1063 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Unterrichtsausschusses


über den Antrag 637/A(E) der Abgeordneten Dr. Susanne Preisinger und Genossen betreffend Aussetzen der Rechtschreibreform


Die Abgeordneten Dr. Susanne Preisinger und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungs­antrag am 14. November 1997 im Nationalrat eingebracht. Dieser Antrag war wie folgt begründet:

„ ,Man kann doch auch einmal klüger werden und man muß sich auch dazu bekennen, daß man sich irren kann‘, meinte der deutsche Außenminister Klaus Kinkel am 4. November dieses Jahres in einem Rundfunkinterview, in dem der Minister erneut auf eine Revision der Rechtschreibreform drängte und den Befürwortern ,falschen Reformeifer‘ vorwarf. Als besonders gewichtiges Argument führte Außenminister Kinkel ins Treffen, daß laut Umfragen eine überwiegende Mehrheit der Deutschen die Reform für ,überflüssig und falsch‘ halte und die Politik nicht einfach darüber hinweggehen könne, zumal das ab 1. November 1997 begonnene Volksbegehren in Schleswig-Holstein und die Entscheidung Nieder­sachsens, die Rechtschreibreform auszusetzen, sowie die bei den Verwaltungsgerichten anhängigen zahlreichen Klagen eine völlig neue Situation geschaffen haben. In diesem Fall, so Kinkel, haben sich die Auffassungen von Bevölkerung und Politik so weit auseinander entwickelt, daß die einzig vernünftige Konsequenz ein Aussetzen der Rechtschreibreform sein müßte.

Tatsächlich hat sich in der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion über die neue Rechtschreibung während der vergangenen Monate immer deutlicher auf zwei wesentliche Fragen zugespitzt: Inwieweit könnten die handwerklichen Mängel der Reform durch die zwischenstaatliche Kommission in Mannheim behoben werden, und: Wird das umstrittene Werk tatsächlich vor den obersten Gerichten scheitern? Ersteres hängt davon ab, ob die durch die Rechtschreibreform versprochenen ,Erleichterungen‘ für die Schreibung tatsächlich erreicht worden sind. Ein Mitglied der Mannheimer Kommission hatte im Juli dieses Jahres dokumentiert, daß das neue Regelwerk 8 000 (!) Zweifelsfälle hervorgebracht habe und die Kommission ein volles Jahr für die Klärung der Zweifelsfälle benötigen werde. Letzteres, nämlich ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, ist nicht vor Ende 1998 zu erwarten. Dennoch ist die diesbezügliche Rechtslage zur Durchführung der Rechtschreibreform in der Bundesrepublik Deutschland ein Jahr nach der gemeinsamen Absichtserklärung höchst verwirrend: Bis jetzt gibt es 18 deutsche Gerichtsentscheidungen, in denen sich die Richter mit dieser Materie zu befassen hatten, und insgesamt 26 Bürgerinitiativen mit mehr als 500 000 Unterschriften, die für die Beibehaltung der alten Regeln gesammelt wurden.

In Österreich wird diese Situation seitens der Verantwortlichen anders gesehen: Obwohl sowohl der Verfassungsdienst wie auch das Unterrichtsministerium ständig bemüht sind, darauf hinzuweisen, daß die verfassungsrechtliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland eine völlig andere als in Österreich und das Unterrichtswesen in Österreich naturgemäß anders geregelt sei, kann nicht verhehlt werden, daß ein Kippen der Rechtschreibreform in der Bundesrepublik Deutschland gravierende Folgen für alle weiteren Unterzeichner der ,Wiener Erklärung‘, somit auch für Österreich hätte, was allerdings seitens des Unterrichtsministeriums mit relativ sorgloser Haltung quittiert wird. Nach Auskunft des im Unterrichts­ministeriums für die Rechtschreibreform verantwortlichen Beamten gehe man in Deutschland nicht von einer Absetzung aus, da die Reform bereits zu weit fortgeschritten sei. Allerdings räumte dieser ein, daß Österreich ein ernstes Problem bekäme, wenn Deutschland als wesentlicher Partner ausfallen sollte. Und man wird hiebei auch an die Schweiz zu denken haben, insbesondere, wenn sie mit der Bundesrepublik Deutschland mitzieht.

Mit der Haltung des Unterrichtsministeriums ist auch plausibel erklärt, weshalb in Schulen bereits voreilig seit dem Schuljahr 1996/97 nach der neuen Rechtschreibung gelehrt wird: Die ,Wiener Erklärung‘ ist eine Absichtserklärung und ein reiner Formalakt, der völkerrechtlich nicht bindend ist und der an der Gesetzgebung vorbei mittels Erlaß in den Schulen und mittels Weisung an die Ämter Eingang finden soll. Haben erst möglichst viele Schulen und Ämter nach der neuen Schreibweise geschrieben, würden auch die Printmedien und Verlage nachziehen und jeder Schritt zurück wäre äußerst mühsam. In diesem Zusammenhang hat wohl ein Artikel von Dieter Kolonovits im Journal für Rechtspolitik mit dem Titel ,Staatssprache und Rechtschreibreform‘ wenig Beachtung gefunden. Der Autor verweist auf Art. 8 B-VG, wo Deutsch als Staatssprache festgelegt ist, daß aber die Verfassung keinen Anhaltspunkt darüber enthält, wer ermächtigt sei autoritativ festzulegen, was deutsche Sprache ist. Das bedeutet nach Ansicht des Autors, daß die Verbindlichkeit eines solchen Regelwerks für Schulkinder oder beispielsweise Beamte verfassungswidrig sei.

Die Rechtschreibreform beschäftigt aber nicht nur Experten, sondern erregt auch nachhaltig den Unmut der Bevölkerung, was die jüngste Studie des Linzer Meinungsforschungsinstitutes ,spectra‘ eindrucksvoll belegt: Die Ablehnung der Rechtschreibreform zieht sich quer durch alle Bevölkerungs- und Bildungs­schichten. Von 92% der Befragten, die schon von der Rechtschreibreform gehört hatten, empfanden 70% das neue Regelwerk als ,nicht gut‘ und 69% unterstützen die Forderung nach Aussetzen der Rechtschreibreform. Kein Wunder, denn nach einem Jahr der Konfrontation mit den neuen Regeln und der praktischen Anwendung der Rechtschreibreform traten die Schwachpunkte zutage: Von der anfänglichen Absicht, auf die Groß­schreibung zu verzichten, blieb nur mehr ein unüberschaubarer Ausnahmedschungel übrig, der die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Rechtschreibreform in vielen Teilen unbeantwortet läßt.

Die für die Einführung der Rechtschreibreform in Österreich zuständige Unterrichtsministerin gibt sich seit Jahren – ganz im Gegensatz zum deutschen Außenminister Kinkel – trotz zunehmender Kritik an der Reform weiterhin unbeeindruckt und sieht, abgesichert durch ein Gutachten des – nicht unabhängigen – Verfassungsdienstes, das Recht auf ihrer Seite. Bereits vor mehr als einem Jahr sind freiheitliche Abgeordnete in Anträgen 260/A(E), 405/A(E) mit Nachdruck für ein Befassen des Nationalrates mit einer alle Bevölkerungs- und Altersgruppen betreffenden Rechtschreibreform bzw. für deren Aussetzung eingetreten. Anläßlich eines Auftrittes in der Fernsehsendung ,Vera‘ im Oktober dieses Jahres versuchte die Unterrichtsministerin diese Gegenargumente dahingehend auszuräumen, daß ,niemand‘ gezwungen werde, die neue Rechtschreibung anzuwenden, daß alle Schüler eine Übergangsfrist bis 2004 hätten, bis dahin für Orthographiefehler auch nicht beurteilt würden und daß die Schüler seit der Einführung bereits meßbar 80% weniger Beistrichfehler und 10% weniger Rechtschreibfehler machten.

Als weiteres Gegenargument zur Rechtschreibreform sind die damit verursachten Kosten anzuführen. Ersten Schätzungen zufolge rechneten österreichische Verlage mit Mehrkosten in der Höhe von 100 Millionen Schilling. Den größten Anteil an den Kosten macht die Umstellung der zirka 3 500 Schul­bücher aus, wobei die Lehrbücher für die Volksschulen bereits ganz, für die Haupt- und Mittelschulen zu einem großen Teil umgestellt sind. Der Sprecher der österreichischen Schulbuchverlage, Othmar Spachinger, schätze die Kosten für die Umstellung auf zirka 40 Millionen Schilling, Pessimisten gehen von 80 Millionen Schilling auf vier Jahre verteilt für die Adaptierung der Unterrichtsmittel aus. Gerade in Zeiten rigoroser Sparmaßnahmen im Lehrbetrieb ist es unverantwortlich, das Budget unnötig  zu belasten. Welche weiteren Kosten durch die Umstellung von Formularen oder durch die Unterweisung von Lehrern und Beamten der neuen Rechtschreibung entstehen, ist bis dato nicht geklärt.“

Der Unterrichtsausschuß hat den Entschließungsantrag 637/A(E) in seiner Sitzung am 15. Jänner 1998 in Verhandlung genommen.

Als Berichterstatter im Ausschuß fungierte die Abgeordnete Dr. Susanne Preisinger.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Karl Öllinger, Maria Schaffenrath, Dr. Susanne Preisinger, Elfriede Madl und Dr. Dieter Antoni sowie die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1998 01 15

                            Dr. Christa Krammer                                                       Mag. Dr. Josef Höchtl

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann