18.44

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wenn man dem „Kurier“ Artikel vom 27.12.2022 Glauben schenken darf, sehen Sie zwar Bedarf, etwas gegen den massiven Personalmangel in der Elementarpädagogik zu unternehmen, und haben Vorarbeiten für eine Personalkampagne angekündigt, jedoch sehen Sie Ihre Bundeskompetenz als Minister als mittelfristige Option und nicht prioritär.

In den Kindergärten gibt es viel zu wenige Fachkräfte. Das Personal ist schon mehrfach für bessere Rahmenbedingungen auf die Straße gegangen. Voraussichtlich werden bis 2030 an die 14 000 Kindergartenfachkräfte fehlen.

Schon heute fehlen die geeigneten Fachkräfte für die Kleinkindbetreuung in den Kitas und Kindergärten. Wenn Stellen ausgeschrieben werden, gibt es zeit­weise nicht einmal Bewerbungen für die Kindergartenbetreiber. Kindergarten­gruppen müssen teilweise sogar schon gesperrt werden, da das Fachper­sonal fehlt.

Es müssten eigentlich auch bei Ihnen die Alarmglocken läuten, Herr Bundesmi­nister, wenn Sie sich intensiv mit dieser Problematik auseinandersetzen. Wie können wir es uns sonst erklären, wenn sich 95 Prozent der Absolventen der Bafep bei der Berufswahl nicht für die Arbeit der Kindergartenpäda­gogen entschließen? Da krankt es schon massiv in der Ausbildung. Man ver­absäumt es anscheinend, den jungen Menschen ihre Berufswahl so schmackhaft zu machen, dass diese dann auch für die Absolventen attraktiv ist. Nach dem Pflegekräftemangel tut sich nun der nächste Fachkräftemangel auf.

Was unternimmt diese Bundesregierung dagegen, Herr Bundesminister? Es ist uns allen ja noch gut in Erinnerung, wie der ehemalige Bundeskanzler Kurz seinerzeit die höchst notwendige Maßnahme, eine Kindergartenmilliarde auf die Füße zu stellen, torpediert hat. Kinderbildung und Kinderbetreuung sind in Bedrängnis. Nicht nur das fehlende Angebot in weiten Teilen des Lan­des, sondern auch der Umstand, dass es einen massiven Personalmangel gibt, führt zu einer Ausnahmesituation bei der Bildung der Jüngsten in unserem Land.

Mit dem Vorstoß des Gemeindebundpräsidenten in der „Kleinen Zeitung“ am 12. Februar 2023 stellt sich jedoch die Frage, ob die Zeichen wirklich auf Verbesserung stehen, wie Sie es angekündigt haben.

Auf die Frage, woher der Staat das Geld nehmen soll, sagt Gemeindebundpräsi­dent Alfred Riedl: „Wir müssen uns fragen: Was muss der Staat erledigen? Das wird nicht jeder gerne hören, aber Österreich leistet sich z. B. bei der Fami­lienpolitik zwei Versprechen: Auf der einen Seite gibt es Unmengen Geld für die Familien, das dazu da wäre, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich die Sachleistung einzukaufen. Jetzt stellt die Politik den Eltern gleichzeitig die Sachleistung zur Verfügung – das ist halt Tagespolitik, zu sagen, Kin­derbetreuung darf nichts kosten. Entweder Geld oder Sachleistung, irgendwann wird die Politik die Antwort geben müssen.“

Mit diesem Statement stellt der Gemeindebundpräsident einen massiven Rückschritt im Bereich der Elementarpädagogik in den Raum. Zugäng­liche Angebote im Bereich der Elementarpädagogik sollen gekürzt und durch hohe finanzielle Familienleistungen ersetzt werden, was zur Übernahme der Betreuungspflichten im eigenen Zuhause insbesondere durch Frauen führt, sie aus dem Berufsleben drängt und letztlich in die Altersarmut führt.

Dazu passt auch das Berndorfer Modell, die Herdprämie für Frauen, die von der FPÖ regelmäßig propagiert wird. Dieses Modell ist das Herzstück rechter und konservativer Familien- und Frauenpolitik. Dieses Familienbild hält nach­weislich Frauen von der Arbeit fern – und bitte eines: Unsere Kindergär­ten sind keine Kinderaufbewahrungsstätten, sondern wichtige Bildungseinrich­tungen. Diese Tatsache muss sich anscheinend noch in einigen Köpfen manifestieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Eines kann auch gesagt werden: Kindererziehung ist nicht Frauensache allein. Um da tatsächlich für eine Gleichstellung zu sorgen, müssten sich auch die Normen in den Köpfen ändern. Männer müssten einen größeren Anteil an der Kinderbetreuung übernehmen, um auch die Mütter umfassend zu ent­lasten, wie dies in den nordischen Ländern bereits bestens funktioniert.

Angesichts der immensen Teuerung bedeutet die Forderung von Herrn Riedl aber auch, dass Familien ihre Kinder aus Geldnot von Angeboten wie dem Essen, der Nachmittagsbetreuung oder von Ausflügen abmelden oder diese ganz aus dem Kindergarten nehmen.

Eines ist ganz klar nachweisbar: Weniger Kinderbetreuung bedeutet mehr Teilzeitbeschäftigung. Damit komme ich zum nächsten Geistesblitz dieser Bundesregierung. Auch wenn der Herr Bundesminister heute hier den Versuch unternommen hat, das zu relativieren, und etwas zurückgerudert ist, hat Arbeitsminister Martin Kocher gesagt, er wolle mehr Treffsicher­heit bei den Sozialleistungen, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen. „Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, gibt es weniger Grund, Sozial­leistungen zu zahlen.“ – Da zitiere ich den Herrn Bundesminister.

Wenn man jedoch Umfrageergebnisse anschaut, aus welchen Motiven Frauen Teilzeitbeschäftigung ausüben, kommt ganz klar heraus, dass mehr als 60 Prozent der Teilzeitbeschäftigten angeben, Zeit für die Kinderbetreuung aufwenden zu müssen. Das ist ein untrügbares Indiz; auch die Meinungs­forschung ist da nicht auf dem falschen Weg (Beifall bei der SPÖ): Es gilt als er­wiesen, dass besonders Frauen in die Teilzeitbeschäftigung gehen müssen, da sie diese aufgrund fehlender Kita- und Kindergartenbetreuungsplätze in An­spruch nehmen müssen.

In wenigen Fragen sind die Vertretungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern so einig wie bei der Kinderbetreuung. Diese gehört schnell und effizient aus­gebaut, sagen ÖGB, Arbeiterkammer, aber genauso die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer. Dies stellt auch Herausforderungen für die Ge­meinden dar. Wenn wir Kindergartenplätze anbieten können, sind wir interessant für Arbeitsplätze, als Wirtschaftsstandort, aber auch für die Wahl des Wohnsitzes. Wenn das ganze Konglomerat der Elementarbildung passt, kann man Zuwanderung forcieren und muss in den regionalen Räumen nicht mehr vor den Problemen einer Abwanderung stehen.

Mehr Kindergartenplätze bedeuten in der Regel auch mehr Frauen, die für die Erwerbsarbeit zur Verfügung stehen. Diese Tatsache belegt auch die Studie der Agenda Austria: „Wenig Kinderbetreuung, viel Teilzeit?“ Österreich zählt im internationalen Vergleich zu jenen Ländern, in denen Frauen besonders oft Teilzeitarbeit ausüben. Begründet wird dies, wie bereits festgestellt, mit fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen.

Innerhalb Österreichs gibt es tatsächlich gravierende Unterschiede. Während in Wien fast neun von zehn der betreuten Kinder in einer Einrichtung versorgt werden, die erlaubt, Beruf und Familie zu vereinbaren, trifft dies in Ober­österreich nur auf jedes vierte Kind zu. Das schlägt sich auch in der Teilzeitquote von Frauen nieder. In Wien liegt sie deutlich unter dem Bundesdurch­schnitt und in Oberösterreich ist sie am höchsten. (Bundesrätin Schumann: Genau!)

Kärnten, das Burgenland und Wien sind jene Länder, die mit ihren Gratiskin­dergärten allen Kindern die Möglichkeit bieten, schon im Bereich der ersten Bildungseinrichtung gleich gute Voraussetzungen vorzufinden. Da geht es um nichts weniger als um die Frage, ob Kinder zurückgelassen werden oder nicht. Als Sozialdemokraten sind wir der festen Überzeugung, dass wir kein einziges Kind zurücklassen dürfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dass es auch anders gehen kann, beweist das neue Kinderbildungs- und -betreu­ungsgesetz, welches gerade im Kärntner Landtag einstimmig beschlossen worden ist. Bei dieser Gesetzwerdung wurde auch die Studie, die ja auf Empfeh­lung Ihres Ministeriums erstellt wurde, berücksichtigt. Der Kärntner Land­tag hat einen Meilenstein für die Kinderbildung beschlossen. Die Kindergärten, die Kitas und die Dienstleistung der Tagesmütter werden ab Herbst in ganz Kärnten gratis angeboten. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie auch in der Studie festgestellt wurde, stellt für die Kindergartenpädagogen eine große Anzahl von Kindern in den Gruppen ein Problem dar. Da ist Kärnten den Weg gegangen, stufenweise von 25 auf 20 Kinder als Höchstzahl zurückzugehen. Und noch etwas ganz Wichtiges: Die Pädagoginnen und Pädagogen bekommen 40 Prozent mehr Gehalt. Es gibt also durch dieses Gesetz gleich drei Gewinner: die Kinder, die Eltern und die Pädagog:innen. (Beifall bei der SPÖ.)

Vor allem wird der Kindergarten ab September für alle gratis. Eltern müssen nur mehr für Essen und Bastelbedarf zahlen. Das soll allen Kindern in Kärnten bestmögliche Chancen unabhängig von den Einkommensverhältnissen der Eltern bieten. Der kostenlose Kindergarten ist wohl auch gleichzeitig eine willkom­mene Hilfe für die Eltern angesichts der Teuerung. Insgesamt ersparen sich die Kärntner Eltern dadurch 30 Millionen Euro im Jahr. In manchen Fällen gibt es bei Familien eine Ersparnis von 5 000 Euro im Jahr. Ich denke, dass dies in Zeiten wie diesen das richtige Zeichen ist. (Beifall bei der SPÖ. – Bundes­rätin Schumann: Wow!)

Von den Kindergartenpädagogen wurde immer kritisiert, dass vor allem von den Privat- und Vereinsbetreibern die gesetzliche Entlohnung nicht in dem Ausmaß stattfindet wie bei den kommunalen Kindergartenbetreibern. Positiv ist, dass man auch da einen Schritt weitergegangen ist. Das Gehalt der Päda­gogen wurde wie gesagt um 40 Prozent angehoben, und die privaten Vereine sind ebenfalls dazu verpflichtet, sich an diese Vorgabe zu halten, wenn sie Förderungen des Landes erhalten wollen.

Für neue Gruppen gibt es wiederum Bedarf von neuem Personal. Es werden da­durch insgesamt 64 neue Kindergartengruppen geschaffen. Da brauchen wir auch die Unterstützung des Bundes, dass die erforderlichen Kindergartenpä­dagoginnen und -pädagogen dann auch zur Verfügung stehen, was zurzeit jedoch leider nicht der Fall ist.

Noch ein Bonuspunkt bei den Kindergärten: Wenn die Öffnungszeiten für die Eltern attraktiver gestaltet werden und sie länger geöffnet haben, gibt es noch zusätzliche Bonifikationen durch das Land Kärnten.

Mit diesem Gesetz ist Landeshauptmann Peter Kaiser dem Ziel nähergekommen, Kärnten zur kinder- und familienfreundlichsten Region Europas werden zu lassen. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Minister, die Länder haben ihre Hausaufgaben gemacht. Tun Sie das bitte auch! Handeln Sie endlich! Und wenn Sie Fragen haben, reden Sie mit dem Herrn Gesundheits- und Sozialminister, der hier heute auch ins gleiche Horn gestoßen und genau das gesagt hat, was ich soeben kundgetan habe. Un­sere Kinder, unsere Zukunft haben sich das verdient, und ich hoffe, Sie und Ihre Regierung kommen in die Gänge. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

18.58

Präsident Günter Kovacs: Danke, Herr Bundesrat.

Zur Beantwortung hat sich der Herr Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Herr Dr. Martin Polaschek, zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.