732 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 1075/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einbeziehung der sogenannten "Contergangeschädigten" in das System des österreichischen Sozialentschädigungsrechts

Die Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 25. März 2010 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Österreich kann seit vielen Jahrzehnten auf eine gute Entwicklung und reiche Erfahrung im Bereich des Sozialentschädigungsrechts des Bundes zurückblicken. Mit diesem System konnte es gelingen, bestimmten Personengruppen, die durch Ereignisse unverschuldet vor allem physisch und psychisch zu Schaden gekommen sind, die durch Anordnungen und/oder Empfehlungen des Staates bzw. als Opfer von Gewaltverbrechen zu Schaden gekommen sind, zu entschädigen. Im Wesentlichen handelt es sich um den Personenkreis der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Opfer der politischen und rassischen Verfolgung, der Impfgeschädigten und der Verbrechensopfer.

Im Nachfolgenden sollen Überlegungen angestellt werden, die die Möglichkeiten aufzeigen sollen, warum und wie es möglich wäre, den zwar sehr kleinen, aber schwer betroffenen Personenkreis der österreichischen "Contergangeschädigten" im System des österreichischen Sozialentschädigungsrechts zu integrieren bzw. ein eigenes "Conterganentschädigungsgesetz (CEG)" zu schaffen.

Unter "Contergangeschädigten" sind jene Personen zu verstehen, die aufgrund der Einnahme von Medikamenten, die die Substanz Thalidomid beinhaltet haben, durch ihre Mutter mit Missbildungen des Körpers zur Welt gekommen sind. Diese Medikamente (z.B. Contergan, Softenon), die der ärztlichen Verschreibungspflicht unterlegen waren, wurden aufgrund der damals geltenden Zulassungsbestimmungen von Ärzten verordnet, um bestimmte unangenehme Begleiterscheinungen im Rahmen von Schwangerschaften zu beseitigen, d.h. sie wurden von den werdenden Müttern auf Verordnung durch den behandelnden Arzt eingenommen. Daraus (Zulassung als Arzneimittel, Verordnung durch den behandelnden Arzt) lässt sich ein Konnex erkennen, der die Einbeziehung der "Contergangeschädigten" in das österreichische Sozialentschädigungssystem (z.B. Impfschäden) gerechtfertigt erscheinen lässt, da der Schaden durch die Einnahme des jeweiligen Medikaments, das zugelassen und verordnet war, entstanden ist.

Versorgungsberechtigt wären daher all jene, die nachweisen, glaubhaft machen können, bzw. bei denen es aufgrund der Art und Erscheinung ihrer Behinderung wahrscheinlich ist, dass sie durch die Einnahme von Conterganpräparaten zu Schaden gekommen sind.

Die Versorgungs/Entschädigungsleistungen sollten umfassen (vgl. § 6 KOVG 1957):

a)     Für Geschädigte:

         aa) Grundrente, Schwerstgeschädigtenrente, Familienzulage, Pflege/Blindenzulage, Blindenführzulage, Zuschuss zu den Kosten der Diätverpflegung, Kleider/Wäschepauschale;

        bb) berufliche und soziale Maßnahmen;

         cc) Heilfürsorge;

        dd) orthopädische Versorgung;

b)     Hinterbliebenenversorgung;

Abgesehen vom österreichischen Verbrechensopfergesetz sind die übrigen Gesetze des Sozialentschädigungsrechts (KOVG, OFG, ISchG) grundsätzlich gleich gestaltet. Ausgenommen davon ist der Bereich der Rentenversorgung. Hier ist zu beachten, dass im Bereich der Kriegsopferversorgung fixe Rentensätze zur Anwendung kommen, während im Bereich der Heeresversorgung und des Impfschadengesetzes zur Berechnung der wesentlichen Rententeile (z.B. Grundrenten) die Berechnungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Bemessungsgrundlagen ausgehend von einem faktischen bzw. fiktiven Einkommen unter Einbeziehung des Grades der Behinderung/der Minderung der Erwerbsfähigkeit) zugrunde zu legen sind (z.B. bei einer MdE v.100 v.H. 2/3 der Bemessungsgrundlage). Die übrigen Bereiche (orth. Versorgung, berufliche und soziale Maßnahmen, Heilfürsorge) sind im wesentlichen dem KOVG nachgebildet.

Die Einstufung des Grades der Behinderung (Minderung der Erwerbsfähigkeit), der für etwaige Rentenbemessungen maßgeblich ist, erfolgt derzeit nach Richtsätzen gem. § 7 KOVG 1957 ( zur Anwendung käme theoretisch auch § 8 KOVG 1957), d.h. es würden alle Schädigungen, die unmittelbar oder mittelbar (Folgeschäden) durch die Einnahme des Medikamentes hervorgerufen wurden/werden (Kausalitätsprinzip) einbezogen werden.

Welchem Bereich des Sozialentschädigungsrechts die Rentenbemessung von "Contergangeschädigten" zugeordnet wird, ist letztendlich eine politische Frage. Tritt man eher der Angleichung an das HVG bzw. ISchG näher, wird zu prüfen und zu entscheiden sein, welche Bemessungsgrundlage (real oder fiktiv) und welcher Zeitpunkt für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage (aktuell oder in der Vergangenheit liegend) herangezogen wird, ist eher eine Angleichung an das KOVG ins Auge zu fassen, stellt sich diese Frage nicht, da hier fixe Rentensätze je nach Grad der Behinderung/Minderung der Erwerbsfähigkeit gleich gelten.

Die Republik Österreich hat durch die behördliche Zulassung der Medikamente mit dem Wirkstoff Thalidomid die Grundlage dafür geschaffen, dass diese in weiterer Folge verordnet werden konnten, und eine, wenn auch kleine, aber doch schwer betroffene Anzahl von Österreicherinnen schwer behindert zur Welt kamen. Damit wäre es einzufordern, dass der Staat, wie auch im Bereich des ISchG, seiner moralischen Verantwortung nachkommt und 50 Jahre nach den entstandenen Schädigungen Schadenersatzleistungen einräumt. Dies ist aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Betroffenen umso wichtiger (Folgeerscheinungen). Aufgrund der geringen Zahl der vielfach schwer Betroffenen (ca.60) ist auch das finanzielle Erfordernis begrenzt und kann aus dem stark zunehmenden Rückgang im Personenkreis der versorgungsberechtigten Kriegsopfer (jährliches Minus von fast 10 %, d.h. über 3000 Personen) jedenfalls bedeckt werden.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 12. Mai 2010 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Werner Neubauer die Abgeordneten Ulrike Königsberger-Ludwig, Dr. Franz-Joseph Huainigg, Sigisbert Dolinschek, Ursula Haubner, Mag. Helene Jarmer, Dietmar Keck, Oswald Klikovits, Herbert Kickl, Mag. Christine Lapp, Dr. Andreas Karlsböck, Erwin Spindelberger, Dr. Sabine Oberhauser, Karl Öllinger, Karl Donabauer sowie der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer.

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag 1075/A(E) keine Mehrheit.

Ein von den Abgeordneten Ulrike Königsberger-Ludwig und Dr. Franz-Joseph Huainigg eingebrachter Entschließungsantrag betreffend Entschädigung für Contergangeschädigte wurde einstimmig beschlossen. Diesem Antrag war folgende Begründung beigegeben:

„Nach dem deutschen Conterganstiftungsgesetz hat die Stiftung Leistungen an behinderte Menschen zu erbringen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma Grünenthal GmbH (früher Chemie Grünenthal GmbH) in Verbindung gebracht werden können. Diese Regelung gilt auch für nicht-deutsche Staatsbürger bzw. für Personen mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands. Österreicher sind somit ebenfalls anspruchsberechtigt.

Erst im letzten Jahr wurde das Conterganstiftungsgesetz insofern maßgeblich erweitert, als nunmehr durch den Entfall der ehemals normierten Ausschlussfrist (Ablehnung wegen verspäteter Geltendmachung) auch die bislang von der Entschädigung ausgeschlossenen Conterganopfer einen Neuantrag auf Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz stellen und Leistungen ab dem 01.07.2009 erhalten können. Das Conterganstiftungsgesetz sieht Rentenleistungen, eine Kapitalentschädigung und Sonderzahlungen vor.

Vom Bundesminister für Gesundheit ist zusätzlich zu den deutschen Entschädigungsregelungen eine Einmalzahlung pro Opfer geplant, wobei die Auszahlung noch 2010 erfolgen soll; dafür sind € 2,8 Mio. im Budget vorgesehen.“

Als Berichterstatterin für das Plenum wurde Abgeordnete Dr. Sabine Oberhauser gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2010 05 12

                          Dr. Sabine Oberhauser                                                          Renate Csörgits

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau