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der Abgeordneten Dr.Preisinger, MMag.  Dr. Brauneder, Mag. Schweitzer, Mag.Dr. Grollitsch,

Madl, Dl Schöggl

und Kollegen

betreffend Aussetzen der Rechtschreibreform

„Man kann doch auch einmal klüger werden und man muß sich auch dazu bekennen, daß man

sich irren kann“, meinte der deutsche Außenminister Klaus Kinkel am 4. November d.J. in

einem Rundfunkinterview in dem der Minister erneut auf eine Revision der Rechtschreibre-

form drängte und den Befürwortern „falschen Reformeifer“ vorwarf. Als besonders gewichti-

ges Argument führte Außenminister Kinkel ins Treffen. daß laut Umfragen eine überwiegende

Mehrheit der Deutschen die Reform für „überflüssig und falsch“ halte und die Politik nicht

einfach darüber hinweggehen könne, zumal das ab 1. November 1997 begonnene Volksbegeh-

ren in Schleswig-Holstein und die Entscheidung Niedersachsens, die Rechtschreibreform aus-

zusetzen, sowie die bei den Verwaltungsgerichten anhängigen zahlreichen Klagen eine völlig

neue Situation geschaffen haben. In diesem Fall, so Kinkel, haben sich die Auffassungen von

Bevölkerung und Politik so weit auseinander entwickelt, daß die einzig vernünftige Konse-

quenz ein Aussetzen der Rechtschreibreform sein müßte.

Tatsächlich hat sich in der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion über die neue Recht-

schreibung während der vergangenen Monate immer deutlicher auf zwei wesentliche Fragen

zugespitzt: Inwieweit könnten die handwerklichen Mängel der Reform durch die zwischen-

staatliche Kommission in Mannheim behoben werden, und: Wird das umstrittene Werk tat-

sächlich vor den obersten Gerichten scheitern? Ersteres hängt davon ab, ob die durch die

Rechtschreibreform versprochenen „Erleichterungen“ für die Schreibung tatsächlich erreicht

worden sind. Ein Mitglied der Mannheimer Kommission hatte im Juli dieses Jahres doku-

mentiert, daß das neue Regelwerk 8.000 (!) Zweifelsfälle hervorgebracht habe und die Kom-

mission ein volles Jahr für die Klärung der Zweifelsfälle benötigen werde. Letzteres, nämlich

ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, ist nicht vor Ende 1998 zu er-

warten. Dennoch ist die diesbezügliche Rechtslage zur Durchführung der Rechtschreibreform

in der Bundesrepublik Deutschland ein Jahr nach der gemeinsamen Absichtserklärung höchst

verwirrend: Bis jetzt gibt es 18 deutsche Gerichtsentscheidungen, in denen sich die Richter

mit dieser Materie zu befassen hatten, und insgesamt 26 Bürgerinitiativen mit mehr als

500.000 Unterschriften, die für die Beibehaltung der alten Regeln gesammelt wurden.

In Österreich wird diese Situation seitens der Verantwortlichen anders gesehen: Obwohl so-

wohl der Verfassungsdienst wie auch das Unterrichtsministerium ständig bemüht sind, darauf

hinzuweisen, daß die verfassungsrechtliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland eine

völlig andere als in Österreich und das Unterrichtswesen in Österreich naturgemäß anders

geregelt sei, kann nicht verhehlt werden, daß ein Kippen der Rechtschreibreform in der Bun-

desrepublik Deutschland gravierende Folgen für alle weiteren Unterzeichner der „Wiener Er-

klärung“, somit auch für Österreich hätte, was allerdings seitens des Unterrichtsministeriums

mit relativ sorgloser Haltung quittiert wird. Nach Auskunft des im Unterrichtsministerium für

die Rechtschreibreform verantwortlichen Beamten gehe man in Deutschland nicht von einer

Absetzung aus, da die Reform bereits zu weit fortgeschritten sei. Allerdings räumte dieser ein,

daß Österreich ein ernstes Problem bekäme, wenn Deutschland als wesentlicher Partner aus-

fallen sollte. Und man wird hiebei auch an die Schweiz zu denken haben, insbesondere, wenn

sie mit der Bundesrepublik Deutschland mitzieht.

Mit der Haltung des Unterrichtsministeriums ist auch plausibel erklärt, weshalb in Schulen

bereits voreilig seit dem Schuljahr 1996/97 nach der neuen Rechtschreibung gelehrt wird: Die

„Wiener Erklärung“ ist eine Absichtserklärung und ein reiner Formalakt, der völkerrechtlich

nicht bindend ist und der an der Gesetzgebung vorbei mittels Erlaß in den Schulen und mittels

Weisung an die Ämter Eingang finden soll. Haben erst möglichst viele Schulen und Ämter

nach der neuen Schreibweise geschrieben, würden auch die Printmedien und Verlage nachzie-

hen und jeder Schritt zurück wäre äußerst mühsam. In diesem Zusammenhang hat wohl ein

Artikel von Dieter Kolonovits im Journal für Rechtspolitik mit dem Titel „Staatssprache und

Rechtschreibreform" wenig Beachtung gefunden. Der Autor verweist auf Art. 8 B-VG, wo

Deutsch als Staatssprache festgelegt ist, daß aber die Verfassung keinen Anhaltspunkt darüber

enthält, wer ermächtigt sei autoritativ festzulegen, was deutsche Sprache ist. Das bedeutet

nach Ansicht des Autors, daß die Verbindlichkeit eines solchen Regelwerks für Schulkinder

oder beispielsweise Beamte verfassungwidrig sei.

Die Rechtschreibreform beschäftigt aber nicht nur Experten, sondern erregt auch nachhaltig

den Unmut der Bevölkerung, was die jüngste Studie des Linzer Meinungsforschungsinstitutes

spectra“ eindrucksvoll belegt: Die Ablehnung der Rechtschreibreform zieht sich quer durch

alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten. Von 92 % der Befragten, die schon von der Recht-

schreibreform gehört hatten, empfanden 70 % das neue Regelwerk als „nicht gut“ und 69 %

unterstützen die Forderung nach Aussetzen der Rechtschreibreform. Kein Wunder, denn nach

einem Jahr der Konfrontation mit den neuen Regeln und der praktischen Anwendung der

Rechtschreibreform traten die Schwachpunkte zutage: Von der anfänglichen Absicht, auf die

Großschreibung zu verzichten, blieb nur mehr ein unüberschaubarer Ausnahmedschungel üb-

rig, der die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Rechtschreibreform in vielen Teilen unbeant-

wortet läßt.

Die für die Einführung der Rechtschreibreform in Österreich zuständige Unterrichtsministerin

gibt sich seit Jahren - ganz im Gegensatz zum deutschen Außenminister Kinkel - trotz zuneh-

mender Kritik an der Reform weiterhin unbeeindruckt und sieht, abgesichert durch ein Gut-

achten des - nicht unabhängigen - Verfassungsdienstes, das Recht auf ihrer Seite. Bereits vor

mehr als einem Jahr sind freiheitliche Abgeordnete in Anträgen (260/A(E) 405/A(E)) mit

Nachdruck für ein Befassen des Nationalrates mit einer alle Bevölkerungs- und Altersgruppen

betreffenden Rechtschreibreform bzw. für deren Aussetzung eingetreten. Anläßlich eines

Auftrittes in der Fernsehsendung !"Vera" im Oktober d.J. versuchte die Unterrichtsministerin

diese Gegenargumente dahingehend auszuräumen, daß ‚niemand gezwungen werde, die neue

Rechtschreibung anzuwenden, daß alle Schüler eine Übergangsfrist bis 2004 hätten, bis dahin

für Orthographiefehler auch nicht beurteilt würden und daß die Schüler seit der Einführung

bereits meßbar 80 % weniger Beistrichfehler und 10 % weniger Rechtschreibfehler machten.“

Als weiteres Gegenargument zur Rechtschreibreform sind die damit verursachten Kosten an-

zuführen. Ersten Schätzungen zufolge rechneten österreichische Verlage mit Mehrkosten in

der Höhe von 100 Mio. Schilling. Den größten Anteil an den Kosten macht die Umstellung

der ca. 3.500 Schulbücher aus, wobei die Lehrbücher für die Volksschulen bereits ganz. für

die Haupt- und Mittelschulen zu einem großen Teil umgestellt sind. Der Sprecher der öster-

reichischen Schulbuchverlage, Othmar Spachinger. schätzte die Kosten für die Umstellung auf

ca. 40 Mio. Schilling, Pessimisten gehen von 80 Mio. Schilling auf vier Jahre verteilt für die

Adaptierung der Unterrichtsmittel aus. Gerade in Zeiten rigoroser Sparmaßnahmen im Lehrbe-

trieb ist es unverantwortlich, das Budget unnötig zu belasten. Welche weiteren Kosten durch

die Umstellung von Formularen oder durch die Unterweisung von Lehrern und Beamten in

der neuen Rechtschreibung entstehen, ist bis dato nicht geklärt.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

‚Die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten wird ersucht, für das

Aussetzen der neuen Rechtschreibung umgehend Sorge zu tragen und dem Parlament einen

Bericht über die tatsächlichen Kosten, insbesondere vor dem Hintergrund der aus der Novelle

zum Familienlastenausgleiehsgesetz resultierenden Neuorganisation der Schulbuchaktion,

vorzulegen.“

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Antrag unter Verzicht auf die Erste Lesung dem

Unterrichtsausschuß zuzuweisen.