2086 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Bürgerinitiative Nr. 37/BI: „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung

Die gegenständliche Bürgerinitiative Nr. 37/BI wurde dem Nationalrat am 14. Dezember 2011 zugeleitet.

 

Zu den Anliegen dieser Bürgerinitiative:

Der Nationalrat wird ersucht, die österreichische Regierung aufzufordern, sich für die Aufhebung der EU-Richtlinie zur verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) und für ein europaweites Verbot der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung einzusetzen. Darüber hinaus wird der Nationalrat ersucht die bestehenden Terrorgesetze (einschließlich der Vorratsdatenspeicherung) zu evaluieren und falls diese entweder nicht notwendig oder nicht verhältnismäßig sind zurückzunehmen und das in der Verfassung verankerte Menschenrecht auf Privatsphäre wieder herzustellen.

Diese Anliegen waren wie folgt begründet:

„Bei der Vorratsdatenspeicherung werden von jedem Menschen in Europa sensible persönliche Daten ohne jeden Verdacht gespeichert. Alle die in Europa ein Telefon benutzen, E-Mails verschicken oder sich mit dem Internet verbinden sind davon betroffen. Aus den Daten können persönliche und geschäftliche Beziehungen mühelos abgelesen werden. Bei Telefonaten mit Mobiltelefonen werden noch dazu Standortinformationen gespeichert, aus denen ein genaues Bewegungsprofil erstellt werden kann. Deshalb stellt die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre (Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention im Verfassungsrang) dar. Die EU-Richtlinie verlangt eine grundrechtskonforme Umsetzung die in der jetzigen Form der Richtlinie nicht möglich ist.

In mehreren Staaten ist die Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG vom jeweils nationalen Verfassungsgerichtshof bereits für verfassungswidrig erklärt worden. Die Evaluierung der Richtlinie durch die Europäische Kommission ergab keinerlei Belege für eine Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung. In Hinblick auf die Grundrechtseingriffe soll die Richtlinie nun überarbeitet werden. Der österreichische Nationalrat wird mit dieser Bürgerinitiative ersucht, der österreichischen Regierung den Auftrag zu erteilen im EU-Ministerrat für eine Abschaffung der Richtlinie 2006/24/EG und für das Verbot von verdachtsunabhängiger Vorratsdatenspeicherung in der EU einzutreten. Ebenso wird der Nationalrat ersucht die bestehenden Terrorgesetze zu evaluieren und wenn diese entweder in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig oder nicht verhältnismäßig sind zurückzunehmen und das in der Verfassung verankerte Menschenrecht auf Privatsphäre wieder herzustellen.“

 

Der Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen, dem die gegenständliche Bürgerinitiative am 16. Dezember 2011 zugewiesen wurde, hat in seiner Sitzung am 31. Mai 2012 mit Stimmenmehrheit (dafür: S, V, dagegen: F, G, B) beschlossen, die Präsidentin des Nationalrates zu ersuchen, diese zur weiteren Behandlung dem Justizausschuss zuzuweisen. Die Präsidentin des Nationalrates hat diesem Ersuchen entsprochen.

 

Der Justizausschuss hat die erwähnte Bürgerinitiative Nr. 37/BI in seinen Sitzungen am 17. Oktober 2012 und 28. November 2012 in Verhandlung genommen. In der Sitzung vom 17. Oktober 2012 wurde im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Mag. Karin Hakl auf Antrag der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim, Mag. Peter Michael Ikrath, Dr. Peter Fichtenbauer, Mag. Albert Steinhauser und Ing. Peter Westenthaler einstimmig beschlossen, im Sinne des § 40 GOG Sachverständige einzuladen. Als Sachverständige wurden geladen: Der Initiator der Bürgerinitiative (Mag. Andreas Krisch), der Rechtsschutzbeauftragte des Bundesministeriums für Justiz Dr. Gottfried Strasser, der Rechtsschutzbeauftragte des Bundesministeriums für Inneres Univ. Prof. Dr. Manfred Burgstaller, als Vertreter des Bundesministeriums für Justiz SC Mag. Christian Pilnacek, als Vertreterin des Bundesministeriums für Inneres Mag. Verena Weiss, als Vertreter des Max Planck Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Dr. Michael Kilchling, als Vertreter der Europäischen Kommission Dr. Reinhard Priebe, ein Vertreter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte (Ing. Dr. Christof Tschohl), ein Vertreter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (Dr. Reinhard Kreissl), ein Vertreter des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (Dr. Leopold Hirsch), ein Vertreter des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (Dr. Christian Singer), ein Vertreter des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst (Dr. Gerhard Kunnert) sowie eine Vertreterin der Datenschutzkommission (Dr. Eva Souhrada-Kirchmayer).

In der Sitzung am 28. November 2012 beteiligten sich an der an die Ausführungen der Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Manfred Burgstaller, Dr. Leopold Hirsch, Dr. Michael Kilchling, Dr. Reinhard Kreissl, Mag. Andreas Krisch, Dr. Gerhard Kunnert, Mag. Christian Pilnacek, Dr. Christian Singer, Dr. Eva Souhrada-Kirchmayer, Dr. Gottfried Strasser, Ing. Dr. Christof Tschohl und Mag. Verena Weiss anschließenden Debatte die Abgeordneten Mag. Johann Maier, Dr. Peter Fichtenbauer, Mag. Albert Steinhauser, Herbert Scheibner, Eva-Maria Himmelbauer, BSc, Mag. Harald Stefan und Franz Glaser sowie der Ausschussobmann Abgeordneter Mag. Peter Michael Ikrath.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Peter Michael Ikrath und Mag. Johann Maier einen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Vorratsdatenspeicherung und Datensicherheit sowie deren Überprüfung eingebracht, der mit Stimmenmehrheit (dafür: S, V, F, B, dagegen: G) beschlossen wurde.

 

Dieser Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 – TKG 2003 geändert wird (BGBl. I Nr. 27/2011), und dem Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 und das Sicherheitspolizeigesetz geändert werden (BGBl I Nr. 33/2011), wurde die Richtlinie der EU über die Vorratsdatenspeicherung (RL 2006/24/EG) mit Wirksamkeit vom 1. April 2012 in das nationale Recht umgesetzt.

Der Inhalt der Richtlinie belässt der Republik Österreich für die Gestaltung der in ihr vorgeschriebenen Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten einen weiten Entscheidungsspielraum. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten zwar dazu, Betreibern von öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsnetzen und Kommunikationsdiensten die Speicherung von praktisch allen Telekommunikationsverkehrsdaten für eine Dauer von mindestens sechs Monaten vorzuschreiben (Art. 1, 3, 5 und 6 Richtlinie). Ihre Regelungen sind dabei aber im Wesentlichen auf die Speicherungspflichten zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten selbst beschränkt und überlassen die Regelung der den Zugang zu und die Verwendung dieser Daten durch die Behörden weitestgehend den Mitgliedstaaten.. Insbesondere harmonisieren sie weder die Frage des Zugangs zu den Daten durch die zuständigen nationalen Strafverfolgungsbehörden noch die Frage der Verwendung und des Austausches dieser Daten zwischen diesen Behörden (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Februar 2009 - Rs. C-301/06 -, Rn. 83). Ausgehend von den Mindestanforderungen der Richtlinie (Art. 7 und 13 Richtlinie) liegt es ebenfalls bei den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung von Datensicherheit, Transparenz und Rechtsschutz zu ergreifen.

Auf Grundlage der §§ 94 Abs. 4 und § 102c TKG 2003 wurde daher die  Datensicherheitsverordnung TKG-DSVO erlassen (BGBl. II Nr. 402/2011) und dadurch auch der Ausschussfeststellung im Bericht des Ausschusses für Forschung, Innovation und Technologie (FIT Ausschuss), 1157 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates) entsprochen. Diese Ausschussfeststellung lautet wie folgt: „Für die Datensicherheit und die Nachvollziehbarkeit der Zugriffe auf den Datenvorrat ist das Zusammenspiel der Bestimmungen der §§ 94 Abs. 4 und 102c TKG von besonderer Bedeutung. Während § 94 Abs. 4  den Aspekt der technischen Datenintegrität und der Determinierung der Verordnungsermächtigung über die Art der Verschlüsselung betrifft und die maßgeblichen Indikatoren zur Datensicherheit bei der Übermittlung von Verkehrsdaten identifiziert, um durch sichere Identifikation und Authentifizierung von Sender und Empfänger sicherzustellen, dass die durch das Kommunikationsgeheimnis geschützten Verkehrsdaten tatsächlich nur Behörden und Gerichten zugänglich sind, denen eine gesetzliche Auskunftsbefugnis zusteht, regelt § 102c Zugriffs- und Sicherheitsbestimmungen. Einerseits muss jeder Zugriff auf Vorratsdaten durch zwei Personen mit einer besonderen Ermächtigung hierzu autorisiert sein, um zu gewährleisten, dass nicht eine einzelne Person unbemerkt und unkontrolliert auf diese Daten zugreifen kann. Andererseits müssen Zugriffe auf Vorratsdaten beim Anbieter revisionssicher protokolliert werden. Die wichtigsten Kriterien sind dabei der Schutz vor Veränderung und Verfälschung, die Vollständigkeit, die Ordnungsmäßigkeit, die Sicherung vor Verlust, die Einhaltung der Aufbewahrungsfristen sowie die Dokumentation, Nachvollziehbarkeit und Prüfbarkeit des Verfahrens, wozu etwa bei Anordnungen der Staatsanwaltschaft auch die Angabe der Geschäftszahl der ermittelnden Kriminalpolizei zählt. Der Ausschuss geht davon aus, dass sämtliche Zugriffe und Übermittlungen von wem auch immer auf Vorratsdaten gemäß § 94 Abs. 4 TKG lückenlos protokolliert werden. Der Ausschuss geht weiters davon aus, dass ein automatisches zentrales System der Protokollierung solcher Abfragen und Übermittlungen notwendig ist, wobei unter dieser Protokollierung nicht die in § 102c Abs. 2 genannte zu verstehen ist“ Sie wird vielmehr nur jene Daten umfassen, die zur statistischen Auswertung und zur Verknüpfung mit der gemäß § 102c Abs. 2 TKG 2003 erfolgenden Protokollierung dient. Wünschenswert ist die Einrichtung einer ‚Datendrehscheibe‘ (‚Durchlaufstelle‘, kurz: DLS). Da jeder Auskunftsfall über die DLS mit einer fortlaufenden einmaligen Nummer versehen wird, kann im Falle einer Nachprüfenden Kontrolle über die Protokollierung bei der DLS zur Protokollierung beim Anbieter gemäß § 102c Abs. 2 TKG 2003 verknüpft werden. Zugang zu den übermittelten personenbezogenen Daten soll die DLS selbst nicht bieten, die Daten liegen dort nur verschlüsselt bis zur Abholung bereit und werden bei der Abholung automatisch gelöscht.“

Die unterzeichneten Abgeordneten nehmen die in letzter Zeit laut gewordenen Bedenken, dass durch die Maßnahmen Aspekte der Datensicherheit bei den Betreibern nicht ausreichend berücksichtigt werden, was insbesondere die Verhinderung des unberechtigten Zugangs zu den gespeicherten Daten und die Kontrolle deren Löschung nach Ablauf der Speicherfrist betrifft, sehr ernst.
Ebenso die Anmerkungen zu den noch nicht vorgenommenen Überprüfungen bei den speicherpflichtigen Telekommunikationsanbietern. Auch Ergebnisse der Beratungen des Datenschutzrates sollen rasch umgesetzt werden.

Die Ergebnisse der vor dem EuGH und dem VfGH anhängigen Verfahren in denen die Grundrechtsverträglichkeit der Bestimmungen der Richtlinie selbst bzw. der zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetze und Verordnungen auf dem Prüfstand stehen, sind ernst zu nehmen. Dies gilt auch für den zu erwartenden Bericht der Europäischen Kommission über ihre Vorschläge zur Änderung der Vorratsdatenspeicherrichtlinie.

Gleiches gilt für den dem Parlament nach Ablauf eines Jahres nach Inkrafttreten der Bestimmungen zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherrichtlinie vorzulegenden Bericht zur Häufigkeit der Anwendungen von Abfragen von Vorratsdaten, zum Zweck der Folgenabschätzung aus dem Blickwinkel des Grundrechtschutzes und für die Frage des entstehenden Aufwandes und dessen Ersatzes.

 

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Franz Glaser gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2012 11 28

                                   Franz Glaser                                                          Mag. Peter Michael Ikrath

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann