8199/AB XXIV. GP

Eingelangt am 17.06.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Grenzüberschreitende Gerichtsverfahren“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Der vorliegende Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zur Revision der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) sieht zwar die Abschaffung des Exequaturs in weiten Bereichen vor, nicht jedoch die generelle Beseitigung der in der Verordnung vorgesehenen Schutzmechanismen zugunsten des Verpflichteten/Schuldners. Die in der geltenden Verordnung vorgesehenen Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Gerichtsentscheidung sollen nach dem Vorschlag (mit Ausnahmen, dazu unten) im Wesentlichen beibehalten werden. Der Vorschlag zielt daher primär auf jene Fälle ab, in denen – weil der Schuldner gegen die Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels ohnehin keine Einwände erhebt – die Erteilung des Exequaturs weitgehend ein Formalakt ist; nach Art. 41 EuGVVO ist die ausländische Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar zu erklären, sobald die in Art. 53 vorgesehenen Förmlichkeiten (Vorlage der Entscheidung und eines ausgefüllten Formblatts) erfüllt sind, ohne dass zunächst eine Prüfung der Versagungsgründe der Art. 34 und 35 stattfindet.

Hat der Schuldner hingegen Einwände, so soll er diese auch weiterhin gerichtsförmig geltend machen können. Bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ist daher das Augenmerk primär auf die zahlenmäßig weit überwiegenden Fälle zu legen, in denen sich das Verfahren in der unbeeinspruchten Erteilung der  Vollstreckbarkeitsbestätigung erschöpft.

In der österreichischen Exekutionsordnung (§§ 79 ff EO) ist das Verfahren zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Exekutionstitel als ein selbständiges Verfahren sui generis ausgestaltet, das vom eigentlichen Exekutionsverfahren gesondert ist. Ungeachtet dessen wird in der Praxis der Antrag auf Vollstreckbarerklärung im Regelfall mit dem Exekutionsantrag verbunden, sodass über die Anträge gemeinsam entschieden werden kann. In den Fällen, in denen der Schuldner keine Einwendungen gegen den Exekutionstitel erhebt, verursacht das Exequaturverfahren nur geringen zusätzlichen Aufwand an Zeit und Kosten, zumal für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung auch keine Gerichtsgebühr anfällt.

Anders ist dies in manchen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Nach der von der Europäischen Kommission im Zuge der Ausarbeitung des Verordnungsvorschlags erstellten Folgenabschätzung kann das Verfahren in anderen Staaten auch mehrere Monate in Anspruch nehmen und beträchtliche Kosten verursachen.

Aus gesamteuropäischem Blickwinkel ist daher die von der Kommission vorgeschlagene – europaweite – Abschaffung des Exequaturverfahrens in der Tat überlegenswert, erspart sie doch Parteien und Gerichten teilweise zweckfreien Aufwand. Allerdings dürfen die derzeit in der EuGVVO vorgesehenen rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen nicht aufgegeben werden; die Gründe für eine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat müssen aufrecht bleiben. Die in der Anfrage angesprochene rechtsstaatliche Kontrolle ausländischer gerichtlicher Entscheidungen soll also durch die vorgesehene verfahrensmäßige Vereinfachung nicht beeinträchtigt werden. Unter dieser Voraussetzung kann eine Abschaffung des Exequaturverfahrens akzeptiert werden.

Zu 2:

Folgende Daten stehen mir dazu – soweit aus der Verfahrensautomation Justiz auswertbar – zur Verfügung:

 

2008

2009

2010

Anträge auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Exekutionstitels ohne damit verbundenem Antrag auf Exekutionsbewilligung

n.V.

16.252

21.136

   davon Bezirksgericht

n.V.

16.246

21.126

   davon Landesgericht

n.V.

6

10

Ausländischer Exekutionstitel vollstreckbar („atv“)

961

867

918

 

Zu 3:

Hiezu liegen mir nur die Daten aus der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission vor. Diese beziehen sich ausschließlich auf das Jahr 2009 und stellen sich wie folgt dar:


Belgien: 307

Bulgarien: 54

Zypern: 14

Tschechien: 42

Dänemark: 163

Estland: 8

Finnland: 46

Frankreich: 1176

Deutschland: 1638

Griechenland: 500

Ungarn: 53

Irland: 127

Italien: 1156

Lettland: 55

Litauen: 183

Luxemburg: 244

Malta: 7

Niederlande: 378

Polen: 444

Portugal: 205

Rumänien: 153

Slowakei: 18

Slowenien: 238

Spanien: 887

Schweden: 380

Vereinigtes Königreich: 1202

 

 

Zu 4:

Da das österreichische Exequaturverfahren – wie dargelegt – nur geringen Aufwand verursacht, wären mit seiner Abschaffung auch nur geringfügige Einsparungen für Gerichte und Parteien zu erzielen. Der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission ist jedoch auf die europaweite Beseitigung des Verfahrens gerichtet, sodass Verbrauchern und Unternehmern bei der Vollstreckung österreichischer Exekutionstitel im EU-Ausland daraus Vorteile erwachsen würden. Das Ausmaß dieser Vorteile bzw. die Höhe der zu erwartenden Einsparungen hängt naturgemäß davon ab, wie aufwändig in zeitlicher und kostenmäßiger Hinsicht das Exequaturverfahren im  jeweiligen Vollstreckungsstaat derzeit gestaltet ist.

Zu 5:

Die Abschaffung des Exequaturs zielt nicht spezifisch auf die Interessen von Verbrauchern ab. Vielmehr soll durch die Beseitigung dieses gesonderten Verfahrensschrittes die Verkehrsfähigkeit von zivilrechtlichen Urteilen innerhalb der Europäischen Union ganz allgemein erhöht werden, dies entsprechend dem politischen Auftrag des Europäischen Rates in den Programmen von Tampere (1999) und Brüssel (2004), der im Stockholmer Programm von 2009 bekräftigt wurde. Die daraus resultierenden Vorteile kämen allen Bürgern zugute, die einen innerhalb der Union erwirkten Exekutionstitel in einem anderen Mitgliedstaat vollstrecken lassen möchten, seien sie nun Verbraucher oder Unternehmer.