9.10

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäst:innen hier und vor den Bildschirmen! (Bundesrätin Doppler: Gäst:innen! – Die Bundesräte Spanring und Steiner: Bravo! – Demonstrativer Beifall bei der FPÖ. – Weitere Zwischenrufe der Bundesräte Spanring und Steiner.) Ich möchte mit Rosa Logar, der Geschäfts­führerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie und Vorstands­frau des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, beginnen (Bundesrat Steiner: Die Gäst:innen!), begrüße aber zunächst die Justizministerin: Willkommen! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Gewalt ist strafbar und durch nichts zu rechtfertigen. Opfer haben ein Recht auf Schutz und Hilfe. Daher ist es der Justizministerin – ich bin froh, dass sie rechtzeitig angekommen ist – hoch anzurechnen, dass sie in relativ kurzer Zeit viele Maßnahmen zur Verhinderung von häuslicher Gewalt gesetzt hat; Maßnahmen, die schon sehr lange gefordert wurden, aber bisher nicht umge­setzt worden sind.

Ich möchte diese Maßnahmen aufzählen, weil es auch für die Betroffenen wichtig ist, zu wissen, dass die staatlichen Institutionen sie unterstützen.

Wird Frauen zum Beispiel in der eigenen Wohnung von ihrem Partner Gewalt angetan, kann dieser von der Polizei weggewiesen werden, und ein Annäherungs- und Betretungsverbot wird für zwei Wochen ausgesprochen. (Bundesrat Steiner: Das gibt es ja schon!) Soll es länger sein, kann beim Gericht eine einstweilige Verfügung beantragt werden.

Neu ist aber – und das ist für die von Gewalt Betroffenen sehr wichtig –, dass nun Opferschutzeinrichtungen sie bei Gericht vertreten können und für sie dieses Betretungs- und Annäherungsverbot beantragen können. Das ist sehr wichtig, denn wir wissen, dass – wahrscheinlich nicht nur für Menschen, die von Gewalt betroffen sind, vor allem für Frauen – immer wieder eine riesige Hemmschwelle besteht, vor Gericht zu gehen. Mit der Vertretung durch eine Opferschutzeinrichtung bekommen die Betroffenen einen niederschwelligen Zugang, sodass der Täter nicht mehr in die Wohnung zurückkehren kann.

Bei der Wegweisung muss gleichzeitig – auch das ist neu – ein Waffenverbot ausgesprochen werden. Auch das ist wichtig, denn wir wissen, es hantiert sich schnell mit einer Schusswaffe, und das endet meist tödlich.

Gleichzeitig wird bei der Verhängung von Betretungs- und Annäherungs­verboten eine verpflichtende Gewaltberatung für den Gefährder ausgesprochen.

Auch ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die von Gewalt betroffenen Frauen darüber aufgeklärt werden müssen, dass sie kostenlos sozialpsychologische und juristische Prozessbegleitung bekommen. Diese Begleitung ist so wichtig, weil die Situation meist von Angst, von Scham und von einem schlechten Gewissen besetzt ist – es handelt sich ja doch meistens um einen nahen Angehörigen –, und da soll eine halbwegs vertrauensvolle Umgebung geschaffen werden, damit eben auf Wichtiges nicht vergessen wird.

Seit 2020 gibt es Fallkonferenzen, und diese werden jetzt Gott sei Dank vermehrt und viel häufiger einberufen.

Bei Fallkonferenzen treffen sich Vertreter:innen von Opferschutzeinrichtungen, Polizei, aber auch Angehörige oder Vertreter:innen anderer Institutionen, um Hochrisikofälle zu besprechen und die Gefahr, die von einem Gefährder ausgeht, richtig einzuschätzen und Schutzmaßnahmen zu treffen, also vorzusorgen.

Das Wichtigste, um die Gewaltspirale zu durchbrechen – das ist das Thema der heutigen Aktuellen Stunde –, ist aber, dass das Strafverfahren ernst genommen und ordentlich durchgeführt wird.

Warum ist das wichtig? – Weil es mit Prävention zu tun hat. Und warum es mit Prävention zu tun hat, werden Sie gleich sehen.

Wir wissen, dass nur jeder zehnte Angeklagte, der wegen eines häuslichen Gewaltdelikts angeklagt wurde, verurteilt wird. Das heißt, neun von zehn Ange­klagten gehen straffrei aus – nicht aber, weil man zu dem Schluss gekommen ist, dass die Angeklagten unschuldig sind, sondern aus Mangel an Beweisen, weil Aussage gegen Aussage steht, was zur Folge hat, dass das Verfahren im Zweifel für die Angeklagten endet, sie also nicht verurteilt werden. Das ist grund­sätzlich ein wichtiger Rechtssatz in einem Rechtsstaat, es darf aber nicht passieren, dass ein Verfahren nicht mit einer ordentlichen Beweisaufnahme durch­geführt wird.

Daher muss – und auch das ist etwas, was in den letzten Jahren durch die Justizministerin, aber auch durch den Innenminister eingeführt worden ist – die Polizei darauf geschult werden, Gewalt zu erkennen, opferzentriert zu arbeiten und vor allem eben Beweise aufzunehmen. Das ist in Form einer längeren Ausbildung der Polizist:innen und auch mit mehr Personal umgesetzt worden.

Genauso bekommen Staatsanwält:innen im Journaldienst eine Checkliste, damit Beweise rechtzeitig gesichert werden und Zeug:innen ausgeforscht und einvernommen werden, und schließlich werden auch die Richter:innen für eine bessere Beweisaufnahme und eine schonende Einvernahme der Opfer ausgebildet, denn es ist das Um und Auf, gleichzeitig aber auch das Schwierigste, die Gewaltausübung zu beweisen.

Es ist daher sehr, sehr begrüßenswert, dass bald die angekündigten Gewalt­ambulanzen kostenlos, schnell und niederschwellig Verletzungen dokumentieren können, egal ob nachher angezeigt wird oder nicht. Dort soll auch zusätzlich Hilfe dazu, was die von Gewalt Betroffenen noch tun können, um aus der Gewaltspirale auszubrechen, angeboten werden. Solche Gewaltambulanzen sind gut, denn wir wissen, dass Ärzt:innen in diesem Bereich als sehr vertrauenswürdig angesehen werden.

Wir wissen auch, dass, wenn Beweise vorliegen und ein ordentliches Strafver­fahren durchgeführt wird, die Verurteilungsrate sich immens erhöht. Genau das ist es, was mit Prävention, also mit der Vermeidung von Gewalt, zu tun hat, denn je ernster die Strafverfolgung bei häuslicher Gewalt genommen wird – also je mehr darauf geachtet wird, dass genau nachgeschaut wird, was passiert ist, und umfassend Beweise aufgenommen, Zeug:innen gesucht und einvernommen werden –, desto eher klärt sich die Sachlage. Wenn das den Menschen bewusst wird, ist es auch abschreckend.

Es kann nicht sein, dass im Fall von geschehener häuslicher Gewalt eine Verurteilung daran scheitert, dass zu wenige Beweise oder nicht verwendbare Beweise aufgenommen werden. Eine Verurteilung darf nie an mangelhafter Strafverfolgung scheitern, sondern sie soll nur dann scheitern, wenn es keine Gewalt gab.

Ein anderer wichtiger Punkt ist, zu wissen, wie es zu Gewalt in der Familie kommt. Dieses Datenmaterial wird und wurde nun verbessert. Wir kennen die Studie zu Gewalt gegen Frauen von der Statistik Austria aus 2021 und die rezente „Untersuchung Frauenmorde“ vom Institut für Konfliktforschung.

Es geht nämlich darum, dass nicht nur die institutionellen Beschäftigten in diesem Bereich, wie Polizei und Justiz, sondern dass wir alle darauf sensibilisiert werden, besser und schneller zu erkennen, wann Gewalt gegen Frauen oder gegen Kinder stattfindet. Sei es als Lehrerin, als Lehrer, als Arbeitskollege oder Arbeitskollegin, aber auch als Freund:in oder Nachbar:in: Je früher wir Gewalt erkennen, desto eher besteht die Chance, die Gewalteskalation zu verhindern.

Anzeichen von Gewalt sind zum Beispiel, dass jemand kontrollwütig ist, dass er Bewegungs- und Handlungsspielräume einschränkt, dass Geld oder Handy weggenommen werden, dass soziale Kontakte vermieden werden, dass extreme Eifersucht herrscht oder dass simpel in der Nachbarwohnung immer wieder laut geschrien wird.

Es ist wichtig, da einzuschreiten und auch Hilfe anzubieten oder Hilfe zu holen und sich lieber einmal mehr als einmal zu wenig einzumischen.

Es gibt da ein gutes Projekt, das ich schon öfter genannt habe: Stop – Stadtteile ohne Partnergewalt. Das ist ein Nachbarschaftsprojekt, das mit den Leuten klärt, wie Gewalt erkannt wird, und auch – das ist das Wichtige – die Zivilcourage stärkt, um einzuschreiten und Hilfe anzubieten.

Ich rufe auch Sie auf, da hier einige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sitzen: Fördern Sie solche Projekte in Ihren Gemeinden, denn Gewalt ist nie ein Kavaliersdelikt, nie eine bloß ausgerutschte Hand oder nie gar nicht so schlimm, sondern Gewalt verletzt, erniedrigt, prägt, erzeugt weitere Gewalt – und im schlimmsten Fall tötet sie!

Daher sind wir alle aufgefordert, achtsam zu sein, nie über Gewalt hinweg­zu­sehen, den Aussagen der Betroffenen zu glauben und für Aufklärung zu sorgen. Wir müssen hinschauen, wir müssen hinhören, wir müssen hingehen und wir müssen handeln! – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Bundes­rät:innen der SPÖ.)

9.20

Präsidentin Mag.a Claudia Arpa: Auch ich möchte die Justizministerin recht herzlich begrüßen.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr.in Andrea Eder-Gitschthaler. – Bitte.