Minderheitsbericht

gemäß § 32 Abs. 8 GO-BR

der Bundesräte Mag. Sascha Obrecht, Korinna Schumann und Mag. Daniela Gruber-Pruner

zum Beschluss des Nationalrates vom 28. Februar 2024 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Angestelltengesetz, das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz, das Heimarbeitsgesetz 1960 und das Landarbeitsgesetz 2021 geändert werden (3871/A und 2453 d.B.)

Begründung

 

Mit dem IA 3871/A wird das Ziel verfolgt, die RL 2019/1152 in nationales Recht umzusetzen. Österreich ist mit der Umsetzung seit 1. August 2022 säumig. Neben der Säumigkeit treten auch inhaltliche Unzulänglichkeiten hinzu, die eine mangelhafte Umsetzung der Richtlinie bewirken. Diese Mangelhaftigkeit setzt die Republik Österreich der Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens aus, weshalb ein begründeter Einspruch des Bundesrates dem Nationalrat die Möglichkeit eröffnen soll, den bereits getroffenen Gesetzesbeschluss entsprechend zu sanieren. Auf diesem Wege soll erreicht werden, dass eine vollständig richtlinienkonforme Umsetzung schnellstmöglich erzielt wird.

 

Die Umsetzungsmängel betreffen gleich mehrere unionsrechtliche Vorgaben:

 

·    Vollumfänglich fehlende Umsetzung von Art 12 RL:

Österreich ist gem Art 12 RL verpflichtet eine Regelung vorzusehen, die Arbeitnehmer:innen nach ihrer Probezeit die Möglichkeit gibt, um eine Arbeitsform mit vorhersehbaren und sichereren Arbeitsbedingungen zu ersuchen. Sowohl die Frist für die schriftliche Beantwortung dieses Ersuchens als auch die Häufigkeit eines solchen Ersuchens könnte Österreich zusätzlich regeln. Arbeitnehmer:innen dürften basierend auf diesem Ersuchen nicht benachteiligt werden (Art 17 RL) und ein Zuwiderhandeln müsste wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen nach sich ziehen (Art 19 RL). Nichts davon wurde umgesetzt.

 

·    Fehlende wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorgaben der RL (Art 19 RL). Dies betrifft:

o    Die Nichtaushändigung eines Dienstzettels: obwohl die Einführung von Verwaltungsstrafen für diese Sachverhalte zu begrüßen ist, verfehlt die Strafhöhe die Vorgabe der RL dahingehend, dass sie nicht wirksam, angemessen und abschreckend ist. Insbesondere ist die abschreckende Wirkung zu bezweifeln, da bei der Nichtaushändigung an mehr als fünf Arbeitnehmer:innen die Verwaltungsstrafe nicht mehr kumuliert wird.[1] Der Strafrahmen von 500 Euro bis 2.000 Euro gilt daher gleichermaßen für Verstöße bei 6 Arbeitnehmer:innen oder 8.000 Arbeitnehmer:innen und ist ab einer gewissen Unternehmensgröße definitiv nicht mehr als abschreckend zu qualifizieren.

o    Die Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit (Art 10 RL): Auch für die Nichteinhaltung der Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit müssten Strafen vorgesehen werden (Art 19 RL). Hierbei geht es um Sachverhalte, in denen Arbeitgeber:innen einseitig, kurzfristig die Lage der Arbeitszeit von Arbeitnehmer:innen ändern.[2] Dies unterläuft die Planbarkeit der Arbeitszeit für Arbeitnehmer:innen und wurde in Österreich bislang „nur“ durch Bestimmungen im privatrechtlichen Abschnitt des AZG hintangehalten. Durch die RL müsste Österreich nunmehr auch eine Verletzung von § 19c AZG unter Androhung wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen stellen.

o    Aus-, Fort- und Weiterbildung (Art 13 RL): Pflichtfortbildungen[3] müssen kostenlos angeboten werden, als Arbeitszeit angerechnet werden und möglichst während der Arbeitszeit stattfinden. Auch hier steht der Verstoß nicht unter Strafandrohung iSd Art 19 RL.

o    Verhinderung von zulässigen Mehrfachbeschäftigungen (Art 9 RL): Mehrfachbeschäftigungen sollen nur unter engen Bedingungen von Arbeitgeber:innen verboten werden; die Bedingungen können die Mitgliedstaaten festlegen. Sollten Arbeitgeber:innen unzulässigerweise Mehrfachbeschäftigungen ihrer Arbeitnehmer:innen vereiteln oder verbieten, drohen ihnen auch in diesem Fall keine wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen (Art 19 RL).

o    Recht auf Ausstellung einer schriftlichen Begründung einer Kündigung (Art 18 RL): Sollten Arbeitnehmer:innen der Auffassung sein, dass eine Kündigung im Zusammenhang mit den durch die RL vorgegebene Rechten erfolgt, haben sie Anspruch auf schriftliche Begründung. Arbeitgeber:innen müssen dem zwar nachkommen, ihr Zuwiderhandeln steht allerdings erneut nicht unter Strafandrohung iSd Art 19 RL.

 

·    Fehlende Beweislastumkehr bei Kündigungen (Art 18 Abs 3 RL):
Sollten Arbeitgeber:innen ihre Arbeitnehmer:innen aufgrund der Geltendmachung von Rechten nach dieser RL kündigen, so müssen die Mitgliedsstaaten dafür Vorsorge treffen, dass es zu einer Beweislastumkehr kommt: Die Arbeitgeber:innen haben in diesen Fällen nachzuweisen, dass die Kündigung andere Gründe hatte. Der Vorschlag zur Umsetzung der Richtlinie sieht hingegen lediglich einen Motivkündigungsschutz der Arbeitnehmer:innen vor.[4]

 

·    Teilweise fehlende Umsetzung des Benachteiligungsverbots (Art 17 RL):

Arbeitnehmer:innen müssen bei Geltendmachung von Rechten nach dieser RL vor Benachteiligungen der Arbeitgeber:innen in umfassender Weise geschützt werden. Dieser Schutz ist im Beschluss des NR nicht für Sachverhalte vorgesehen, in denen Arbeitnehmer:innen wegen der Nichtaushändigung der Dienstzettel ihre Arbeitgeber:innen anzeigen. Dies ist ein bizarres Schutzdefizit, da eine solche Anzeige doch gerade durch Arbeitnehmer:innen erfolgen soll.[5]

 

·    Mangelhafte Umsetzung des Rechts auf Mehrfachbeschäftigung (Art 9 RL):

Die RL sieht vor, dass Arbeitgeber:innen ihren Arbeitnehmer:innen nicht verbieten dürfen, ein Arbeitsverhältnis mit anderen Arbeitgeber:innen aufzunehmen. Es besteht jedoch die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten Bedingungen festzulegen, bei deren Vorliegen Arbeitgeber:innen Unvereinbarkeitsbestimmungen anwenden dürfen (zB Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer:innen oder Schutz von Geschäftsgeheimnissen). Die undifferenzierte und pauschale Beibehaltung des Konkurrenzverbots in § 7 AngG wird diesen Vorgaben nicht gerecht.

 

·    Mangelhaftes Übergangsrechts (Art 22 RL): Die in der RL vorgesehenen Rechte und Pflichten hätten bis 1. August 2022 für alle Arbeitsverhältnisse umgesetzt werden müssen. Bei zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen hat die Unterrichtung über wesentliche Aspekte des Arbeitsverhältnis über Aufforderung der Arbeitnehmer:innen zu erfolgen bzw ist entsprechend den Vorgaben der RL zu ergänzen. Im Beschluss des NR ist dies jedoch nicht vorgesehen und sollen die Änderungen nur für neuabgeschlossene Arbeitsverträge Anwendung finden (§ 19 Abs 2 Z 57 AVRAG). Dies wird mit einem vermeintlich unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand begründet, was zweifelsfrei keine geeignete Begründung ist, um von Vorgaben einer Richtlinie abzuweichen. Ein Blick auf die deutsche Umsetzung dieser Verpflichtung in § 5 dt Nachweisgesetz zeigt auch, dass eine richtlinienkonforme Umsetzung in anderen Mitgliedsstaaten möglich war.

 

 

Diese Mängel wurden im Ausschuss vorgebracht und diskutiert. Dabei wurden alle anwesenden Bundesrät:innen aufgefordert, in der 964. Sitzung des Bundesrates am 14. März 2024 für einen begründeten Einspruch gegen den Beschluss des NR zu stimmen, damit diese Umsetzungsmängel im NR behoben werden können.



[1] Dies soll jedoch nicht für Fälle gelten, in denen weniger Arbeitnehmer:innen betroffen sind (Begründung IA 3871/A 27. GP 14); da sich dies jedoch nicht zwingend aus dem Gesetzestext ergibt, wäre auch hier eine Neufassung dringend geboten.

[2] Die einseitige Änderung der Lage der Arbeitszeit ist zwar in engen Grenzen auch kurzfristig möglich, jedoch müssen dafür die Voraussetzungen des § 19c Abs 3 AZG vorliegen.

[3] Dies sind gem Art 13 RL Ausbildungen, die Arbeitgeber:innen aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw. Tarifverträgen ihren Arbeitnehmer:innen für die Ausübung der Tätigkeit anbieten müssen.

[4] Dieser Umsetzungsmangel erfolgt nun bereits zum wiederholten Male. So sah die Whistleblower-Richtlinie (RL 2019/1937/EU) in ihrem Art 21 Abs 5 eine parallele Verpflichtung zur Umsetzung einer Beweislastumkehr vor. In diesem Fall wurde stattdessen nur das Beweismaß für Arbeitnehmer:innen auf die Glaubhaftmachung herabgesenkt (§ 23 HSchG).

[5] Vgl Begründung IA 3871/A 27. GP 11.