10.59

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Dezemberwoche mussten wir einmal mehr zusehen, wie Viktor Orbán die gesamte Europäische Union erpresste, als er mit seinem Veto die Mil­liardenhilfe für die Ukraine blockiert hat. Zu Recht hat sich Österreich darüber beschwert. Am 8. Dezember gab es dann ein weiteres Veto im Innenminis­terrat der EU, allerdings nicht von Ungarn, sondern von Österreich, nämlich ge­gen den Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien.

Beide Länder erfüllen seit über zehn Jahren alle diesbezüglichen Kriterien, trotzdem macht sich der ÖVP-Innenminister zum Handlanger von Populisten und Blendern, indem er den europäischen Grundpfeiler der Personen­freizügigkeit mit einer aufgeblasenen Migrationsdebatte vermischt, die von ÖVP-internen Skandalen ablenken soll und die der niederösterreichi­schen Volkspartei Aufwind im laufenden Wahlkampf geben und schlechte Umfragewerte kaschieren soll. Anders ist nicht zu erklären, warum einer Erweiterung mit Kroatien zugestimmt werden konnte, nicht aber einer solchen mit Rumänien und Bulgarien.

Die ins Treffen geführte sogenannte Balkanroute verläuft vor allem aus Griechenland – wohlgemerkt einem Schengenstaat – über den Westbalkan an den beiden betroffenen Staaten vorbei. Außerdem liegt die Ursache für die aktuell hohe Ankunftszahl von Migrantinnen und Migranten in Österreich einerseits an Serbiens Möglichkeit der visafreien Einreise für ausge­wählte Nationalitäten – das ist ein Resultat der Verbrüderung des serbischen Präsidenten Vučić mit Wladimir Putin, der die EU damit destabilisieren möchte –, andererseits winkt Ungarn Geflüchtete und Migranten auf seinem Staatsgebiet einfach rechtswidrig nach Österreich weiter. (Bundesrat Schennach: Ja, hast du mit der FPÖ abgesprochen!)

2022 gab es in Ungarn bekanntlich ganze 50 Asylanträge, während Österreich bis heute an die 100 000 Menschen registriert hat, von denen – das muss man auch dazusagen – allerdings der Großteil ohnehin nicht in Österreich bleibt. Rumänien und Bulgarien sind hier nicht signifikant involviert. (Bundesrat Schennach: Richtig!) Das hat auch der Migrationsexperte Gerald Knaus in der „ZiB 2“ sehr schlüssig erläutert. Er hat übrigens auch einen weiteren interessanten Ansatz gebracht: dass es mittelfristig das Ziel sein sollte, den ganzen Balkan in den Schengenraum aufzunehmen – das ist ja auch für Nicht-EU-Staaten möglich, wie man an der Schweiz, Norwegen und Island sieht –, das würde nämlich die Außengrenze verkleinern und damit die Maßnahmen an der kleinen Außengrenze konzentrieren können. (Bundesrat Schennach: Richtig!)

Mit dem Schengenveto schießt uns die Bundesregierung einmal mehr ins europapolitische Aus. Nicht nur beschneidet sie damit im Alleingang die Freiheiten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, sie geht auch auf Kuschelkurs mit Orbán und Vučić und steht im Endeffekt isoliert da – und der Schaden bleibt. (Beifall der Bundesräte Obrecht und Schennach.)

Der rumänische Botschafter wurde aus Wien zurückgerufen, rumänische Unternehmen rufen bereits zum Boykott gegen die österreichische Wirtschaft auf. Das ist neben dem peinlichen und antieuropäischen Beigeschmack in­sofern nicht unerheblich, als Österreich der zweitgrößte ausländische Investor in Rumänien ist. Nicht nur der Ruf Österreichs leidet also, sondern unsere Unter­nehmen werden dafür den Preis zahlen.

Besonders eindrücklich dabei ist – neben der Kritik aus dem Ausland; insbe­sondere hat sich die deutsche Außenministerin über die europapolitisch und geopolitisch falsche Entscheidung empört –, es stellt sich sogar die ÖVP-Delegation im Europaparlament offen gegen das Vorgehen der Bundesregierung.

Frau Bundesminister, Sie haben zugegeben, die Kritik richtet sich in Wirklichkeit gegen das nicht funktionierende Dublin-III-System; auch der Großteil der Maßnahmen in diesem Fünf-Punkte-Paket betrifft das Dublinsystem. Aber wer verhindert unter anderem eine Reform des Dublinsystems? – Das ist die österreichische Bundesregierung (Bundesrat Schennach: Genau!), die gut damit leben kann, dass die Randstaaten der EU verantwortlich bleiben sollen. (Bundesministerin Edtstadler: Ganz im Gegenteil!) Sie sprechen sich auch gegen die Verteilung von Migrant:innen und Flüchtlingen aus. (Zwischenruf des Bundes­rates Buchmann.) Dieses Junktim mit dem Dublinsystem und der Schengenerwei­terung ist unzulässig.

Alles in allem ist das ein weiterer unrühmlicher Moment der österreichischen Bundesregierung, der beweist – was auch wir NEOS schon lange so drin­gend fordern –: Das Einstimmigkeitsprinzip und damit die Möglichkeit einzelner Mitgliedstaaten, die gesamte Union im Alleingang zu blockieren, muss schleunigst fallen. Bis es so weit ist, bleibt nur auf ein Weihnachtswunder zu hoffen: dass die Bundesregierung angesichts der internationalen Schmach noch zur Besinnung kommt und ihr orbáneskes Veto zurückzieht. – Danke sehr. (Beifall bei Bundesrät:innen der SPÖ.)

11.04

Vizepräsident Bernhard Hirczy: Ich darf die Gelegenheit nützen und viele junge Gäste auf unserer Besuchergalerie recht herzlich hier im Hohen Haus be­grüßen! (Allgemeiner Beifall.) Heute noch hier und künftig dann im historischen Parlamentsgebäude freuen wir uns natürlich immer über interessierte Zu­hörerinnen und Zuhörer.

Ich bedanke mich für die Redebeiträge in der Aktuellen Stunde, auch bei unseren Gästen aus dem Europaparlament, und darf nach dem Aufruf aller zu Wort Gemeldeten festhalten: Die Aktuelle Europastunde ist beendet.