10.06

Mitglied des Europäischen Parlaments Mag. Christian Sagartz, BA (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesminister! Kolleginnen und Kollegen! Als der Nationalrat und der Bundesrat in die Hofburg als Aus­weichquartier eingezogen sind, da waren die Welt und Europa anders, und ich kann Ihnen versichern – wir spüren das alle selber, viele von Ihnen sind ja auch kommunalpolitisch und in Vereinen ehrenamtlich tätig –, die Men­schen sind verunsichert. Die Jahre der Pandemie, ein Krieg, Inflation, Energiepreise, die dahingaloppieren, und eine Migrationskrise, die man beim Wort nennen muss, haben dazu geführt, dass Europa anders geworden ist.

Das spüren wir natürlich auch in der Zustimmung, denn, Hand aufs Herz, die europäischen Institutionen haben nicht jenen Stellenwert, erfahren nicht jene begeisterte Zustimmung, die man vielleicht erhoffen könnte, wenn man sich ansieht, welche Hilfsmaßnahmen, welche Pakete – einige sind heute schon genannt worden – geschnürt wurden, um den Entwicklungen entgegenzuwirken. Wir haben das auch in Österreich getan – ich denke da an die Hilfspakete für die Gemeinden, für die Wirtschaft, für die privaten Haushalte. Trotzdem trifft bei all diesen Maßnahmen eines in gleicher Weise zu: Wenn die Betroffenen, die Bürgerinnen und Bürger nicht das Gefühl haben, die politischen Verant­wortungsträger tun das in ihrem Interesse, dann bleibt die Zustimmung aus und die Verunsicherung wird größer.

Eines habe ich gemerkt – ich war bis vor Kurzem Mitglied eines Gemeinderates, seit über 20 Jahren, ich war vorher im Burgenländischen Landtag, aber das eine ist immer gleich –: Wenn das Gefühl der Nähe nicht da ist, wenn die Men­schen nicht das Gefühl haben, die Politik, die wir betreiben, egal in welcher Institution, dient ihnen, dann ist das alles sehr weit weg. Und glauben Sie mir, wenn man erst in ein Flugzeug steigen muss, um seinen Europaabgeordne­ten besuchen zu können und mitzuerleben, was er tut, dann ist diese Entfernung natürlich umso größer.

Da kann man jetzt sagen, es ist alles sehr kompliziert und das ist alles sehr weit weg, oder man kann diese Gedanken, diese Ideen in die Gemeinden brin­gen. Ich möchte Ihnen abseits der großen globalen Krisen und Probleme, die Kollege Buchmann, glaube ich, gut auf den Punkt gebracht hat und jetzt die Frau Minister noch verdeutlicht hat, vielleicht ein wenig skizzieren, dass wir als Mandatarinnen und Mandatare auch eine Aufgabe haben, da entgegenzuwirken, nämlich ganz konkret.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir haben diese Institution der Europa-Gemein­deräte. In meinem Heimatbundesland, im Burgenland, ist das sehr ausge­prägt. Viele Gemeinderäte nutzen diese Möglichkeit, dass sie ehrenamtlich einen Gemeinderat für diese Aufgabe benennen, und der arbeitet dann im kleinen, ganz bescheidenen, überschaubaren Bereich – aber umso wichtiger, nämlich in der unmittelbaren Nähe zu denen, die man ja überzeugen möchte – an dem einen oder anderen Projekt.

Wir haben Leader, ein riesiges Erfolgsprojekt, in vielen Bundesländern. Das liegt halt immer daran, wie sehr die lokalen Akteure das ernst nehmen, aber seien wir ganz offen und ehrlich: Das ist eine Möglichkeit, wie man europäische Gelder ganz maßgeschneidert regional im kleinen Rahmen nutzen kann (Bundesrat Spanring: Maßgeschneidert, so wie die Cofag!) und versuchen kann, hier entgegen­zuwirken. (Bundesrat Steiner: Ja, so wie die Cofag: maßgeschneidert!) Regional­förderungen sind ein wesentliches Instrument. Wenn wir sie aber nicht greifbar machen, den Menschen erklären, dann haben sie auch keinen Wert, egal ob das Geld aus Brüssel oder aus Wien kommt.

Der dritte Punkt, den ich anmerken möchte, ist: Wir haben halt auch eine Verantwortung, glaube ich, gegenüber Schülerinnen und Schülern. Ich hatte im jetzt ablaufenden Jahr über 300 Gäste, insbesondere viele Schüler aus mei­nem Heimatbundesland, und eines kann ich Ihnen sagen: Es ist schwierig, in ei­ner Dreiviertelstunde, Stunde jungen, teils pubertierenden Menschen zu erklären, welchen Wert diese Institution Europäisches Parlament, Europäische Union haben soll, aber die Tatsache, dass wir nicht mehr an einem Eisernen Vorhang leben, dass wir in der Mitte Europas angekommen sind und dass dieser Krieg in der Ukraine uns wieder vor Augen führt, dass das alles andere als selbstverständlich ist, führt uns allen und auch den Jugendlichen vor Augen, dass es etwas mehr geben muss als neun Millionen Österreicher, als 450 Millionen Europäer. Wir brauchen Partner.

Ich möchte an dieser Stelle ganz offen sagen: Ich begrüße alle Initiativen der Bundesregierung, insbesondere der Europaministerin unseres Bundes­kanzlers, diese Partnerschaft mit unseren Nachbarländern zu stärken. Als Bur­genländer – in unmittelbarer Nähe zur Slowakei, zu Ungarn und zu Slowe­nien – sind mir diese Partnerschaft und die gemeinsamen Projekte, die hier mög­lich sind, natürlich besonders wichtig, nicht nur in Sicherheitsfragen.

Ganz besonders wichtig ist der Westbalkan, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie die Möglichkeit haben, die Frau Präsidentin hat das heu­te so nett formuliert, „über den Tellerrand zu schauen“, dann sehen Sie: Deutschland ist ums Eck, aber auch Podgorica oder Prishtina und Zagreb sind nicht so weit weg, wie wir glauben, und die Menschen dort erwarten sich von Europa eine Zukunftsperspektive. Wir als Österreicher haben da eine riesige Chance, nicht nur wirtschaftlich, da sind wir bereits vertreten. Schauen Sie sich die Städte an, wer dort Werbung macht, wer im Bankensektor, bei der Tele­kommunikation, im Bauwesen und in vielen Bereichen dort federführend ist! Da hat Österreich hervorragend gearbeitet.

Eines möchte ich abschließend noch sagen: Im Bereich der Schüler ist eine Gruppe, die vor allem auch Vizepräsidenten Bernhard Hirczy ein wichtiges Anlie­gen ist, noch nicht erwähnt worden. Wir haben es geschafft, dass viele Schü­lerinnen und Schüler, Studierende in Europa diese Möglichkeit, ins Aus­land zu gehen, nutzen. Schaffen wir das doch auch bei Lehrlingen! Unsere duale Ausbildung ist es uns wert, da noch mehr zu investieren. Versuchen wir es, auch Lehrlingen dieses Über-den-Tellerrand-Schauen zu ermöglichen! Das wäre für mich eine ganz wichtige Initiative. Da möchte ich gemeinsam mit Ihnen noch etwas erreichen. Ich glaube, das wäre es wert, da unterstützend einzugrei­fen, um Lehrlinge hinaus in andere europäische Länder zu bringen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen nur eines sagen: Europa lebt von der Personifizierung des Zusammenhalts, dass Menschen zueinan­derstehen, Menschen zueinanderfinden und gemeinsame Projekte haben. Es gibt Fraktionen, nicht nur im Europäischen Parlament, sondern auch hier in die­sem Haus, die immer das Trennende voranstellen – es mag sein, dass das in der tagtäglichen Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierungspar­teien tagtägliches Geschäft ist; ich selbst komme aus einem Bundesland, wo ich in der Opposition bin –, aber eines möchte ich Ihnen sagen: Europa ist stark geworden, weil man sich am Ende darauf besonnen hat, dass es gemein­same Werte und Projekte gibt, für die es zu kämpfen gilt. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren, das ist unser gemeinsamer Auftrag. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.12

Präsidentin Korinna Schumann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist das Mitglied des Europäischen Parlaments Andreas Schieder. – Bitte.