Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 76. Sitzung / Seite 85

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Staatsanwaltschaft geheißen hat, auch weitere Erhebungen wären nicht geeignet, die frühere leugnende Verantwortung des Beschuldigten zu widerlegen, so ist das für einen Juristen eine unerträgliche Begründung. Es ist dies eindeutig eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung, und es ist mir unverständlich, daß eine derartige Begründung damals, im Jahre 1995, akzeptiert wurde.

Es entzieht sich meiner Kenntnis und auch meinem tiefen Verständnis, aus welchem Grund im Jahre 1981 die Anklagebehörden nicht weiter tätig geworden sind. 1981 ist in einem Ehrenbeleidigungsverfahren der Privatbeschuldigte Dr. Vogt freigesprochen worden, weil das Gericht den Wahrheitsbeweis – nämlich den der Verwicklung in die Tötung von Euthanasieopfern, von Kindern – als erbracht angesehen hat. Aus welchem Grund keine weiteren Erhebungen gepflogen wurden, ist mir aus heutiger Sicht unverständlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich insbesondere aus einem Beweggrund gerade zu dieser Thematik zu Wort gemeldet. Ich habe vor einigen Jahren einen alten NS-Propagandafilm im Fernsehen gesehen, der mich wirklich zutiefst erschüttert hat. Das NS-Regime hatte durch eine filmische Darstellung versucht, die Euthanasie an Geisteskranken und an geisteskranken Kindern zu rechtfertigen. Und es gibt fast keine Steigerung der Perfidie, wie diese Darstellung damals vom Mörderregime, vom NS-Regime, vorgenommen wurde:

Zunächst einmal wurden die geisteskranken Personen aus einem Winkel aufgenommen, der sie optisch sehr ungünstig erscheinen ließ. Zum anderen wurde gesagt – und da bin ich völlig einer Meinung mit meiner Kollegin Dr. Pittermann, man muß sich diesen furchtbaren Zynismus einmal vor Augen führen –, wenn diese bedauerlichen "Kreaturen", wie es im NS-Propagandafilm geheißen hat, erkennen könnten, wie sinnlos ihr Dasein ist, würden sie erst recht die Bewilligung zu ihrer Tötung geben. – Und das ist für mich ein derart abscheulicher Zynismus, daß es meiner Meinung nach kaum mehr eine Steigerung gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Derzeit nimmt das Verfahren den richtigen Fortgang, es ist jetzt – das muß man sagen – ein schwebendes Verfahren. Es ist nicht richtig, wenn Kollege Rasinger davon spricht, Dr. Gross sei rechtskräftig verurteilt worden – ich glaube, das war ein Versprecher –, es ist ein offenes Verfahren. Es gehört alles untersucht, nach allen Seiten, denn auch wenn diese Umstände mehr als 50 Jahre zurückliegen, so darf der Mantel des Schweigens nicht über diese schrecklichen Taten gebreitet werden. (Beifall bei den Freiheitlichen, der SPÖ, dem Liberalen Forum und den Grünen.)

15.00

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Kier. – Bitte.

15.00

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist aufgrund der bisherigen Debatte möglich, daß ich mich auf ein paar Gedanken konzentriere, die debattenmäßig bereits vor einem dazu wirklich gut stimmigen Hintergrund ablaufen. Ich meine, der Fall – Herr Kollege Krüger hat es gesagt – ist jetzt schwebend, das ist richtig, aber er ist eine Fallstudie für sich.

Die Tatsache, daß sich der jetzige Bundesminister in der Lage gesehen hat, dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht näherzutreten und weitere Untersuchungen zu verlangen, zeigt uns, daß dieses Verhalten zu jedem Zeitpunkt in diesem Verfahren – auch zu früheren Terminen – möglich gewesen wäre, und zwar aus einer zwingenden Logik: aus der genau umgekehrten Logik der Argumente, die im Jahr 1951, im Jahr 1981 und im Jahr 1995 vorgebracht worden sind. Das aufhebende Urteil des Obersten Gerichtshofes im Jahr 1951 bezogen auf das verurteilende Urteil des Volksgerichtshofes hat Verfahrensmängel erkannt und in die erste Instanz zurückverwiesen, und die Staatsanwaltschaft hat daraufhin keine Untersuchungen mehr angestellt, sondern sich einfach damit begnügt. Wir wissen aus der Anfragebeantwortung, daß in einem parallelen Verfahren auch zum "Spiegelgrund", in dem der Leiter dann verurteilt worden ist, zur Beschleunigung des Verfahrens bestimmte Sachverständigenbeweise nicht mehr er


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