Schlussansprache der Präsidentin

Präsidentin Korinna Schumann: Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Vizepräsident Novak! Sehr ge­ehrter Herr Vizepräsident Hirczy! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Vertreter:innen des Europäischen Parlaments! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf Sie heute herzlich zur letzten ordentlichen Sitzung des Bundesrates im Jahr 2022 und auch zur letzten parlamentari­schen Sitzung im Ausweichquartier des Parlaments hier in der Hofburg begrü­ßen! Der Bundesrat macht sozusagen mit seiner Sitzung heute den Abschluss im Ausweichquartier. Wir freuen uns ganz besonders, dass am 12. Jänner das neu sanierte Parlament wiedereröffnet wird – und wir Bundesrätinnen und Bun­desräte freuen uns noch einmal mehr, weil wir dann wieder unseren eigenen Bundesratssitzungssaal haben. Wir haben also den Ausblick auf den 12. Jänner, und ich darf nun das letzte Mal als Bundesratspräsidentin zu Ihnen sprechen.

Das Jahr 2022, speziell das zweite Halbjahr meiner Vorsitzzeit, war von umfang­reichen und globalen Diskontinuitäten gekennzeichnet, von für die Men­schen oft leidvollen Brüchen mit dem Bewährten, mit dem Bekannten, mit dem Alltäglichen. Wir leben in einer Zeit großer, sich überlagernder Krisen. Die extreme Teuerung, die Klimakrise, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, eine Gesundheitskrise, gleichzeitig Wandelprozesse durch die Digitalisie­rung und eine älter werdende Gesellschaft: All das stellt uns vor große Heraus­forderungen.

Schon aus der Vergangenheit wissen wir, dass die öffentlichen Strukturen die richtigen Instrumente sind, um die passenden Antworten auf die Vielzahl von neuen Fragestellungen und Sorgen der Menschen zu geben. Als aktiver Staat gilt es in Anbetracht der vielen weitreichenden Krisen, nicht wegzusehen. Gerade jetzt muss der Staat besonders aktiv sein und vorausschauend han­deln. Genau jetzt muss sich der Staat den zahlreichen und dringlichen Aufgaben stellen, Lösungen erarbeiten und besonders auf jene achten, die jetzt Un­terstützung brauchen. Niemand darf benachteiligt oder zurückgelassen werden!

Der Staat hat sich bereits in Ausnahmesituationen, in für uns alle belastenden Lebensabschnitten als Sicherheitsnetz bewährt, der Staat hat sich in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit schon immer als Stabilisator und Regulator er­wiesen – bereits in der Finanzkrise 2008, aber auch in der Coronapandemie. Ohne Kurzarbeitsregelungen, Wirtschaftshilfen oder Sonderbestimmungen für besonders von der Krise betroffene Gruppen hätten zahlreiche Unterneh­men und noch mehr Arbeitsplätze nicht mehr weiterexistieren können. Ohne unseren Staat als Schutzschirm hätten wir der Pandemie und deren Aus­wirkungen nicht begegnen können. Der viel gepriesene Markt, der alles regelt, hatte sich bereits am Beginn der Coronakrise verabschiedet. Auch aus heu­tiger Sicht kann eine Veränderung von der derzeitigen Rezession hin zu einer noch weitaus dramatischeren wirtschaftlichen Situation nicht ausgeschlos­sen werden. Die Verwerfungen, die auf die Krisen folgen, sind noch nicht klar absehbar.

Das von mir gewählte Motto der Wiener Bundesratspräsidentschaft: verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts, hätte nicht passender gewählt sein können, und ich darf hinzufügen: leider nicht pas­sender. Zeitgleich ist es von eminenter Wichtigkeit, eine zukunftsorientierte Perspektive einzunehmen und die gestaltenden und regulierenden Möglichkei­ten des Staates wahrzunehmen, um langfristige, abgesicherte Strukturen in allen Lebensbereichen der Österreicherinnen und Österreicher zu schaffen. Wir vonseiten der Politik müssen uns dieser Rolle noch stärker bewusst werden und aktiv im Interesse der Bürger:innen handeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Im Rahmen meiner Präsidentschaft habe ich den starken Staat, der die Essenz des guten Zusammenlebens ist, mehrfach thematisiert und in den Fokus gerückt. In der Bundesratsenquete haben zahlreiche Vertreter:innen der Sozialpartner und renommierte Expert:innen aus den verschiedensten Bereichen der Politik, der Wirtschaft, der NGOs, der Wissenschaft zusammengefunden und die Notwendigkeit des regulierenden und stabilisierenden Staates unterstrichen. Univ.-Prof. Dr. Truger beispielsweise hat sich bei seinem wissenschaftli­chen Impulsreferat im Kontext der Krisenbewältigung für mehr kreditfinanzierte, staatliche Investitionen und gegen staatliche Interventionen, die zu sehr auf dem Gießkannenprinzip basieren, ausgesprochen. Er als Mitglied des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent­wicklung erläuterte anhand der Energiekrise in Deutschland, welche Antworten der Staat als Problemlösungen geben kann.

Eines ist aber unumstritten, unbestritten und im gemeinsamen Konsens auch bestätigt: die Bedeutung der Daseinsvorsorge. Vor allem die Daseinsvorsorge ist es, die den Alltag der Menschen prägt, und sie ist zugleich jener Bereich, in dem staatliche Strukturen am direktesten für die Menschen erlebbar sind. In Zei­ten der Krise und der großen Herausforderungen ist dieser Aspekt in meinen Augen besonders wichtig. Um die hohe Qualität und Zuverlässigkeit der österrei­chischen Daseinsvorsorge auch in Krisenzeiten weiterhin gewährleisten zu können, braucht es vor allem mehr staatliche Investitionen und finan­zielle Anreize.

Wien, die Stadt und das Land, das die letzten sechs Monate den Vorsitz in der Länderkammer innehatte, eignet sich in diesem Kontext der gestaltenden öffentlichen Strukturen als ideales Vorzeigemodell und beweist, wie man dieser Aufgabe auf föderaler Ebene nachkommen kann. Im Rahmen des Ver­anstaltungstages Bundesrat im Bundesland, der traditionsgemäß im Bundesland der Bundesratspräsidentin, des Bundesratspräsidenten stattfindet, konnten wir uns davon überzeugen, dass Wien beispielgebend für hohe Lebens­qualität und zukunftsweisend im Klimaschutz ist.

Die von uns Bundesrätinnen und Bundesräten besuchte Großwärmepumpe von Wien Energie in Simmering versorgt 25 000 Haushalte mit CO2-freier Fern­wärme und ist damit in Zeiten der Klima- und Energiekrise von besonderem In­teresse. Das von uns ebenfalls besuchte Stadterneuerungsgebiet im Sonn­wendviertel ist mit seinen vielen Grünflächen, den hervorragenden Infrastruktur­maßnahmen und dem Fokus auf sozialen Wohnbau Wiens Antwort auf die komplexen Herausforderungen des Wohnens der Zukunft. So werden nach Fer­tigstellung des innovativen Wohnprojekts Wohnungen für 13 000 Wienerin­nen und Wiener sowie 20 000 Arbeitsplätze auf einem Gebiet entstehen, das früher ein ehemaliger Frachtenbahnhof war.

Genau solche zukunftsweisenden Projekte braucht es in Österreichs Städten, denn Städte wie Wien – aber es ist ja nicht nur Wien; dasselbe gilt für Graz, Salzburg, Innsbruck oder Linz – wachsen permanent und kontinuierlich. Aufgrund der stetigen Urbanisierung ist es wichtig, die Thematik als Zukunftskammer des österreichischen Parlaments aufzugreifen.

Bei der Diskussionsveranstaltung „Deine Stadt – Raum zum Leben“, Stadt als Lebensmittelpunkt junger Menschen, die wir als Bundesrat gemeinsam mit dem Österreichischen Städtebund und dem Urban Forum im Wiener Rat­haus organisiert haben, haben wir mit Expert:innen aus der Sozialforschung, aus dem Bildungssektor und mit zahlreichen Jugendvertreter:innen demografi­sche Tendenzen, Trends und sich daraus ergebende Implikationen für zukünftige Generationen diskutiert.

Dafür gibt es gute Gründe: Städte bieten zahlreiche Anreize für die jungen Menschen, die sie attraktiv machen. Leistbares Wohnen, etwa durch den geförderten Wohnbau, und Kinderbetreuung sind bei der Familienplanung für junge Menschen extrem wichtige Faktoren. Aus- und Weiterbildungs­möglichkeiten sowie Karrierechancen sind ebenso relevant wie ein gut ausge­bautes Netz des öffentlichen Verkehrs.

Erstaunlich ist: Einmal mehr zeigte sich: Junge Menschen im ländlichen Raum wünschen sich mehr städtische Angebote und junge Menschen in den städtischen Strukturen wünschen sich etwas mehr Land in der Stadt. Doch vor allen Dingen – und das ist ganz klar – wollen sie gehört werden. Sie wol­len Gehör finden, und das völlig zu Recht.

Bei uns als Zukunftskammer des Parlaments müssen die Interessen und die Bedürfnisse junger Menschen einen wichtigen Platz einnehmen, und es gilt, diese dahin gehend weiterzuentwickeln, denn es ist ganz simpel: Die Zu­kunft gehört den jungen Menschen.

So war gleich die erste große Bundesratsveranstaltung den jungen Menschen in unserem Land gewidmet. Im Rahmen des Europäischen Jahres der Jugend wurde hier von und mit Lehrlingen und Schüler:innen über die Zukunft der Fach­arbeit diskutiert. Es freut mich ganz besonders, dass vor allem Jugendliche selbst zu Wort kamen und ihre Problemlagen und Anliegen in diesem Rahmen an das Parlament und an die jungen Sozialpartner richten konnten, und es freut mich, dass gerade auch Lehrlinge, deren Ausbildung leider immer noch nur 3 Prozent des gesamten Bildungsbudgets ausmacht, mit Forderungen hier, im Herzen der Demokratie, für uns alle hör- und spürbar waren. Der Titel lautete: Deine Lehre – Deine Zukunft; unsere Zukunft durch die Förderung der Facharbeit.

Ein Herzensanliegen waren mir die Veranstaltung zum Welt-Aids-Tag und die Gedenkveranstaltung zu den Kindertransporten 1938, 1939, zu deren Anlass wir erst kürzlich ins Palais Epstein geladen haben. Ja, sie waren Herzensanliegen, aber lassen Sie es mich ein bisschen anders formulieren: Ich sehe es als unseren Auftrag, unsere kollektive Pflicht. Als österreichisches Parlament ist es unse­re Pflicht, öffentlich gegen jede Form der Diskriminierung aufzutreten und den gesellschaftlichen Diskurs auch dahin gehend zu prägen. Dies bedeutet vor allem ein klares und deutliches Bekenntnis dazu, jeglicher Form des Anti­semitismus und Antijudaismus entgegenzutreten und die Erinnerungs- und Gedenkkultur aufrechtzuerhalten und zu kultivieren. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesrät:innen der ÖVP.) Wir müssen uns unserer Vergangen­heit stellen und Verantwortung für die Zukunft übernehmen.

Die Politik hat auch die Aufgabe, bei bestehenden Ungerechtigkeiten und gesellschaftlichen Schieflagen hinzusehen und gestaltend zu handeln – und da meine ich vor allem: im Interesse der Frauen. Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern von über 17 Prozent und die Pensionsschere von über 41 Prozent sind doch gerade in Krisenzeiten ein mehr als deutlicher Auftrag, hier Maßnahmen zu setzen. Besonders das Kernthema des flächende­ckenden Ausbaus von Kindergärten ist ganz, ganz dringend endlich be­herzt anzugehen. Es geht um die Leistbarkeit, es geht um die Öffnungszeiten und es geht um die Möglichkeit, zu entscheiden, wie viele Stunden Frauen arbeiten, wenn sie arbeiten wollen. Es geht auch um die Frage: Wie kann man in Österreich Beruf und Familie gut vereinbaren?

Im Rahmen der Präsidentschaft des Bundeslandes Wien möchte ich jetzt noch einmal – wir werden oft kritisch beäugt – auf die Bedeutung des Bundesra­tes eingehen. Als Länderkammer bringen wir die Interessen unserer Bundeslän­der in das Herz der Demokratie, ins österreichische Parlament. Auch wenn wir in den Fraktionen oft verschiedener Meinung sind und diese auch ausführlich und intensiv diskutieren, verbindet uns doch über alle Fraktionen hinweg der Wille zur Stärkung der Rechte des Bundesrats als Institution.

Ein wichtiger Einblick ist natürlich auch, wenn man die Chance hat, über den Tel­lerrand zu schauen, und wir haben einen sehr wichtigen und erweiternden Einblick durch die Reise des Bundesratspräsidiums nach Deutschland bekom­men. Der internationale Austausch an sich ist so wesentlich, weil wir voneinander lernen können. Es hat mich besonders gefreut, den deutschen Bundesrat sowie den neuen deutschen Bundesratspräsidenten Dr. Tschentscher kennenzulernen, der uns wirklich außerordentlich freundlich aufgenommen hat.

In diesem Sinne freut es mich, dass wir heute im österreichischen Bundesrat als Zukunftskammer und Europakammer auch eine Aktuelle Europastunde ha­ben werden – nicht nur, weil es thematisch in der krisenhaften Zeit wichtig ist, die europäischen Perspektiven, Probleme und Lösungsansätze im Bundesrat zu diskutieren, sondern auch, weil es uns als Institution Bundesrat stärkt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die letzten sechs Monate waren für mich vor allen Dingen Auftrag, eine große Ehre und eine Freude. Die Zukunft bringt enorm viele Fragestellungen und viele Ungewissheiten mit sich, und viele Men­schen blicken wirklich mit Sorge auf die nächsten Monate und Jahre. Ein starker und aktiver Sozialstaat kann Antworten auf diese Probleme und Frage­stellungen bieten, das Wichtigste ist jedoch: Ein starker Sozialstaat und verlässliche öffentliche Strukturen können Vertrauen und Hoffnung in diesen stürmischen Zeiten schaffen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die nächsten Generationen dem Sozialstaat ebenso vertrauen können, wie wir es tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Unterstützung und Ihr Vertrauen. Ich danke meinem Bundesland Wien für die Unterstützung – und besonders Landeshauptmann Michael Ludwig, denn seine beständige Be­tonung der Bedeutung des Bundesrates und seine Unterstützung des Bun­desrates ist für uns eine ganz, ganz wichtige Hilfe in oft kritischen Zeiten, in de­nen der Bundesrat nicht mit freundlichen Worten bedacht wird. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)

Ich wünsche meinem Nachfolger in der Funktion des Bundesratspräsidenten Günter Kovacs und dem Burgenland alles erdenklich Gute und viel Erfolg in seiner Vorsitzzeit. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie bei Bundesrät:innen der FPÖ.)

Ich möchte mich bei den Fraktionsvorsitzenden aller Parteien für die Zusam­menarbeit bedanken. Mein Dank gilt auch den Vizepräsidenten und natür­lich meiner SPÖ-Fraktion. Ich bedanke mich bei der Parlamentsdirektion, der Bundesratskanzlei und den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Parlamentarismus durch ihre unglaublich tollen Leistungen möglich machen.

Der Gewerkschaftsbewegung, in der ich halt meine Heimat habe, sage ich: Vielen Dank! Ein großes Dankeschön geht auch an meinen Pressesprecher Ismail Al-Hashimy für seine ausgezeichnete Arbeit. Danke an Katrin Slamanig und Michael Kögl für das, was Sie tagtäglich leisten.

Zum Schluss sage ich vor allen Dingen Danke meiner Familie für ihre Geduld mit mir, für jedes kritische: Bist du dir da jetzt ganz sicher?, das für mich immer einer der Anker ist, die verhindern, auch nur im Geringsten die Bodenhaftung zu verlieren. – Vielen Dank und viel Erfolg. (Anhaltender, stehend dargebrachter Beifall bei der SPÖ und anhaltender Beifall bei der ÖVP, bei Bundesrät:innen der FPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)