9.13

Landeshauptmann von Burgenland Mag. Hans Peter Doskozil: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Mitglieder des Bundesrates! Zunächst herzlichen Dank, dass auch ich die Gelegenheit habe, als aktueller Vorsitzender der Lan­deshauptleutekonferenz hier im Bundesrat etliche grundsätzliche Gedan­ken zu teilen und an Sie zu richten, insbesondere über die Rollenverteilung, was die Bundesländer betrifft, und auch über die Rollenverteilung zwischen den Gebietskörperschaften.

Wir haben schon gemerkt, auch im Bundesrat – das ist, glaube ich, ein ganz wesentlicher Aspekt – sind Föderalismus und Subsidiarität – das Wort ist gefallen – ganz wesentliche Aspekte. Ich bin aber der Meinung, es steckt viel mehr dahinter und es ist es wert, diesen Föderalismus und auch das, wie wir mit föderalistischen Aspekten umgehen, mehr und mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Ich glaube, das brauche ich jetzt nicht zu wie­derholen: Wir leben in sehr, sehr schwierigen Zeiten. Mir persönlich kommt es so vor, dass wir von einer Krise in die nächste Krise kommen.

Denken Sie zurück an die Jahre 2008, 2009, 2010, an die Finanzkrise, denken Sie an die Flüchtlingskrise, denken Sie an die Coronakrise und aktuell, als Auswirkung des Krieges in der Ukraine, an die ganzen Teuerungen, die ganze allgemeine Situation für die Menschen, das Leben zu bestreiten. Es ist aus meiner Sicht nicht mehr greifbar, nicht mehr planbar und nicht mehr absehbar, wo die nächste Krise auftaucht.

In dieser Zeit leben wir. In dieser Zeit leben wir und trotzdem müssen wir – und das ist die Aufgabe der Politik, das ist die Aufgabe jedes Einzelnen, egal ob er regionalpolitisch, bundespolitisch oder landespolitisch tätig ist – positiv in die Zukunft blicken, müssen wir den Menschen eine positive Aussicht für die Zukunft vermitteln und müssen wir diese Signale auch entsprechend weitergeben.

Ich bin daher auch sehr dankbar für die Worte des Präsidenten, dass wir auch hier ein Miteinander vorleben, ein Miteinander des gegenseitigen Achtens, des gegenseitigen Respektierens auch bei aller Unterschiedlichkeit in den einzelnen Themen. Ich glaube, das ist ganz wesentlich, denn wir in der Politik sind in vielen Bereichen auch Vorbild für die Gesellschaft und für die Bevölkerung.

Es ist die Zeit des Finanzausgleiches, es ist die Zeit des beginnenden Finanz­ausgleiches, bei dem in weiterer Folge der Staatshaushalt und die Auftei­lung der Mittel, der Steuermittel neu diskutiert werden.

Sie merken es schon in der Diskussion. Ich habe gestern aufmerksam eine Stellungnahme des Herrn Gesundheitsministers mitverfolgt, dass wir beispielsweise bei der Gesundheitsreform auch darüber diskutieren sollten, ob es zu Kompetenzverschiebungen kommen soll oder nicht. Ich sage Ihnen, es ist nicht die Zeit, über Staatsreformen zu diskutieren, es ist auch keine Staatsreformarbeitsgruppe eingerichtet, sondern es gibt ganz klar Finanzausgleichsverhandlungen.

Ich glaube, ich brauche es in diesem Haus nicht zu betonen und ich brauche Ihnen das auch nicht in dieser Klarheit und Deutlichkeit zu sagen: Föderalismus hat seine Bedeutung, hat seine Wichtigkeit. Die föderale Ausprägung unse­res Staates ist ganz, ganz wichtig.

Ich erkläre das immer am Beispiel der Schulverwaltung. Jetzt kann man sagen, die Schulverwaltung ist sehr komplex und sehr kompliziert. Die Schulver­waltung basiert auf den Artikeln 11, 12 und 13 B-VG, mit einer Grundsatzge­setzgebung beim Bund, mit einer Ausführungsgesetzgebung bei den Län­dern und mit einer Vollzugskompetenz bei den Ländern. Sie kennen die Diskussion um die Landesbehörde, um den Landesschulrat als gemischte Behörde, als Bundes- und Landesbehörde.

Eines aber hat die Schulverwaltung: Die Schulverwaltung legt auf Bundes­ebene Grundsätze fest, gibt Bildungsgrundsätze vor, gibt die Stunden­tafel in den Schulen vor, gibt also auch die Unterrichtsinhalte vor und gibt Fi­nanzierungsmaßstäbe vor – denken Sie an den Richtwert bei der Klas­senteilung: die Zahl 25 –, lässt aber den Ländern entsprechend ihren Voraus­setzungen, ihren Gegebenheiten, ihren Prioritäten den Spielraum, selbst­ständig Maßnahmen zu setzen.

Das gibt uns beispielsweise im Burgenland – und so wird es auch in ande­ren Ländern sein – die Möglichkeit, Kleinststrukturen zu erhalten, wirklich Kleinstschulen zu erhalten. Das gibt uns im Burgenland beispiels­weise die Möglichkeit, Rücksicht auf die Zweisprachigkeit zu nehmen. Das gibt uns im Burgenland auch die Möglichkeit, diesen Richtwert der Tei­lungszahl 25 als Pflichtwert zu leben und auf die Eigenheiten und auf die Auswirkungen im Land Bedacht zu nehmen. Das ist nicht unklug organi­siert. Jedes Land hat seine Eigenheiten, jedes Land hat andere Voraus­setzungen und der Föderalismus und die Subsidiarität ermöglichen in weite­rer Folge, auf diese Rücksicht zu nehmen und auf sie einzugehen.

Wir dürfen auch nicht vergessen: Subsidiarität ist keine Einbahnstraße. Sub­sidiarität bedeutet nicht, Entscheidungen von Bundesebene auf Landes­ebene zu geben. Wenn wir von Subsidiarität reden, dann müssen wir das auch ernst meinen und ernst nehmen. Subsidiarität bedeutet auch, auf Landes­seite die Größe zu haben und den Zugang zu haben, Entscheidungen möglicherweise auch auf Gemeindeebene zu verlagern. Auch das bedeutet Subsidiarität, da klar ist: Wenn Entscheidungen vor Ort getroffen werden können – und das ist der Sinn der Subsidiarität, die Nähe zum Bürger, die schnelle Entscheidung vor Ort, die Betroffenheit auch zu merken und festzustellen –, dann müssen wir das auch leben.

Dieses Zusammenwirken funktioniert. Dieses Zusammenwirken zwischen den Gebietskörperschaften ist unsere Aufgabe, und der Finanzaus­gleich ist ein ganz wesentliches Instrument, um auch die Aufgabenerfüllung, die uns dadurch anheimgestellt ist, sicherzustellen.

Ich möchte auf drei Bereiche des Finanzausgleiches eingehen, auch auf die inhaltlichen Bereiche. Meines Erachtens ist die Gesundheitsversorgung, die Sicherstellung einer qualitativen Gesundheitsversorgung auf den verschiedensten Ebenen der wesentlichste und wichtigste Punkt des Finanzausgleiches. Wenn wir es in diesem Segment, im Bereich der Spitäler, im niedergelassenen Bereich, im extra- und intramuralen Gesundheitsbereich, schaffen, eine Einigung beim Finanzausgleich zu finden, dann wird der Finanzausgleich aus meiner Sicht auch funktionieren. Wenn wir uns die Situation gegenwärtig anschauen – und ich kann das aus Sicht des Burgenlandes beurteilen –, ist es so: Wir haben eine Situation, dass wir immer mehr und mehr damit konfrontiert sind, dass Facharztpraxisstellen in ländlichen Regionen, dass auch Hausarztpraxisstellen nicht mehr besetzt werden können. Wir haben eine Situation, dass wir im intramuralen Bereich in den Spitälern Arzt­stellen nicht mehr besetzen können. Gegenwärtig sind im Burgenland ungefähr 20 Prozent der Arztstellen in den Spitälern nicht besetzt. Das ist die eine Situation und die eine Seite.

Wir haben eine andere Situation, wenn wir uns die Finanzierungsströme, beispielsweise der Spitäler, anschauen. Sie wissen alle, Spitäler werden über einen Fonds – jedes Land hat einen Fonds – finanziert; dieser Fonds wird aus Mitteln des Bundes, aus Mitteln der ÖGK und aus Mitteln der Län­der gespeist. Diesem Finanzierungsschlüssel ist eine Gastpatientenre­gelung hinterlegt –eine Gastpatientenregelung, die fingiert, dass gewisse spit­zenmedizinische Leistungen natürlich in den medizinischen Zentren in Graz, in Wien, in Salzburg, in Innsbruck, wo auch immer, erbracht werden. Des­halb hat auch berechtigterweise, das sage ich ganz klar an dieser Stelle, diese Gastpatientenregelung vorgesehen, dass beispielsweise Wien – ich glaube, es sind 6,6 Prozent – mehr an Mitteln bekommt, als der Bevölkerungs­schlüssel eigentlich vertreten würde. Das Burgenland bekommt um 1,1, 1,2 Prozent weniger an Mitteln, als unser Bevölkerungsschlüssel reprä­sentieren würde.

Was passiert aber jetzt? – Jetzt haben wir eine Situation, dass wir auf der einen Seite, auf der finanziellen Seite wieder, zu dieser Fondsfinanzierung, die ich vorhin dargestellt habe, wo der Bund, die ÖGK die Mittel reingeben, für die Spitäler mittlerweile in den letzten Jahren – und die Summen steigen – zu­sätzlich noch 40, 50 Millionen Euro für den Betrieb, nur für den Betrieb der Spi­täler zuschießen müssen.

Auf der anderen Seite war es eigentlich einmal unser Zugang – und das wollten wir berechnen, wir wollten uns die Situation anschauen –, zu schauen: Was passiert eigentlich, wenn wir aus dieser Gastpatientenregelung aussteigen würden, wenn wir sagen, okay, wir wollen eine Einzelfallverrechnung und wir gehen in das Modell des qualitativen Wettbewerbes zwischen den Spitälern? Denn der Patient kann sich natürlich aussuchen und hat freie Wahl, in welches Spital er geht, das, was ja derzeit Praxis ist. Das würde aber bedeuten, dass wir im Leistungsäquivalent 40 Millionen Euro aufholen müssen, um überhaupt erst einmal auf das Niveau unserer jetzigen Gastpa­tientenfinanzierung zu kommen.

Das bedeutet umgekehrt – das sei an dieser Stelle auch ganz offen gesagt –, andere Bundesländer – das sind vielleicht Steiermark, Niederösterreich, Wien – erbringen um diesen Verhältnisbetrag mehr an Leistungen, als sie durch die Gastpatientenregelung abgedeckt bekommen. Auch das muss man fairerweise sagen. Es geht nicht immer nur darum, man will mehr Geld, sondern man muss versuchen, mit der Position eines Landes gemeinsam mit allen Ländern ein System zu schaffen, mit dem jeder leben kann und jeder das Gesundheitssystem finanzieren kann.

Das war beispielsweise bei der Diskussion um die Covid-Ersatzzahlungen in Bezug auf die Spitäler, in Bezug auf das Gesundheitssystem wirklich skurril. Es war insofern skurril, weil ich da gemerkt habe – und das ist jetzt kein Vorwurf, das sind einfach die Fakten, so, wie ich auch unsere Fakten darstelle –, dass westliche Bundesländer eigentlich nicht diesen massiven Finanzierungsbedarf haben wie wir. Warum? – Weil es dort sehr viele Gastpatienten, insbesondere während der Wintersaison, aus dem Ausland gibt und da natürlich Finanzierungsströme entstehen. Somit hat jedes Land unterschiedliche Voraussetzungen, Spitäler zu finanzieren.

Jeder hat seine Vorstellungen, jeder hat seine Ideen, und es liegt an uns, diese Ideen – und das ist jetzt die Aufgabe der Länder – auch im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen zusammenzuführen, hier auch entspre­chende Ergebnisse gegenüber dem Bund zu verhandeln und dann natürlich so zu verantworten, dass wir in weiterer Folge diese Gesundheitsversorgung, die wir uns vorstellen, die wir auch tagtäglich immer wieder unserer Bevölke­rung vor Augen halten, auch gewährleisten können.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin sehr unzufrieden mit Folgendem: Wenn man heute – und ich bekomme das tagtäglich in meinen Sprechstunden im Kontakt mit der Bevölkerung mit – ein MRT will, muss man zu einem Wahl­arzt gehen, wenn man einen zeitnahen Operationstermin will, muss man zu einem Wahlarzt gehen. Das ist eine Tendenz, die mehr und mehr verstärkt wird, das ist eine Tendenz hin zu einer Zweiklassenmedizin. Es ist unsere Aufgabe in der Politik, das zu unterbinden; und das zu unterbinden ist möglich. Das ist gesetzlich möglich, da müssen die entsprechenden Vorkeh­rungen getroffen werden. Daher geht es beim Finanzausgleich nicht nur darum, wo die zusätzlichen Mittel herkommen, sondern es geht schon auch um eine Strukturfrage, aber nicht um die Strukturfrage, wo die Kompetenzen für den Betrieb der Spitäler liegen, sondern um die Strukturfrage, wie wir die Spitäler finanzieren.

Würden wir nämlich die Kompetenzen für den Betrieb der Spitäler und die Zuständigkeit der Spitäler – das sage ich auch ganz klar – an den Bund abgeben, dann würde das bedeuten, dass Spitäler geschlossen werden. Wir kennen diese Diskussion in den Ländern – wir kennen sie, ich im Burgenland, ich kenne sie in der Steiermark, und es gibt sie auch in anderen Ländern –, und das gilt es zu verhindern. Wir sind in Österreich aus meiner Sicht auch finanziell, budgetär auf Bundesebene, aufseiten der Sozialversicherung, aufseiten der Länder so aufgestellt und so organisiert, dass wir diese Struktur erhalten können, dass wir diese wohnortnahe Spitalsstruktur erhalten können. Das ist unsere Aufgabe.

Es ist natürlich der einfachste Weg, über Schließungen zu diskutieren, es ist der kompliziertere Weg, über Strukturveränderungen zu diskutieren, und ich bin der Meinung, wir müssen im Interesse der Länder, im Interesse der Bevölkerung den komplizierteren Weg gehen. Ich sage das aber an dieser Stelle, weil ich in den letzten Tagen betreffend die Anhebung der Ärz­tegehälter durchaus ein bisschen kritisiert worden bin, wo wir jetzt im Burgenland den ersten Schritt gegangen sind und das Arztgehalt eines jungen Facharztes, beginnend mit 32, 33 Jahren, auf 140 000 Euro Jahresgehalt erhöht haben.

Auch hier möchte ich Ihnen als Ländervertreter – die Länder haben ja auch in dieser Gehaltsfrage unterschiedliche Voraussetzungen – unsere Be­weggründe mitteilen. Wir haben im Burgenland eine Situation, dass, wie ich schon gesagt habe, 80 Prozent der Arztplanstellen in unseren Spitälern besetzt sind. Wir haben eine Situation, dass wir heute im Burgenland nicht großartig Sonderklassetarife anbieten können wie in anderen Bundes­ländern. Wenn ich mit einem sehr gut befreundeten Arzt, der nicht im Bur­genland tätig ist, um jetzt kein Bundesland vor den Vorhang zu holen, rede, dann sagt er: Geh, schau, 30, 35 Prozent meines Einkommens sind das öffentliche Einkommen, die Beschäftigung im Spital, weitere 40 Prozent ungefähr – das schwankt ein bisschen, ist monatlich unterschiedlich – sind die Sonderklassetarife und die restlichen Prozente, die fehlen, sind die Wahlarztordination.

Auf der einen Seite – ja, das ist okay – ist es gar nicht notwendig, über den öffentlichen Sektor Gehaltserhöhungen vorzunehmen, weil natürlich über den privaten Sektor, Sonderklassetarife, Wahlarztordination, das Gehalt des Arztes entsprechend repräsentativ ausgeglichen wird. Solche Ten­denzen nehmen wir aber auch woanders wahr, wenn heute etwa seitens der ÖGK einem Hausarzt nur eine gewisse Zahl an Patienten im Quartal be­willigt wird, die er abrechnen darf. Wenn man heute einem Radiologen nur ge­wisse Fallzahlen für das MRT und das CT im Quartal bewilligt, so drängt man die Patienten in den privaten Bereich.

Das Drängen der Patienten in den privaten Bereich – am Gehalt des Arztes oder bei den Leistungen erklärt –, bedeutet nichts anderes als die Ver­schiebung der Finanzierung des Gesundheitssystems auf die Menschen. – Das ist der Effekt. Das passiert aus meiner Sicht nicht zufällig, sondern das hat Struktur, weil wir uns nicht trauen, gemeinschaftlich darüber zu diskutieren: Wie schaffen wir es, möglicherweise auch gewisse Einschnitte zu machen, wie schaffen wir es, gewisse Standards, die wir von unserem Gesund­heitssystem erwarten und die die Bevölkerung berechtigterweise erwartet, durch vielleicht auch empfindliche Strukturmaßnahmen sicherzustellen?

Wenn wir diese Diskussion nicht führen, führen wir in ein paar Jahren die Diskussion: Wo strukturieren wir?, und: Wo restrukturieren wir über Schließungen und über das Zurückfahren von Leistungen und das Zurückfah­ren von Spitälern oder Ordinationen im ländlichen Bereich? – Und da ist es unsere Aufgabe, aufzustehen und das Wort auch im Sinne der Bevölkerung zu ergreifen, und nicht, den einfachen Weg zu gehen und zu sagen: okay, Kompetenzverschiebung Richtung Bund, und dann als zweiten Schritt, wenn es nicht mehr finanzierbar ist, die Schließung.

Das ist der eine Aspekt, warum aus meiner Sicht der föderale Charakter – die Ausprägungen in den einzelnen Ländern divers zu entscheiden und Dinge unterschiedlich zu machen – grundsätzlich ganz wesentlich ist.

Der zweite Bereich, den ich auch ansprechen möchte, ist die Pflege. Wenn Sie sich zurückerinnern: Ich glaube, es war am Beginn der Zweitausen­derjahre, da hatte, glaube ich, ein österreichischer Politiker oder sein Umfeld doch ein gewisses Problem mit der Pflege zu Hause. Aus dieser öffent­lichen Diskussion darüber, wie Pflege zu Hause stattfindet, wer an und für sich zu Hause pflegt, wie es diesen 24-Stunden-Kräften, die engagiert werden, geht, welche Rahmenbedingungen es da gibt, ist dann die Legalisierung der 24-Stunden-Pflegekräfte entstanden, die ja jetzt fast zu 100 Prozent aus den östlichen oder südlichen Nachbarländern kommen.

Ein paar Jahre später, es war vielleicht sogar zehn Jahre später, gab es wieder das Thema Pflege im politischen Diskurs, und das Ergebnis dieses politi­schen Diskurses war am Ende des Tages die Abschaffung des Pflegeregresses. Sie erinnern sich, auch das war damals ein Thema – ich glaube, es war kurz vor einer Wahl –, und man hat den Pflegeregress abgeschafft. Wir, die Länder und der Bund, hanteln uns jetzt immer wieder mit 15a-Vereinbarun­gen durch, um diese Abschaffung des Pflegeregresses sukzessive abzufedern.

Jetzt haben wir wieder die Diskussion darüber, wie wir Pflege flächendeckend sicherstellen können. Das wird auch ein zentraler Punkt in der Finanzaus­gleichsverhandlung sein. Auch da sieht man am Beispiel Burgenland – aber auch an anderen Beispielen –, wie wichtig föderaler Zugang ist und wie wichtig föderaler Vollzug, föderale Zuständigkeit und Kompetenz in dieser Frage sind. Es ist mir selbstverständlich klar und bewusst, dass man unser Modell – wie wir versuchen, Pflege zu organisieren – möglicherweise nicht eins zu eins auf ein anderes Bundesland umlegen kann. Man kann es wahrscheinlich schon gar nicht eins zu eins auf den städtischen Bereich umlegen. Aber für uns im Burgenland, und das ist eben Subsidiarität, ist es wichtig, dieses Modell so zu leben, und das bedeutet, Pflege sehr kleinteilig zu organisieren.

Wir reden bei uns auch sehr oft – und ich glaube, auch Sie in Ihren Bundes­ländern – über die Ausdünnung des ländlichen Raumes. Wir reden sehr oft darüber, dass da die Post zusperrt, dort das Wirtshaus zusperrt und dass die Struktur immer weniger wird. – Da müssen wir entgegenwirken! Wir sind kein Wirtshausbetreiber, wir sind kein Postbetreiber, aber wir können un­sere Strukturen, mit denen wir bei den Menschen sein wollen, dezentral organisieren.

Wenn wir beginnen, zentral zu organisieren, dann wird es in den Ländern wirk­lich problematisch, und daher haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir unsere Pflegestrukturen dezentral organisieren wollen. Wir werden, bei aller Diskussion dahinter – ich kenne die Diskussion –, 71 Pflegestützpunkte er­richten, wobei statistisch gesehen jeder einzelne Pflegestützpunkt für 4 000 Ein­wohner zuständig sein wird. In diesen Pflegestützpunkten wird mobile Hauskrankenpflege, wird Tagesheimzentrum, wird betreutes Wohnen in einer besonderen Form konzentriert stattfinden.

Unser Modell ist aus meiner Sicht unsere Antwort auf das Thema Herausforde­rungen im Bereich der Pflege, auf das Thema wohnortnahe Pflege und da­rauf, dass jeder von uns von der Bevölkerung auf das Thema angesprochen wird und wir aufgefordert werden, dass das Thema Pflege positiv erledigt wird.

Es ist für mich ganz wesentlich, in dieser Diskussion und an dieser Stelle darzu­stellen, was wir im Burgenland machen und warum wir das so machen. Das sind für mich die Beispiele, die wir umsetzen, und die Erklärungen, warum wir so etwas umsetzen. Ich möchte an dieser Stelle auch ganz bewusst sagen, dass es auch wichtig ist, dass sich die Bundesländer gegenseitig achten, sich mit Respekt begegnen und sich vielleicht das eine oder andere Modell gegenseitig abschauen.

Wir waren beispielsweise, das sage ich an dieser Stelle ganz offen, sehr inter­essiert an den Verkehrslösungen im Nahverkehr der Steiermark vis à vis bei uns im Süden, an dem, was die Südoststeiermark mit dem kleinteiligen regio­nalen Verkehr gemacht hat. Wir haben uns dieses Modell sehr genau an­geschaut, wir werden dieses Modell ganz einfach kopieren und im Burgenland etablieren. Warum sollen wir nicht etwas machen, das funktioniert und das bei den Menschen ankommt, das für die Region und für die Menschen gut ist, und das dann in weiterer Folge auch im Burgenland umsetzen?

Ich glaube, wenn es dieses gegenseitige Verständnis gibt, dass man nicht immer alles im Bundesland selber erfunden haben muss, sondern dieses Mitein­ander lebt, und man sich gegenseitig jene Dinge herausnimmt, die für das eigene Land am besten wirken und von denen man glaubt, dass sie am besten wir­ken, dann, glaube ich, ist das eine Form des Föderalismus, den sich auch die Bevölkerung verdient hat. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesrät:innen von ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Ich möchte an dieser Stelle auch ein Thema ansprechen, das immer wieder mehr oder weniger in einem gewissen Diskurs steht, und zwar den Mindestlohn. Der Präsident hat das auch in seinem Eingangsstatement kurz erwähnt. Ich glaube, in der Politik ist uns vielfach das Wissen darüber verloren gegangen, wie es den Menschen eigentlich geht. Wir leben so in einem Trott dahin, wir leben in den Strukturen dahin und können die Größenvergleiche in die Vergangenheit nicht mehr ziehen.

Ich selbst war überrascht, das muss ich an dieser Stelle ganz ehrlich sagen, als mir mein Chauffeur erzählte – er war in seinem vorigen Beruf Fliesenleger –: Ich war bis zur Euroumstellung Fliesenleger und bis 2001 habe ich kollek­tivvertragsrechtlich ganz normal – damals noch in Schilling – unge­fähr 28 000 Schilling verdient! Netto monatlich, ein Fliesenleger. Das war zwar nicht jedes Monat; er hat gesagt: Im Jahresvergleich waren es in ungefähr zwei Dritteln der Monate 28 000 Schilling, dann war es auch ein bissel weniger.

Warum war das so? – Weil bis zu diesem Zeitpunkt die kollektivvertrags­rechtliche Bezahlung der Fliesenleger – und das dürfte im Bau- und –neben­gewerbe und auch in anderen Branchen so gewesen sein – nach Leis­tung abgegolten wurde, der Lohn also nach Quadratmeterleistung bezahlt wurde. Er selbst sagte, dass das dann umgestellt wurde. Ungefähr zum Zeitpunkt der Euroeinführung wurde auf Zeitabgeltung umgestellt. Mit der Zeitabgeltung wurde damals sein Gehalt von einem Tag auf den an­deren auf 1 250 Euro minimiert. Mittlerweile ist es wieder ungefähr bei 1 700, 1 800 Euro netto, aber auch nicht bei 2 000 Euro, wie es schon einmal im Jahr 2000 war.

Schaut man sich diesen Sachverhalt einer einzelnen Person an, eines Familien­vaters, der sein Leben bis dahin – er war im Jahr 2000 ein bissel über 30 Jahre – darauf ausgerichtet hatte, dass er ein Haus baut, dass er die Schulden bezahlen kann, dass seine Kinder entsprechend versorgt sind, und der dann von einem Moment auf den anderen auf ein Gehalt von 1 250 Euro hinunterfällt, dann kann man ihm ja gar nicht böse sein, wenn er sagt: Ich habe die Finan­zierung meines Hauses, mein Leben nur mehr bestreiten können, wenn ich am Wochenende pfuschen gegangen bin. – Wer soll denn dem böse sein?

Auch ich, vielleicht wir alle, das weiß ich jetzt nicht, haben das gar nicht gewusst – damals waren viele von uns noch nicht in der Politik. Uns fehlt diese Empathie, dieses Wissen, wie es diesen Menschen wirklich geht, die sol­che Einschnitte hinnehmen müssen, wenn es doch tatsächlich schon im Jahr 2000 möglich war, dass die Wirtschaft – sage ich jetzt pauschal, es ist vielleicht branchenspezifisch zu unterscheiden – dem Fliesenleger 2 000 Euro zahlen konnte.

Wo läge denn das Gehalt dieses Fliesenlegers heute, wenn er seit dem Jahr 2000 alle Valorisierungen mitgemacht hätte? Darüber will ich gar nicht reden. Wenn ich sagen würde, ein Fliesenleger würde heute vielleicht 3 000 Euro verdienen, dann würden Sie alle sagen: Das ist ja verrückt, das geht ja nicht! – Diesen Blick haben wir verloren, und genau deshalb ist es für uns so wichtig, diese Diskussion um den Mindestlohn zu führen.

Warum können wir beispielsweise im Burgenland – allein auf die letzte Gehalts­erhöhung blickend – derzeit 2 000 Euro Mindestlohn zahlen? Auch das ist dem Föderalismus geschuldet, wir konnten selbstständig entscheiden, wie wir Gehaltserhöhung leben. Auch das ist ein Ausfluss des Föderalismus, auch wenn es für viele unangenehm ist, darüber zu reden. Warum können wir 2 000 Euro netto Mindestlohn bezahlen – für jede Mitarbeiterin, die in un­seren Spitälern in der Küche steht, für die Reinigungskraft, die tagtäglich bei uns im Landhaus putzt? Die bekommen alle 2 000 Euro netto Mindestlohn. (Beifall bei der SPÖ.) Warum? – Weil wir die letzten Gehaltserhöhungen nicht linear durchgeführt haben, generell nicht linear durchgeführt haben, weil wir gesagt haben: Jeder Mitarbeiter, von jedem Politiker bis hin zur Reinigungskraft, bis hin zur Mitarbeiterin in der Küche, bekommt 300 Euro brutto Lohnerhöhung.

Das bedeutet natürlich, dass der Landesamtsdirektor – symbolisch jetzt als Beispiel genannt – keine Lohnerhöhung dem Gehalt entsprechend um 700 Euro brutto bekommt. Das bedeutet auch, dass der Politiker keine 5,2-prozen­tige Lohnerhöhung bekommt – ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie viel ein Politiker verdient –, sondern dass bei einem Spitzenpolitiker die Gehalts­erhöhung möglicherweise bei 1,5 Prozent liegt, beim Landesamtsdirektor bei 2,5 oder 3 Prozent liegt, bei der Reinigungskraft aber bei 15 Prozent liegt. Und das ist der Unterschied. Nur mit dieser Maßnahme konnten wir diesen Weg, den wir vor zwei, drei Jahren zu gehen begonnen haben, nämlich einen Mindest­lohn von 1 700 Euro netto zu implementieren, weitergehen und jetzt auf 2 000 Euro erhöhen.

Diese Maßnahme, und das ist das Interessante daran, hat in Wirklichkeit den gleichen budgetären Aufwand verursacht, als hätten wir die Gehaltser­höhung des Bundes, so wie er sie vorgegeben hat, eins zu eins übernommen. Die Gehaltserhöhung seitens des Bundes hätte bei uns bedeutet: Eine Reinigungskraft bekommt 180 Euro mehr, ein Spitzenbeamter im Landesdienst 700 Euro mehr. Was wäre passiert? – Es hätte eine weitere Spreizung der Gehälter stattgefunden. Die Gehälter hätten sich weiterhin voneinander wegentwickelt. In Wirklichkeit hätte man den Effekt, den man ja – und das verstehe ich auch – mit diesen Lohnerhöhungen von über 7 Prozent er­reichen wollte, um Teuerungen abzufedern, Lebenshaltungskosten abzufedern, vielleicht für jemanden erreicht, dem es egal ist, wie hoch die Gas-, wie hoch die Stromrechnung ist, aber demjenigen, der nicht weiß, wie es weitergeht, wie er seine Strom- und Gasrechnung bezahlen soll, hätte man damit eigent­lich nicht besonders geholfen.

Das ist ein schwieriges Thema, ich verstehe das, das wird sehr hart diskutiert, insbesondere auch, wenn man ein bisschen in die Wirtschaft hineingeht und sich die einzelnen Branchen anschaut. Das Thema ist nicht einfach, aber es geht ja nicht darum, dass wir in der Politik immer die einfachen Themen behandeln müssen. Es geht doch in der Politik darum, das für die Menschen zu erreichen, was sie von uns erwarten. (Beifall bei der SPÖ.)

Genau in diesem Zusammenhang und in dieser Situation, in der wir uns jetzt befinden, in der alles teurer wird, muss ich Ihnen sagen, ich war persön­lich zutiefst überrascht, als ein Angehöriger eines Regierungsmitgliedes zu mir gesagt hat: Mein Onkel, ein älterer Mann, heizt mit Strom, in einem älte­ren Haus, und hat bis dato eine Stromrechnung von 400 Euro gehabt. Jetzt hat er eine monatliche Vorschreibung – natürlich aufgrund der allgemeinen Steigerungen, keine Frage – von 1 600 Euro bekommen, bei einer Pension von 1 500 Euro netto! – Das ist kein Einzelfall, glauben Sie mir! Das ist kein Einzelfall.

Und wir sagen dann, dass es eh die Strompreisbremse des Bundes gibt. Es ist eh alles gemacht worden. – Ja, was sollen wir denn diesen Menschen vor Ort sagen? Wie sollen die ihr Leben tagtäglich gestalten? Wir merken das nicht. Ich kann jeden Tag zum Spar, zum Billa, wo auch immer, gehen und kann mei­nen Einkauf tätigen. Wir bekommen das teilweise gar nicht mehr mit. Ich bin selber ab und zu überrascht, obwohl ich Sprechstunden abhalte, obwohl ich einkaufen gehe und im täglichen Kontakt mit den Menschen bin, noch dazu in einem sehr kleinteilig organisierten Land. Wir bekommen teilweise nicht mit, wie es unseren Mitbürgern geht.

Dann darüber zu diskutieren, ob der Mindestlohn beispielsweise von jetzt 2 000 Euro netto oder historisch von 1 700 Euro netto zu viel ist, ob das die Wirtschaft zahlen kann oder nicht, halte ich nicht für richtig. Unsere Aufgabe ist es, für alle da zu sein, und das versuchen wir im Burgen­land: für alle da zu sein, auf der einen Seite mit einer wirklich exzellenten – da können Sie auch in der burgenländischen Wirtschaft fragen – Wirt­schaftsförderung Politik zu machen, aber auf der anderen Seite auch dafür Sor­ge zu tragen, dass die Menschen von dem, was sie verdienen, leben können und dass sie genau wissen, warum sie arbeiten gehen.

Das ist aus meiner Sicht unsere Aufgabe, dafür werden wir gewählt, dafür stehen wir und das können wir umsetzen. Daher bin ich auch sehr dankbar, in dieser Rolle sein zu können, weil wir in Österreich genau diese Staatsformen und diese föderalen Strukturen haben.

An dieser Stelle möchte ich schließen, mich bedanken und Ihnen versichern, ich stehe Ihnen im Wort, nicht nur hier in dieser Institution, hier im Bundesrat, sondern immer, dafür einzutreten, wenn es darum geht, dass föderale Struktu­ren, Subsidiarität, wie es auch so schön heißt, nicht nur gelebt werden, nicht nur in Sonntagsreden angesprochen werden, sondern auch tatsächlich umgesetzt werden. In diesem Sinne: alles Gute und herzlichen Dank. (Bei­fall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.48

Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Herr Landeshauptmann, für deine Ausführungen und auch für die Zeit, die du dir jetzt genommen hast. Ich glaube, das ist für den Bundesrat auch eine besondere Wertschätzung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Sandra Gerdenitsch. Ich erteile es ihr. – Bitte sehr.