18.06

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Es ist jetzt zwar schon etwas länger her, aber ich muss immer wieder an die Situation denken, als mich vor einigen Jahren ein Anruf einer verzweifelten Kollegin erreicht hat, in deren Sprechstunde eine Frau aus Syrien gewesen ist. Sie war auf der Suche nach ihrem kleinen Neffen, der auf der Flucht von einer anderen Familie mitgenommen worden war, nachdem seine Eltern bei einem Bombenangriff ermordet worden waren. Damals ist der Junge nicht mehr auffindbar gewesen, aber angeblich sollte er im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen sein.

Wir haben uns dann mit vereinten Kräften auf die Suche nach dem Kleinen gemacht, der sich nämlich tatsächlich im Erstaufnahmezentrum aufgehalten hat, aber zu diesem Zeitpunkt hatte sich von behördlicher Seite noch niemand um ihn gekümmert.

Danach hat eine regelrechte Odyssee gestartet, um den Neunjährigen in die Obhut seiner Tante nach Oberösterreich zu bekommen. – Die Geschichte ist gut ausgegangen, es ist uns geglückt, aber nicht alle Kinder haben genau dieses Glück in ihrem Unglück auf der Flucht, und dann sind staatliche Stellen gefordert, um das Kindeswohl sicherzustellen.

Warum sage ich das genau jetzt? – Weil wir in diesem Halbjahr im Bundesrat als Schwerpunkte folgende Themen haben: Kindern Perspektiven geben und Kinderrechte. Diese Kinderrechte gelten tatsächlich für alle Kinder, also auch für Kinder, die sich auf der Flucht befinden. Kinderflüchtlinge erlebten und erleben seit jeher eine Schlechterstellung in Bezug auf Versorgung und Chancen im Vergleich zu österreichischen Kindern in Fremdversorgung, und das widerspricht der Kinderrechtskonvention, wie wir alle wissen.

Warum ist das so? – Im Bereich der sich immer weiter verschlechternden Kostendeckung in der Grundversorgung für Kinder und Jugendliche auf der Flucht und vulnerable Personen kommt zusätzlich dazu, dass es in den Bundesländern kaum noch Quartiere für Kinderflüchtlinge gibt, weil die NGOs mit den bereitgestellten Tagsätzen einfach nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Zum Beispiel gibt es in Oberösterreich kein einziges Quartier mehr, in dem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht werden können.

Vielleicht ist das Folgende der interessante Teil, denn wenn ich jetzt die ganze Grundversorgung erklären würde, wäre das zu spezifisch, aber grundsätzlich ist es so, dass die Länder in der Pflicht sind, geflüchtete Menschen nach Zulassung zum Asylverfahren aus der Bundesbetreuung gemäß einer Quote in die Länderquartiere zu übernehmen.

Es ist tatsächlich so – ich habe mir die Zahlen rausgesucht –, dass kein Land außer Wien die Quote erfüllt. Das Burgenland ist mit 6 Prozent im Minus, Kärnten mit 40 Prozent, Niederösterreich mit 20 Prozent, obwohl es dort das Erstaufnahmezentrum gibt, Oberösterreich mit 33 Prozent, Salzburg mit 37 Prozent, die Steiermark mit 12 Prozent, Tirol mit 22 und Vorarlberg mit 8 Prozent. Nur Wien übererfüllt die Quote, nämlich mit 87 Prozent (Bundesrätin Schumann: Dafür werden wir dann von euch geprügelt!), und das bedeutet faktisch, dass wir, wenn Wien die Quote nicht übererfüllen würde, noch mehr Menschen in Bundesbetreuung hätten.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen einmal in einem Bundesquartier gewesen ist – dort sollten sich die Leute eigentlich nur sehr kurz aufhalten, nämlich während des Zulassungszeitraums –: Das ist nicht schön. Ein Beispiel aus meinem Bezirk, aus Frankenburg: Dort waren zum Beispiel – sie ist jetzt Gott sei Dank nicht mehr belegt – über 100 geflüchtete Menschen in einer großen Lagerhalle untergebracht. Sie hatten dort nur durch Decken, die sie selber hingehängt haben, ein bisschen Privatsphäre. Es war auch nicht möglich, dass die Leute dort besucht werden.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Leute, die zum Asylverfahren zugelassen sind, auch eine Perspektive haben, in Österreich zu bleiben. Insbesondere bei Kindern ist das der schlechteste Start in ein Leben in Österreich, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum in solchen Bundesquartieren aufhalten müssen.

Ich habe heute noch einmal kurz die Zahlen hinterfragt. Bei Kinderflüchtlingen sind es sechs Monate bis zu einem Jahr, die essenziell sind und auch bei den ersten Integrationsschritten fehlen. Mich hat dann auch interessiert – weil diese Mär heute auch von Kollegen Spanring, glaube ich, erwähnt worden ist –, ob es sich bei den Geflüchteten hauptsächlich um alleinstehende Männer handelt. Es ist tatsächlich eine Mär. Ich habe nachgeschaut, es sind in den Bundesbetreuungseinrichtungen mit Stand von 20.12. an die 3 000, genauer gesagt 2 600 Menschen, die zum Asylverfahren zugelassen sind. Davon sind lediglich 145 allein reisende Männer, 1 197 sind im Familienverband lebende Menschen, 419 Kinderflüchtlinge, also unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, und 52 unbegleitete unmündige Flüchtlinge, auch Kinderflüchtlinge, 58 allein reisende Männer mit Kind, 164 allein reisende Frauen, 768 geflüchtete Frauen mit Kind.

Sie alle haben einen Anspruch, gemäß der Quote in die Ländergrundversorgung übernommen zu werden, und genau das passiert nicht. Das hat damit zu tun, ich habe es schon erwähnt, dass die Tagsätze denkbar gering sind, zu gering, um die Kosten für die Unterbringung zu decken. Deshalb – und jetzt komme ich zum Punkt – wurde das Realkostenmodell entwickelt, das jetzt in Wien in die Pilotphase geht.

Es ist so – das wurde auch schon kurz erklärt –, dass die über dem Tagsatz liegenden reellen Kosten, die es braucht, um Menschen auf der Flucht gemäß dem, was sie benötigen, unterzubringen und zu betreuen, also die Kostendifferenz, vom Bund übernommen wird. Da geht es nicht nur um ein adäquates Quartier, sondern auch um die sozialarbeiterische Betreuung. Es geht auch – das ist mir auch wichtig, zu erwähnen – um die Sicherheit für die Mitarbeiter:innen, denn je schlechter die Tagsätze sind, desto mehr müssen Sozialarbeiter:innen und andere betreuende Personen ihren Personenschlüssel hochfahren, und dann sind wir wieder im Defizit mit der Betreuung.

Ich finde das wirklich großartig von Wien, dass die Stadt als Pilotregion in das Realkostenmodell eingestiegen ist. Es wird ein Monitoring geben. Man wird sehen, wie sich das darstellt. Andere Bundesländer sind aufgerufen, dem zu folgen, wobei ich natürlich aus der Praxis auch sagen muss, dass es in Wien besser umzusetzen ist, weil die hauptsächlichen Quartiergeber:innen NGOs sind, die auf Gemeinnützigkeit ausgerichtet sind. In den Flächenbundesländern ist es oft so, dass wir es mit gewerblichen Quartiergebern zu tun haben, und dort gibt es natürlich Problematiken: Wie kann man ein Realkostenmodell abbilden, wenn man nicht gemeinnützig arbeitet? – Es ist wichtig, dass wir irgendwo anfangen, und das ist in diesem Fall in Wien.

Ich bin schon sehr gespannt, aber von einem gehe ich ganz sicher aus, nämlich dass sich die Situation für die geflüchteten Menschen, für die vulnerablen Personen, insbesondere für die unbegleiteten Minderjährigen, für die Kinderflüchtlinge erheblich verbessern wird. Dadurch kommt es dann genau zu dem, was wir uns wünschen: dass die Menschen sich in unserer Mitte aufgenommen fühlen, dass sie sich vom ersten Tag an von den Erlebnissen, die sie auf der Flucht erfahren haben, abschotten können, und dass sie wertige Mitglieder und geschätzte Mitglieder unserer Gesellschaft sein können. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ.)

18.15

Präsidentin Mag.a Claudia Arpa: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Karl-Arthur Arlamovsky. – Herr Bundesrat, bitte sehr.