Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 100. Sitzung / Seite 108

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Die erwähnte Anfragebeantwortung ist bereits im Saal verteilt, sodass sich eine Verlesung durch den Schriftführer erübrigt.

Wir gehen in die Debatte ein. Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß der Geschäftsordnung kein Redner länger als 5 Minuten sprechen darf, wobei dem Erstredner 10 Minuten zur Begründung zukommen. Stellungnahmen der Mitglieder der Bundesregierung sollen 10 Minuten nicht überschreiten.

Ich ersuche jetzt Frau Abgeordnete Mag. Stoisits als Antragstellerin des Verlangens, die Debatte zu eröffnen. (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vorsitz.)

15.03

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Poštovane dame i gospodo! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 57 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 57 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist es meiner Ansicht nach wirklich höchste Zeit, dass wir Widerstand und Verweigerung von Menschen gegen das nationalsozialistische Regime, gegen die Intentionen des Nationalsozialismus, gegen die Absichten, die mit diesem Krieg verfolgt wurden, endlich auch anerkennen. Dieser Widerstand hat sich in vielfältigster Form ausgedrückt. Eine seiner Facetten war die Weigerung von Menschen, diesem verbrecherischen Regime zu dienen, indem sie sich dem Dienst in der Wehrmacht entzogen haben. Seit 57 Jahren erleben so genannte Wehrmachtsdeserteure eine leidvolle Geschichte. Es ist keine Geschichte anerkannter Widerstandskämpfer oder Helden, anerkannter hochgesinnter Demokraten. Nein, meine Damen und Herren, es handelt sich um eine 57 Jahre andauernde Stigmatisierung und Diskriminierung, die diese Menschen durchmachen mussten.

Herr Bundesminister Mag. Haupt und Herr Staatssekretär Dr. Waneck! Sie gehören beide der Nachkriegsgeneration an. – Ich weiß das gar nicht ganz sicher. (Bundesminister Mag. Haupt: Ich bin 1947 geboren!) Also doch! Sie sind also beide nach dem Krieg geboren. Ich selbst bin noch einmal 10 Jahre jünger als der Herr Bundesminister, und ich gestehe ein, dass auch ich in diesem Land im Bewusstsein aufgewachsen bin, dass Deserteure etwas sind, worüber man, um es noch am mildesten und positivsten auszudrücken, am besten nicht spricht. Vor Wahrnehmung dieses Missstandes und dieses Problems habe ich es immer als etwas zumindest Unangenehmes empfunden. In der österreichischen Politik ist es seit Jahrzehnten Tradition, sich diesem Problem nicht zu stellen – und das ist noch die positive Variante – oder diese Menschen sogar zu diskriminieren, sie ins Eck zu stellen, zu stigmatisieren, sie so mundtot zu machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss erwähnen, um wie viele Leute es insgesamt geht: 30 000 Menschen sind von der Militärgerichtsbarkeit der Wehrmacht – und man kann sie nicht anders bezeichnen als die Wissenschaft, die sie als Terrorinstrument im Dienste des Nationalsozialismus charakterisiert – zum Tode verurteilt und ein Großteil davon auch exekutiert worden. Es gab aber auch welche, die diesem Schicksal entronnen sind. Sie sind ihm deshalb entkommen, weil sie nicht erwischt worden sind und daher auch nicht verurteilt werden konnten. Andere sind ihm zwar lebend, aber als gebrochene Menschen entkommen, weil sie in Militärgefängnissen oder KZs waren und ihr physisches und psychisches Befinden schwerstens beeinträchtigt worden ist. Sie sind also zwar mit dem Leben davongekommen, waren und sind aber auch für ihr Leben gezeichnet.

Die zweite Wunde, die ihnen zugefügt wurde – und das sagen alle Deserteure, die es heute wagen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, und es ist immer noch ein Wagnis, meine sehr geehrten Damen und Herren! –, ist, dass sie bisher keinerlei positiven Zuspruch erfahren haben. (Beifall bei den Grünen.)

Selbst die dafür vorgesehene Einrichtung der Republik, nämlich der Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus, hat bis heute noch nicht zur Entscheidung gefunden, Deserteure der Wehrmacht und Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit als Opfer des Nationalsozialismus anzu


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