Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 105

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächste gelangt Frau Abgeordnete Haller zu Wort. – Bitte.

16.09

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Hohes Haus! – Herr Bundeskanzler, es läßt sich wirklich nicht mehr verheimlichen, daß das einstige Sozialparadies Österreich in einer sozialen Krise steckt. 1,5 Millionen Österreicher sind akut von Armut bedroht; die Hälfte davon muß mit einem Einkommen, das unter der Armutsgrenze liegt, auskommen.

In letzter Zeit nimmt auch die öffentliche Diskussion über dieses Thema zu. Aber es ist nicht wahr, daß es auf parlamentarischer Ebene keine Diskussionen darüber gegeben hat. Zumindest wir Freiheitlichen sind in diesem Bereich bereits seit dem Jahre 1991 tätig. Damals haben wir eine Anfragenserie an den damaligen Sozialminister Hesoun gestartet, der ... (Abg. Dr. Mertel: Sozialschmarotzer!) – Nein, nein! Über die zunehmende Armut, Frau Kollegin. Und Sozialminister Hesoun hat uns damals Studien und Untersuchungen in Aussicht gestellt, die dann auch mit einer gewissen Zeitverzögerung gekommen sind.

Wenn der Herr Bundeskanzler heute von zwei Studien gesprochen hat, dann muß ich sagen, es hat doch drei Studien gegeben. Er hat die Wolf-Steiner-Studie, die auch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben wurde, nicht erwähnt. Wahrscheinlich hat das Ergebnis nicht gepaßt. Sie ist ja auch vor den Wahlen 1994 direkt geheimgehalten worden.

Sie, Herr Bundeskanzler – und Sie sind der Chef dieser Regierung –, haben aber vor allem keine Konsequenzen aus diesen Studien gezogen, und Sie haben die falsche österreichische Sozialpolitik und den falschen Weg der österreichischen Familienpolitik einfach fortgesetzt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Vorrednerin, Frau Katharina Horngacher, ist heute auf die Bäuerinnen zu sprechen gekommen, und dazu muß ich sagen: Es hat ja auch diese österreichische Konferenz zum Thema Armut im vergangenen Herbst ergeben, daß genau 30 Prozent der österreichischen Bäuerinnen und Bauern besonders von der Armut gefährdet beziehungsweise betroffen sind. Und wir Freiheitlichen haben dagegen etwas unternommen: Wir haben einen diesbezüglichen Antrag hier im Hohen Haus gestellt – meine Kollegin Aumayr war das. (Abg. Dr. Khol: Was bewirken Ihre Anträge? – Nichts!)

Also ich bitte Sie, sich schon daran zu erinnern und nicht so zu tun, als ob wir diesbezüglich nichts gemacht hätten.

Es ist ein Faktum, daß 1,5 Millionen Österreicher mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 6 000 S leben müssen, wobei das durchschnittliche bei 15 000 S liegt. Die Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über Armutsgefährdung sagt, daß sich unter der Armutsschwelle bereits die Hälfte aller Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern und mehr als 60 Prozent aller Haushalte mit zwei Erwachsenen und drei Kindern befinden und daß Alleinverdiener und Alleinerzieher besonders gefährdet sind. Ich frage mich wirklich, Herr Bundeskanzler, warum man dann in Österreich – obwohl man das ja gewußt hat – Belastungspakete geschnürt hat, die gerade bei den sozial Schwachen besonders stark zum Tragen kommen. – Das muß ich mich wirklich fragen.

Herr Präsident Fischer, der ja jetzt den Vorsitz führt, hat heuer, und zwar am 12. April, anläßlich der Präsentation der Dokumentation "Armut in Österreich" gesagt, Armut müsse immer wieder thematisiert werden. – Ja, bitte, Sie sind doch in der Regierung! Thematisieren allein ist aber wirklich zuwenig! Die Regierung hat bisher weder agiert noch reagiert! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der Bogen an Fehlentwicklungen in Österreich ist ja wirklich groß – was das betrifft, muß ich den Grünen recht geben –: Er spannt sich von der steuerlichen Diskriminierung von Alleinverdienern über zu wenig und zu teuren Wohnraum, eine katastrophale reale Einkommenssituation, zunehmende Arbeitslosigkeit, zu starre Arbeits- und Arbeitszeitgesetze bis zu einer fehlenden


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