2366 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (2319 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung geändert werden (Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013) sowie

über den Antrag 2162/A(E) der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim, Mag. Peter Michael Ikrath, Kolleginnen und Kollegen betreffend den Tatbestand der sexuellen Belästigung (§ 218 StGB)

 

Die vorgeschlagenen Änderungen im StGB dienen der materiellrechtlichen Umsetzung der Richtlinie 2011/93/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI, ABl. Nr. L 335 vom 17.12.2011 S. 1, in der Fassung der Berichtigung ABl. Nr. L 18 vom 21.1.2012 S. 7, der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl. Nr. L 101 vom 15.4.2011 S. 1, und der Umsetzung von Empfehlungen der „GRETA“-Expertengruppe des Europarates betreffend die Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels sowie des VN-Kinderrechtskomitees in Bezug auf das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie. Die vorgeschlagene Änderung der StPO dient der prozessrechtlichen Umsetzung der Richtlinie 2011/93/EU.

Diese unionsrechtlichen und internationalen Vorgaben werden in Österreich im materiellen Strafrecht bereits in weiten Teilen erfüllt, weil durch die Änderungen des StGB in der jüngeren Vergangenheit bereits ein hohes Schutzniveau erreicht wurde. Änderungen sind daher nur mehr in Teilbereichen erforderlich.

Weiters soll auch der in der Entschließung des Nationalrates vom 6. Juli 2012 betreffend sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person (§ 205 StGB), E 265 XXIV. GP, zum Ausdruck gebrachten Forderung entsprochen werden, für die Tat des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person unter Ausnützung ihrer mangelnden Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit die gleichen Strafrahmen vorzusehen, wie diese auch für die Tatbestände der Vergewaltigung (§ 201 Abs. 1 StGB) und qualifizierten Vergewaltigung (§ 201 Abs. 2 StGB) gelten.

Die in den letzten Jahren wiederholt vorgenommenen, aber immer nur punktuellen Änderungen im Bereich des Sexualstrafrechts haben u.a. dazu geführt, dass (auch) bei den gewaltbestimmten Sexualdelikten derzeit zum Teil Strafdrohungen vorgesehen sind, die als systemwidrig und/oder nicht mehr angemessen angesehen werden können. Konkret betrifft dies die Strafuntergrenze der Grundstrafdrohung bei der Vergewaltigung sowie die Qualifikationsstrafdrohungen bei der geschlechtlichen Nötigung und beim sexuellen Missbrauch von Unmündigen. Der Lauf der innerstaatlichen Rechtsentwicklung, internationale Tendenzen sowie nicht zuletzt die angesichts der im Zusammenhang mit den Anwendungsvoraussetzungen des elektronisch überwachten Hausarrests bei Sexualdelikten angestellten Überlegungen zu den Strafdrohungen in diesem Bereich lässt dabei eine Begradigung im verschärfenden Sinn angezeigt erscheinen. Als kurzfristig realisierbare Zeichen für die weiterhin gestiegene Sensibilität gegenüber Verletzungen der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung sollen daher – abgesehen von den vorgeschlagenen Änderungen im Bereich des sexuellen Missbrauchs wehrloser und psychisch beeinträchtigter Personen – sowohl die Strafuntergrenze bei der Vergewaltigung als auch die Qualifikationsstrafdrohungen bei der geschlechtlichen Nötigung angehoben und die Qualifikationen beim sexuellen Missbrauch von Unmündigen erweitert werden. Auf die Änderungen der Anwendungsvoraussetzungen beim elektronisch überwachten Hausarrest mit der am 1.1.2013 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetznovelle 2012 (BGBl. I Nr. 2/2013) darf in diesem Zusammenhang hingewiesen werden.

Die Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim, Mag. Peter Michael Ikrath, Kolleginnen und Kollegen haben den Entschließungsantrag 2162/A(E) am 06. Dezember 2012 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Eine der anerkannten Funktionen des gerichtlichen Strafrechts besteht darin, Verhalten zu steuern und gesellschaftlich anerkannte Werte und Grundhaltungen, die auch einer Veränderung unterliegen können, abzusichern.

Es ist daher sachgerecht, die Reichweite bestimmter Tatbestände anhand praktischer Beispiele und Lebenssachverhalte zu diskutieren. Die unterzeichnenden Abgeordneten sind sich darin einig, dass körperliche Übergriffe mit sexueller Tendenz, wie sie jüngst bekannt geworden sind, nicht zu tolerieren sind.

Im Bewusstsein, dass das Sexualstrafrecht in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von Reformen war, die Veränderungen gesellschaftlicher Werte und Rollenbilder nachvollzogen haben, sind die unterzeichnenden Abgeordneten der Ansicht, dass die Formulierung des Tatbestandes der Sexuellen Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen nach § 218 StGB schon mit der Überschrift des zehnten Abschnittes des Besonderen Teils des StGB gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung nicht mehr in Einklang zu bringen ist, wenn es um eindeutig sexualbezogene Berührungen des Körpers gegen den Willen der Betroffenen geht.

Den unterzeichnenden Abgeordneten ist freilich auch bewusst, dass maßgeblichen Delikten des 10. Abschnittes des Strafgesetzbuches (Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung) das Tatbestandselement „geschlechtliche Handlung“ (vgl. u.a. §§ 202, 207, 207a, 207b, 212, 213, 214, 215a StGB) zugrunde liegt. Eine geschlechtliche Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB begeht, wer eine Person mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung nötigt. Gemäß § 207 Abs. 1 StGB begeht sexuellen Missbrauch von Unmündigen, wer eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vornimmt oder von einer unmündigen Person an sich vornehmen lässt.

Unter einer geschlechtlichen Handlung versteht der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt (12 Os 5/09s; RIS-Justiz RS0095733). Bei der Beurteilung einer Handlung als geschlechtlich kommt es ausschließlich auf den objektiven Sexualbezug an (RS0094989, RS0078135). Ein objektiver Sexualbezug ist dann gegeben, wenn es sich um nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührungen der zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper der jeweils anderen Person handelt (Philipp in WK², § 202 Rz 9). Anders gesagt, liegt eine geschlechtliche Handlung nur bei einer intensiven Berührung eines primären oder sekundären Geschlechtsorgans vor (Hinterhofer SbgK, § 202 Rz 24). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die geschlechtliche Handlung dem erregten Geschlechtstrieb des Täters entspringt (12 Os 5/09s). Im Unterschied zum Analbereich zählt die Gesäßregion seit jeher nach herrschender Rechtsprechung nicht zur unmittelbaren Geschlechtssphäre eines Menschen (10 Os 136/86; 11 Os 45/10t; RS0094997; RS0095142).

Die unterzeichnenden Abgeordneten sind der Ansicht, dass diese in ständiger Rechtsprechung gezogene Abgrenzung auch vor dem Hintergrund der gestiegenen Sensibilität gegenüber der Schutzbedürftigkeit der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung, insbesondere von Frauen und Kindern, einer Diskussion bedarf.

Gleichzeitig ist den unterzeichnenden Abgeordneten jedoch auch bewusst, dass mit einer Erweiterung oder Ausdehnung des Begriffsverständnisses neue Abgrenzungsfragen ebenso wie die Frage der Reichweite der ultima ratio Funktion des gerichtlichen Strafrechts aufgeworfen werden. Insoweit wird das Vorhaben der Frau Bundesministerin für Justiz begrüßt, derartige grundsätzliche Fragen in der Reformgruppe zum Strafgesetzbuch zu lösen.“

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage sowie den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 29. Mai 2013 in Verhandlung genommen. Als Berichterstatter fungierte jeweils die Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer, BSc.

An der anschließenden Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin die Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Dr. Peter Fichtenbauer, Dr. Johannes Jarolim, Dr. Franz-Joseph Huainigg, Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher, Mag. Albert Steinhauser und Mag. Karin Hakl sowie die Bundesministerin für Justiz Mag. Dr. Beatrix Karl und der Ausschussobmann Abgeordneter Mag. Peter Michael Ikrath.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Peter Michael Ikrath, Dr. Johannes Jarolim, Dr. Peter Fichtenbauer und Ing. Peter Westenthaler einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Zu Art. 1 Z 1 und 2 (§ 53 Abs. 1 und 2 StGB):

Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I Nr. 109/2007, wurde die Möglichkeit der bedingten Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe in den Rechtsbestand eingefügt und der gemeinsame Widerruf der bedingten Nachsicht des Teiles einer Freiheitsstrafe und der bedingten Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil normiert (§ 53 Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 2 zweiter Satz StGB).

Durch ein redaktionelles Versehen wurde mit dem StRÄG 2008 keine Vorsorge für jene Fälle getroffen, in denen für den Widerruf der bedingten Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Teil einer Freiheitsstrafe und jenen der bedingten Strafnachsicht verschiedene Gerichte, zumindest aber unterschiedliche funktionell zuständige Spruchkörper entscheidungsbefugt sind, was die vom Gesetz geforderte gemeinsame Entscheidung im Sinne des § 53 Abs. 1 zweiter Satz StGB ausschließt (vgl. 12 Os 26/10f). Dies betrifft einerseits den Fall, dass ein gemeinsamer Widerruf aus Anlass einer neuen Verurteilung durch das hiezu nach § 494a StPO berufene Gericht aus verfahrenstechnischen Gründen nicht möglich oder gemäß § 494a Abs. 2 erster Satz StPO gänzlich ausgeschlossen ist, sowie andererseits die Fälle des Widerrufs aus den Gründen des ersten Satzes des § 53 Abs. 2 StGB (mutwilliges Nichtbefolgen einer Weisung trotz förmlicher Mahnung, beharrliche Entziehung aus dem Einfluss des Bewährungshelfers). In den genannten Konstellationen ist nach der geltenden Rechtslage für den Widerruf der bedingten Strafnachsicht das nach § 495 Abs. 1 StPO zu befassende Urteilsgericht, für jenen der bedingten Entlassung das Vollzugsgericht (§ 16 Abs. 1, Abs. 2 Z 12 StVG) oder ‑ in den Fällen des § 179 Abs. 1 StVG ‑ das Gericht, in dessen Sprengel der Verurteilte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nimmt, zuständig. Ein gemeinsamer Widerruf im Sinne des § 53 StGB ist derzeit nur möglich, wenn dieser aus Anlass einer neuen Verurteilung durch das nach § 494a StPO zuständige Gericht erfolgt.

Zur Beseitigung dieses Redaktionsversehens hat im Herbst 2012 der Ministerialentwurf 430/ME XXIV. GP zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes () eine Neuregelung der Zuständigkeiten vorgeschlagen, nach welcherim Fall der bedingten Entlassung eines Rechtsbrechers aus dem unbedingten Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe die Zuständigkeit für den bedingt nachgesehenen Strafteil auf das Vollzugsgericht übertragen werden sollte.

Staatsanwaltschaften und Gerichte haben im Begutachtungsverfahren erhebliche Bedenken gegen die vorgesehene Zuständigkeitsbündelung für den Widerruf der bedingten Entlassung aus dem unbedingten Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe und der bedingten Nachsicht des anderen Strafteiles beim Vollzugsgericht und die damit in Konnex stehenden Gesetzesänderungen (siehe §§ 16 Abs. 2 Z 12, 152 Abs. 4, 179 Abs. 2 StVG, 494a Abs. 1 und 495 Abs. 1 StPO idF des Ministerialentwurfs 430/ME) geäußert. Begründet wurden diese Bedenken damit, dass der gemeinsame Widerruf in vielen Fällen spezialpräventiv nicht erforderlich sei, weil mit einem Widerruf der bedingten Entlassung aus dem unbedingten Strafteil das Auslangen gefunden werden könne, ohne dass auch der Widerruf des längeren, ursprünglich bedingt nachgesehenen Strafteiles geboten wäre. Überdies begegne die vorgeschlagene Regelung auch praktischen Bedenken, weil verschiedene Vollzugsgerichte für verschiedene Verurteilte zuständig wären und eine Restzuständigkeit des Urteilsgerichts (z.B. für Wiederaufnahmsanträge) bestehen bliebe. Daher wurde aus kriminalpolitischen Erwägungen der Entfall des gemeinsamen Widerrufs der bedingten Entlassung aus dem unbedingten Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe und der bedingten Nachsicht des anderen Strafteiles angeregt.

Um dieser Kritik Rechnung zu tragen, soll der verpflichtende gemeinsame Widerruf nach § 53 Abs. 1 zweiter Satz StGB entfallen. Dementsprechend ist auch eine Änderung des § 53 Abs. 2 StGB erforderlich.

In Hinkunft soll daher im Falle der Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung aus einer teilbedingten Freiheitsstrafe entweder die bedingte Entlassung oder die ursprünglich erteilte bedingte Strafnachsicht oder beides widerrufen werden können, je nachdem ob der Widerruf der gesamten Sanktion oder nur eines Teiles davon geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Zu Art. 1 Z 3a (§ 65a StGB):

Angesichts der Neustrukturierung der vermögensrechtlichen Anordnungen durch das „Strafrechtliche Kompetenzpaket“, BGBl. I Nr. 108/2010, soll eine Klarstellung bezüglich der inländischen Gerichtsbarkeit vorgenommen werden.

Zu Art. 1 Z 5a (§ 165 StGB)

Mit dem am 1.1.2013 in Kraft getretenen KorrStRÄG 2012, BGBl. I Nr 61/2012, wird die Korruption im privaten Sektor nicht mehr wie bisher in den §§ 168c ff. geregelt, die von den im § 165 Abs. 1 erwähnten Vermögensdelikten als Vortaten für die Geldwäscherei erfasst werden, sondern als neuer § 309. Diese Änderung muss auch durch eine entsprechende Anpassung des Verweises auf die Korruptionsdelikte als Vortaten Rechnung getragen werden, der bisher nur die §§ 304 bis 308 umfasst. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages einstimmig beschlossen.

 

Dadurch gilt der Antrag 2162/A(E) als miterledigt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2013 05 29

                     Eva-Maria Himmelbauer, BSc                                           Mag. Peter Michael Ikrath

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann