Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 107. Sitzung / Seite 182

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21.24

Abgeordnete Dr. Gertrude Brinek (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Angesichts der bisweilen hitzig geführten Debatte um die neue Rechtschreibung sei folgendes in Erinnerung gerufen: Das jetzige Reformwerk baut auf dem Werk aus dem Jahre 1901 auf. Im Jahre 1901 und in den nachfolgenden Jahren haben sich viele kluge kulturkritische Köpfe gegen die damalige Rechtschreibreform ausgesprochen, so etwa Thomas Mann, Karl Kraus beispielsweise hat die "Elegie an einen verlorenen Laut" geschrieben, nämlich an das stumme H. Er hat bedauert, daß der Thau das Himmlische verloren habe, weil er nun mit dem Schiffstau gleichgestellt wird.

Die Geschichte der Kritik ließe sich fortsetzen. Es sind Erneuerungen – seien sie noch so minimaler, homogener oder sanfter Art – immer wieder auf Widerstände gestoßen. Noch im Jahre 1954 hat man gegen das Regelwerk von 1901 protestiert. Frau Bundesministerin, meine Damen und Herren: Dessen sollten wir uns auch bewußt sein!

Ich meine, daß der Weg des Zug-um-Zug-Umsetzens des jetzigen Reformwerkes ein guter ist. Das ist aus den ersten Befragungen über die Zufriedenheit in den Volksschulen zu erkennen. Ich nenne Ihnen nur ein paar Zahlen: 99 Prozent der Volksschüler werden bereits nach der neuen Rechtschreibung unterrichtet; 93 Prozent geben an, daß die Umstellung keine nennenswerten Probleme bereitet, und in beinahe 70 Prozent der Volksschulen gab es auch keine Beschwerden seitens der Eltern. 72 Prozent halten die methodisch-didaktischen Erleichterungen, die mit dieser Reform verbunden sind, für sinnvoll. (Abg. Dr. Graf: Wer ist da befragt worden: die Lehrer?) Lehrer und Eltern! (Abg. Dr. Graf: Aha!)

Abschließend noch ein wichtiger Hinweis vor allem in Richtung jener, die von überbordenden Kosten und Aufwendungen, die durch diese Reform angeblich verursacht würden, sprechen, die, wenn man die S-Schreibung wegläßt, 1 Prozent des Wortschatzes betrifft.

Erfreulich ist, daß die Schulbuchverlage diese Umstellung gut bewältigt haben und die anfallenden Umstellungsaufwendungen nicht an die Eltern und an den Markt weitergegeben, sondern im Zuge von Rationalisierungen geschluckt haben.

Erfreulich ist auch, daß sich Kinder- und Jugendbuchautoren positiv dazu äußern, deren Bücher schon nach der neuen Schreibweise gedruckt werden beziehungsweise im wesentlichen schon in Umstellung begriffen sind.

Wichtig ist es, daß Lehrer während ihrer Weiterbildung an den Pädagogischen Instituten im Rahmen der ordentlichen Budgets, der ordentlichen Dotierung an Anpassungsweiterbildungkursen teilgenommen haben und weiter teilnehmen. – Das heißt, auch von daher kann niemandem überbordende Belastung vorgeworfen werden.

Ich bin der Meinung, daß das vorliegende Reformwerk im Aufbau übersichtlicher und einheitlicher ist als das bisherige Regelwerk und daß es die Regeln insgesamt verständlicher macht. Der Schwerpunkt liegt in der systematischen Bearbeitung und Neufassung der Regeln, ohne daß Tradition und Schriftkultur aufgegeben werden.

Noch eine allerletzte Bemerkung zur Situation in Deutschland: Dort gibt es – wie heute schon in einem anderem Zusammenhang gesagt wurde – eine andere Rechtskultur. Wenn dort eine Änderungsabsicht als wesentlich erklärt wird, muß sie unter dem Wesentlichkeitsprinzip als Gesetz verankert werden. In Österreich gibt es eine andere Rechtskultur, und gegenwärtig sehe ich aus guten Gründen keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Verankerung der Reform.

Wir stimmen daher der Rechtschreibreform zu; diesen Antrag lehnen wir jedoch ab. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Haigermoser: Das ist ja etwas ganz "Neues"!)

21.28

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Antoni. – Bitte.


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