18.35

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Frau Bundesministerin! Ich habe die letzten Sätze des Kollegen Himmer noch im Ohr, er hat in Richtung der Frau Bundesministerin von Nebelgranaten gesprochen. Lieber Freund, heute sind einige Nebelgranaten hier herumgeflogen. (Zwischenruf des Bundesrates Himmer.) – Warte einmal!

Ich kann zumindest Frau Eder-Gitschthaler heute ein Dokument geben (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Schön!), denn wir sitzen beide im Europarat, und im Europarat habe ich diese Resolution verfasst, was die gesamte kinderfreundliche Jugendgerichtsbarkeit betrifft. Ich kann also auch zu den unterschiedlichen Altersstufen der Strafmündigkeit in Europa sehr viel sagen.

Ich glaube, jemand von der FPÖ hat gesagt: Ja, aber die Schweiz! Die Schweiz hat zwar formal ein niedriges Alter, nimmt aber kein einziges Kind unter 15 in Haft – das ist schon einmal eine ganz andere Voraussetzung –, und über 15 versucht die Schweiz, ebenfalls jegliche Form der Haft zu verhindern.

Zweitens: Das durchschnittliche Alter ist in Europa zwischen 14 und 15. Als Berichterstatter zu diesem Thema musste ich natürlich auch in jene zwei Länder fahren, die auffällig sind, negativ auffällig sind: Das ist Irland und das ist das Vereinigte Königreich. Hier hat auch jemand vorhin gesagt: Ui, Schottland – acht Jahre! – Schottland verändert das gerade auf zwölf, will aber ebenfalls nicht unter 15 Jahren – nicht so wie in Großbritannien – in Haft nehmen. Das heißt, wir sind in einer ganz, ganz intensiven Diskussion in Europa. Wir sind in einer ganz klaren Diskussion, dass Strafmündigkeit etwas Besonderes ist.

Da muss ich schon sagen, lieber Harry Himmer, deine Partei in Tateinheit mit dem Dringlichen-Anfrage-Steller hat etwas zerstört, was die erste provisorische Versammlung der Ersten Republik eingerichtet hat, nämlich den Jugendgerichtshof. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Schumann: Genau!)

Diesen Jugendgerichtshof, der dann 1929 in der Rüdengasse eingerichtet wurde, findest du in Tokio, findest du auf der ganzen Welt als das Beispiel, das eine Chance im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit bietet – selbst jetzt noch.

Vielleicht können sich manche von Ihnen erinnern, dass Georgien einen Premierminister Saakaschwili hatte. Herr Saakaschwili hat Tausende eingesperrt. (Bundesrat Schreuder: Jetzt sitzt er selber!) – Jetzt sitzt er selber, aber zu Recht. Dann hat der Georgian Dream gewonnen, und die haben nachgedacht: Was tun wir denn mit all den Jugendlichen? Dann ist passiert, Frau Bundesministerin, dass Georgien sich an das österreichische Justizministerium gewandt und gesagt hat: Helft uns, ein Jugendgericht und ein Jugendgesetz zu entwickeln. Heute hat Georgien das, hat die Gefängnisse geleert.

Ich bin sieben Jahre für Aserbaidschan zuständig gewesen und habe zum Präsidenten – oder Diktator, wie auch immer – gesagt: Eure Jugendlichen müssen raus aus den Gefängnissen! Das ist die dümmste Methode überhaupt!

Dann habe ich gesagt: Wenn ihr nicht wollt, dass euch Westeuropa da auf dem Weg leitet, dann geht nach Georgien. – Das haben sie dann gemacht und haben die Humanisierung vorangetrieben. Insofern hat Georgien dann dem nächsten Land geholfen, da das Justizministerium Georgien geholfen hatte. Ich denke, es gibt manchmal auch sehr, sehr positive Dinge.

Wenn ich jetzt überlege: Von 1929 bis 2003 war die gesamte Jugendgerichtsbarkeit in der Rüdengasse. Ich selber war 35 Jahre lang ehrenamtlich Bewährungshelfer, also für das Justizministerium respektive für Neustart tätig. Der Jugendgerichtshof war schon etwas Besonderes: erstens die Unterbringung, zweitens die Ausbildung, drittens das Personal. Alle waren pädagogisch und psychologisch geschult. Das ist etwas, was derzeit bitter fehlt. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt eine kleine Unterbrechung dieser Zeit von 1929 bis 2003: Es gab noch jemanden, der den Jugendgerichtshof ausgeschalten hat, das waren 1939 die Nazis. (Bundesrat Himmer: Das ist jetzt aber ein blöder Vergleich! Wer anderer macht solche Vergleiche?) – Na selbstverständlich sollte man, muss man das der Vollständigkeit halber erwähnen.

Trotz allem, was wir heute betreffend diese Kriminalität gehört haben – ich möchte noch einmal auf all die Sätze, die Kollegin Gruber-Pruner über die Schrecken dieser Verbrechen gesagt hat, verweisen, und die Situation der Opfer kann ich nur aus vollem Herzen unterstreichen –, müssen wir uns überlegen, wie wir mit Kindern und Jugendlichen, die Straftaten begehen, umgehen. Das heißt, es muss Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen geben. – Das ist das eine.

Es ist schwierig, ein Gleichgewicht zu finden: Was ist im besten Interesse des Kindes und was ist der Schutz der Gesellschaft? Da wird es niemals gehen, dass wir das Schutzalter von 14 unterschreiten. Im Gegenteil, liebe Frau Kollegin Eder-Gitschthaler, hier in diesem Dokument (ein Schriftstück in die Höhe haltend) – das übrigens auch deine Fraktion angenommen hat; das ist einstimmig angenommen worden (Zwischenruf des Bundesrates Spanring) – steht, dass wir in Europa das Schutzalter im Mindestbereich erhöhen sollen, sukzessive erhöhen und nicht senken.

Das ist die Tatsache, dazu haben sich eigentlich die verschiedenen Fraktionen und die verschiedenen Mitgliedstaaten committet. (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Man kann über alles diskutieren!) – Nein, über das, was Nehammer sagt, kann man nicht diskutieren. (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Sagst du!) Nehammer sagt eindeutig: Senkung des Mindestalters. – Da gibt es eine rote Linie, das kann man nicht diskutieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir können über Opferschutz diskutieren; wir können über begleitende Sozialarbeit an den Schulen diskutieren; wir können über die Kinder- und Jugendhilfe und deren Maßnahmen und Möglichkeiten diskutieren – ja, Kollege Arlamovsky, auch wir haben in der Geschichte einen Fehler gemacht; die Verländerung war nicht das Gelbe vom Ei –; wir können aber auch über die Maßnahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie diskutieren; wir können über Diversion diskutieren; wir können über das Vermeiden von Mobbing an den Schulen diskutieren; wir können über aufsuchende Familienhilfe diskutieren.

Ich kann Ihnen nur sagen, in 35 Jahren habe ich als Bewährungshelfer in so viele Familien hineingeschaut, das waren nicht immer nur Ausländer, liebe Kollegen von der FPÖ, das waren auch ganz normale Familien. Ich weiß nicht, irgendjemand – ich glaube, Herr Himmer – hat gesagt, man muss die Eltern bestrafen. Ich habe einen Burschen gehabt, einen Neonazi, der nicht in die Schule gegangen ist, Bomben gebastelt hat, die Mutter war Hausmeisterin und hat Monat für Monat eine finanzielle Strafe bekommen. Das nützt genau gar nichts.

Man muss andere Wege gehen. Frau Kittl, weil du mich so intensiv anschaust (Bundesrätin Kittl nickt): Die Stadt Wien macht da ganz Hervorragendes. Sie bringt genau solche gestrauchelten Jugendlichen – Klammer auf: solange sie nicht Neonazis sind, Klammer zu – im Wienerwald unter und hilft ihnen, eine Schulausbildung zu absolvieren, damit sie nachher die Chance auf eine Lehrlingsausbildung haben. Das sind alles Maßnahmen, über die wir gerne diskutieren können, liebe Frau Kollegin Eder-Gitschthaler. Dass wir aber Kinder – und alle unter 14 sind Kinder – verurteilen, dass wir über eine Herabsetzung des Alters diskutieren, das widerspricht allem. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt will ich gar nicht so sehr auf vieles, was vorhin gesagt wurde, eingehen, aber auf Herrn Kollegen Leinfellner mit seinem Wegbringen, Wegschieben, doch. Ich weiß nicht: Könnt ihr euch noch daran erinnern, dass das Innenministerium und das Justizministerium in FPÖ-Hand waren? (Zwischenruf des Bundesrates Leinfellner.) Warum ist nicht das alles, was ihr hier rabaukenartig fordert, passiert? (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) – Weil es nicht geht. Weil es nicht geht.

Ich kann mich noch erinnern: Der Tagträumer Böhmdorfer, Justizminister, hat uns auch hier im Bundesrat immer erzählt, er lässt in Rumänien Gefängnisse bauen. (Bundesrätin Schumann: Genau!) – Danke, es wurde soeben bestätigt. Es gibt kein einziges Bett in Rumänien, aber die österreichische Öffentlichkeit wurde jahrelang mit diesem Idiotieprojekt gehänselt. Jetzt hoffe ich, lieber Vorsitz, dass ich nicht zu schwierige Worte gesagt habe. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Moment, Moment! Wir haben ja offensichtlich Wahlkampf im Bereich der Justizwache. Dazu vielleicht ein, zwei Sätze – ich kenne mich ja in den Gefängnissen a) in Europa und b) auch in Österreich relativ gut aus. (Bundesrat Spanring: Schon mal probegesessen? Heiterkeit des Bundesrates Schreuder.) Mein Lieber, du lachst da so komisch. In Aserbaidschan habe ich in sieben Jahren über 3000 Leute aus den Gefängnissen geholt. Das ist alles andere als komisch. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe auch die großartige Aufgabe gehabt, die Schließung von Gefängnissen, wie das Gefängnis Nummer 13 in Chişinău in Moldawien, zu verkünden, weil die Bank des Europarates den Neubau des Gefängnisses macht. Ich war vor Kurzem im Frauengefängnis in Tirana. Dort sind alle Frauen wegen einer ausweglosen Situation in Haft: aufgrund der Ermordung ihrer Ehemänner. Ja, wenn die Frau in der Familie statusmäßig nach dem Hund kommt, dann passiert etwas, was sehr bedauerlich ist.

Ich kenne mich aber auch in Österreich gut aus und deshalb habe ich Kollegen Spanring während seiner Rede auch das eine Wort zugerufen. Die Josefstadt ist überfüllt. Mit dem Ende der Rüdengasse – also des Jugendgerichtshofs – hat man versprochen – zumindest haben es die FPÖ und auch die ÖVP versprochen, beide Zerstörer einer wichtigen Einrichtung –, dass die Jugendlichen in Gefängnisse kommen, wo sie mit Erwachsenen nicht mehr in Kontakt kommen.

Was ihr macht, ist: Ihr bildet die jungen Leute in Richtung lupenreine kriminelle Karrieren aus. Das ist die Tatsache! Kollege Spanring, gehe doch einmal durch die Josefstadt – du kannst das; ich kann das übrigens auch –, und schau dir einmal an, wer in den Gängen liegt! Das sind nicht die Alten, das sind leider auch viele Junge.

Die kommen in Kontakt mit den ausgefuchsten Verbrechern, und das hat der Jugendgerichtshof, den ihr miteinander zerstört habt, verhindert. (Beifall bei der SPÖ. Bundesrat Spanring: Ist inhaltlich falsch!)

Das Projekt der Frau Justizministerin, Gerasdorf nach Simmering zu verlegen, dass die blaue Tür von Simmering künftig der Zugang zu einem Jugendgefängnis wird, halte ich für gut, für richtig. Wir dürfen eines nicht vergessen, wir haben einen Strafvollzug und wir haben einen Maßnahmenvollzug. Der Maßnahmenvollzug ist, wie wir ja wissen, eines der Sorgenkinder der Frau Ministerin.

Zum Strafvollzug lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen. Ich habe ja zwei Identitäten, räumliche oder geografische, ich habe es draußen gerade vorhin diskutiert. Ich weiß, die Justizministerin kann es nicht ändern, aber das Gefälle zwischen dem Westen und dem Osten betreffend die Neigung, Menschen einzusperren, ist dramatisch. Während man in Vorarlberg, in Innsbruck und sogar in Salzburg versucht, Alternativen für die Haft zu finden, ist hier im Osten der Weisheit letzter Schluss: einsperren, einsperren. Das kann es nicht sein!

Kollege Himmer, du schaust so. Es ist so! (Bundesrat Himmer: Bei den Mördern hätte ich es gern!) Selbst die Frau Justizministerin kann dir das ganz unabhängig bestätigen, dass wir betreffend Justizanstalten, Einsperren, Untersuchungshaft ein unglaubliches Gefälle vom Westen in den Osten haben.

Ich danke allen und ich hoffe sehr, dass letztlich tatsächlich die Vernunft und die Sorge über dem Populismus stehen, dass wir bei jenen, die Opfer nach sich ziehen, den Opferschutz ausbauen, aber dass wir die Kinder entsprechend kindgerecht oder jugendgerecht weiterhin betreuen, behandeln und heilen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

18.52

Präsidentin Margit Göll: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Isabella Theuermann. – Bitte.