Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 36. Sitzung / Seite 43

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Letzter Punkt: Die Erweiterung ist für uns eine historische Chance. Wir wollen daher die aktive Nachbarschaftspolitik im Herzen Europas sinnvoll vorantreiben: durch politische Kontakte, durch Bildung – es gibt etwa österreichische Schulen in Prag, in Budapest, 75 Lektorate, Österreich-Bibliotheken und so weiter. Diese aktive Nachbarschaftspolitik kann in Zukunft in Europa ein Trumpf sein. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Lang anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

10.36

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler und darf nunmehr der Frau Vizekanzlerin das Wort erteilen. Gleiche Redezeit. – Bitte.

10.37

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten war sehr oft und viel von europäischen Werten die Rede. Eine genaue und klare Definition dieser Werte wurde eigentlich nie vorgenommen, die Definition war nebulos, und vor allem wurde ein wichtiger Grundsatz außer Acht gelassen, nämlich dass Werte für alle zu gelten haben, dass der Maßstab, mit dem man Österreich misst, selbstverständlich auch für alle anderen in Europa zu gelten hat, und dass Moral nicht nur von den anderen erwartet werden kann, sondern dass man sie auch selbst zu beherzigen hat. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ein moralisch erhobener Zeigefinger gegen andere macht einen noch lange nicht zu einer moralischen Instanz – weder in Europa noch in Österreich. Und vor allem kann sich niemand anmaßen, sich durch Berufung auf angebliche moralische Prinzipien zu einer Überinstanz über den höchsten Souverän in Österreich, nämlich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, zu erheben. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es war für viele Menschen – nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa – ernüchternd, zu sehen, wie leicht man ohne Federlesen zu undemokratischen Mitteln gegriffen hat, angeblich zum Schutz der Demokratie.

Wir in Österreich – ich hoffe, auch in Europa – sind uns einig, dass das oberste Grundprinzip unserer Verfassung die Demokratie bildet, die selbst Grundvoraussetzung dafür ist, überhaupt Mitglied der Europäischen Union werden zu können.

Demokratie heißt in Österreich wie in jedem anderen Land, dass das Volk das Recht hat, in freien und demokratischen Wahlen sein eigenes Parlament zu wählen und damit auch seine Regierung zu bestimmen. Es gibt keine Instanz – weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene –, die sich über diese Entscheidung hinwegsetzen darf. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Die Europäische Gemeinschaft ist eine Vereinigung von 15 gleichberechtigten Staaten, souveränen Staaten mit gleichen Rechten und Pflichten, egal, ob diese Staaten groß oder klein sind.

Charles de Gaulle, einer der Gründerväter der Europäischen Union, hat 1963 erklärt: Unsere Annäherung und danach unsere Union haben wir in die Wege geleitet, um gemeinsam handeln zu können. – Gemeinsames Handeln und Solidarität sind die tragenden und im EU-Vertrag verankerten Säulen der Europäischen Union und die politischen Handlungsmaximen des europäischen Integrationsprozesses. Eine aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Regierung zu isolieren und ein ganzes Land an den Pranger zu stellen, ist eine Vorgangsweise, die in krassem Widerspruch zu diesen Grundprinzipien, nämlich der Gemeinsamkeit und der Solidarität, steht. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Europa – das sage ich in aller Deutlichkeit – hat nicht das Recht, Österreich oder irgendeinem anderen Mitgliedsland vorzuschreiben, welche Regierung es zu bilden hat. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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