19.36

Bundesrat Daniel Schmid (SPÖ, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Zuhörerinnen und Zuseher! Viele von uns reisen regelmäßig mit der Bahn nach Wien, wie auch diese Woche wieder (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Ja!), und wenn ich in die Reihen der Bundesrätinnen und Bundesräte blicke, weiß ich, dass es wohl kaum jemanden gibt, der sich nicht schon ärgern musste.

Kolleginnen und Kollegen, das kam ja auch schon früher vor, jedoch nicht in dem Ausmaß, in dem wir es in den letzten Monaten erleben mussten. Viele sprechen ja schon von deutschen Zuständen, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau diese deutschen Zustände wollen wir in unserem Land nicht haben. (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Genau!)

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Ich könnte hier – das mögen Sie mir glauben – eine Stunde lang darüber referieren, aber keine Sorge, ich versuche, mich angemessen kurz zu halten. (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Danke!)

Als Erstes möchte ich mich aber bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn bedanken, und zwar für die tagtäglich großartige Arbeit, die sie oft unter widrigen Umständen leisten (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesrät:innen der Grünen sowie der Bundesrätin Eder), trotz regelmäßiger verbaler und auch tätlicher Angriffe, welchen gerade Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter ausgesetzt sind.

Festhalten möchte ich: Wir können uns auf unsere Eisenbahnerinnen und Eisenbahner immer verlassen, egal ob es um Flüchtlingskrisen oder Pandemien geht. Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner machen ihren Job und sind fähig und motiviert, Mängel zu puffern.

Unsere Eisenbahnerinnen und Eisenbahner sind wirklich gut, aber leider gibt es zu wenige von ihnen. Das ist schon einmal ein grundsätzliches Problem: Wir sind mitten in der größten Pensionierungswelle der Eisenbahner und Eisenbahnerinnen. Die von Frau Bundesministerin Gewessler vorgegebenen Prämissen bei der Personalaufnahme waren gelinde gesagt eher unzureichend. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Gewessler.)

Wie konnte man die Leistungen massiv ausweiten, ohne die Voraussetzungen zu schaffen? Frau Ministerin, ich möchte da schon die politische Verantwortung von Ihnen einfordern. Durch Ihr Ministerium wurde Generalsekretär Herbert Kasser in den Aufsichtsrat der ÖBB geschickt, und der ist Ihnen gegenüber ja berichtspflichtig. Sie werden sich auch sicher mit ihm über die vorhersehbaren Personalengpässe ausgetauscht haben, aber anscheinend war das für Sie kein Problem, denn nach all dem krönen Sie ihn jetzt quasi noch und machen ihn zum Vorstand der Asfinag.

Somit erlaube ich mir den Schluss, dass Sie, Frau Ministerin, mit seiner Leistung mehr als zufrieden sein müssen, und das, obwohl die ÖBB mit den vorhandenen Ressourcen das geforderte Leistungsniveau nicht erfüllen können. Können Sie mir erklären, warum Sie den für diese Situation Verantwortlichen auch noch befördern? Darauf erwarte ich mir eine Antwort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Mobilitätsbedürfnis der Menschen in diesem Land ist kontinuierlich gestiegen. Die Verkehrswende wird in Zeiten der Klimaerwärmung von einem großen Teil der Gesellschaft gefordert und von der Politik nicht nur propagiert, sondern auch forciert. Die Einführung des Klimatickets ist ein Paradebeispiel dafür. Grundsätzlich ist dies auch zu begrüßen, aber das eine ist es, Ideen zu haben und die daraus folgenden Forderungen an die Verkehrsunternehmen zu stellen, und das andere ist es, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen – und genau da spießt es sich eben.

Die Einführung des Klimatickets – das ich grundsätzlich großartig finde – erschwert dem Unternehmen auch die Planbarkeit. Knapp vor der Einführung des Klimatickets habe ich mich als Lokführer gefragt: Wie zum Teufel sollen wir das mit den vorhandenen Ressourcen stemmen? (Beifall bei Bundesrät:innen der FPÖ.)

Ein Problem ist die Verfügbarkeit von Wagen, Triebzügen und Triebfahrzeugen. Das betrifft sowohl den Fern- als auch den Nahverkehr. So wurde Wagenmaterial an andere Staatsbahnen verkauft, welches wir heute dringend benötigen würden, denn die Einführung des Klimatickets hat zu einem überdurchschnittlichen Fahrgastzuwachs geführt. So verzeichneten wir gerade für das Jahr 2023 einen Beförderungsrekord.

Gleich vorweg: Nein, man kann bei einer Railjetgarnitur keine Reisezugwagen, wie wir sie von früher her kennen, dazuhängen. Darüber war das Ministerium durch den Generalsekretär vollinhaltlich informiert. Frau Ministerin, warum wurde es trotzdem gemacht? Beim größten Unternehmen Österreichs Bestellungen nach dem Prinzip Hoffnung zu machen ist – ja –verantwortungslos.

Es ist unbestritten, dass vonseiten des Managements Fehler gemacht wurden, aufgrund deren uns heute die notwendigen Ressourcen fehlen. Ich erinnere an die völlig verkehrte Personal- und Beschaffungspolitik, unter der nicht nur das Service für die Kunden und Kundinnen, sondern vor allem die Bahnbeschäftigten leiden. Dazu muss man aber auch anmerken: Das Management ließ sich alles vom Aufsichtsrat absegnen, und dieser wurde direkt vom Ministerium bestellt. Über Jahre hinweg – über Jahre hinweg! – kamen Rufe aus der Politik, gerade aus ÖVP- und FPÖ-Kreisen, gerichtet an die ÖBB, sie müssen sparen, sie müssen effizienter und schlanker werden.

Es wurde das Spardogma ausgerufen, und das Management hat natürlich reagiert und versucht, die Wünsche der Politik zu erfüllen. Es wurden in der Vergangenheit beispielsweise Ausbildungen und Kurse eingestellt. An diversen Dienststellen wurde Bereitschaftspersonal gestrichen (Bundesrat Steiner: Unter SPÖ-Verkehrsministern!) – na, na, na, na –, da nicht produktiv genug. Der Wartungs- oder Servicezyklus wurde erweitert, und Fahrzeugreserven bekamen das Prädikat zu teuer und wurden verscherbelt.

Die Auswirkungen spüren wir heute. Hätten wir beispielsweise bei einem Zugumlauf von 58 Railjetgarnituren statt 60 Garnituren 65 Garnituren – immerhin zwei Railjets sind in der Regel für Reinigungs- oder Servicearbeiten außer Betrieb –, dann hätten wir im Dezember und Jänner dieses Chaos nicht gehabt.

An die Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ gerichtet: Ich möchte Sie schon daran erinnern, dass einer Ihrer Leute als Vorstand in der ÖBB-Personenverkehr AG sitzt (Ruf bei der SPÖ: Oha!), unter anderem zuständig für Einkauf, Controlling und Personal. (Oh-Rufe bei der SPÖ. – Bundesrat Spanring: Einer! Einer, und zehn von euch! Das ist ein Pech!) Daneben war der verkehrspolitische Berater der FPÖ, Arnold Schiefer, bis vor wenigen Monaten der Finanzvorstand der ÖBB und hatte den Kaputtsparkurs der ÖBB zu verantworten. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Er hat die ÖBB saniert!) – Genau!

Da wird ein interessanter politischer Diskurs von den Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ gefahren. Ihre Leute in der ÖBB verursachen das Chaos wesentlich, und dann schreit die Fraktion der Täter im Bundesrat: Haltet den Dieb! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall der Bundesrätinnen Eder und Jagl.) Werte Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ: Bitte lassen Sie die Finger von der Bahn, denn das ist etwas, was Sie nicht können! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall der Bundesrätinnen Eder und Jagl.)

Zu euren Fragen 7, 8 und 9 möchte ich lediglich noch anmerken: Es ist ein Unterschied, ob man ein Eisenbahnverkehrsunternehmen mit 27 Zugfahrten pro Tag betreibt oder eines wie die ÖBB, die 7 000 Zugfahrten pro Tag meistern.

Lassen Sie mich aber wieder ein wenig auf die Ressourcen eingehen: Die Bundesbahnen können erst dann neue Fahrzeuge bestellen, wenn die Finanzierung gesichert ist. Da muss halt die Frau Ministerin die Voraussetzungen schaffen, bevor man mehr Leistung verlangt und Aufwand verursacht. Von der Bestellung bis zur Auslieferung von Schienenfahrzeugen dauert es mehrere Jahre. Da eine Ad-hoc-Lösung zu finden ist entsprechend schwierig, daher ist die jetzige Fahrplanausdünnung eine logische Folge von Fehlern der Frau Ministerin und der FPÖ-nahen Verantwortungsträger, die durch den ehemaligen FPÖ-Verkehrsminister Hofer eingesetzt wurden.

Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ: Bitte macht keine Kindsweglegung! Zu mindestens 50 Prozent gehört das Bahnchaos euch. Schließlich kann man die Personalia des ehemaligen Bundesministers Hofer vom Bahnchaos nicht trennen. (Ruf bei der FPÖ: Der hat aber die Roten drinsitzen lassen! – Rufe bei der SPÖ: Na geh! Ha ha ha! Immer Opfer, immer Opfer!)

Eine nicht zu unterschätzende Problematik sind auch die Lieferschwierigkeiten der Industrie, diverse Software- und/oder technische Probleme der neu gelieferten Zuggarnituren sowie die behördliche Zulassung. Ich möchte an dieser Stelle an den geplanten Deal beziehungsweise an den geplatzten Deal mit der Firma Alstom/Bombardier im Jahr 2021 erinnern. Letztendlich hat der Fahrzeughersteller Alstom/Bombardier keinen einzigen der 46 für den Regelbetrieb zugelassenen Talent-3-Züge geliefert. 21 Garnituren für Vorarlberg waren bereits fertig, aber es scheiterte an der Zulassung. Das führte zu einer Notbestellung bei Siemens (Bundesrat Spanring: So ein Zufall aber auch!) und einer vorübergehenden Umverteilung von Nahverkehrszügen vom Osten in den Westen; auch wurde die Nutzung von Fahrzeugen, die alt und wartungsintensiv sind, entsprechend verlängert.

Dazu kommt, dass sich die Lieferungen der 2018 bestellten Railjets für den Italienverkehr gewaltig verspäten. (Bundesministerin Gewessler: Ja!) Auch deswegen muss älteres Rollmaterial eingesetzt werden. Diese Züge wären eigentlich als Reserve für – beispielsweise – Spitzenreisezeiten vorgesehen, beziehungsweise als Überbrückung für die bis Ende 2025 auszuliefernden Nahverkehrs- und Regionalzüge der Firma Siemens.

Auch bei der Lieferung der neuen Nightjets gibt es Probleme. Gerade in der ersten Woche der Inbetriebnahme kam es zu erheblichen Verspätungen. Dafür gibt es mehrere Ursachen, die allesamt auf faktisch mitgelieferte – ich sage es noch einmal: mitgelieferte – technische Probleme am Zug zurückzuführen sind; da können die ÖBB überhaupt nichts dafür, auch die Frau Ministerin kann nichts dafür.

Abgesehen davon kam es auch bei der Auslieferung der Nightjets zu Lieferverzögerungen. Warum sage ich das? – Es schreien ja alle gegen die Verantwortungsträger und gegen die ÖBB, aber im Hintergrund gibt es schon auch noch eine Industrie, die ihre Aufgabe nicht erfüllt (Bundesrat Spanring: Ja, wegen eurer Coronamaßnahmenpolitik!), und die Verkehrsbetriebe müssen – auf gut Deutsch gesagt – die Krot fressen. (Bundesrat Spanring: Wegen eurer Coronamaßnahmenpolitik! Das habt ja auch alles ihr verbockt!)

Die Verbindung von fehlenden Werkstattkapazitäten, zu wenigen Fahrzeugen und zu wenig Personal führt dazu, dass Züge mit beispielsweise abgesperrten Türen, abgesperrten WC-Anlagen oder sonstigen nicht sicherheitsrelevanten Störungen nicht gleich aus dem sogenannten Zuglauf genommen werden, denn das würde halt zu einem Zugausfall führen – und wenn eine sicherheitsrelevante Störung vorliegt: Na klar, dann kommt es mittlerweile zu einem Zugausfall, weil uns die Reserven fehlen.

Derzeit wird massiv in die Werkstätten investiert, siehe Wien oder Innsbruck, jedoch kommt man bei der Wartung der Fahrzeuge kaum hinterher; da fehlt es gewaltig an Personal.

Der Personalbedarf ist horrend. Die Ausbildungskapazitäten stoßen bereits an ihre Grenzen, und, Kolleg:innen, da wäre es dringend – dringend! – notwendig, die Ausbildungskapazitäten zu erweitern, vor allem betreffend die Erweiterung der Kapazitäten für die Lehrlingsausbildung. Dort steckt viel Potenzial, denn unsere Lehrlinge sind unsere Facharbeiterinnen und Facharbeiter von morgen.

Der Personalmangel ist ein Skandal, und dieser kann nicht vom FPÖ-nahen Ex-Finanzchef der ÖBB getrennt gesehen werden. Zuerst die erforderlichen Mittel blockieren und dann die Hände in Unschuld waschen? – Das lasse ich nicht zu! (Beifall bei der SPÖ.)

Werte Kollegen der FPÖ, ihr werdet ja die Handynummer des Ex-Finanzchefs Schiefer haben: Ruft ihn einfach an und fragt, warum er das so gemacht hat!

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir stehen vor einem Ressourcenproblem, und das bei einer jährlichen Fahrgaststeigerung von rund 2,3 Prozent und einer Steigerung der Angebotskilometer im Personenverkehr von 3,8 Prozent. Ich bin seit 2015 bei den ÖBB und Lokführer. Seither haben wir fast eine Verdoppelung der Zugkilometer erlebt. Die Anforderungen an die Verkehrsunternehmen werden stetig weiter angehoben – dafür werden wir halt die notwendigen Ressourcen bereitstellen müssen.

So, und jetzt komme ich langsam zum Schluss: Kolleginnen und Kollegen! Ja, es sind Fehler passiert. Wir wurden unter der sozialdemokratischen Führung zum Bahnland Nummer eins in der EU. (Bundesrat Spanring: Ja, 1980! 1980!) Das möchte ich hier schon betont wissen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die FPÖ und die Grünen an den Hebeln der ÖBB haben uns gezeigt, dass solch ein Erfolg nicht von Gott gegeben ist. Frau Ministerin, Sie tragen da mitunter auch die Verantwortung, aber Sie sind damit nicht alleine: Zu einem wesentlichen Teil wirken politische Entscheidungen des ehemaligen Bundesministers Hofer nach, denn so lange ist Herr Schiefer noch nicht weg.

Ich bin stolz auf die tagtäglichen Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ÖBB und darauf, als Lokführer ein Teil dieser ÖBB-Familie sein zu dürfen (Beifall bei der SPÖ), aber es tut mir weh, was seit 2017 an Fehlern gemacht wurde. Dieses Land hat eine sozialdemokratische Verkehrspolitik verdient. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

19.54

Vizepräsident Dominik Reisinger: Als nächster Redner ist Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.