4564/AB XXIV. GP

Eingelangt am 23.04.2010
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

 

 

 

Alois Stöger diplô

Bundesminister

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Maga. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

 

 

Wien, am  20

GZ: BMG-11001/0053-I/5/2010

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 4601/J der Abgeordneten Dr. Belakowitsch-Jenewein und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 


Frage 1:

Die Statistik wird in 5-Jahres-Altersklassen geführt, weshalb hier Suizide von Jugendlichen bis 19 Jahre dargestellt sind. 

Anzahl der Suizide bei 10 bis 19-Jährigen in Österreich im Jahresvergleich (für 2009 sind noch keine Daten verfügbar):

 

Quelle: Statistik Austria; GÖG/ÖBIG-eigene Berechnung

Bei unter Zehnjährigen wurden in diesem Zeitraum in Österreich keine Suizide verzeichnet.

 

Fragen 2 und 4:

Ich verweise dazu auf die beiliegenden Tabellen.

Für den Vergleich wurde die WHO Region „Europa“ herangezogen. Die österreichische Suizidrate (gelb) bei Jugendlichen liegt aktuell (2008) im europäischen Mittelfeld.

Die hohe Reihung Österreichs im häufig zitierten OECD-Bericht „Doing Better for Children“ ergibt sich daraus, dass dort einerseits die OECD-Länder weltweit verglichen wurden (d. h., es sind Länder mit extrem niedrigen Suizidraten enthalten, und teilweise sind Länder mit hohen Suizidraten nicht enthalten, da sie keine OECD-Länder sind) und andererseits für Österreich die Zahlen von 2007 aufscheinen (die im Vergleich zu 2006 und 2008 höher waren).

In jedem Fall ist auf die grundsätzliche Problematik von weltweiten Vergleichen hinzuweisen, bei denen Unterschiede in der Datenerhebung nicht ausgeschlossen werden können. Auch wird der Suizid in manchen Ländern aus kulturellen oder religiösen Gründen tabuisiert und in der Folge offiziell als Unfall geführt.

 

Frage 3:

Anzahl der Suizide bei 15 bis 29-Jährigen in Österreich im Jahresvergleich  (für 2009 sind noch keine Daten verfügbar):

 

Quelle: Statistik Austria; GÖG/ÖBIG-eigene Berechnung


 

Fragen 5 und 6:

Die Dunkelziffer für Suizidversuche im Jugendlichenalter wird in der Literatur unterschiedlich hoch angegeben. Knölker et al. 2007 spricht von einem Verhältnis von 40 Suizidversuchen auf einen Suizid, wobei weibliche Jugendliche 3-9-mal häufiger Suizidversuche begehen als männliche Jugendliche. Friedmann et al. 1987 gehen in ihrer Studie davon aus, dass 9% aller Adoleszenten in den USA mindestens einmal einen Suizidversuch begehen.

 

Im Bundesland Tirol wurde allerdings im Jahre 2005 eine Untersuchung in der

5. Klasse Gymnasium bzgl. selbstschädigender Handlungen durchgeführt, die tlw. andere Ergebnisse zeigt.  Aus dieser Studie ging hervor, dass ca. 18% der Mädchen und 8% der männlichen Jugendlichen Selbstschädigende Handlungen an sich durchgeführt haben. Ein Grund für diese Differenz könnte ein regional spezifischer Unterschied sein. Darüberhinaus können Selbstschädigungen auch ohne Suizidabsicht gesetzt werden.

 

In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen muss man tatsächlich von Schätzungen ausgehen, es wird aber festgehalten, dass sich hier das Verhältnis nicht anders darstellen wird.

 

Frage 7:

Grundsätzlich ist – wie bereits zu den Fragen 2 und 4 ausgeführt – zu betonen, dass internationale Zahlen durch die grundlegend unterschiedlichen Erhebungsinstrumente schwer vergleichbar sind.

 

Die Ursachen / Risikofaktoren für Suizidversuche und Suizid im Kindes- und Jugendalter sind in der internationalen Literatur gut belegt und betreffen die Bereiche:

 

Psychische Grunderkrankung: Depression, Alkohol-, Nikotin-, Drogensucht, vorangegangene Suizidversuche

Familie: fehlender Elternteil, broken-home families, psychische Erkrankung eines Elternteils (Alkoholmissbrauch, Drogensucht, Depression, Suizidversuche, Suizid)

Trauma: Misshandlung, sexueller Missbrauch

Life Events: schlechte Schulleistungen, Konflikte in der Schule, am Arbeitsplatz, mit den Eltern, Beenden einer Partnerschaft, Arbeitslosigkeit

Geschlecht: Suizide bei männlichen Jugendlichen 5-mal höher

Gesellschaft: Modelllerneffekt ,gesellschaftliche und historische Faktoren,

Medien (Werther Effekt), Verfügbarkeit der Mittel (z.B. Waffen)



Fragen 8 und 9:

Der in meinem Ressort etablierte Beirat für psychische Gesundheit arbeitete  im November 2009 eine nationale Strategie zur psychischen Gesundheit aus, welche auf der Homepage des BMG veröffentlicht ist.

http://www.bmg.gv.at/cms/site/attachments/9/1/4/CH0961/CMS1262851509545/nationale_strategie_zur_psychischen_gesundheit_-_fuer_homepage-veroeffentlichung.pdf

 

Vor allem die Punkte „2. Geeignete Angebote für vulnerable Lebensphasen fördern“

und „3. Psychische Gesundheitsprobleme und Suizid verhüten“ behandeln die

angesprochene Problematik.

Darin sind zentrale Aspekte einer Strategie dargestellt, die in einem nächsten Schritt konkretisiert werden sollen:

Generalprävention

Die Summe verschiedener Risikofaktoren z.B. extrem hohe Leistungsanforderungen, sich auflösende Familienstrukturen (working, poor, single-parent families etc.), die damit verbundenen Erziehungsdefizite sowie fehlende Resilienzfaktoren und sozialer Stress in der Schule (Mobbing, Gewalt; siehe UNICEF Innocenti Research Report 7 / 2007) zusätzlich zu persönlichen/familiären Faktoren (s.o.) machen das Risiko der Suizidalitätsentstehung aus. Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung/Elternschaft, Verbesserung des Schulklimas insbesondere Konfliktmanagement und zur Mobbingprävention sind dringend nötig.

Spezialprävention

Im Sinne der Suizidprävention bei Kindern- und Jugendlichen gilt es psychische Erkrankungen, allen voran Depression und Suchterkrankungen, frühzeitig zu erkennen und geeignete Behandlungsmöglichkeiten niederschwellig anzubieten. Eine große Herausforderung stellen dabei die männlichen Jugendlichen dar, welche im Vergleich zu den Mädchen eine um das 5-fach erhöhte Suizidhäufigkeit aufweisen und nur in den seltensten Fällen psychiatrisch vorbehandelt wurden. Im Vergleich zu den Mädchen mit selbstverletzendem Verhalten, die sehr rasch an Facheinrichtungen überwiesen werden, gelingt es weniger gut jungen Männern in Lebenskrisen gerecht zu werden und ihnen gegenüber eine Empfehlung zur Diagnostik und Therapie auszusprechen. Diese Verteilung zeigt sich in allen Ländern, die in der OECD Studie erfasst wurden.

Spezielle Präventionsprogramme sollen für Kinder- und Jugendliche angeboten werden, in deren Familie eine nahe Bezugsperson von Suizid betroffen ist, da nach dem Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung der Modelllerneffekt der zweitgrößte Risikofaktor ist.


 

Kriseninterventionszentren für Kinder und Jugendliche in Lebenskrisen sollen ein niederschwelliges Angebot mit flexiblen, an die Jugendlichen angepassten Öffnungszeiten bieten. Im Rahmen von Schülersuiziden sollen  in Schulen Interventionen stattfinden, die verhindern, dass Folgesuizide und Selbstmordversuche stattfinden. Auch sollte eine konsequente Strategie bezüglich der Medienberichterstattung verfolgt werden, nämlich nicht über Schülersuizide in den Medien zu berichten. Diese Strategie zeigte großen Erfolg bei der Prävention von U-Bahn Suiziden in Wien.

 

Ein weiteres diesbezügliches Projekt in meinem Ressort ist der von mir gestartete „Kindergesundheitsdialog 2010“. In einer darin etablierten Arbeitsgruppe ist die Erarbeitung von Strategien im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Defiziten im psychosozialen Bereich Mittelpunkt der Überlegungen.

 

 

Frage 10:

In Tirol läuft seit 01.01.2009 das FB7 EU-Projekt „Saving and Empowering Young Lifes in Europe” (SEYLE). Im Rahmen dieses Programms  werden 4 verschiedene Präventionsstrategien bei Jugendlichen in der Altersgruppe von 14-17 Jahren in Mittelschulen untersucht. Im Rahmen dieser Studie werden auch 3 große Erhebungen durchgeführt, die verschiedenste Aspekte des Lebens Jugendlicher dieser Altersgruppe erheben. Ziel soll sein,  eine kulturspezifische Strategie bei der Prävention Selbstschädigenden Verhaltens bzw. Hochrisikoverhaltens anbieten zu können.

 

Auf EU bzw. WHO Ebene wird  die Suizidproblematik  in diversen Fachgremien laufend thematisiert.

Grundlage bildet der „Europäische  Aktionsplan für psychische Gesundheit“ (Gesundheitsminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Region der WHO, Helsinki, 12.-15. Januar 2005) und dem „European Pact for Mental Health and Well-being“ (EU High-Level Conference, Brüssel. 12.-13. Juni 2008), der als eine wichtige Säule „Mental Health in Youth and Education“ beinhaltet.