6301/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.11.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0227-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 6406/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Ewald Stadler, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Fußfesseln in der Praxis“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Im System „E3“ der Firma Elmo-Tech erfolgt die Überwachung der Anwesenheit in der Unterkunft innerhalb der festgelegten obligatorischen Anwesenheitszeiten mit Radiofrequenz(RF)-Technologie. Die überwachte Person hat – in der Regel am Fußgelenk – einen Sender zu tragen, der während der Anwesenheit in der Unterkunft mit einer dort befindlichen Monitoring-Einheit kommuniziert (Anwesenheitsmeldung). Der Sender meldet auch Manipulationsversuche. Die Daten werden in der Monitoring-Einheit gespeichert und der Überwachungszentrale per Telefon- oder Mobilfunknetz übermittelt. Der 52 g leichte Sender ist resistent gegenüber Sturz, Erschütterung, Vibration, Nässe, Hitze und Kälte und wird über eine Batterie mit Strom versorgt, die eine Lebensdauer von bis zu drei Jahren hat.

Die Monitoring-Einheit wiegt 1,2 kg. Die Stromversorgung der Monitoring-Einheit erfolgt über das Netz, Stromausfälle werden über einen eingebauten Akku überbrückt. Die Monitoring-Einheit meldet, wenn sie bewegt oder vom Stromkreis getrennt oder geöffnet wurde, ebenso Ausfälle im Telefonnetz. Die Reichweite der Monitoring-Einheit kann in vier Stufen geregelt werden. Die maximale Reichweite liegt bei einem Radius von 80 Metern im Freien. Mit Zusatzgeräten (Signalverstärkern) kann diese Reichweite vergrößert werden. Im Inneren von Gebäuden vermindert sich die Reichweite abhängig von der jeweiligen Bausubstanz.

Zu 2:

Die Einführung des Systems hat abgesehen von Schulungskosten Einmalkosten von 200.000 Euro verursacht, die sich kalkulatorisch über die Vertragsdauer und die in Gebrauch stehenden Einheiten verteilen. Bezogen auf die ersten hundert Einheiten kostet eine einzelne Einheit im Jahr 1.168 Euro. Je mehr Einheiten angeschafft werden, desto niedriger ist der Anschaffungspreis pro Einheit.

Zu 3:

Nach Herstellerangaben wird das System „E3“ in unterschiedlichen Konfigurationen in Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg, in der Schweiz, in Deutschland, in den Niederlanden, in Dänemark, Schweden, Estland und Russland eingesetzt, weiters in Israel, den USA, Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Argentinien, Singapur, Australien und Neuseeland.

Zu 4:

Es handelt sich um eine seit Jahren bewährte Technologie, mit der die Anwender nach den mir vorliegenden Informationen (aus Spanien, Frankreich und Deutschland) sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Einen besonders intensiven Erfahrungsaustausch hat es mit Vertretern des deutschen Bundeslandes Hessen gegeben, wo das System bereits seit zehn Jahren sehr erfolgreich verwendet wird.

Zu 5 und 6:

Zum Stichtag der Anfrage sind in der Überwachung der bis dahin im elektronisch überwachten Hausarrest befindlichen zwei Personen keine Fehler aufgetreten.

Zu 7 bis 10:

Es haben sich keine heimischen Hersteller, lediglich international tätige Unternehmen mit österreichischen Niederlassungen an der Ausschreibung beteiligt. Darüber hinaus darf ich auf meine ausführliche Beantwortung der Anfrage zur Zl.  5797/AB XXIV. GP vom 20. August 2010 hinweisen.

Zu 11:

Nein.

Zu 12 bis 15:

Die Vorschriften über den elektronisch überwachten Hausarrest sind mit 1. September 2010 in Kraft getreten und waren somit beim Stichtag der Anfrage (22. September 1010) erst drei Wochen in Geltung.

Beim Stichtag der Anfrage waren die meisten Anträge der Natur der Sache nach noch in der Erhebungs-, Verbesserungs- und Entscheidungsphase. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Entscheidung umfangreiche Erhebungen (u.a. Befassung des Vereins Neustart) vorauszugehen haben. Bis zum Stichtag der Anfrage wurden laut der mir vorliegenden Berichte der Oberstaatsanwaltschaften Wien, Graz, Linz und Innsbruck insgesamt 27 Anträge betreffend die Verbüßung von Untersuchungshaft im elektronisch überwachten Hausarrest eingebracht.

Von den ca. 160 eingelangten Anträgen auf Vollzug der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests wurden bis zum Stichtag zwei positiv und zwei weitere erstinstanzlich negativ entschieden. Dabei wurde eine der beiden negativen Entscheidungen damit begründet, dass die Strafzeit zwölf Monate überstieg (vgl. zu den Grundvoraussetzungen der Antragsbewilligung § 156c Abs. 1 StVG).

Aussagekräftige Schlussfolgerungen bezüglich der Anwendung der Bestimmungen in der Praxis sind derzeit aufgrund der geringen Zahl bereits getroffener Entscheidungen noch nicht möglich.

Grundsätzlich lassen aber die Materialien zur gegenständlichen Novelle keinen Zweifel daran, dass der Schwerpunkt des Vollzugs einer Haft durch elektronisch überwachten Hausarrest im Bereich des Vollzugs von Freiheitsstrafen gesehen wird. Demgegenüber weist schon die RV 772 d.B. XXIV GP (9) darauf hin, dass grundlegende Voraussetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft durch elektronisch überwachten Hausarrest ist, dass der Sicherungszweck der Untersuchungshaft nicht durch Anwendung gelinderer Mittel erfüllt werden kann, der Beschuldigte dennoch aber soweit sozial integriert ist, dass zu erwarten ist, er werde in Anbetracht der elektronischen Überwachung keine Handlungen setzen, deren Abwehr die Untersuchungshaft dient.

Die Bestimmung des § 173a StPO wurde bewusst so formuliert, dass diese Art des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht von den herangezogenen Haftgründen abhängt. Nach § 173a Abs. 1 StPO kann die Untersuchungshaft auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten als Hausarrest fortgesetzt werden, der in der Unterkunft zu vollziehen ist, in welcher der Beschuldigte seinen inländischen Wohnsitz begründet hat. Diese besondere Art des Vollzugs der Untersuchungshaft ist zulässig, soweit die Untersuchungshaft nicht gegen gelindere Mittel (§ 173 Abs. 5 StPO) aufgehoben, der Zweck der Anhaltung (§ 182 Abs. 1 StPO) jedoch auch durch den Hausarrest erreicht werden kann. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn sich der Beschuldigte in geordneten Lebensverhältnissen befindet und zustimmt, sich durch geeignete Mittel der elektronischen Aufsicht (§ 156b Abs. 1 und 2 StVG) überwachen zu lassen. Zur Vermeidung eines „net-widening-Effekts“ ist stets streng zu prüfen, ob nicht bereits die Untersuchungshaft selbst durch weniger eingreifende Maßnahmen (gelindere Mittel) substituiert werden kann. Diese allgemein gehaltene Formulierung des Gesetzes erlaubt es auch, dass bei Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr ein elektronisch überwachter Hausarrest angeordnet werden kann.

Zu 16 und 17:

Eine allgemeine Aussage darüber zu treffen, unter welchen Umständen der Haftgrund der Fluchtgefahr durch elektronisch überwachten Hausarrest substituiert werden kann, ist nicht möglich. Einerseits obliegt die Entscheidung über eine Anordnung des elektronisch überwachten Hausarrestes nach § 173a Abs. 2 StPO der unabhängigen Rechtsprechung (dem Einzelrichter im Ermittlungsverfahren nach § 31 Abs. 1 StPO) und andererseits kommt es immer auf die Gegebenheiten des Einzelfalles an, ob eine bestimmte Person die Voraussetzungen für diese Art des Vollzuges einer Untersuchungshaft erfüllt. Zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage soll jedenfalls nach Antragstellung vorläufige Bewährungshilfe angeordnet werden, die auch die Erhebung des sozialen Umfeldes und den Grad der sozialen und beruflichen Integration des Beschuldigten zu durchleuchten hat (§ 173a Abs. 2 StPO). Anhand der Ergebnisse dieser Prüfung durch die Bewährungshilfe sowie der Ermittlungsergebnisse hat das Gericht in einer Haftverhandlung zu entscheiden, ob ein bestimmter Haftgrund durch den elektronisch überwachten Hausarrest substituiert werden kann, wobei steuernde Effekte auch durch die genauen Bedingungen der Lebensführung getroffen werden können, deren Einhaltung der Beschuldigte durch Gelöbnis bekräftigen muss.

Zu 18:

Wenn die überwachte Person innerhalb der obligatorischen Anwesenheitszeit die festgelegte Unterkunft verlässt oder nicht pünktlich von ihrer Beschäftigung, Therapie etc. zurückkehrt, zeigt die Software dies unverzüglich an.

Zu 19 und 20:

Angesichts des kurzen Zeitraumes, in dem die Vorschriften über den elektronisch überwachten Hausarrest in Kraft sind, kann ein allfälliger Anpassungsbedarf noch nicht beurteilt werden. Praktische Anwendungsprobleme, die eine legistische Anpassung notwendig machen, sind derzeit nicht bekannt. Mangels Hinweises auf einen Reformbedarf wird eine Änderung der Bestimmungen zum elektronisch überwachten Hausarrest derzeit nicht in Aussicht genommen.

 

. November 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)