2592/J XXI.GP

Eingelangt am:22.06.2001

 

ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Justiz

 

betreffend betreffend die noch nicht erfolgte Rehabilitierung des letzten bekannten

Opfers einer Verurteilung auf Grund behaupteten Ritualmords in Österreich, Leopold

Hilsner

 

 

Am Abend des Karsamstags 1899 wurde in Polna, einer Stadt zwischen Brünn und

Prag, die Leiche einer neunzehnjährigen ermordeten Frau aufgefunden. Auffallend

war ein langer Schnitt am Hals der Toten gewesen.

 

Dem schnell in Umlauf gebrachten Gerücht vom Ritualmord folgend wurde der

jüdische Schustergeselle Leopold Hilsner verhaftet, ohne das auch nur das geringste

Indiz für dessen Verwicklung in den Mordfall gegeben war.

 

Hilsner wurde in einem Gerichtsverfahren, das von Einschüchterung von ZeugInnen

sowie sich immer weiter verfeinernden Details zur Stützung der

Ritualmordbehauptung gekennzeichnet war, zum Tode wegen Ritualmordes

verurteilt. Das Urteil wurde vom Kassationsgericht in Wien bestätigt.

 

Eine auf Anordnung des Justizministeriums durchgeführten Neuverhandlung endete

ebenfalls mit der Verurteilung Hilsners zum Tode, fußend jedoch auf dem Vorurf

„normalen“ Mordes. Auch dieses Urteil wurde vom Kassationsgericht in Wien

bestätigt.

 

Am 11. Juni 1901 wandelte Franz Josef 1. auf Grund internationalen Drucks sowie

der Offensichtlichkeit der Fehlentscheidung das Todesurteil in lebenslange Haft um.

 

Im Frühjahr 1918 wurde Hilsner begnadigt und nach 19 Jahren Haft für eine Tat, die

er nicht begangen hat und für die er einzig auf Grund seines Glaubens verurteilt

wurde, aus der Haft entlassen. Er starb 1928 in Wien.

 

Einer Privatinitiative ist es zu verdanken, dass die erstinstanzlichen Urteile gegen

Hilsner in der Tschechischen Republik im Februar 1998 aufgehoben werden

konnten. In einem von der damaligen tschechischen Justizministerin in Auftrag

gegebenem Gutachten, das auch in Buchform erschienen ist, wird jedoch

festgehalten, dass die Zuständigkeit für die Urteile des Kassationsgerichts mit dem

Staatsvertrag von St. Germain 1918 auf die Republik Österreich übergegangen ist

und diese daher auch nur von österreichischen Gerichten aufgehoben werden

können.

 

Zum selben Ergebnis kommt der italienische Jurist Mario Umberto Morin in einem im

Mai 2000 erstellten Gutachten.

Behauptete Ritualmorde sind zumindest seit 1171 fester Bestandteil antisemitischer

Hetze und dienten in vielen Fällen zur „Rechtfertigung“ von Pogromen gegen

Menschen mosaischen Glaubens. Der Vorwurf, JüdInnen würden insbesondere zu

Pessach rituelle Morde begehen, blickt auch in Österreich auf eine lange Tradition

zurück. Als Beispiele seien hier nur die im Jahr 1893 vom Währinger Pfarrer Deckert

vertriebene Broschüre „Ein Ritualmord - Aktenmäßig nachgewiesen“ sowie der Kult

um das sogenannte „Anderl von Rinn“ erwähnt. Letzterer wurde bis in die 80er Jahre

des 20. Jahrhunderts betrieben, bis er vom Bischof von Tirol Reinhard Stecher

dankenswerter Weise unterbunden wurde.

 

Die Existenz noch gültiger (und darüber hinaus aus dem 20. Jahrhundert

stammender) Verurteilungen auf Grund behaupteter Ritualmorde in Österreich ist

unerträglich. Auch wenn es dem 1928 in tristen Verhältnissen verstorbenen Leopold

Hilsner heute nicht mehr unmittelbar nützt, so ist doch die Aufhebung des Urteils

sowie seine Rehabilitierung eine Frage der Anständigkeit in einer Gesellschaft, die

sich ihrer Geschichte stellt und daraus auch gelernt hat.

 

Die Aufhebung der Urteile des Kassationsgerichts Wien wäre darüber hinaus auch

ein Zeichen dafür, dass Antisemitismus, Rassismus und Verhetzung in Österreich

heute keinen Platz mehr haben. Die Urteile gegen Leopold Hilsner nicht

ehestmöglich aufzuheben bedeutete hingegen, diesem religiös verirrten Hass mit

Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüberzustehen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1. Ist Ihnen der Fall Leopold Hilsner bekannt?

 

2. Ist Ihnen das in Buchform erschienene Gutachten des Tschechischen

    Justizministeriums bekannt?

 

3. Ist die darin vertretene Ansicht, dass die Zuständigkeit für die Aufhebung der

    Urteile des Kassationsgerichts Wien bei der Republik Österreich liegt, richtig?

 

4. Ist es auch Ihr Interesse, eine ehestmögliche Aufhebung der auf Ritualmord -

    Behauptungen beruhenden Urteile des Kassationsgerichts Wien gegen Leopold

    Hilsner zu erreichen?

 

5. Welche Schritte werden Sie unternehmen, um eine ehestmögliche Aufhebung

    der auf Ritualmord - Behauptungen beruhenden Urteile des Kassationsgerichts

    Wien gegen Leopold Hilsner zu erwirken?