374/A XXIV. GP

Eingebracht am 21.01.2009
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ANTRAG

 

des Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem NS-Unrechtsurteile aufgehoben werden
(NS-Aufhebungsgesetz)

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

 

Bundesgesetz, mit dem NS-Unrechtsurteile aufgehoben werden
(NS-Aufhebungsgesetz)

 

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Bundesgesetz, mit dem NS-Unrechtsurteile aufgehoben werden
(NS-Aufhebungsgesetz)

§ 1.      (1) Urteile, die auf den im Aufhebungs- und Einstellungsgesetz v. 3.7.1945, StGBl 48/1945, und den in der Ergänzungsverordnung v. 5.9.1945, StGBl 155/1945, genannten nationalsozialistischen Gesetzen beruhen oder die unter die Befreiungsamnestie v. 6.3.1946, BGBl 79/1946, fallen, weil sie von deutschen Militär- oder SS-Gerichten gefällt wurden, sind nach Maßgabe dieser Vorschriften und der Abänderungen durch dieses Gesetz rückwirkend aufgehoben.

(2) Die nach dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes 1945 und der Ergänzungsverordnung 1945 erforderliche zusätzliche Feststellung, dass Handlungen, die gegen die dort genannten Vorschriften verstießen, speziell gegen die nationalsozialistische Herrschaft oder auf die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates Österreich gerichtet waren, entfällt.

§ 2.      (1) In Ergänzung der Befreiungsamnestie 1946 gelten auch Strafurteile der Sonder- und Standgerichte, des Volksgerichtshofs und der Oberlandesgerichte, soweit ihnen Strafsachen überwiesen wurden, die der Zuständigkeit des Volksgerichtshofs unterlagen, rückwirkend als nicht erfolgt. Das gilt ebenfalls für die Anordnung von Zwangssterilisierungen durch Erbgesundheitsgerichte und für Verurteilungen durch Zivilgerichte wegen homosexueller Handlungen während der NS-Zeit.

(2) Im übrigen gelten alle Entscheidungen rückwirkend als nicht erfolgt, die von Gerichten unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Regimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen gefällt wurden.

§ 3.      (1) § 2 betrifft Gerichtsentscheidungen gegen Österreicher im In- und Ausland.

(2) Die Urteilsaufhebungen umfassen auch Urteile, in denen Allgemeindelikte mit politischen oder militärischen Delikten zusammenfielen. Eine erneute Verfolgung der Allgemeindelikte findet nicht statt.

§ 4.      Auf Antrag der Betroffenen oder der Hinterbliebenen bescheinigt das Landesgericht für Strafsachen Wien nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch einen Einzelrichter mit Beschluss, dass die Verurteilung als nicht erfolgt gilt. Die Staatsanwaltschaft kann auch von Amts wegen solche Anträge stellen.

§ 5.      Nach Maßgabe der in § 1 Abs 1 genannten Gesetze und dieses Gesetzes sind sowohl die wegen aktiven Widerstands, Wehrdienstverweigerung und Desertion aus der deutschen Wehrmacht Verurteilten als auch die Opfer von Zwangssterilisationen und die wegen homosexueller Handlungen Verurteilten rehabilitiert.

 

Begründung:

 

1) Derzeitiger Rechtsbestand nach dem AnerkG 2005

Das Anerkennungsgesetz v. 7.7.2005, BGBl I 86/2005 (AnerkG 2005), nimmt in
Art I § 1 für sich in Anspruch, durch den Bezug auf das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 (AufhG 1945) und die Befreiungsamnestie 1946 (BefrAmn), die unverändert in Geltung stehen, „alle Verurteilungen gegen Österreicher“ in die Urteilsaufhebung einzubeziehen, die „Gerichte . . . unter der nationalsozialistischen Herrschaft gegen Österreicher ausgesprochen haben und als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind“.

In Art I § 2 spricht das AnerkG 2005 sowohl den Opfern derartiger Unrechtsurteile, insbesondere der Militärjustiz, als auch den Opfern anderer nationalsozialistischer Unrechtsakte, den Heimatvertriebenen, politisch Verfolgten, Kriegsopfern und Widerstandskämpfern „Achtung und Mitgefühl“ aus.

 

2) Kritik am AnerkG 2005

a)Unzureichende Ehrenerklärung, Art I § 2 AnerkG 2005

Durch die Ehrenerklärung in Art I § 2 AnerkG 2005 werden die von den Urteilsaufhebungen Betroffenen allen Kriegsopfern gleichgestellt, was ihrem Verhalten nicht wirklich gerecht wird. Das passive Erleiden der Kriegsfolgen der Bevölkerung kann nicht in einem Atemzug mit aktiven Handlungen von Einzelpersonen, die sich dem nationalsozialistischen Unrechtsregime entzogen oder es bekämpften, genannt werden. Die Kriegsopfer bedürfen nicht der Rehabilitierung, wohl aber die Verurteilten. Insoweit steht eine klare Aussage des Gesetzgebers noch aus. Sie ist in § 5 des vorgeschlagenen Gesetzes vorgesehen.

 

 

b) Unzureichender Geltungsumfang, Art I § 1 AnerkG 2005

Das AnerkG 2005 beansprucht, hinsichtlich der Urteilsaufhebungen eine vollkommene Regelung geschaffen zu haben. Sein Art I § 1 kann jedoch nicht zufrieden stellen, denn er erfasst durch den Bezug auf die beiden genannten Nachkriegsgesetze in Wirklichkeit gerade nicht alle nationalsozialistischen Unrechtsurteile. Das AufhG 1945 (§§ 1 und 8) mit seiner Ergänzungsverordnung betrifft nur einen engeren, taxativ beschriebenen Bereich von NS-Gesetzen, und die BefrAmn (§ 7 Abs 2) ist auf Urteile der Militär- und SS-Gerichte beschränkt, die das Spektrum der nationalsozialistischen Unrechtsurteile nur teilweise abdecken. Die fundamentale Unstimmigkeit des Art I § 1 AnerkG 2005 ergibt sich daraus, dass das Gesetz feststellt, „mit“ den genannten Gesetzen von 1945 und 1946 seien „alle“ nationalsozialistischen Unrechtsurteile aufgehoben worden.

Das Gesetz erreicht damit gerade nicht sein erklärtes Ziel, alle Betroffenen zu rehabilitieren und Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.

Das AnerkG 2005 kann nicht so verstanden werden, als ob es über diese beiden Gesetze hinaus eine eigene, neue Rechtsgrundlage für die Nichtigkeit „aller“ Verurteilungen der genannten Art enthält, denn es bezieht sich ausdrücklich nur auf diese Gesetze und gibt ihnen somit einen anderen Inhalt, als sie wirklich haben.

Eine Inhaltsausdehnung ist nicht durch eine nachträgliche sog. „authentische Interpretation“ beider Gesetze möglich, auf die sich der Gesetzgeber stützt (Initiativantrag Molterer v. 12.5.2005, 614/A XXII. GP, 6). Eine solche könnte allenfalls dazu geeignet sein, anstelle der Rechtsprechung Zweifelsfragen der Auslegung einer Norm autoritativ zu klären, sie kann aber keine über diese Norm hinausgehende Gesetzesgrundlage schaffen. Die Reichweite der beiden Gesetze unterliegt jedoch keinem Zweifel.

Eine Ausdehnung ist darum nur durch ein inhaltlich selbständiges, erweiterndes Gesetz möglich, das alle Unrechtsurteile erfasst. Überdies ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser noch der absoluten Monarchie zugehörenden Einmischung des Gesetzgebers in die Angelegenheiten der Rechtsprechung sehr zweifelhaft, weil sie in die Gewaltenteilung eingreift. Das Parlament erlässt Gesetzte, die Justiz interpretiert sie innerhalb ihres Wortlauts und Sinnes. Weder ist es Sache des Parlaments, Gesetze verbindlich zu interpretieren, noch Sache der Justiz, durch Interpretation neue Gesetze zu schaffen.

§ 1 AnerkG 2005 bestätigt somit in Wahrheit lediglich den vorhandenen Rechtsbestand, dass nationalsozialistische Unrechtsurteile „nach Maßgabe“ der beiden Nachkriegsgesetze rückwirkend aufgehoben wurden. Alles Weitere bleibt reines Wunschdenken oder Postulat mit dem Anschein der Gesetzeskraft. Die umfassende Regelung, die das AnerkG 2005 für sich in Anspruch nimmt, steht noch aus.

Auch eine Ausdehnung der beiden Gesetze durch Analogie mittels des AnerkG 2005 ist kein gangbarer Weg. Das Landesgericht für Strafsachen Graz, das 2008 über die Aufhebung einer Verurteilung aus dem Jahre 1939 von Zeugen Jehovas wegen falscher Zeugenaussage nach §§ 197 und 199 StG zu entscheiden hatte (Beschluss v. 26.2.2008, 1 Bl 17/08s-3), sah sich vor der Schwierigkeit, dass das AnerkG 2005 keine eigene Rechtsgrundlage enthält und das AufhG 1945 samt ihrer Ergänzungsverordnung die genannten Delikte des StG nicht anführt.

Von der Sachlage her war indes eine Rehabilitierung geboten, denn der Zusammenhang mit der politischen Verfolgung war evident. Die Betroffenen hatten geleugnet, mit verurteilten Glaubensgenossen zusammengekommen und bibelforscherische Gespräche geführt zu haben. Das Grazer Gericht behalf sich damit, § 8 AufhG 1945 analog heranzuziehen, durch welchen die Provisorische Staatsregierung ermächtigt worden war, den in § 1 enthaltenen Katalog der Rechtsvorschriften „typisch nationalsozialistischer Prägung“ zu erweitern, was durch die Ergänzungsverordnung 1945 auch geschehen war. Das Gericht sah sich durch die erkennbare „Absicht des Gesetzgebers“ des AufhG 2005, dass alle Urteile typischen nationalsozialistischen Unrechts als nicht erfolgt gelten sollen, zu dieser analogen Inanspruchnahme der Verordnungsermächtigung befugt. Dieser Ausweg war dogmatisch zwar insoweit konsequent, als das Gericht die Möglichkeit einer extensiven Interpretation das AufhG 2945 durch das AnerkG 2005 mit Recht verneinte und sich statt dessen zur Analogie genötigt sah, die über das Gesetz hinaus neues Recht schafft.

In diesem Gerechtigkeits-Notbehelf freier richterlicher Rechtsschöpfung anstelle der Staatsregierung kann aber keine allgemeinverbindliche Lösung für die Handhabung des unvollkommenen AnerkG 2005 gesehen werden.

Der von den Grünen 2005 in der Parlamentsdebatte über das AnerkG 2005 vorgelegte Alternativentwurf eines „NS-Rehabilitierungsgesetzes“ (Abänderungsantrag zum Antrag 21/A, XXII. GP) hatte vorgeschlagen, die beiden Gesetze von 1945 und 1946 durch eine umfassende Neuregelung abzulösen, die zwar inhaltlich ebenfalls auf dem alten Rechtsbestand mit der Rückwirkung der Urteilsaufhebungen aufbaut, aber Unstimmigkeiten, Lücken oder obsolete Details beseitigt.

Dieser Vorschlag wurde vom Parlament abgelehnt (vgl. Moos, Das Anerkennungsgesetz 2005 und die Vergangenheitsbewältigung der NS-Militärjustiz in Österreich, JRP 2006, S. 182 ff, 189; Metzler, Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich, 2007, S. 130 ff, 145 ff). Die vorliegende Gesetzesinitiative eines NS-Aufhebungsgesetzes muss auf Grund der Geltung des AnerkG 2005 vom formellen Fortbestand der alten Gesetze ausgehen. § 1 Abs 1 der Gesetzesvorlage bringt das zum Ausdruck. Zur Diskussion steht nur ein Änderungs- bzw Ergänzungsgesetz zum AnerkG 2005.

 

3) Inhalt der Gesetzesvorlage

a) Übersicht

In den weiteren vorgeschlagenen Bestimmungen treten an Stelle einer umfassenden Neuregelung partielle Änderungen oder Ergänzungen. Sie betreffen folgende Komplexe: Verzicht auf die besondere politischer Tendenz der Handlungen (§ 1 Abs 2), Erweiterung sowohl der einbezogenen Gerichte (§ 2 Abs 1) als auch der inhaltlichen Verurteilungsgrundlagen durch eine materiellrechtliche Generalklausel (§ 2 Abs 2), persönlicher Geltungsbereich (§ 3 Abs 1), Mischurteile (§ 3 Abs 2), Antragsbefugnis (§ 4) und Bekräftigung der Rehabilitierung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (§ 5).

b) Überschneidungen von AufhG 1945 und BefrAmn

Auf eine gesetzliche Klärung, welches der beiden Gesetze von 1945 und 1946 bei Überschneidungen der materiellrechtlichen und prozessualen Lösung den Vorrang genießen soll, wird verzichtet. Zu solchen Konkurrenzen kann es besonders bei Verurteilungen nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) kommen, die sowohl vom AufhG 1945 als auch von der BefrAmn erfasst werden. Während der Durchführungserlass des Bundesministeriums für Justiz v. 4.6.1946 zur BefrAmn, JABl 4/1946, das AufhG 1945 als die speziellere Norm ansah, soll dieses Gesetz nach dem Erlass des Bundesministeriums für Justiz v. 30.12.2003, JABl 7/2004, nur subsidiär zur BefrAmn zur Anwendung kommen. Dem kann gefolgt werden, weil durch die Streichung der Handlungsklausel im vorliegenden Gesetzentwurf (§ 1 Abs 2) ein wesentliches Argument für die Spezialität des AufhG 1945 entfällt.

c) Zu weiter Umfang der Befreiungsamnestie

Eine gewisse scheinbare Unstimmigkeit des AnerkG 2005 ergibt sich daraus, dass es die Nichtigkeit aller Verurteilungen mit typisch nationalsozialistischem Unrechtsgehalt nicht nur aus dem AufhG 1945, sondern auch aus der BefrAmn ableitet, obwohl dieses Gesetz in großem Umfang auch Verteilungen erfasst, die inhaltlich keinen Bezug zu NS-Unrecht hatten.

Gelten doch nach § 7 Abs 2 BefrAmn schlechthin alle „Urteile der deutschen Militärgerichte und der SS-Gerichte . . . als nicht erfolgt“. Das betrifft vornehmlich die Delikte des deutschen MilStGB.

Ausgenommen von der Rehabilitierung sind nach § 10 BefrAmn Handlungen von bestimmten Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern. Der Grund für diesen umfassenden prozessdefinierten Personenkreis durch die BefrAmn liegt darin, dass es dieser weniger auf das nationalsozialistische Unrecht ankam als auf die Selbstachtung des nach der „Befreiung Österreichs“ (Gesetzestitel) wiedererstandenen eigenen Staates, dessen nach dem „Anschluss“ 1938 zur deutschen Wehrmacht eingezogene Staatsbürger einer „ausländischen“ Rechtsprechung unterworfen waren.

Dem entspricht die Gesetzesbezeichnung „Befreiungsamnestie“ für alle Soldaten, während es sich beim AufhG 1945 um keine Amnestie handelt, sondern um die inhaltliche Nichtigkeit von Verurteilungen wegen bestimmter Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime. Es läge nahe, im jetzt vorgeschlagenen NS-Aufhebungsgesetz den Kreis der durch die BefrAmn Rehabilitierten auf die Anwendung von „typisch nationalsozialistischem Unrecht“ zu begrenzen. Das ist jedoch nicht möglich, weil die BefrAmn bereits mit ihrem Inkrafttreten auch die darüber hinausgehenden Verurteilungen der Militär- und SS-Gerichte ex tunc aufgehoben hat. Für diese ergänzende Gesetzesvorlage ist jedoch eine differenzierte Behandlung beider Gesetze nötig.

 

4) Vorschriften der Gesetzesvorlage im Einzelnen

a) Zu § 1 Abs 2

Das AnerkG 2005 geht mit den Worten „einer gesonderten Prüfung bedarf es nicht“ (Art I § 1) von einer pauschalen Urteilsaufhebung aus. Es ändert indessen nichts am Wortlaut der beiden maßgeblichen Gesetze von 1945 und 1946, wonach über die Urteilsnichtigkeit trotz der Wirkung ex lege in jedem Einzelfall ein Gericht durch Beschluss zu entscheiden hat. Daraus entsteht eine Rechtsunsicherheit. Die Notwendigkeit der Einzelfallentscheidung beruht zum einen auf der nach § 3 AufhG 1945 erforderlichen Prüfung, ob die Verurteilung auch wegen eines Allgemeindeliktes erfolgte, und zum anderen darauf, dass nach dem AufhG 1945 (§ 1 lit a Satz 2) zusätzlich zu den bestimmten Gesetzesverstößen („und“) eine konkrete Tendenz der betreffenden individuellen Handlung gegen die NS-Herrschaft oder für die Wiederherstellung des österreichischen Staates festgestellt werden muss. Das kann beim Hoch- und Landesverrat nach dem allgemeinem Strafrecht und einigen der in der Ergänzungsverordnung 1945 genannten Gesetze sinnvoll sein.

Das AnerkG 2005 hat mit der unveränderten Übernahme des Wortlauts der beiden Gesetze dieses Erfordernis der individuellen Prüfung der Handlungstendenz nicht beseitigt. An der Notwendigkeit einer solchen Prüfung bei der Subsumtion unter
§ 1 lit. a AufhG 1945 ändert sich auch nichts dadurch, dass die Handlungstendenz nicht unbedingt subjektiv verstanden werden muss, was der Gesetzgeber wohl eigentlich im Sinne hatte.

Die objektive Eignung genügt, wie sie sich aus dem Gesetzesverstoß und den konkreten Tatumständen ergibt (vgl. den Erlass des Bundesministeriums für Justiz v. 30.12.2003, JABl 7/2004, Z 3). So blieb diese Klausel auch in den unmittelbar nach dem Krieg ausgesprochenen Urteilsaufhebungen unbeachtet. Soweit die Gerichte in den letzten Jahren Todesurteile gegen Zeugen Jehovas wegen Wehrdienstverweigerung nach dem AufhG 1945 aufhoben, erwähnten sie praeter legem die individuelle politische Zweckklausel nicht, obwohl sie gerade in diesen Fällen problematisch war, weil die Täter nicht aus politischen, sondern religiösen Motiven handelten.

Die Streichung dieses verwirrenden und nicht mehr aktuellen Erfordernisses mag somit zwar wegen Nichtbeachtung in der Praxis als überflüssig erscheinen, sie ist aber um der korrekten Gesetzesanwendung willen geboten. Auch geht es in der Gegenwart vornehmlich um den Unrechtscharakter der im nationalsozialistischen Geist angewendeten Gesetze und Verurteilungen selbst, während das AufhG 1945 eher die persönlichen Auflehnungshandlungen gegen das NS-Herrschaftssystem im Sinne der wiedererstandenen Eigenstaatlichkeit Österreichs rehabilitieren wollte. Die gesonderte Prüfung der politischen Handlungstendenz nach § 1 lit a Satz 2 AufhG 1945 soll durch § 1 Abs 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs aufgehoben werden.

 

b) Zu § 2 Abs 1

Das AufhG 1945, die Ergänzungsverordnung 1945 und die BefrAmn sind sowohl hinsichtlich der Aufzählung der verurteilenden Gerichte als auch der von ihnen angewendeten Normen unvollständig. Um der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit willen muss über diese alten Gesetze hinaus für die erwünschte umfassende Regelung eine neue Rechtsgrundlage für weitere Urteilsaufhebungen ex tunc geschaffen werden.

Dabei sind zwei getrennte Systeme zu unterscheiden: Während das AufhG 1945 und die Ergänzungsverordnung 1945 bestimmte Gesetze mit typisch nationalsozialistischem Unrechtsgehalt direkt benennen (materielle Nichtigkeitslösung), erstreckt sich die BefrAmn nur auf die Urteile der deutschen Militär- und SS-Gerichte (prozessuale Nichtigkeitslösung). Bei letzterer ergibt sich das typische NS-Unrecht indirekt aus den Gesetzen, für deren Aburteilung die Gerichte zuständig waren. Ungerechtigkeiten durch die Ausgestaltung dieser Verfahren kommen hinzu.

aa) Prozessuale Lösung

Dieses System ist als das einfachere vorzuziehen, da es die Materie formal und umfassend bestimmt. Es ist nicht zu prüfen, inwieweit die angewendeten Gesetze tatsächlich NS-Unrecht enthielten und die Verfahren rechtsstaatliche Mängel aufwiesen. Das AnerkG 2005 schreibt der BefrAmn die Anwendung auf Sonder- und Standgerichte zu, die dort aber gar nicht enthalten sind. § 2 Abs 1 des vorgeschlagenen Gesetzes erfasst diese Gerichte darum ergänzend. Es nennt ferner den Volksgerichtshof und die Oberlandesgerichte, soweit ihnen politische Strafsachen überwiesen wurden, die der Zuständigkeit des Volksgerichtshofs unterlagen.

Der Volksgerichtshof und die sog. Sondergerichte waren verschiedene Spruchkörper mit je eigener Organisation und Zuständigkeit (vgl. näher die Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften v. 21.2.1940, RGBl I S. 405: § 5 Volksgerichtshof, § 6 Oberlandesgerichte, §§ 10 ff Sondergerichte). Eine eigene Erwähnung des Volksgerichtshofs und der Oberlandesgerichte sollte selbstverständlich sein (vgl. auch Lojowsky, Zuständigkeit des Volksgerichtshofes in Österreich, in: NS-Justiz und politische Verfolgung in Österreich 1038 – 1945, 2006, S. 13 ff und ebendort das Vorwort: auf deren Konto gehen in Österreich 833 Todesurteile). Auch das deutsche „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte (NS-AufhG) v. 31.8.1998, dtBGBl I 58/1998, (§ 2) erwähnt den Volksgerichtshof ausdrücklich. So sollte zB für die noch ausstehende Rehabilitierung der am 12.4.1943 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilten 13 Kärntner Slowenen und ihre zu hohen Zuchthausstrafen verurteilten 22 Helfer schon allein genügen, dass das Urteil durch den Volksgerichtshof unter Roland Freisler gefällt wurde (vgl. Jobst, NS-Widerstand – Patriotismus – Rehabilitierung, in: Kärntner Jahrbuch für Politik 2008, S. 1 ff, 9 ff).

Ferner werden in die Gesetzesvorlage auch Entscheidungen der Zivilgerichte einbezogen, soweit sie entweder als sog. Erbgesundheitsgerichte Zwangssterilisationen anordneten oder während der NS-Zeit wegen Homosexualität verurteilten.

Durch die Erwähnung der Erbgesundheitsgerichte wird das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (Erbgesundheitsgesetz) v. 14.7.1933 , RGBl I S. 529, idF v. 4.2.1936, RGBl I S. 119, das die Entstehung „lebensunwerten Lebens“ im Sinne der inhumanen rassistischen NS-Ideologie vorbeugend verhindern wollte, einbezogen. Zwar wurde in Österreich unmittelbar nach dem Krieg dieses Gesetz, das seit 1.1.1940 auch in der „Ostmark“ galt, aufgehoben (StGBl 17/1945), aber seine gerichtliche Anwendung wurde bis heute noch nicht juristisch beseitigt. Diese Gerichtsbeschlüsse haben „elementare Gedanken der Gerechtigkeit“ in ähnlicher Weise verletzt (vgl. etwa VfGH v. 25.6.1988, B 999/87-15; Anfragebeantwortung der Bundesjustizministerin v. 21.8.2006, 4404/AB XXII. GP; Majer, „Fremdvölkische“ im Dritten Reich (1981), S. 181 ff, 189 ff) wie die Vernichtung behinderter Personen durch behördliche Maßnahmen der sog. „Euthanasie“. Im vorerwähnten deutschen NS-AufhG 1998 kommt die Einbeziehung der Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte sogar im Gesetzestitel zum Ausdruck.

Die besondere Hervorhebung der von den Zivilgerichten während der NS-Zeit als rassehygienisch minderwertig verurteilten Homosexuellen soll dem schweren Leid Rechnung tragen, das diese infolge der Handhabung der allgemeinen Vorschriften durch die unverhältnismäßig hohe Bestrafung und die Schrecken des Strafvollzugs oder der Konzentrationslager bis hin zum Tode erdulden mussten (vgl. Pfanzelter, in: R. Steininger, Vergessene Opfer des Nationalsozialismus, 2000, S. 75 ff; Wahl, Verfolgung und Vermögensentzug Homosexueller auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit, 2004, S. 73 ff).

Daraus ergibt sich die Begrenzung auf die NS-Zeit, während die Homosexualität an sich sowohl vorher als auch nachher strafbar war. Die österreichischen Strafgerichte urteilten während dieser Periode nach §§ 129, 130 öStG. Es drohte Strafen nicht unter einem Jahr bis zu fünf Jahren schweren Kerker, in schweren Fällen bis zu 10 Jahren an (§ 130). Das StG rechnete auch die lesbische Liebe unter die „widernatürliche Unzucht“ (§ 129), die Verurteilungen von Frauen spielte jedoch praktisch keine Rolle.

Der vorliegende Entwurf folgt mit der Einbeziehung der Homosexuellen nicht nur einer mit Nachdruck vorgetragenen rechtspolitischen Forderung der Betroffenen, sondern auch dem deutschen Änderungsgesetz v. 23.7.2002, dtBGBl I 51/2002, zum NS-AufhG 1998, das die Verurteilungen nach §§ 175 und 175a dtStGB wegen Homosexualität (unter Männern) aufgenommen hat.

 

bb) Materiellrechtliche Lösung

Das AufhG 1945 und die Ergänzungsverordnung 1945 mit ihrer Aufzählung von 16 weiteren Gesetzen lassen weitere NS-Unrechtsgesetze zum Teil außer acht, wie sie sich zB in der Anlage zum bereits erwähnten deutschen NS-AufhG 1998 mit 59 Gesetzen und Verordnungen finden. Beide Aufzählungen sind nicht umfassend. Die österreichische Verordnung erwähnen nur 12 Titel der deutschen, während die deutsche 10 Titel der österreichischen nicht erwähnt. Um eine umfassende Lösung zu erreichen, sind entweder alle in Frage kommenden noch fehlenden Gesetze und Verordnungen in einer Anlage zu diesem beantragten NS-Aufhebungsgesetz zu verzeichnen oder sie sind durch eine Generalklausel zu beschreiben (vgl. etwa zur Aufzählung die Übersicht bei Schreiber, Die Strafgesetzgebung im „Dritten Reich“, in: Dreier/Sellert, Hrsg, Recht und Justiz im „Dritten Reich“, 1989, S. 151 ff, 166 ff; Wüllenweber, Sondergerichte im Dritten Reich, 1990, S. 24 ff; Hirsch/Majer/Meinck, Hrsg, Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus, 1984, S. 450 ff).

Von einer taxativen Aufzählung soll Abstand genommen werden, obwohl sie die höchste Rechtssicherheit bieten würde, weil sie nicht erschöpfend sein kann und die beiden Gesetze von 1945/46 mit der Ergänzungsverordnung 1945 ohnehin schon die wichtigsten von ihnen erfassen. Durch eine taxative Aufzählung könnte auch die missbräuchliche Anwendung an sich unpolitischer Tatbestände zu nationalsozialistischen Zwecken nicht erfasst werden, wie zB die Falschaussage nach dem StG in der oben bei der Analogie (2 b) erwähnten Grazer Entscheidung.

Die Generalklausel liegt dem AnerkG 2005 zu Grunde, die sie aber fälschlich den beiden alten Gesetzen zuschreibt. Eine Generalklausel hat schließlich den Vorteil, dass die Sache beim Namen genannt wird, um die es in diesem NS-Aufhebungsgesetz geht: um Gerichtsentscheidungen auf Grund von Gesetzen, welche zu politischen Zwecken die Menschenrechte in elementarer Weise missachteten.

Der vorliegende Entwurf präzisiert den vom AnerkG 2005 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriff „typisch nationalsozialistisches Unrecht“, denn was als „typisch nationalsozialistisch“ unerträglich und deshalb Unrecht sein soll, bleibt im AnerkG 2005 unklar. Bedeutet doch der nationalsozialistische Ursprung der Vorschriften allein noch nicht per se Unrecht.

Der Begriff des Unrechts wird durch die Worte „Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit“ ausgefüllt. Der Entwurf folgt damit der von Radbruch 1946 geprägten Klausel (sog. „Radbruchklausel“), die in der deutschen Rechtslehre und Rechtsprechung nach dem Krieg Fuß gefasst und auch bei der Bewältigung des DDR-Unrechts nach der „Wende“ Anwendung gefunden hat (s. näher Moos, Recht und Gerechtigkeit, in: Kohlhofer (Hrsg), Gewissensfreiheit und Militärdienst, 2000, S. 10 5 ff, 118 ff; derselbe, Das Anerkennungsgesetz 2005 und die Vergangenheitsbewältigung der NS-Militärjustiz in Österreich, JRP 2006, 182 ff, 184 jeweils mwN). Dieser Begriff war auch im Initiativantrag der Grünen v. 20.12.2002 über ein NS-Aufhebungsgesetz (Antrag 21/A, XXII. GP) enthalten.

Er entspricht dem im Verfassungsrang stehenden Rechts-Überleitungsgesetz v. 1.5.1945, StGBl 6/1945, wonach Verurteilungen, die in der Völkergemeinschaft und im Rechtsempfinden des österreichischen Volkes allgemein anerkannte Menschenrechte bzw die Menschenwürde in schwerwiegender Weise missachtet haben, keinen Bestand haben. Maßgeblich sind die wesentlichen Grundsätze der freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung. Denkbar wäre auch, diese längere Erklärung in das neue Gesetz aufzunehmen.

Zusätzlich zu dieser Klausel ist jedenfalls wie im deutschen NS-AufhG 1998 der Zweck der Verurteilungen nennen: „zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen“. Das AnerkG 2005 überlässt diese Zwecke dagegen der sehr allgemein gefassten, programmatischen politischen Anerkennungsklausel des Art. I § 2, obwohl sie eigentlich die Rechtsgrundlage der Urteilsaufhebungen selbst definiert und deshalb dorthin gehört.

Unabhängig von dieser Klausel kann davon ausgegangen werden, dass solche nach dem 13.3.1938 erlassenen Gesetze ohnehin durch das Rechts-Überleitungsgesetz § 1 Abs 1 aufgehoben wurden, sofern sie „mit dem Bestand eines freien und unabhängigen Staates Österreich oder mit den Grundsätzen einer echten Demokratie unvereinbar sind, die dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes widersprechen oder typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten“
(vgl Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, 6. Aufl., 1971, S. 59 ff; Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht. System, 1972, S. 33 ff).

Das AufhG 1945 und die Ergänzungsverordnung können als eine Ausfüllung dieses Verfassungsgesetzes verstanden werden.

c) Zu § 3 Abs 1

Der persönliche Geltungsumfang wird vom AnerkG 2005 auf Verurteilungen „gegen Österreicher“ begrenzt. Das entspricht § 1 AufhG 1945, der „Verurteilungen von österreichischen Staatsangehörigen, gleichgültig, ob innerhalb oder außerhalb der Republik Österreich“ erfasst. Die BefrAmn enthält keine ausdrückliche derartige Begrenzung. Sie betrifft gemäß § 7 Abs 2 schlechthin alle „Urteile der deutschen Militärgerichte und der SS-Gerichte . . ., gleichviel, ob sie innerhalb oder außerhalb der Republik Österreich gefällt worden sind“.

Sinngemäß und praktisch bezieht sich diese Amnestie aber wohl selbstverständlich nur auf Österreicher, die vom Joch der deutschen Annexion befreit worden sind. Insoweit enthält das AnerkG 2005 eine Klarstellung. Verurteilungen im Ausland werden in jedem Fall einbezogen. In § 3 Abs 1 werden entsprechende Ergänzungen zu der Erweiterung des Anwendungsbereichs nach § 2 eingefügt.

d) Zu § 3 Abs 2

Sowohl das AufhG 1945 als auch die BefrAmn erfassten nicht nur die dort genannten NS-Gesetze bzw militärstrafrechtlichen Delikte, sondern auch strafbare Handlungen nach dem allgemeinen Strafrecht (s. die MilStGerichtsordnung v. 29.9.1936, RGBl I, S. 751, § 1 und die Verordnung über die Einführung des Wehrmachtsstrafrechts im Lande Österreich v. 12.5.1938, RGBl I S, 517, § 2: die Militärgerichte hatten das österreichische Strafrecht anzuwenden). Diese beiden Gesetze schreiben darum vor, dass in jedem Einzelfall zu entscheiden ist, ob eine solche Mischverurteilung von militärischen und zivilen Delikten vorliegt. Nach dem AufhG 1945 (§§ 3, 4) bleibt hinsichtlich des allgemeinen Strafrechts der Schuldspruch bestehen und findet eine neue Hauptverhandlung statt. Nach der BefrAmn ist wegen solcher Handlungen erneut anzuklagen.

Die Problematik der Mischverurteilungen ist indes durch Zeitablauf seit 1945/46 weggefallen, weil alle solchen Delikte bis auf Mord verjährt sind und die Mordfälle, die insbesondere mit Desertionen verbunden sein können, zahlenmäßig äußerst gering und entweder bereits abgeurteilt oder, soweit noch unbekannt und die Täter noch am Leben sind, beweismäßig so wenig mehr erforschbar sind, dass auf eine erneute Verurteilung verzichtet werden kann und muss (vgl. Geldmacher, in: Manoschek, Opfer der NS-Militärjustiz, 2003, 133 ff, 153: 0,39% der ermittelten Fahnenflüchtigen wendeten überhaupt Gewalt an, 0,15% begingen Morde).

Auch sind bei Mord ohnehin keine Anträge auf Rehabilitierung zu erwarten. Die Frage der Mischverurteilungen hat bei der Debatte um eine Rehabilitation der Deserteure zu Unrecht eine große Rolle gespielt. Eine gesetzliche Aufhebung des obsolet gewordenen, schwierigen Verfahrens bei Mischverurteilungen, das überdies den erwünschten pauschalen Urteilsaufhebungen entgegensteht, ist darum angebracht. Gem. § 3 Abs 2 des vorliegenden Gesetzesantrags sind die entsprechenden Vorschriften in den beiden Gesetzen von 1945/46, die das AnerkG 2005 noch aufrechterhält, hinfällig. Insoweit tritt für solche Morde eine spezielle Verfolgungsverjährung ein.

 

 

e) Zu § 4

Auch bei der pauschalen Aufhebungswirkung müssen die Betroffenen bzw ihre Hinterbliebenen das Recht haben, durch eine staatliche Stelle deklaratorisch feststellen zu lassen, dass in ihrem Falle eine unmittelbare Urteilsaufhebung (ex lege) nach einem der Gesetze von 1945/46 bzw dem jetzt ergänzend zu beschließenden ergänzenden NS-Aufhebungsgesetz stattgefunden hat. Es handelt sich um eine Bescheinigung, dass kraft Gesetzes die Rehabilitation erfolgt ist.

Soweit eine Verurteilung nicht unter das AufhG 1945, ihre Ergänzungsverordnung oder die BefrAmn fällt, hat das Gericht zu prüfen, ob die damalige Urteilsgrundlage als typisches NS-Unrechtsgesetz iS des § 2 Abs 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs anzusehen ist. Diese Entscheidung ist abstrakter Natur. Die Anwendung auf den Einzelfall erfolgt wiederum pauschal ex lege und mit Wirkung ex tunc.

Beim Begriff der „Hinterbliebenen“ handelt es sich, wie in § 6 Abs 1 des deutschen NS-AufhG 1998 erläutert wird, um die Verwandten und Verschwägerten gerader Linie, die Geschwister, die Ehegatten und Verlobten. Die Betroffenen haben ein persönliches Interesse an der Feststellung der Rehabilitierung ihrer eigenen Person bzw ihrer Angehörigen. Das AnerkG 2005 lässt jedoch die Betroffenen über ihr Recht zur Antragstellung leider im Unklaren und ist insoweit ergänzungsbedürftig.

Das AnerkG 2004 schließt nur die obligatorische amtswegige Wahrnehmung durch die Staatsanwaltschaft aus und entscheidet damit die Zweifelsfrage, ob die alten Gesetze in diesem Sinne zu verstehen sind. Nach wie vor soll aber eine fakultative amtswegige Prüfung nach Ermessen der Staatsanwaltschaft („kann“) möglich sein. Das AnerkG 2005 schließt sie nicht aus. Dazu ist an Fälle zu denken, bei der die Feststellung des Unrechts im besonderen öffentlichen Interesse liegt, wie etwa bei besonders clamorosen Fällen (Taten oder Personen) und Schwierigkeiten bei der Antragstellung der Hinterbliebenen oder wünschenswerten grundsätzlichen Klärungen.

Bei einem Antrag der Betroffenen muss die Staatsanwaltschaft wie nach den alten Gesetzen gehört werden.

Die gerichtliche Beschlussfassung  ist beizubehalten (§ 35 Abs 2, §§ 86 ff nF StPO). Die Zuständigkeit soll in allen Fällen zentral beim Landesgericht Wien gegeben sein, das durch einen Einzelrichter entscheidet (§ 31 Abs 4 Z 3 nF StPO). Die jetzige Zersplitterung auf die Wohnortgerichte ist untunlich, denn diese sind mit der Materie nicht vertraut. Auch herrscht Unklarheit, ob ein Einzelrichter oder ein Dreirichtersenat tätig zu werden hat (das LG Graz nahm letzteres an, das LG Wien ersteres). Das Wiener Gericht wird durch die geringe Anzahl der zu erwartenden Anträge nicht überlastet sein.

f) Zu § 5

Wie schon oben ausgeführt wurde, wird die undifferenzierte Aufzählung von NS-Gegnern und Kriegsopfern in § 2 AnerkG 2005 den Verurteilten nicht hinreichend gerecht. Das Ansehen der Verurteilten ist beschädigt, das der Kriegsopfer nicht. Darum wird im vorgeschlagenen NS-Aufhebungsgesetz in einer eigenen Bestimmung die besondere Anerkennung für das erlittene Unrecht ausgesprochen. Hierin liegt der eigentliche Schwerpunkt dieses Gesetzes. Dabei stehen neben den Widerstandskämpfern (wie zB Robert Bernadis, dessen Denkmal in der Heeresunteroffizierskaserne in Enns 2004 vom Bundespräsidenten mit ehrenden Worten enthüllt wurde), die Wehrdienstverweigerer (wie zB die Zeugen Jehovas oder Franz Jägerstätter, dessen Handeln allgemein und 2007 durch seine Seligsprechung Anerkennung gefunden hat) und die Deserteure (wie zB Richard Wadani, der 2007 durch den Bundespräsidenten mit dem Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs geehrt wurde, vgl. zur Gesamtentwicklung Metzler, Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich, 2007, S. 60 ff) im Vordergrund.

Die ausdrückliche Nennung dieser drei Personenkreise, die sich der Teilnahme am Krieg Hitlers entzogen, verdient eine besondere Würdigung durch die Volksvertretung. Damit soll insbesondere Tendenzen entgegengetreten werden, diese Personen als „ehrlose Feiglinge“ zu brandmarken, wodurch die NS-Ideologie trotz des als verbrecherisch erkannten Krieges weiter aufrechterhalten wird. Die zusätzliche Erwähnung der Zwangssterilisierten und Homosexuellen ergibt sich aus deren – oben dargelegten – besonderen Betroffenheit.

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss vorgeschlagen sowie die Durchführung einer ersten Lesung innerhalb von drei Monaten verlangt.