10.39

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Landeshauptfrau! Werte Gäste hier bei uns im Saal! Geschätzte Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernsehbildschirmen zu Hause, via ORF-Livestream! Bevor ich zum Inhaltlichen komme, darf ich natürlich dir, Frau Präsidentin, recht herzlich zu deiner Präsidentschaft gratulieren. Ich bin schon sehr gespannt und freue mich auf alles, was da in puncto Jugend kommt. Das ist schließlich auch mein Thema, daher alles Gute dafür.

Frau Landeshauptfrau, Sie hatten ja erst kürzlich einen runden Geburtstag – meinen herzlichen Glückwunsch! Ich glaube, das muss auch einmal gesagt werden, bevor wir zum Inhaltlichen kommen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesrät:innen der FPÖ.)

Ja, beim Inhaltlichen muss ich uns jetzt von der blau-gelben schwarz-türkisen Wolke mit Glitzerstaub wieder ein bissl auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Auch ich habe in letzter Zeit ganz besonders aufmerksam zugehört: in der „Pressestunde“, natürlich bei Ihrer Festansprache gestern, auch heute bei Ihrer Erklärung hier im Bundesrat. Da habe ich mich hingesetzt und habe ein bisschen einen Faktencheck durchgeführt, Ihre Aussagen sozusagen einem Realitätscheck unterzogen.

Da ist mir beispielsweise beim Thema Wohnen das eine oder andere aufgefallen. Sie sprechen davon, dass in Niederösterreich so viel für den geförderten Wohnbau und für den leistbaren Wohnbau getan wird. Ich habe mir einmal die Homepage des niederösterreichischen Wohnservice  angeschaut: Da sind aktuell mit der Widmung Junges Wohnen sage und schreibe 16 Wohneinheiten ausgeschrieben – 16 Wohneinheiten für das ganze Landesgebiet in Niederösterreich! In meinem Bezirk Tulln sind es exakt null, also null Wohnungen, die dem Jungen Wohnen zugesprochen werden könnten.

Immerhin ist zum Beispiel im Bezirk Gänserndorf die eine oder andere Wohnung zu haben, zum Beispiel eine mit 55 Quadratmetern um sage und schreibe 735 Euro Miete pro Monat; auch im Bezirk Melk gibt es eine Wohnung, mit 54 Quadratmetern um 750 Euro Miete pro Monat. Jetzt frage ich mich – es sind auch junge Menschen hier im Saal –: Welche jungen Menschen, gerade am Anfang, wenn sie die ersten Schritte vom Elternhaus in die erste Wohnung machen, können sich so mir nix, dir nix 750 Euro im Monat leisten? Es werden wahrscheinlich nicht alle sein.

Ähnlich schaut es beim Betreuten Wohnen aus, da stehen derzeit in Summe auch nur 30 Wohneinheiten zur Verfügung, und auch da wieder: im Bezirk Tulln null. Im Bezirk Tulln sind es grundsätzlich nur zwölf Wohneinheiten, was die geförderten Wohnungen betrifft. – Na ja, ich würde sagen, da ist noch Luft nach oben. Und von Eigentum sind wir da noch weit entfernt, davon reden wir noch lange nicht.

Sie haben gestern gesagt und auch heute im Bundesrat noch einmal wiederholt: Eigentum soll für Normalverdiener leistbar sein. – So, jetzt schauen wir uns einmal die Wohnkosten im Vergleich 2019 und jetzt an: 2019 hat man bei einem durchschnittlichen Haus von ungefähr 148 Quadratmetern – das ist so die Rechnung Daumen mal Pi – noch Errichtungskosten von 470 000 Euro gehabt und inzwischen ist man bei fast 750 000 Euro angelangt. Das ist eine Steigerung um mehr als die Hälfte. Jetzt frage ich mich: Wie viele Jungfamilien kennen Sie tatsächlich, die einmal eben so locker 720 000, 750 000 Euro auf der hohen Kante herumliegen haben?

Ganz ehrlich: Da wird auch die Zurücknahme der KIM-Verordnung nicht viel helfen, denn das Grundproblem löst man damit überhaupt nicht, dass es nämlich um riesige Kreditsummen geht, die die Familien da aufnehmen müssen; daran wird in Wahrheit überhaupt nicht gerüttelt. Es ist in Wahrheit zu hinterfragen, dass man ein Haus unter 720 000 Euro überhaupt nicht mehr kriegt. Das ist das Problem, um das man sich kümmern sollte (Beifall bei der SPÖ), und nicht für jene, die es sich eh leisten können, dann auch noch Grundbucheintragungsgebühren senken. – Aber gut.

Daher frage ich Sie jetzt einmal ganz konkret: Können Sie sich vorstellen, Frau Landeshauptfrau, wie belastend es für eine junge Familie tatsächlich ist, einen Kredit über 35 oder noch mehr Jahre hinweg mit 1 500, 2 000 Euro pro Monat abbezahlen zu müssen? Ganz ehrlich: Was soll diesen sogenannten Normalverdienern dann in Wahrheit zum Leben noch überbleiben? Wir wissen es und wir haben es heute auch schon mehrfach gehört: Die Energiepreise sind in den letzten Jahren ins Unermessliche gestiegen, auch Lebensmittelpreise und so weiter und so fort. Da geht es wirklich um Existenzen, und da sind wir weit davon entfernt, von Eigentum zu sprechen.

In Niederösterreich hört man ja von der ÖVP seit Jahren immer wieder – wie ein Lamento; immer wieder dahingesprochen –: Leistung muss sich lohnen! – Jetzt sage ich es in aller Deutlichkeit: Erben ist keine Leistung. Ohne Erben geht Eigentum in Niederösterreich nicht. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesrät:innen der Grünen.)

Dann zum nächsten Punkt, Gesundheitsversorgung – auch davon haben wir heute schon viel gehört –: 2018 – ich darf es noch einmal in aller Kürze wiederholen – ist uns von der Frau Landeshauptfrau die Landarztgarantie versprochen worden. Ich habe die Liste mit, Kollege Zauner – da hinten ist er –, mit allen derzeit ausgeschriebenen Stellen – Facharztstellen, Kassenarztstellen für Allgemeinmedizin – im Lande Niederösterreich. (Die Rednerin hält die genannte Liste in die Höhe.) Es sind viele, viele Stellen offen, immer noch – seit 2016, 2017, 2018 vakant. Das ist, finde ich, gerade in einem großen Flächenbundesland wie Niederösterreich ein Armutszeugnis.

Was entsteht dadurch zum Beispiel für junge Familien, die für ein Kind dringend einen Kinderarzt brauchen? Wann braucht man einen Arzt? – Meistens dann, wenn gerade keiner Dienst hat, am Wochenende. Es ist kein Kinderarzt verfügbar. Wo geht man hin? – In die Ambulanz. Nächster Schritt: Die Ambulanz ist oftmals auch nicht im erforderlichen Ausmaß besetzt. Das heißt, die Landarztgarantie ist leider, muss man sagen, ein Satz mit X, nämlich nix: Ist nix draus geworden.

Ich würde sagen: Nehmen Sie Ihren Einfluss doch tatsächlich wahr! Sie sind seit 2017 Landeshauptfrau, Sie sind Landeshauptleutekonferenzvorsitzende – ich glaube, da gäbe es genügend Möglichkeiten, Ihren Einfluss geltend zu machen und auch Ihrer Verantwortung nachzukommen, sich auszutauschen mit der LGA, der Ärztekammer und allen Playern, die dafür verantwortlich sind, die Gesundheitsversorgung in Niederösterreich ordentlich und gewissenhaft sicherzustellen. (Beifall bei Bundesrät:innen der SPÖ.)

Ein Thema ist mir dann auch noch ins Auge beziehungsweise ins Ohr gesprungen, nämlich das Thema Bauordnungen. Ja, Sie haben recht, der Rahmen der Bauordnungen – das ist schon klar, das wissen wir alle –, was Widmungen betrifft ist, in allen neun Bundesländern gleich; dafür gibt es im Großen und Ganzen also die gleichen Grundlagen. Es kann aber nicht sein, dass sich Bürgermeister persönlich bereichern, indem sie im eigenen Interesse eigene Grundstücke umwidmen lassen und diese dann vergolden, sich um viele, viele Millionen Euro die eigene Tasche noch ein bisschen beschweren und vergolden lassen. Ich glaube, da erwarten sich auch die Menschen in Niederösterreich endlich einmal ganz deutliche, klare Ansagen und vor allen Dingen auch klare Handlungen. Den Bürgermeister, den ich konkret meine, muss ich ja nicht mit Namen nennen – ich glaube, er ist allen bekannt –; er kommt aus meinem Bezirk. (Zwischenruf des Bundesrates Buchmann.)

By the way, Gemeinde Vösendorf: Auch da erwarten sich die Menschen, glaube ich, eine klare Haltung von Ihnen. Obwohl sogar der Bürgermeister selbst die Rechnungsfälschung zugibt, stehen Sie nach wie vor hinter ihm; ganz egal, er darf Nummer eins der ÖVP bleiben, er bleibt unangetastet. Das erweckt ein bisschen den Eindruck, bei der ÖVP ist es wie bei Pippi Langstrumpf: „Ich mach’ mir die Welt / [...] wie sie mir gefällt“. Es ist eh alles rechtens und eh alles in Ordnung. – Das ist aus meiner Sicht ein bissl unredlich und darüber muss man schon nachdenken. Auch da erwarte ich mir bitte schon ein bisschen einen Nachdenkprozess in der ÖVP und ein Zurückkommen zur Wahrheit.

Auch für mich ist die Kinderbetreuung natürlich ein Herzensthema, auch dazu haben wir heute durchaus schon einiges gehört; wir haben hier an dieser Stelle ja auch immer wieder darüber gesprochen. In der „Pressestunde“ haben Sie noch einmal betont, dass in Niederösterreich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegeben ist und gegeben sein soll. Immerhin positiv – das sehe ich auch positiv –: Es ist künftig auch möglich, dass Zweijährige bereits in den Kindergarten gehen können. (Bundesrätin Schumann: Das wird nichts helfen, weil nach 22 Monaten ist die Karenz aus!)

Allerdings – und das muss man ganz ehrlich und offen sagen –: Niederösterreich ist gemeinsam mit Oberösterreich eines der beiden Schlusslichter, was die Vereinbarkeit von Vollzeitbeschäftigung und Kindergarten betrifft, denn – das ist aus meiner Sicht ein riesengroßes Problem und da öffnet sich die ÖVP offensichtlich keinen Millimeter – in Niederösterreich ist nach wie vor nur die Vormittagszeit im Kindergarten kostenfrei und alles, was ab 13 Uhr passiert, ist von den Eltern zu zahlen. Der Vormittag, bis 13 Uhr, gilt als Lernzeit, der Nachmittag ist dann die Spielzeit, die Betreuungszeit oder wie auch immer und ist jedenfalls von den Eltern zu bezahlen. Unterm Strich muss man fragen: Wo bleibt da wirklich die echte Gleichberechtigung, von der Sie auch in der „Pressestunde“ gesprochen haben?

Ich habe ein bisschen den Eindruck, man hält sich bei der ÖVP dann doch sozusagen das Hintertürl offen, dass die Frauen eigentlich schon an den Herd gehören. Das ist so meine Interpretation des Ganzen (Bundesrat Himmer: Vor allem deine! – Zwischenruf des Bundesrates Zauner), vor allen Dingen im Lichte auch des Equal-Pay-Days, den wir ja gestern hatten. Frauen haben ja bis dato 45 Tage - - (Weiterer Zwischenruf des Bundesrates Zauner.) – Du kannst mich gerne korrigieren, wenn dir etwas nicht passt.

Gestern war Equal-Pay-Day, das heißt, statistisch gesehen arbeiten Frauen in Österreich im Vergleich zu den Männern 45 Tage gratis. Ich glaube, das ist schon etwas, das man hinterfragen muss. Da spreche ich auch ein bisschen in Richtung FPÖ, denn ich habe das Arbeitsübereinkommen mit (die Rednerin hält ein ausgedrucktes Exemplar in die Höhe), und in Wahrheit wird auf diesen knapp 40 Seiten der Genderpaygap noch weiter einzementiert, und ihr seid da live dabei – aber gut.

Kleines Bonmot am Rande: Wissen Sie, wie oft das Wort Frau in diesem Arbeitspapier, in diesen 200 Punkten – glaube ich, wenn ich mich richtig erinnere –, auf diesen 40 Seiten vorkommt? – Exakt acht Mal! (Bundesrätin Schumann: Nein!) Exakt acht Mal, und einmal davon im Wort Landeshauptfrau. Also wenn das der Stellenwert der Frau in Niederösterreich ist: Na Grüß Gott, Herr Kompott! (Bundesrat Himmer: So analysiert man einen Text!) Das ist also ein bisschen ein Armutszeugnis für das Land Niederösterreich. (Bundesrat Spanring: Wie oft kommt das Wort Mann vor?)

Abgesehen davon – das vielleicht auch noch in Richtung der ÖVP (Bundesrat Himmer: Das Wort Hahn kommt überhaupt nicht vor!); ja, ihr hört das nicht gerne (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Spanring) –: Von den Abgeordneten der ÖVP Niederösterreich sind nur drei weiblich. Also so viel zur Geschlechtergerechtigkeit in Niederösterreich.

Das passt aber eh irgendwo ins Bild. (Bundesrat Spanring: Wie oft kommt das Wort Mann vor?) – Herr Spanring braucht gar nicht so laut herauszuschreien! Du hast es in Wahrheit ja heute auch schon zugegeben: Ein großer Unterschied zwischen ÖVP und FPÖ ist in Niederösterreich kaum mehr erkennbar.

Ich muss aber eines sagen: Mein absolutes Highlight, besonders in der „Pressestunde“, war ja Folgendes: Als die Frau Landeshauptfrau gefragt worden ist, wie es denn eigentlich zu der jetzigen Koalition mit der FPÖ gekommen ist, hat sie gesagt: Na ja, die arme, arme ÖVP hat leider nicht anders gekonnt, das war leider nicht anders möglich. Schuld daran, dass die ÖVP jetzt mit der FPÖ koalieren muss – die Armen! –, war die SPÖ Niederösterreich (Bundesrat Spanring: Das war so!), weil wir als SPÖ Niederösterreich unerhörte Forderungen gehabt haben, fünf Stück an der Zahl.

Diese unerhörten Forderungen lauteten folgendermaßen – und die muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, und jetzt lade ich dann auch die Menschen draußen ein, das zu interpretieren –:

Wir haben eine kostenlose ganztägige Kinderbetreuung gefordert. – Na, das ist ja unerhört! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wir haben einen Heizpreisstopp für die niederösterreichischen Haushalte gefordert – im Lichte der Energiepreise eine unerhörte Forderung. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wir haben ein Anstellungsmodell für pflegende Angehörige gefordert. – Na, das ist aber auch eine unerhörte Forderung. (Beifall bei der SPÖ.)

Vor allen Dingen – wir haben es auch gestern noch einmal gehört –: Das Ehrenamt ist in Niederösterreich ja so wichtig. (Bundesrat Himmer: Na, robb dich vor zur fünften Forderung, komm!) Schauen wir einmal in die Statistik, wie viele Ehrenamtliche in der Pflege tätig sind! Wäre es da nicht längst an der Zeit, dass man schaut, dass man auch diesen eine entsprechende ordentliche Bezahlung zukommen lässt? (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenbemerkung von Landeshauptfrau Mikl-Leitner.) – Ich glaube, das wäre das Mindeste, was man da tun könnte. (Bundesrat Himmer: Robb dich vor!)

Wir hätten eine Strukturoffensive für die vernachlässigten Regionen gefordert: Bankomat, Polizeiinspektion, öffentlicher Verkehr und vieles mehr. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir hätten eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose gefordert (Bundesrat Himmer: Okay! Ja!), analog eben zu dem international wirklich sehr anerkannten Projekt Marienthal. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Zauner.)

Das waren unsere fünf Forderungen, und daran ist es gescheitert, dass mit uns kein Arbeitsübereinkommen zustande gekommen ist. (Bundesrat Himmer: Na, und wo habt ihr die Goldkiste für die Jobgarantie? Wo war die Goldkiste für die Jobgarantie?) Ich glaube, das sagt wesentlich weniger über die SPÖ Niederösterreich, aber viel mehr über die ÖVP Niederösterreich aus. (Bundesrat Himmer: Die Goldkiste, wo war sie?)

Das sagt, glaube ich, sozusagen auch viel über den Realitätscheck in Niederösterreich aus. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.54

Präsidentin Margit Göll: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Michael Bernard. – Bitte.