich sagen möchte, um Ihre Zustimmung bitten. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Warum ist das so wichtig? – In den Sechzigerjahren hatte Verkehr aus der Stimmung der Zeit ganz klar eine andere Bedeutung. Herr Bundesrat Gfrerer hat gerade beschrie­ben, was es damals bedeutet hat, das erste Auto in der Familie zu haben. Es ging 1960 aus guten Gründen um nichts anderes als um die Massenmotorisierung im Verkehr. Aus guten Gründen reden wir aber 60 Jahre später einfach über etwas anderes, nämlich über eine klimafreundliche Mobilität, über Mobilität, die eben das Miteinander, die Rücksicht­nahme in den Vordergrund stellt. Deswegen ist das zentrale Ziel dieser Novelle und der rote Faden, der sich hier durchzieht, dass eben anders als in den Sechzigerjahren nicht mehr die Fußgeherinnen und Fußgänger, die Radfahrerinnen und Radfahrer automa­tisch hinter dem Auto zurückstecken müssen, sondern wir setzen auf eine Verkehrskultur der gegenseitigen Rücksichtnahme und des Miteinanders.

Ich freue mich, dass das auch alle Bundesländer und die Städte und Gemeinden unter­stützen, denn die haben nämlich einen Entschluss gefasst, den Radverkehrsanteil zu verdoppeln. Damit uns das gelingt – da hat Herr Bundesrat Gross völlig recht –, brau­chen wir eine gescheite Infrastruktur, Radwege, deswegen fördern wir das. Deswegen brauchen wir aber auch die gescheiten Regeln dazu, damit uns das gelingen kann, denn sonst werden wir es nämlich nicht schaffen. Und genau diese gescheiten Regeln be­schließen Sie heute. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Selbstverständlich geht es darum – da komme ich auf die Rede von Bundesrätin Gross­mann zurück –, Regeln zu definieren, die dann auch in der Praxis gelebt werden können. Sonst – da sind wir uns einig – haben wir wenig davon. Deswegen zwei Beispiele: Bei den Fußgeherinnen und Fußgehern ist eine der zentralen Änderungen, dass Ampel­schaltungen an die Bedürfnisse der Fußgeherinnen und Fußgeher, der schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen angepasst werden können. Es liegt aber im Ermessen der lokalen Behörden. Es ist und bleibt eine lokale Entscheidung, ob und inwiefern dann eine konkrete Ampelschaltung geändert wird. Wir ändern nur das prinzipielle Denken im Zugang zu den Ampelschaltungen. Das ermöglichen Sie mit der Novelle.

Jetzt auch zum Überholabstand beim Radfahren: Es ist ganz dasselbe, das ist eine pra­xistaugliche Regel. Wenn Sie mit dem Rad auf einer Landstraße unterwegs sind und es überholt Sie jemand mit sehr geringem Abstand mit 100 km/h, ist das eine Frage der Sicherheit, und zwar in einem Ausmaß – auch da hat Herr Bundesrat Gross recht –, das auch lebensgefährlich sein kann. Und wenn wir jetzt mit dieser Novelle definieren, es gibt einen Mindestabstand, wenn man mit hohen Geschwindigkeiten überholt, dann ist es eine Frage der Verkehrssicherheit und eine Frage des Hausverstands, dass man das macht.

Wenn man auf einer engen Straße in der Südsteiermark oder in der Weststeiermark bergauf unterwegs ist, wird man aber natürlich nicht mit 100 km/h unterwegs sein. Ja, natürlich soll es möglich sein, dann auch einen Radfahrer oder eine Radfahrerin zu überholen, aber eben indem man langsamer fährt. Wenn man also mit geringerer Ge­schwindigkeit als 30 km/h überholt, darf man dann auch dort überholen, nur eben mit einem ausreichenden Abstand. Genau das ist die praxistaugliche Regel.

Genauso darf man in Wien, in der Stadt, in einer engen Gasse, wenn man mit Schritt­geschwindigkeit unterwegs ist, eine Radfahrerin oder einen Radfahrer auch mit gerin­gerem Abstand überholen, mit einem ausreichenden Abstand, sodass man sie oder ihn am Rad nicht gefährdet – völlig klar. (Bundesrat Preineder: Aber es muss der Radlfahrer auch ganz rechts fahren!)

Keine Sorge, mit dieser Novelle haben Sie keine kilometerlangen Autokolonnen hinter einer Radfahrerin oder einem Radfahrer, nur eine Möglichkeit, mehr Sicherheit für alle im Verkehr zu schaffen. Ich hoffe, vielleicht gibt das auch noch den Schub, dass auch die SPÖ-Fraktion sich zu einer Zustimmung zu dieser Novelle durchringen kann. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Ich möchte trotzdem, weil es wichtig ist, noch einmal die zentralen Änderungen beim Zufußgehen hervorheben. Wir haben beim Zufußgehen mit der Novelle einerseits wirk­lich mehr Raum für die Fußgeherinnen und Fußgänger. Wir haben erstmals so etwas wie Vorrang auf den Gehwegen, wenn Fahrzeuge diese queren. Die Gehwege sind von Hindernissen freizuhalten. Denken wir an den Kinderwagen, er ist schon zitiert worden, denken wir aber auch an alte Personen mit Rollator, die unterwegs sind! Es ist nur mit Fug und Recht, dass der Raum, der immer für die Menschen am Gehsteig gedacht war, auch für die Menschen am Gehsteig zur Verfügung steht. Nichts anderes ist die Intention dieser Novelle. (Beifall bei den Grünen.)

Eine zweite Änderung beim Thema Zufußgehen ist noch die Schulstraße. Das wird ein eigenes Instrument in der StVO. Ich weiß, ganz viele von Ihnen sind in Gemeinden unterwegs, sind in Gemeinden aktiv, sind vielleicht auch Bürgermeisterin oder Bürger­meister. Wir geben Ihnen damit ein Instrument in die Hand, keine Verpflichtung, ein Instrument, das Sie in Ihrer Gemeinde anwenden können, um gerade den Umkreis von Schulen für die jüngsten, die vulnerabelsten VerkehrsteilnehmerInnen, die Kinder, siche­rer und angenehmer zu machen.

Zum Thema Radfahren: Radfahren wird ein wesentlicher Bestandteil unserer Mobilität sein. Auch ich habe seit Kurzem ein Dienstfahrrad, ein E-Fahrrad. Ich kann es allen nur empfehlen, das auszuprobieren, es erweitert erheblich den Radius beim Radlfahren, auch und gerade am Land. Ich komme vom Land. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir auch beim Thema Radfahren Verbesserungen in der StVO umsetzen. Radfahren zu zweit und in der Gruppe, gerade mit Kindern, wird einfacher, wird sicherer. Viele von Ihnen hier im Haus haben Kinder. Wenn man mit den Kindern mit dem Rad unterwegs ist und jetzt legal neben ihnen fahren darf, um sie vor dem Straßenverkehr zu schützen, atmen ganz viele Eltern auf, dass sie das jetzt legal tun können, ohne gestraft zu werden. Das ermöglichen wir mit dieser Novelle. (Beifall bei den Grünen.)

Den Überholabstand habe ich schon erwähnt, ich werde jetzt nichts mehr dazu sagen. Das Rechtsabbiegen bei Rot, Sie wissen, ist keine Standardregel, sondern braucht eine Kreuzung, die das auch erlaubt. Da wird es auch von der Forschungsgesellschaft Stra­ße-Schiene-Verkehr Einsatzkriterien dafür geben, wo das möglich sein wird.

Es freut mich ganz besonders, dass Linz bereits angekündigt hat, diese Regel einzu­setzen. Warum ist es besonders schön, dass Linz das macht? – Linz war die Stadt, die beim Rechtsabbiegen bei Rot für den Autoverkehr zuerst Bedarf angemeldet hat, diesen Bedarf dann aber schnell wieder ad acta gelegt hat. Das Rechtsabbiegen bei Rot ist mangels Anwendung ad acta gelegt worden, es war leider weder erfolgreich, noch hat es einen Bedarf gegeben. Die Stadt Linz hat gebeten, dass man das Pilotprojekt Rechts­abbiegen bei Rot beim Autofahren abstellt. Das haben wir gemacht. Dafür ist Linz jetzt auch die Stadt, die als Erste sagt, Rechtsabbiegen bei Rot für die Radfahrer macht Sinn. Das werden wir machen. Das wird den Radverkehranteil erhöhen, und das ermöglichen wir mit dieser Novelle.

Zum Schluss darf ich Sie einfach um Zustimmung bitten. Ich glaube, das ist eine sehr praxistaugliche, alltagsnahe Novelle fürs Radfahren und fürs Zufußgehen. (Bundesrat Leinfellner: Und realitätsbezogene noch dazu!) Ich würde mir auch wünschen – auch das sei an dieser Stelle erwähnt –, wenn wir über Rücksichtnahme beim Radfahren und beim Zufußgehen und beim Autofahren, also über ein rücksichtsvolles Miteinander im Verkehr diskutieren, dass wir Rücksichtnahme und Respekt voreinander auch zustande kriegen, wenn wir die Debatte über die Regeln führen. Dann wird es uns auch auf der Straße gelingen, ganz egal, ob wir zu Fuß unterwegs sind, mit dem Rad oder mit dem Auto.

Mit dieser Novelle setzen wir zumindest einmal in der Realität einen Schritt. Ich hoffe, wir folgen dem auch in der Debatte, und ich darf Sie auf jeden Fall um Ihre Zustimmung bitten. – Herzlichen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

20.55

Vizepräsident Bernhard Hirczy: Danke, Frau Bundesminister.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte.