790/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 23.09.2009
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Entschließungsantrag

 

 

der Abgeordneten Carmen Gartelgruber
und weiterer Abgeordneter

betreffend die Bekämpfung der Frauenarmut in Österreich:

 

Die Familienstrukturen haben sich in den EU-Ländern und somit auch in Österreich in den vergangenen 20 Jahren tiefgreifend verändert. Die Zahl der Mehr-Generationen-Haushalte sinkt, während die Zahl der Scheidungen und der Alleinerziehenden steigt. Dadurch werden innerfamiliäre Unterstützungsstrukturen, die bisher präventiv gegen ein Abrutschen in die Armut gewirkt haben, geschwächt. Da sich gleichzeitig die Verteilung von unbezahlter Arbeit und Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen nicht entscheidend verändert, sind Frauen vom Wegfallen familiärer Unterstützung meist stärker betroffen als Männer. 571.000 Frauen oder 14 Prozent der Österreicherinnen leben laut jüngstem Sozialbericht unter der Armutsgrenze. Das bedeutet, diese Frauen müssen mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter Euro 785, – monatlich ihr Auslangen finden. Diese Tendenz ist steigend. Damit müssen etwa 100.000 mehr Frauen als Männer mit einem Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle auskommen. Armut ist damit zu einem überproportionalen Maß weiblich.

Insbesondere die Zahl der Alleinerziehenden hat zwischen 1998 und 2008 insgesamt um rund 7,6 Prozent zugenommen. Mit einem Anteil von knapp 85 Prozent sind es aber immer noch vorwiegend Mütter, die ihre Kinder ohne Partner großziehen müssen, 251.100 Frauen stehen nur 44.600 Männer gegenüber. Ähnlich das Verhältnis bei den Kindern: 408.100 Kinder leben in Ein-Eltern-Haushalten, davon 348.900 bei ihren Müttern, 59.200 bei den Vätern, wie die Statistik Austria feststellt. Die meisten Alleinerziehenden (70 Prozent) haben nur ein Kind, immerhin rund 24 Prozent müssen sich um zwei Kinder kümmern. Die durchschnittliche Kinderzahl von Alleinerziehenden ist 1,38 und damit höher als der Durchschnitt aller Familienformen gemeinsam, wo der Wert bei 1,02 liegt. Etwa 42.300 Alleinerziehende haben Kleinkinder bis fünf Jahre, das jüngste Kind ist bei der Hälfte der Alleinerziehenden aber schon volljährig.

Die größte Gruppe der Alleinerziehenden stellen die über 55-Jährigen (32 Prozent) dar, die meisten alleinerziehenden Mütter, knapp ein Viertel, sind allerdings zwischen 35 und 44 Jahre alt. Eine Scheidung war im Vorjahr mit rund 38 Prozent der häufigste Grund, warum Mütter oder Väter ihre Kinder ohne Partner erziehen mussten. Rund 27 Prozent der Alleinerziehenden waren verwitwet, knapp 24 Prozent ledig.

Ein-Eltern-Haushalte sind mit 32 Prozent überdurchschnittlich armutsgefährdet. Etwa 108.000 Alleinerziehende in Österreich sind damit armutsgefährdet, rund 49.000 davon sind bereits manifest arm. Alleinerziehende haben gegenüber der Restbevölkerung ein dreifach erhöhtes Armutsrisiko und sind in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern auch übermäßig von Armut betroffen. In den nordischen Ländern hingegen haben Alleinerziehende ein geringeres Armutsrisiko als kinderlose Singles, was einerseits das Resultat gezielter Transfers und andererseits die Folge eines umfassenden Betreuungsangebots ist, das auch Alleinerziehende in die Lage versetzt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

In Bezug auf die Unterschiede zwischen den Haushaltseinkommen innerhalb der Staaten liegt Österreich auf Platz vier und damit unter dem OECD-Schnitt. Nur Dänemark, Schweden und Luxemburg wiesen eine geringere Einkommensungleichheit auf. Abgesehen von Frankreich, Spanien, Irland, Griechenland und der Türkei hat die Einkommensungleichheit zwischen 1985 und 2005 jedoch allgemein zugenommen.

Nach der EU-SILC Studie von 2006 gilt als armutsgefährdet, wer über ein Einkommen von höchstens 893 Euro pro Monat verfügt. Als "manifest arm" gilt laut Statistik Austria, wer einerseits ein geringes Einkommen hat und andererseits mit bedrückenden Lebensbedingungen konfrontiert ist. Betroffene können beispielsweise abgetragene Kleidung nicht ersetzen, die Wohnung nicht angemessen warm halten und keine unerwarteten Ausgaben tätigen. Armut ist in erster Linie ein Ergebnis kumulierter äußerer (Lebens)umstände, für die man zum Teil nicht selbstverantwortlich ist oder sein kann. Die Ursachen von Armut sind unterschiedlichster Herkunft.

Ein wesentliches Problem stellt die Schlechterstellung von Frauen bei der Erzielung von Erwerbseinkommen dar. Eine der Ursachen dafür liegt in einer zur Entgeltfestsetzung vorgenommenen Arbeitsbewertung, die sich aber in erster Linie an männlicher Arbeitsleistung orientiert. Die Tätigkeiten bzw. das Arbeitsumfeld innerhalb eines Betriebes oder einer Branche sollten unabhängig von der ausführenden Person bewertend verglichen werden. Anforderungen und Belastungen der Tätigkeiten gelten als Basis für die Höhe der Bezahlung. Doch noch immer werden Arbeiten, die Frauen verrichten, als weniger belastend und daher auch als niedriger zu entlohnen eingestuft. So sind in manchen Arbeitsbewertungsverfahren Anforderungen, die hauptsächlich an weibliche Tätigkeiten gebunden sind (wie Konzentrationsanforderungen, enorme Geschicklichkeit, repetive und monotone Aufgaben etc.) von der Beurteilung und Bewertung überhaupt ausgeschlossen. Zudem hat über ein Drittel der Frauen im Erwerbsalter keinen über die Hauptschule hinausgehenden schulischen oder ausbildungsmäßigen Abschluss. Unzureichende Ausbildung bzw. mangelnde Qualifikationen reduzieren die Einstiegschancen am Arbeitsmarkt sehr deutlich.

Neue Frauenarbeitsplätze sind auch in den vergangenen Jahren überwiegend im Handel, Unterricht und Erziehung, im Gesundheits- und Sozialwesen, freiberuflichen wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, den Bereichen Kunst, Unterhaltung, Erholung sowie Finanz und Versicherung als auch im öffentlichen Dienst entstanden. Rückläufig hingegen ist die Frauenbeschäftigung in der Produktion und im Fremdenverkehr. Ein großer Teil dieses Zuwachses ist auf die Schaffung von Teilzeitstellen und auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen. Seit Jahren ist es Mode, bestehende Arbeitsplätze sukzessive zu auf mehrere Köpfe umzuverteilen. Vordergründig entsteht dadurch mehr Erwerbsarbeit für Frauen. Allerdings handelt sich dabei durchwegs um Beschäftigungsverhältnisse, die bloß eine minimale und damit keine ausreichende sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung bieten und deren Löhne und Gehälter ein eigenständiges wirtschaftliches Überleben kaum erlauben.

Resultat dieser Positionierung im Erwerbsarbeitsmarkt sind im Vergleich zu männlichen Arbeitskollegen geringere Erwerbseinkommen. Geringe Erwerbseinkommen ziehen geringe Sozialversicherungsleistungen nach sich: Frauen bekommen damit u.a. geringere Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung oder der Pensionsversicherung als Männer. Für viele Frauen wird damit auch die Altersvorsorge zu einem Problem, d.h., dass die Altersvorsorge für sie oft als nicht gesichert gilt, bzw. erst durch eine Partnerschaft/Heirat ermöglicht wird. Andere Sozialleistungen, wie Notstandshilfe oder Sozialhilfe knüpfen an das Familieneinkommen an  und führen zu Abhängigkeiten vieler Frauen von ihren Partnern bzw. zu schwierigen Lebenssituationen nach Scheidungen. So sind 90 Prozent der Personen, denen die Notstandshilfe wegen der Anrechnung des Partnereinkommens gestrichen wird, Frauen. Wenn es am Arbeitsmarkt zu Krisensituationen kommt, sind es wiederum Frauen, die zuerst davon betroffen sind. Es sind ihre Arbeitsplätze die zuerst abgebaut werden.

Sind schon für Mütter in Partnerschaften die Erwerbsmöglichkeiten erschwert, ist es für Alleinerzieherinnen doppelt so schwer, am Arbeitsmarkt unterzukommen. Dies liegt häufig weniger am Stellenangebot selbst, sondern auch an den Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Sind keine Verwandten oder Freunde zu Hilfe, können alleinerziehende Mütter je nach Kindesalter oft nur Teilzeitverhältnisse eingehen. Bei Einkommensausfällen z.B. aufgrund von Arbeitslosigkeit können Alleinerzieherinnen je nach Vorgeschichte in den meisten Fällen nicht auf die Hilfe ihrer Ex-Partner zählen.

Eine alleinige Fixierung  auf Fragen des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktpolitik ist im Zusammenhang mit der Geschlechtergerechtigkeit in der sozialpolitischen Auseinandersetzung und im Zusammenhang mit Armut überhaupt aber zu wenig: Abgesehen von den Problemen des Arbeitsmarktes und der Ausbildung bestehen nämlich auch strukturelle Probleme im Bereich des österreichischen Sozialsystems, die es Frauen, und dabei wiederum vor allem Alleinerzieherinnen, die sich vorrangig der Familienarbeit widmen wollen, gar nicht ermöglichen, diesen Wunsch umzusetzen: eine echte Wahlfreiheit fehlt. Der Glaube, Arbeitsmarktbeteiligung sei allein eine hinreichende Absicherung gegen Armut, ist ebenso eine Fehleinschätzung, wie die zwanghafte Vorstellung, dass erziehende Elternteile erwerbstätig sein müssen, auch, wenn sie das nicht wollen. Umfassendere Herangehensweisen an das Thema Armut, zum Beispiel eine Interpretation von Armut als Ungleichverteilung wirtschaftlicher und sozialer Rechte, ungleicher Ressourcen, Ungleichheiten im Zugang und in der Nutzung von Dienstleistungen etc., haben bisher keine angemessene Beachtung in der politischen Diskussion gefunden. Wenn die gesellschaftliche Realität aber keine Alternative mehr zum Modell der Doppelverdiener-Familie zulässt, bei der die Kleinsten frühzeitig außerfamiliär betreut werden müssen, lässt sich schlechterdings nicht von Wahlfreiheit der Eltern sprechen.

Täglich hören und lesen die Österreicher, was die Wirtschaft von ihnen fordert: Flexibilität und Mobilität, auf keinen Fall längere Auszeiten durch Erziehungs− und Familienarbeit. Dann seien sie für die Wirtschaft nicht mehr interessant und es schade der ganzen Gesellschaft. Die öffentlichen Diskussionen und die damit verbundene negative Einstellung zur Familie und die fehlende Bewertung der Familienarbeit in unserer Gesellschaft sind wesentliche Gründe dafür, dass die Entscheidung zu Ehe und Familie schwer fällt.

Was Familien brauchen, ist Verlässlichkeit und Sicherheit, sowohl im Hinblick auf eine gesicherte berufliche Position als auch in finanzieller Hinsicht. Sie brauchen Zeit für ihre Kinder, ebenso die gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung der Erziehungsleistung und Familienarbeit. Was Familien brauchen ist echte Wahlfreiheit, sie sollen selbst über die Art des Zusammenlebens ihrer Familie entscheiden. Der Staat kann und darf Familien nicht vorschreiben, was „modern“ ist. Dies trifft für die klassische, organisch gewachsene Familie ebenso zu, wie für „Patchwork“-Familien oder eben Alleinerziehende.

Ein erweitertes, qualifiziertes Angebot an Betreuungsplätzen ist sicher notwendig, reicht aber bei weitem nicht. Kleinkinder benötigen eine feste Bezugsperson, damit sie später eine psychische Stabilität erlangen können. Heranwachsende Kinder sollen möglichst stark von der eigenen Familie geprägt werden. Dauerhafte Verlagerung auf austauschbare, fremde Bezugspersonen kann die Entwicklung der Kinder erheblich negativ beeinflussen. Private und staatliche Institutionen wie Kinderkrippen, Kindertagesheime und Horte haben eine große Bedeutung für die Sozialisierung der Kinder, können und sollen aber die Fürsorge in der Familie nicht ersetzen, nur ergänzen. Eltern wissen am besten, was gut für das jeweilige Kind und die einzelne Familie ist. Deshalb plädieren wir für echte Wahlfreiheit ohne finanziellen oder ideologischen Druck in eine Richtung. Die Familiensituationen sind so unterschiedlich, die Kinder sind so einzigartig: es kann nicht nur eine richtige Lösung geben! Wir wehren uns gegen verallgemeinernde Unterstellungen, Familien seien nicht in der Lage, ihren Kindern Bindung und Bildung zu vermitteln

Die Gründe für Frauenarmut sind also vielfältig und reichen von schlechteren Bildungsmöglichkeiten über erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt, unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Pflegezuständigkeit für kranke Familienangehörige bis hin zu psychischer und physischer Krankheit. Erfahrungen des Mangels (kein Geld zum Heizen, keine Schulausflüge für die Kinder, keine Möglichkeiten der kulturellen und politischen Partizipation) und der Beschämung gehören zum Alltag der Betroffenen.

Mit der Anhebung der Mindestpension, den Mehrarbeitszuschlägen für Teilzeitbeschäftigte, der Einführung des Mindestlohns, dem Familienpaket und der im Herbst beschlossenen 13. Familienbeihilfe sowie der Absenkung beziehungsweise Abschaffung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für kleine Einkommen im vergangenen Sommer wurden hier bereits wichtige Schritte gesetzt, allerdings sind weitere nötig, um eine nachhaltige Verbesserung der Situation zu bewirken.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung, insbesondere die Frau Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst im Zusammenwirken mit dem Bundesminister für Finanzen, dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend und dem Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Frauenarmut vorzulegen, dass insbesondere folgende Maßnahmen enthalten soll:

 

1.      den weiteren Ausbau der Frauen- und Mädchenberatungsstellen für von Armut bedrohte Frauen;

2.      eine Überarbeitung und Zwischenbilanz des Nationalen Aktionsplans zur Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt;

3.      die Sicherstellung einer echten Wahlfreiheit und Förderung der innerfamiliären Kinderbetreuung unter besonderer Berücksichtigung von Alleinerziehenden;

4.      ausreichende soziale Dienstleistungen, sowie Maßnahmen im Bereich der Fortbildung, der Gesundheitsvorsorge, und der Mobilität für Alleinerziehende;

5.      Bildungsmaßnahmen, die Handlungskompetenzen stärken, also über rein fachliche Qualifizierung  hinausgehen;

6.      Maßnahmen im Zivilrechtsbereich, zur Entlastung von Alleinerziehenden, die nach dem Ende einer Ehe/ Partnerschaft mit finanziellen Belastungen aus der Zeit dieser Ehe/Partnerschaft konfrontiert sind.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird um die Zuweisung an den Gleichbehandlungsausschuss ersucht.