528 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Antrag 859/A der Abgeordneten Dr. Peter Wittmann, Mag. Wilhelm Molterer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern erlassen wird

Die Abgeordneten Dr. Peter Wittmann, Mag. Wilhelm Molterer, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 18. November 2009 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Allgemeiner Teil

Vor nunmehr 20 Jahren wurde im Rahmen der Vereinten Nationen mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (im Folgenden: UN‑Kinderrechtskonvention) das grundlegende Vertragswerk über den Schutz und die Rechte des Kindes geschaffen, das international die weitest mögliche Anerkennung gefunden hat. In Österreich ist dieses Übereinkommen am 5. September 1992 in Kraft getreten und mit BGBl. Nr. 7/1993 kundgemacht worden; anlässlich der Genehmigung dieses Staatsvertrages hat der Nationalrat seine Erfüllung durch Erlassung von Gesetzen beschlossen. Seither wird über eine Verankerung – zumindest von Teilen – der UN‑Kinderrechtskonvention in der Bundesverfassung diskutiert.

Auch die Verfassungsentwicklung auf europäischer Ebene erfolgt unter Berücksichtigung der Rechte des Kindes. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechte-Charta), ABl. Nr. C 303 vom 14.12.2007, S. 1, enthält eine eigene Bestimmung über die Rechte des Kindes (Art. 24).

Der Entwurf zu einem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern folgt im Wesentlichen den Vorarbeiten des Österreich-Konvents, im Rahmen dessen eingehender Ausschussberatungen (Ausschuss 4) Konsens über die Aufnahme der Rechte von Kindern als Menschenrecht in einen neuen Grundrechtskatalog erzielt und ein Textvorschlag konsentiert worden ist (vgl. den Bericht des Österreich-Konvents, Bd. 1, Teil 3, 88 und Bd. 2, Teil 4A, 36 f).

Nachdem der im Österreich-Konvent grundsätzlich erzielte Konsens über die Aufnahme von Kinderrechten als Teil eines neuen Grundrechtskatalogs in weiterer Folge (XXII. Gesetzgebungsperiode, Besonderer Ausschuss zur Vorberatung des Berichtes des Österreich-Konvents sowie XXIII. Gesetzgebungsperiode, Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt) nicht realisiert werden konnte, ist die verfassungsrechtliche Verankerung von Rechten von Kindern Gegenstand der nun ergriffenen Gesetzgebungsinitiative.

Mit der B-VG Novelle, BGBl. I Nr. 31/2005, wurde Art. 14 Abs. 5a in das Bundesverfassungsgesetz eingefügt. Demnach "ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen" (Art. 14 Abs. 5a B-VG).

Der Entwurf zu einem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern setzt die mit den vorerwähnten gesetzlichen Maßnahmen eingeschlagene Zielrichtung mit der Verankerung von eigenständigen Grundrechten auf bundesverfassungsrechtlicher Ebene konsequent fort.

Besonderer Teil

Zu Art. 1:

Art. 1 verwirklicht den besonderen Schutz- und Fürsorgeanspruch von Kindern in Verbindung mit dem zentralen, kinderrechtespezifischen Anspruch der vorrangigen Berücksichtigung des "Wohles des Kindes" (vgl. Art. 3 des VN‑Übereinkommens über die Rechte des Kindes und Art. 24 Grundrechte-Charta). Gleichzeitig wird – in Übereinstimmung mit der Grundrechte-Charta – klargestellt, dass das Kindeswohl auch mit anderen Rechtsgütern, etwa dem Recht der Eltern auf Wahrung ihres Privat- und Familienlebens abzuwägen ist.

Zu Art. 2:

Art. 2 Abs. 1 stellt ein Leitbild für die personenrechtlichen Beziehungen des Kindes zu seinen Eltern dar (vgl. Art. 9 Abs. 3 des VN‑Übereinkommens über die Rechte des Kindes; Art. 24 Abs. 3 Grundrechte-Charta); der Vorbehalt im Falle eines Widerspruchs zum Wohl des Kindes findet seine Legitimation und Begrenzung in Art. 8 EMRK (zB im Fall, dass sich ein Elternteil beharrlich weigert, das Kind zu sehen).

Art. 2 Abs. 2 verwirklicht Art. 20 Abs. 1 des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Unter einer Herauslösung der Kinder aus ihrem familiären Umfeld sind alle Umstände zu verstehen, bei denen der familiäre Obsorgezusammenhang unterbrochen ist, zB wenn Kinder und Jugendliche zum Schutz ihres Wohles bei einer Pflegefamilie oder in einer sozialpädagogischen Einrichtung untergebracht sind oder aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Verfügung in Haft sind.

Zu Art. 3:

Das Verbot von Kinderarbeit (Art. 3) entspricht Art. 32 Abs. 1 Grundrechte-Charta. Im Einklang mit dieser Regelung wird klargestellt, dass das Verbot nur bis zur Beendigung der Schulpflicht (vgl. Art. 14 Abs. 7a B-VG) gilt.

Jene geringfügigen Tätigkeiten, welche nach derzeitiger Rechtslage (Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz) auch Kindern gestattet sind, sind als „begrenzte Ausnahmen“ zulässig.

Zu Art. 4:

Mit Art. 4 wird das Recht des Kindes auf Berücksichtigung des Kindeswillens (vgl. Artikel 12 des VN‑Übereinkommens über die Rechte des Kindes: Berücksichtigung des Kindeswillens) realisiert; siehe auch Art. 24 Abs. 1 Satz 3 Grundrechte-Charta.

Zu Art. 5:

Art. 5 Abs. 1 betrifft den Schutz des Kindes vor jeglicher Form von Gewalt, Bestrafungen, Missbrauch, Misshandlungen und Ausbeutung (vgl. Art. 19 Abs. 1, Art. 32 und 34 des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes sowie Art. 32 Abs. 2 Grundrechte-Charta). Ziel dieser Bestimmung ist der Schutz von Kindern vor allen Formen von Gewalt zur Disziplinierung und Ausbeutung oder (sexuellen) Befriedigung von Erwachsenen. Maßnahmen zur Sicherung des Kinderwohls durch Einsatz körperlicher Kraft wie das Festhalten von Kleinkindern in gefährlichen Lebenssituationen (z.B. im Straßenverkehr) sind davon nicht umfasst. Ebenso nicht erfasst ist die Ausübung gesetzeskonformen staatlichen Zwangs.

Art. 5 Abs. 2 gewährleistet – nach Maßgabe der Gesetze – das Recht auf Rehabilitation im Sinne von Art. 39 iVm Art. 19 Abs. 2 VN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes.

Zu Art. 6:

Art. 6 betrifft die Rechte von Kindern mit Behinderung, Satz 1 orientiert sich insbesondere an Art. 23 Abs. 2 UN-Kinderrechtskonvention; siehe auch Art. 26 Grundrechte-Charta. Zu Satz 2 siehe Art. 2 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention und Art. 21 Abs. 1 Grundrechte-Charta sowie Art. 7 Abs. 1 letzter Satz B-VG.

Zu Art. 7:

Art. 7 enthält einen Gesetzesvorbehalt nach dem  Vorbild des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Er stellt klar, dass Beschränkungen der Rechte und Ansprüche aus Art. 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes nur aus bestimmten, dem Art. 8 Abs. 2 EMRK entsprechenden Gründen gestattet sind. Beispielsweise können straf- oder fremdenrechtliche Maßnahmen einzelne Rechte eines Kindes beschränken. Zu denken ist aber auch an Fälle, in denen dem Anspruch des Kindes berücksichtigungswürdige Interessen der Eltern entgegenstehen.“

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 1. Dezember 2009 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordnete Angela Lueger die Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill, Mag. Wilhelm Molterer, Mag. Harald Stefan, Herbert Scheibner und Mag. Ewald Stadler.

 

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2009 12 01

                                  Angela Lueger                                                               Dr. Peter Wittmann

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann