Bericht an den Nationalrat

 

A. Zusammenfassung

 

Dieser Bericht erfolgt aufgrund der Vorlageverpflichtung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO).

 

Das Seearbeitsübereinkommen wurde auf der 94. Tagung der internationalen Arbeitskonferenz im Februar 2006 angenommen. Diese rund 100 Seiten umfassende Kodifikation von 37 IAO-Übereinkommen und 30 IAO-Empfehlungen umfasst Beschäftigungsbedingungen, die Unterbringung sowie Freizeiteinrichtungen, Verpflegung, Gesundheitsschutz und medizinische Betreuung, Fürsorge und soziale Sicherheit der Seeleute und sieht schlagkräftige Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen, die grenzüberschreitend greifen, vor. Daher sind die Voraussetzungen für das Inkrafttreten höher als bei anderen  IAO-Übereinkommen angesetzt.  Das Inkrafttreten erfolgt zwölf Monate nachdem die Ratifikationen von mindestens 30 Mitgliedern eingetragen worden sind, die zusammen über eine Bruttoraumzahl von mindestens 33 Prozent der Welthandelsflotte verfügen.Die 19 bisher eingetragenen Ratifikationen (Stand 20. Dezember 2011) umfassen bereits mehr als die erforderlichen 33 Prozent der Bruttoraumzahl der Welthandelsflotte, mit den für die erforderliche Zahl von 30 Eintragungen noch ausständigen Ratifikationen ist im Laufe des Jahres 2012 zu rechnen.

In der EU wird dem Übereinkommen große Bedeutung beigemessen: Im Juni 2007 erfolgte die Entscheidung des Rates zur Ermächtigung der EU-Mitgliedstaaten, das Übereinkommen im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren. Diese Entscheidung empfiehlt auch die Ratifikation, verpflichtet aber nicht dazu. Im Februar 2009 wurde eine EU-Richtlinie verabschiedet, die zeitgleich mit dem Übereinkommen in Kraft treten wird und zum Teil seine Bestimmungen als EU-Recht übernimmt. Die EU-Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die Bestimmungen der Richtlinie innerhalb einer Umsetzungsfrist von 12 Monaten nach Inkrafttreten zu implementieren.

 

Ein Vergleich des Übereinkommens mit der österreichischen Rechtslage ergibt, dass auch über die EU-Vorgaben hinaus noch zahlreiche Umsetzungsmaßnahmen notwendig wären, um das Übereinkommen zu erfüllen. Angesichts der verschwindenden Bedeutung der Seeschifffahrt in Österreich wäre der Aufwand zur Umsetzung dieses umfassenden Seearbeitsübereinkommens unverhältnismäßig. Deshalb wird keine Ratifikation durch Österreich vorgeschlagen.

 

 

B. Vorbemerkungen

 

Von 7. bis 23. Februar 2006 fand in Genf die 94. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) statt, an der Österreich mit einer vollständigen, aus Vertretern und Vertreterinnen der Regierung sowie der Organisationen der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen zusammengesetzten Delegation teilgenommen hat. Der Grund für die Teilnahme war vor allem der EU-Vorsitz Österreichs und die Gewährleistung der notwendigen EU-Koordination. Auf dieser Tagung wurde am 23. Februar 2006 das folgende internationale Instrument ohne Gegenstimmen (einschließlich der Stimmen der zwei Regierungsdelegierten, der Delegierten der Arbeitnehmer/innen sowie des Delegierten der Arbeitgeber/innen aus Österreich) angenommen:

Seearbeitsübereinkommen, 2006.

 

Der amtliche deutsche Wortlaut des Übereinkommens ist als Anlage beigeschlossen.

 

Österreich ist seit 1919 Mitglied der IAO und als solches gemäß Art. 19 der Verfassung der IAO,  BGBl. Nr. 223/1949 idgF,verpflichtet, die von der Internationalen Arbeitskonferenz angenommenen Instrumente den zuständigen Stellen im Hinblick auf ihre Verwirklichung durch die Gesetzgebung oder durch andere Maßnahmen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vorzulegen und den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes über die getroffenen Maßnahmen in Kenntnis zu setzen. Ist eine Ratifikation aus innerstaatlichen Gründen nicht möglich, ist im Sinne dieser Vorlagepflicht dem Nationalrat ein Bericht zur Kenntnis zu bringen, in dem die gegenwärtige Rechtslage - allenfalls auch ihre künftige Gestaltung - auf dem im Übereinkommen geregelten Gebiet mit Beziehung auf die im Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen dargestellt wird.

 

Auf Grund von Artikel 5 Abs. 1 lit. b des von Österreich ratifizierten IAO-Übereinkommens (Nr. 144) über dreigliedrige Beratungen zur Förderung der Durchführung internationaler Arbeitsnormen, 1976, sind die Vorschläge im Zusammenhang mit der Vorlage von IAO-Übereinkommen, ‑Protokollen und ‑Empfehlungen mit den maßgebenden Verbänden der Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen zu beraten. Von den befassten Interessenvertretungen haben sich der Österreichische Gewerkschaftsbund, die Bundesarbeitskammer und die Vereinigung der österreichischen Industrie nicht geäußert. Lediglich die Wirtschaftskammer Österreich wies darauf hin, dass eine Ratifikation für einen österreichischen Reeder mit Hochseeschiffen unter österreichischer Flagge von Vorteil wäre.

 

Ziel des Übereinkommens ist die weltweite Anwendung, um neben den weltweit geltenden Instrumenten der IMO (International Maritime Organisation – Internationale Seeschifffahrtsorganisation) die Lücke für den Sozialbereich zu schließen. Das Seearbeitsübereinkommen (Maritime Labour Convention - MLC) soll als „Internationales Arbeitsgesetzbuch für den Seeverkehr“ der vierte Pfeiler neben den weltweit geltenden IMO-Übereinkommen SOLAS (Safety of Life at Sea - Schutz des menschlichen Lebens auf See), STCW (Standards on Training and Certification on Watchkeeping – Normen über die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten) und MARPOL (Maritime Pollution – Verschmutzung der See) werden. Österreich hat SOLAS und MARPOL bereits 1988 und STCW erst 1997, also nach dem EU-Beitritt, ratifiziert.

 

In der Folge wird das Seearbeitsübereinkommen, 2006, mit seiner englischen Kurzform MLC zitiert.

 

Die Annahme ohne Gegenstimmen - nur zwei Regierungen enthielten sich, alle Vertreter/innen der Seeleute und der Reeder stimmten dafür - war das Ergebnis langjähriger sorgfältiger Vorbereitung seit dem Jahr 2001, innovativer, Konsens suchender Verhandlungsprozesse und der konstruktiven Haltung aller Gruppen, die auf ein ratifizierbares Übereinkommen ausgerichtet war. Auch Kanada, USA, Philippinen und Australien, die v.a. mit dem Anwendungsbereich für Küstengewässer Probleme hatten, konnten schließlich zustimmen, da Flexibilität für die Anwendung auf Schiffe unter 200 Tonnen, die nicht international reisen, geschaffen wurde. Dies darf aber nicht als Garantie für eine Ratifikation durch diese Staaten gewertet werden.

 

Die 19 bisher eingetragenen Ratifikationen (Stand 20. Dezember 2011) umfassen bereits mehr als die erforderlichen 33 Prozent der Bruttoraumzahl der Welthandelsflotte: Mit Antigua und Barbuda, Bahamas, Benin, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Kanada, Kiribati, Kroatien, Liberia, Luxemburg, Marshall Inseln, Niederlande, Norwegen, Panama, St. Vincent und die Grenadinen, Singapur, Spanien und Schweiz sind bereits mehr als die geforderten 33% der Bruttoraumzahl der Welthandelsflotte beigetreten. Mit den für die erforderliche Zahl von 30 Eintragungen noch ausständigen Ratifikationen ist im Laufe des Jahres 2012 zu rechnen. Das Übereinkommen wird ein Jahr nach Eintragung der dreißigsten Ratifikation in Kraft treten: Gabun und Lettland haben bereits die Ratifikationsurkunde übermittelt, für die Eintragung ist noch ihre Erklärung gemäß Norm A4.5 Abs.10 ausständig, zu welchen zumindest drei von neun Zweigen der sozialen Sicherheit den Seeleuten ergänzender Schutz gewährt wird. Zusätzlich hat  Australien am 14.12.2011 seine Ratifikationsurkunde übermittelt. Darüber hinaus haben einige Staaten dem IAA mitgeteilt, dass sie an der Anpassung der nationalen Rechtslage im Hinblick auf eine Ratifikation arbeiten. Darunter sind  China, Japan, Südkorea, Indonesien, Namibia, Nigeria, Russland und EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien, Litauen, Malta, Niederlande, Vereinigtes Königreich.

 

Das MLC wird ein Jahr nach Eintragung der dreißigsten Ratifikation in Kraft treten.

 

Auch in der EU wird dem MLC große Bedeutung beigemessen: Allein die europäische Flotte repräsentiert rund 25% der Weltflotte. Am 7.6.2007 trat  die Entscheidung des Rates zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, das konsolidierte Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 2006 im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren, in Kraft.. Diese empfiehlt den EU-Mitgliedstaaten eindringlich eine Ratifikation bis Ende 2010.

 

Am 16. Februar 2009 wurde die Richtlinie 2009/13/EG des Rates zur Durchführung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) über das Seearbeitsübereinkommen 2006 und zur Änderung der Richtlinie 1999/63/EG verabschiedet. Diese Richtlinie übernimmt Teile der Bestimmungen des MLC und wird zeitgleich mit diesem in Kraft treten. Die Umsetzungsfrist beträgt 12 Monate nach Inkrafttreten. Auch Österreich als EU-Mitglied ist verpflichtet, die Bestimmungen der Richtlinie umzusetzen. Die Umsetzung dieser EU-Vorgaben würde aber nicht ausreichen, um dem MLC vollständig zu entsprechen und dieses ratifizieren zu können.

 

Ein Vergleich des MLC mit der österreichischen Rechtslage ergibt, dass auch über die EU-Vorgaben hinaus noch zahlreiche Umsetzungsmaßnahmen notwendig wären, um das MLC zu erfüllen.

 

Österreich als Binnenstaat hat bisher keines der IAO-Seeschifffahrtsübereinkommen, die im MLC kodifiziert werden, ratifiziert. Die Bedeutung der Seeschifffahrt in Österreich ist verschwindend. Gab es im Jahr 2006 bei der Annahme des MLC noch sechs gewerblich tätige Seeschiffe unter österreichischer Flagge, so ist heute kein einziges mehr unter österreichischer Flagge registriert. Der Aufwand zur Umsetzung dieser umfassenden Kodifikation wäre somit unverhältnismäßig. Daher wird keine Ratifikation durch Österreich vorgeschlagen.

 

 

C. Das Seearbeitsübereinkommen

 

Das MLC ist eine rund 100 Seiten umfassende Kodifikation von 37 IAO-Übereinkommen und 30 IAO-Empfehlungen, die die Seeschifffahrt betreffen. Ausgespart blieben nur das Übereinkommen (Nr. 185) über die Ausweise für Seeleute, 2003, sowie das Übereinkommen (Nr. 71) über Altersrenten der Schiffsleute, 1946. Das MLC umfasst Beschäftigungsbedingungen, die Unterbringung sowie Freizeiteinrichtungen, Verpflegung, Gesundheitsschutz und medizinische Betreuung, Fürsorge und soziale Sicherheit der Seeleute.

 

Das MLC weicht von der üblichen Struktur von IAO-Instrumenten ab, die verbindlich zu ratifizierende Texte in "Übereinkommen" festhält und unverbindliche Anregungen in "Empfehlungen" fasst. Es folgt der Struktur der IMO-Übereinkommen, die einer inhaltlichen Gliederung (Titel) folgen und den verbindlichen Teil sowie den unverbindlichen Teil in einer einzigen Kodifikation vereinen.

 

Das MLC ist daher im IAO-Kontext ein komplettes Novum bestehend aus einer Präambel, verbindlichen Artikeln, die Grundsätzliches regeln, sowie aus fünf Titeln. Jeder Titel enthält Rechte die dreistufig geregelt sind:

1. verbindlicher Grundsatz = Regel;

2. detaillierte rechtlich verbindliche Norm;

3. ergänzende unverbindliche Leitlinie.

Normen und Leitlinien ergeben den "Code", wobei die Normen Teil A und die Leitlinien Teil B des Codes bilden. (Siehe auch Erläuternde Anmerkungen nach Art. XVI auf S. 14f des MLC, Druckfassung). Artikel und Regeln bilden einen festen Katalog von Rechten und Prinzipien, die nur durch die IAK mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden können. Normen und Leitlinien bilden den flexibleren Code, der einem vereinfachten Abänderungsverfahren unterliegt.

 

Weitere Besonderheiten des MLC im IAO-Kontext sind:

- Hohe Schwelle für das Inkrafttreten: 30 Ratifikationen und 33% der Bruttorraumzahl der Welthandelsflotte.

- Keine günstigere Behandlung für Außenseiter: Das MLC etabliert zwischen den Vertragsstaaten die Pflicht des Hafenstaates, Schiffe unter Flaggen von Staaten, die nicht ratifiziert haben, nicht besser zu behandeln als Schiffe unter Flaggen von Vertragsstaaten. Um Außenseiter nicht besser zu stellen, werden nach dem Inkrafttreten die Hafenstaaten die Inspektionen der Einhaltung der Seearbeitsnormen mit eventuellen Anhaltungen bei allen Schiffen durchführen. Vereinfachte Kontrollen wird es nur für Schiffe mit gültigem Seearbeitszeugnis geben. Somit entsteht einerseits Druck auf die Reeder zur Einhaltung des MLC, um ein positives Seearbeitszeugnis zu erhalten. Andererseits ist dieses Kontrollrecht für den Hafenstaat ein Anreiz zur Ratifikation.

- Gemeinsame Verantwortung für die Umsetzung: Nicht allein der Flaggenstaat ist verantwortlich, sondern je nach Bereich der Hafenstaat und manchmal auch der Staat, aus dem die Seeleute stammen (supplier country).

- Neuer Abänderungsmechanismus: Dieser ist den IMO-Übereinkommen SOLAS, MARPOL und STCW nachgebildet und ermöglicht Änderungen auf den jährlichen Internationalen Arbeitskonferenzen. Somit muss für Modernisierung nicht auf eine ungefähr alle 10 Jahre stattfindende Seeschifffahrtstagung der IAK gewartet werden.

 

1. Wesentlicher Inhalt des MLC

 

Der Präambel folgen 16 Artikel, die man als die "Verfassung" des MLC bezeichnen könnte:

Neben arbeits- und sozialrechtlichen Zielbestimmungen werden hier der Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und die Verantwortung für die Durchsetzung und die Struktur des MLC festgelegt, Inkrafttreten (und Kündigung) sowie das "vereinfachte" Abänderungsverfahren für den Code geregelt sowie die Einsetzung eines neuen dreigliedrigen Sonderausschusses für Seearbeitsnormen vorgesehen.

Den Artikeln folgen 5 Titel, die nach Rechten und Prinzipien gegliedert sind.

Titel 1: Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen

Titel 2: Beschäftigungsbedingungen

Titel 3: Unterkünfte, Freizeiteinrichtungen, Verpflegung einschließlich Bedienung

Titel 4: Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und            Gewährleistung der sozialen Sicherheit

Titel 5: Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen

 

Geltungsbereich:

Der Begriff Reeder wird in Art. II Abs. 1 lit. (j) definiert und erfasst auch die Unterauftragsvergabe. Aus Verständnisgründen wurde eine umschreibende Formulierung gewählt, da in vielen Sprachen (v.a. Asien) das Wort nicht existiert. Ziel ist, klar die Kette der Unterauftragsvergaben einzufangen um zur letzten verantwortlichen Einheit, dem "Reeder" / der "Reederin", zu kommen. Die umfassende Definition der Seeleute in Art. II Abs. 1 lit. (i) erfasst jeden, der an Bord arbeitet. Zu diesem Begriff wurde ergänzend eine erläuternde "Entschließung über die Berufsgruppen" angenommen.

Erfasst sind alle Schiffe, die gewöhnlich zu gewerblichen Tätigkeiten mit Ausnahme der Fischerei verwendet werden, unabhängig von der Bruttoraumzahl. Vom Geltungsbereich ausgenommen sind Dauen, Dschunken, Schiffe in Binnengewässern, in geschützten Gewässern oder deren unmittelbarer Nähe sowie in Gebieten, die einer Hafenordnung unterliegen. Eine Ausnahmemöglichkeit von der Anwendung von Teilen des Codes ist mit Zustimmung der nationalen Verbände der Sozialpartner für Schiffe mit einem Bruttoraumgehalt unter 200 Tonnen, die nicht international reisen, möglich. Dies gilt also nur für eigene Küstengewässer, aber nicht bei grenzüberschreitendem Verkehr wie z.B. der Küste zwischen Kanada und USA. EU-Staaten können gemäß der RL 2009/13/EG von dieser Ausnahme keinen Gebrauch machen.

 

Inkrafttretensbestimmungen:

Diese sind gezielt so festgelegt, dass die EU allein das MLC nicht in Kraft setzen oder Änderungen blockieren kann: Gemäß Art. VIII Abs. 3 tritt das MLC zwölf Monate nachdem die Ratifikationen von mindestens 30 Mitgliedern eingetragen worden sind, die zusammen über eine Bruttoraumzahl von mindestens 33 Prozent der Welthandelsflotte verfügen, in Kraft. Bisher wurden 19 Ratifikationen eingetragen (Stand 20.12.2011). Das zweite Kriterium ist bereits erfüllt.

 

Abänderungsmechanismen:

Daneben gibt es komplizierte Bestimmungen für Abänderungen und deren Inkrafttreten. Beim Abänderungsverfahren spielt der neue dreigliedrige Sonderausschuss (Art. XIII) eine wichtige Rolle. Er wird aus je zwei Regierungsvertreter/innen der Mitgliedstaaten, die ratifiziert haben, bestehen und aus den vom Verwaltungsrat nach Anhörung des (bereits bestehenden) Paritätischen Seeschifffahrtsausschusses ernannten Vertreter/innen der Reeder/innen und Seeleute. Bei jeder Sitzung werden die Stimmen so gewichtet, dass die Gruppe der Seeleute und der Reeder/innen jeweils über die Hälfte der Stimmstärke der Regierungsvertreter/innen verfügt.

 

Titel 1: Mindestanforderungen an Seeleute für die Arbeit auf Schiffen

Titel 1 sieht ein Mindestalter von 16 Jahren vor, regelt das ärztliche Tauglichkeitszeugnis und stellt sicher, dass Seeleute für die vereinbarte Tätigkeit ausgebildet und befähigt sind. Seeleute müssen Zugang zu einem wirksamen, gut geregelten und gut überwachten Anwerbungs- und Arbeitsvermittlungssystem haben, das es ihnen unentgeltlich ermöglicht, Beschäftigung auf einem Schiff zu finden. Abgesehen von allgemeinen Arbeitsvermittlungen, die nicht auf Seeschifffahrt spezialisiert sind, dürfen private Arbeitsvermittlungen für Seeleute nur nach einem vereinheitlichten Zulassungssystem betrieben werden.

Eine Sonderregelung in Norm A1.4 Abs. 3 für "Hiring Halls" erlaubt den Seeleuteverbänden unter bestimmten Voraussetzungen (jene der US und kanadischen Gesetzgebung und Kollektivvertragspraxis) den Betrieb eines Anwerbungs-Arbeitsvermittlungsdienstes. Die EU gab jedoch dazu eine Erklärung zu Protokoll, dass EU-Staaten diese Bestimmung nicht anwenden dürfen, weil dies ihren Verpflichtungen als EU-Mitgliedstaaten, die auch alle an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden sind, widersprechen würde. Die Möglichkeit, "closed shop" zu praktizieren, also Vereinbarungen abzuschließen, nach denen ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin nur Arbeitnehmer/innen aufnimmt, die Mitglied einer bestimmten Gewerkschaft sind, widerspricht nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) der Vereinigungsfreiheit im Sinne des Art. 11 EMRK.

 

Titel 2: Beschäftigungsbedingungen

Titel 2 sieht einen detaillierten, schriftlichen Beschäftigungsvertrag und die Bezahlung der vereinbarten Heuer vor und regelt Arbeits- und Ruhezeit sowie bezahlten Jahresurlaub. Der 8-Stunden-Tag und die 6-Tage-Woche sowie die Arbeitsruhe an Feiertagen werden als allgemeine Grundsätze festgelegt, wobei die tägliche Höchstarbeitszeit mit 14 Stunden und die wöchentliche mit 72 Stunden begrenzt wird. Der Mindesturlaub beträgt 2,5 Kalendertage pro Dienstmonat. Für die kostenlose Heimschaffung der Seeleute hat der Flaggenstaat zu sorgen. Es gibt keine Ausnahme der Kapitäne von den Arbeits- und Ruhezeiten. Der sichere Schiffsbetrieb muss durch in Anzahl und Ausbildung entsprechende Besatzung gewährleistet sein.

 

Titel 3: Unterkunftsräume, Erholungseinrichtungen, Nahrungsmittel und     Verpflegung

Die detaillierten und sehr präskriptiven Regelungen lassen bei Schiffen mit einer Bruttoraumzahl unter 3000 Tonnen eine gewisse Flexibilität zu. Die Vorgaben für Bau und Ausrüstung der Unterkünfte und Freizeiteinrichtungen gelten für Schiffe, die zum oder nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens gebaut werden. Titel 3 schreibt angemessene wirksam isolierte Unterkunftsräume (Größe, Höhe, Sicherheit, Sauberkeit, Raumklima, Heizung, Belüftung, Lärm, Vibration, sanitäre Einrichtungen, Beleuchtung, Krankenräume) und Erholungseinrichtungen (Messen, Erholungsplätze an Deck, Freizeitangebot) vor. Für genügend kostenfreie Nahrung einschließlich Trinkwasser an Bord in guter Qualität ist zu sorgen. Die detaillierten Vorschriften erstrecken sich von Abwechslungsreichtum, kulturellen und religiösen Gebräuchen über Hygiene bis zum qualifizierten Schiffskoch. Die Verpflichtung des Reeders / der Reederin, die Verpflegung gratis zur Verfügung zu stellen, erfasst auch jene Seeleute, die nur tagsüber an Bord sind.

Titel 3 gilt nämlich für alle Schiffe, auch für jene, auf denen Seeleute sich nur tagsüber aufhalten und nicht dort wohnen.

 

Titel 4: Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und        Sozialschutz

Der Flaggenstaat hat für medizinische Betreuung an Bord und an Land zu sorgen. Schiffe unter seiner Flagge müssen einem Arbeitsschutzsystem und Regelungen für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Unfallverhütung unterliegen. Die Reeder/innen müssen sicherstellen, dass Seeleute auf ihren Schiffen gegen die finanziellen Folgen bei Krankheit, Verletzung oder Tod während ihrer Tätigkeit geschützt sind. Der Hafenstaat hat für leicht zugängliche Sozialeinrichtungen an Land zu sorgen.

Zusätzlich zu diesen Bereichen muss bei der Ratifikation zunächst kein umfassender Schutz der sozialen Sicherheit gewährleistet sein. Es genügt, wenn im Zeitpunkt der Ratifikation in drei von neun Zweigen den Seeleuten ergänzender Schutz der Sozialen Sicherheit gewährt wird. Die Zweige sind: Ärztliche Betreuung, Krankengeld, Arbeitslosigkeit, Alter, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Familienleistungen, Mutterschaft, Invalidität, Hinterbliebene. Der Wohnsitzstaat hat Schritte zur Bereitstellung des Schutzes an alle seine Seeleute zu unternehmen. Für die Altersversorgung ist keine detaillierte Regelung vorgesehen.

 

Titel 5: Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen

Die Einleitung zu Titel 5 enthält eine Nichtdiskriminierungsklausel im Hinblick auf den gleichberechtigten Zugang der Seeleute zu Gerichten. Ein Zusatz stellt klar, dass Titel 5 weder materielle noch territoriale Zuständigkeit begründet (und somit das MLC gegenüber dem EU-Recht neutral ist).

Zur Sicherung der Durchsetzung sind folgende Mechanismen vorgesehen: Der Flaggenstaat hat für seine Schiffe ein Seearbeitszeugnis, das durch eine Seearbeitskonformitätserklärung (Erklärung über die Erfüllung der einschlägigen Seearbeitsvorschriften) ergänzt wird, auszustellen und regelmäßig zu überprüfen. Dieses gilt als Anscheinsbeweis, dass das Schiff den Durchführungsbestimmungen dieses Flaggenstaates zum MLC entspricht. Dies erspart dem Schiff die detaillierten Hafenstaatsinspektionen und führt somit zu kürzeren Aufenthalten in den Häfen. Der Flaggenstaat hat faire und zügige Beschwerdeverfahren an Bord vorzuschreiben. Im Hafen muss es für die Seeleute eine Beschwerdemöglichkeit an Land geben. Schwere Seeunfälle sind amtlich zu untersuchen. Der Hafenstaat kann jedes ausländische Schiff, für das das MLC gilt, auf die Einhaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord überprüfen und hat das Schiff bei besonders schweren Verfehlungen im Hafen festzuhalten (Norm A5.2.1 Abs. 6).

Nichtbegünstigungsklausel: Bei der Überprüfung eines Schiffs, das unter der Flagge eines Staates fährt, der das MLC nicht ratifiziert hat, darf dieses nicht günstiger behandelt werden als Schiffe, die unter der Flagge eines Staates fahren, der ratifiziert hat.

 

2. Die Entschließungen zum MLC;

 

Hervorzuheben sind zwei Entschließungen, die zum MLC angenommen wurden, weil sie voraussichtlich besondere Bedeutung für die Interpretation und Umsetzung des MLC haben werden:

"Entschließung über die Information von Berufsgruppen"

Im Hinblick auf die weite Definition des Begriffs "Seeleute" in Art. II Abs. 1 lit. (f) und die Vorschrift des Art. II Abs. 3, im Zweifelsfall die Zugehörigkeit einer Kategorie zu den Seeleuten durch die zuständige Behörde nach Konsultation mit den Sozialpartnern festzulegen, soll die IAO für einheitliche Auslegung sorgen. Die Entschließung geht ausführlich auf die Abgrenzungsproblematik ein und legt schließlich fünf zu berücksichtigende Kriterien fest.

Die "Entschließung über die praktische Umsetzung der Ausstellung von Zeugnissen

nach dem Inkrafttreten" berücksichtigt, dass das MLC keine Einschleifregelung für die Anlaufperiode der Ausstattung der Schiffe mit den Seearbeitszeugnissen und der notwendigen Aufstockung/Ausbildung der Hafenstaatsinspektionen enthält. Der Bedarf nach einer Einschleifregelung war bei den Verhandlungen übersehen worden und wurde den Delegierten der Seearbeitskonferenz erst zu einem Zeitpunkt bewusst, als der Übereinkommenstext schon angenommen worden war. Die Entschließung ermöglicht ein Übergangsjahr nach dem Inkrafttreten, in dem Schiffe ohne Seearbeitszeugnisse ungehindert zirkulieren können.

 

 

D. Das EU-Recht

 

D.1. Entscheidung des Rates 2007/431/EG vom 7. Juni 2007 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, das konsolidierte Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 2006 im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren

 

Wenn ein Übereinkommen Bestimmungen enthält, die in die ausschließliche Kompetenz der Union fallen, darf ein EU-Mitgliedstaat dieses Übereinkommen nur ratifizieren, wenn der Rat der EU eine entsprechende Ermächtigung dazu erteilt. Das MLC enthält Bestimmungen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Union in Bezug auf die Angleichung der Sozialversicherungssysteme fallen. Im Seeverkehr betrifft das die Zuständigkeitsverteilung, also wenn festgelegt wird, welcher Staat - z.B. der Flaggenstaat oder der Wohnsitzstaat - für die Einhaltung dieser Sozialversicherungsvorschriften zuständig ist.

 

Die Entscheidung des Rates vom 7.6.2007 enthält die erforderliche Ermächtigung sowie in Artikel 2 den eindringlichen Aufruf an alle EU-Mitgliedstaaten, vor Ende 2010 zu ratifizieren. Eine Verpflichtung zur Ratifikation besteht jedoch nicht.

 

Alle EU-Mitgliedstaaten außer Österreich stimmten der Entscheidung ausdrücklich zu. Um dem politischen Druck seitens der EU in Richtung Ratifikation vorzubeugen, enthielt sich Österreich der Stimme und hielt in einer Erklärung zum Ratsprotokoll fest, dass keine Ratifikationsabsicht besteht.

"Österreich ist sich der herausragenden Bedeutung des Seearbeitsübereinkommens bewusst und begrüßt weltweite Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Seeleute. Die Entschlossenheit der in der Seeschifffahrt maßgeblichen EU-Mitgliedstaaten, das Seearbeitsübereinkommen zu ratifizieren und umzusetzen, ist beeindruckend.

Als in der Seeschifffahrt unbedeutender Binnenstaat will Österreich daher nicht der Deklaration des politischen Willens zu einer konzertierten Vorgangsweise der übrigen Mitgliedsstaaten im Wege stehen, dieses Übereinkommen möglichst bis 2010 zu ratifizieren.

Andererseits ersucht Österreich um Verständnis, dass es sich diesem Willen nicht anschließen kann. Angesichts der minimalen Bedeutung der Seeschifffahrt wäre der Aufwand zur Umsetzung dieses umfassenden Seearbeitsübereinkommens unverhältnismäßig. Österreich hat somit nicht die Absicht, Schritte zur Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens einzuleiten.

Daher enthält sich Österreich der Stimme."

 

Im November 2009 wurde durch die Europäische Kommission endgültig klargestellt, dass keine Verpflichtung zur Ratifikation besteht: Anlässlich einer gleichlautenden Formulierung in Artikel 2 der "Entscheidung des Rates zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, das Übereinkommen über die Arbeit im Fischereisektor der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 2007 (Übereinkommen 188) im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren" erging eine Erklärung der Europäischen Kommission zum Ratsprotokoll, dass Art. 2 lediglich als Empfehlung zu verstehen ist und somit nicht zur Ratifikation verpflichtet.

 

D.2. Richtlinie 2009/13/EG des Rates vom 16. Februar 2009 zur Durchführung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) über das Seearbeitsübereinkommen 2006 und zur Änderung der Richtlinie 1999/63/EG

 

Nach 18-monatigen Verhandlungen hatten die Verbände der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen der Seeverkehrswirtschaft am 19. Mai 2008 eine Vereinbarung gemäß Artikel 139 EG-V abgeschlossen, die vom Rat durch o.g. Richtlinie in Kraft gesetzt wurde.

 

Die Vereinbarung der Sozialpartner

-     ändert die Richtlinie 1999/63/EG über die Arbeitszeit von Seeleuten (Anpassung des Geltungsbereichs, neue Bestimmung für die Nachtarbeit von jugendlichen Seeleuten, medizinisches Tauglichkeitszeugnis),

-     übernimmt einen Teil der Bestimmungen betreffend Arbeitsbedingungen für Seeleute, ihre Verpflegung sowie hinsichtlich des Schutzes der Gesundheit, der medizinischen Betreuung und der sozialen Betreuung aus dem MLC. Es konnten nur Bestimmungen übernommen werden, die in die EU- Zuständigkeit fallen.

 

Inkrafttreten der Richtlinie: Gleichzeitig mit dem MLC.

Umsetzungsfrist: 12 Monate nach Inkrafttreten.

Geltungsbereich der Richtlinie:

-     Grundsätzlich für alle Schiffe, die unter einer Gemeinschaftsflagge fahren. Die im MLC vorgesehene Möglichkeit, kleinere Schiffe aus dem Anwendungsbereich auszunehmen wurde für die EU nicht übernommen.

-     Alle Seeleute, die auf einem Schiff arbeiten, unabhängig davon, ob sie einen Arbeitsvertrag haben oder nicht, also auch Lehrlinge oder Praktikanten/innen.

Günstigkeitsklausel: Günstigere Bestimmungen der EU-Mitgliedstaaten als jene der

Richtlinie müssen jedenfalls beibehalten werden.

 

Die Bestimmungen des MLC über die medizinische Betreuung von Seeleuten, über den Schutz der Gesundheit und Sicherheit sowie die Unfallverhütung werden weitgehend von den Richtlinien 92/29/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zum Zweck einer besseren medizinischen Versorgung auf Schiffen bzw. 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer/innen bei der Arbeit abgedeckt.

 

D.3. Richtlinie 92/29/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zum Zweck einer besseren medizinischen Versorgung auf Schiffen

 

Dieser Richtlinie wird in Österreich durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl Nr. 459/1994, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/ 2011, das Seeschifffahrtsgesetz (SeeSchFG), BGBl. Nr. 174/1981, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 3/2011 (VfGH), sowie durch die Verordnung über die medizinische Betreuung an Bord von Seeschiffen, BGBl. II Nr. 365/1998, entsprochen.

 

D.4. Richtlinie 1999/63/EG des Rates vom 21. Juni 1999 zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners‘ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers‘ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Reglung der Arbeitszeit von Seeleuten

 

Die Seearbeitszeitrichtlinie in der aktuell geltenden Form (die Änderungen durch die RL 2009/13/EG treten erst mit dem MLC in Kraft) transformiert das IAO-Übereinkommen (Nr. 180) über die Arbeitszeit der Seeleute und die Besatzungsstärke der Schiffe, 1996, in EU-Recht und wird in Österreich umgesetzt durch das Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz (KJBG), BGBl. Nr. 599/1987, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 93/2010, sowie in der dazu erlassenen KJBG-Verordnung über Beschäftigungsverbote und -beschränkungen, BGBl. II Nr. 436/1998, das Arbeitszeitgesetz (AZG), BGBl. Nr. 461/1969, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 93/2010, das Arbeitsruhegesetz (ARG), BGBl. Nr. 144/1983, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2010, das Urlaubsgesetz (UrlG), BGBl. Nr. 390/1976, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2010, das Seeschifffahrtsgesetz (SeeSchFG) sowie durch den Kollektivvertrag für die Beschäftigten der österreichischen Hochseeschifffahrt, KV 229/2006 vom Dezember 2005, gültig ab 1. Jänner 2006.

 

D.5. Richtlinie 1999/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 zur Durchsetzung der Arbeitszeitregelung für Seeleute an Bord von Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen

 

Die Richtlinie wurde zur EU-weiten Überwachung der Einhaltung durch Kontrollen in den EU-Häfen erlassen. Dieses Verfahren, wonach die Hafenstaatskontrolle im Falle übermüdeten Wachpersonals bis zur Anhaltung des Schiffes gehen kann, hat Ähnlichkeit mit dem Kontroll- und Anhaltungsverfahren in Titel 5 des MLC. Auch die Nichtbegünstigungsklausel ist enthalten. Österreich hat diese EU-Richtlinie nicht umgesetzt. Dies wurde toleriert, da Österreich kein Küstenstaat ist.

 

D.6. Darüber hinaus gilt ein Großteil der (von Österreich umgesetzten) EU-Vorschriften über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz uneingeschränkt für die Seearbeit. Dadurch werden einheitliche Mindeststandards für alle EU-Mitgliedstaaten gesetzt. Diese Arbeitsschutz-Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen, wobei die Mindeststandards national verbessert, nicht aber verschlechtert werden dürfen. Insbesondere sind das die Rahmenrichtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit sowie die entsprechenden Einzelrichtlinien im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der genannten Richtlinie. In Österreich werden die Bestimmungen der Arbeitsschutz-Richtlinien vor allem durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) sowie durch die dazu erlassenen Verordnungen umgesetzt. Detaillierte Vorschriften über die Gestaltung der Arbeitsstätte und über sichere Arbeitsvorgänge enthält darüber hinaus Teil H der Seeschifffahrts-Verordnung (SeeSchFVO), BGBl Nr. 189/1981, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 74/2011 (VfGH).

 

D.7. Richtlinie 2008/106/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten

 

Die Richtlinie dient der einheitlichen Durchführung des IMO-Übereinkommens über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW) in der EU und wurde in Österreich durch das Seeschifffahrts-Erfüllungsgesetz (SSEG), BGBl. Nr. 387/1996, idF. BGBl. I Nr. 32/2002, und die dazu ergangene STCW-Verordnung, BGBl. II Nr. 228/2000, idF. BGBl. II Nr. 346/2005, umgesetzt. Das MLC verlangt, dass sichergestellt wird, dass Seeleute für die vereinbarte Tätigkeit ausgebildet oder befähigt sind, und erkennt diesbezüglich die in Übereinstimmung mit IMO-Instrumenten durchgeführten Ausbildungen und Befähigungsnachweise als ausreichend an.

 

D.8. Richtlinie 2009/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr und zur Änderung der Richtlinie 1999/35/EG des Rates und der Richtlinie 2002/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

 

Zur Umsetzung dieser Richtlinie ist geplant, das Unfalluntersuchungsgesetzes, BGBl. I Nr. 123/2005, idF. BGBl. I Nr. 2/2008, wonach tödliche und schwere Unfälle im Bereich Luftfahrt, Eisenbahn, Seilbahn und Schifffahrt zu untersuchen sind, auf die Seeschifffahrt auszudehnen.

 

Bisher hat Österreich alle EU-Vorschriften zur Seeschifffahrt und Seearbeit umgesetzt und wird voraussichtlich auch die RL 2009/13/EG (s.o. Pkt. D.2.) umsetzen müssen.

 

Folgende Regeln und Normen des MLC werden durch die EU übernommen:

 

Titel 1: Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen

·        Mindestalter 16 Jahre und besonderer Schutz für Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr ( Regel 1.1, Norm A1.1)

·        Ärztliches Zeugnis (Regel 1.2, Norm A1.2)

·        Ausbildung und Befähigungen (Regel 1.3 Absätze 1-3, nicht jedoch Absatz 4, der den Übergang vom IAO-Übereinkommen Nr. 74 über Befähigungsnachweise für Vollmatrosen zum MLC regelt)

Die EU übernimmt (mangels Kompetenz) nicht die Bestimmungen über Anwerbung und Arbeitsvermittlung (Regel 1.4, Norm A1.4).

 

Titel 2: Beschäftigungsbedingungen

·        Beschäftigungsverträge für Seeleute (Regel 2.1, Norm A2.1)

·        Arbeitszeiten und Ruhezeiten (Regel 2.3, Norm A2.3 ohne Abs. 4 und 12, also ohne die Bestimmungen zu den Gefahren der Übermüdung und zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten)

·        Urlaubsanspruch (Regel 2.4, Norm A2.4)

·        Heimschaffung (Regel 2.5, Norm A2.5)

·        Entschädigung der Seeleute bei Schiffsverlust oder Schiffbruch (Regel 2.6, Norm A2.6)

·        Besatzungsstärke der Schiffe (Norm A2.7)

·        Berufliche Entwicklung und Qualifizierung der Seeleute (Regel 2.8, Norm A2.8)

Die EU trifft (mangels Kompetenz) keine Regelungen über Heuern (Regel 2.2, Norm A2.2).

 

Titel 3: Unterkünfte, Freizeiteinrichtungen, Verpflegung einschließlich Bedienung

·        Unterkünfte und Freizeiteinrichtungen: Die EU übernimmt lediglich Norm A.3.1 Absätze 16-19 (Schutzvorrichtungen in Moskitogebieten; angemessene Freizeiteinrichtungen; angemessene, saubere wohnliche Unterkünfte, wobei dies auch häufig vom Kapitän oder in dessen Verantwortung zu überprüfen ist; Abweichungen zur Berücksichtigung unterschiedlicher sozialer und religiöser Gebräuche der Seeleute)

·        Verpflegung einschließlich Bedienung (Regel 3.2, Norm A.3.2)

Die EU implementiert nicht die umfassenden und detaillierten Bestimmungen über Unterkünfte in Regel 3.1 und Norm A3.1 Absätze 1-15 und 20-21.

 

 

Titel 4: Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und            Gewährleistung der sozialen Sicherheit

·        Medizinische Betreuung an Bord und an Land (Regel 4.1 Abs. 1, 3 und 4, Norm A4.1 mit Ausnahme des Abs. 1 lit. d). Die EU übernimmt alle Verpflichtungen mit Ausnahme jener, dass die medizinische Betreuung an Bord oder beim Aufenthalt in einem ausländischen Hafen für die Seeleute kostenlos zu sein hat.

·        Verpflichtungen der Reeder/innen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Regel 4.2, Norm A4.2)

·        Schutz der Gesundheit und Sicherheit und Unfallverhütung (Regel 4.3, Norm A4.3) mit Ausnahme von der Verpflichtung bei der Meldung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die betreffenden IAO-Leitlinien und bei Berichten und Untersuchungen über Arbeitsschutzbelange die von der IAO veröffentlichten Anleitungen zu berücksichtigen)

·        Zugang zu Sozialeinrichtungen an Land (Regel 4.4, Norm A4.4)

 

Die EU übernimmt nicht die Regeln zur sozialen Sicherheit (Regel 4.5, Norm A4.5). Gemäß Norm A4.5 Absatz 4 können Organisationen für regionale Wirtschaftsintegration – dieser Begriff wurde speziell im Hinblick auf die EU aufgenommen – abweichende Regelungen für die soziale Sicherheit der Seeleute vorsehen.

 

Titel 5: Erfüllung und Durchsetzung

Die EU übernimmt nur einen Bereich, nämlich

·        Verantwortlichkeiten des Flaggenstaates:

Beschwerdeverfahren an Bord (Regel 5.1.5, Norm A5.1.5)

 

Die übrigen Bestimmungen über die Durchsetzung 5.1 betreffend die Verantwortlichkeiten des Flaggenstaats – 5.1.1 (Allgemeine Grundsätze), 5.1.2 (Ermächtigung anerkannter Organisationen), 5.1.3 (Seearbeitszeugnis und Seearbeits-Konformitätserklärung), 5.1.4 (Überprüfung und Durchsetzung), 5.1.6 (Seeunfälle) – sowie 5.2 betreffend die Verantwortlichkeiten des Hafenstaates – 5.2.1 (Überprüfungen im Hafen) und 5.2.2 (Verfahren für die Behandlung von Beschwerden von Seeleuten an Land) – und 5.3 (Verantwortlichkeiten im Bereich der Vermittlung von Arbeitskräften) verbleiben der nationalen Kompetenz.

 

 

E. Die österreichische Rechtslage

 

Trotz der Binnenlage Österreichs gibt es in Österreich einen Kollektivvertrag für die Beschäftigten der österreichischen Hochseeschifffahrt, KV 229/2006 vom Dezember 2005, gültig ab 1. Jänner 2006. Er gilt für Seeschiffe unter österreichischer Flagge, die von einer Reederei betrieben werden, die Mitglied des entsprechenden Fachverbandes der Wirtschaftskammer Österreich ist, der auch Schifffahrtsunternehmungen umfasst.[1]

 

Seeleute unterstehen diesem Vertrag zum Zeitpunkt ihrer Anmusterung (gleichgültig ob ein Heuervertrag unterzeichnet wurde oder nicht) bis zu ihrer Abmusterung und/oder dem Zeitpunkt, bis zu dem der/die Reeder/in gemäß diesem Kollektivvertrag heuerzahlungspflichtig ist.

 

Der Kollektivvertrag enthält Regelungen der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer/innen, u.a. Regelungen über Mindestalter, Beginn und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Entlohnung, Arbeitszeit, Arbeitsruhe, Urlaub, Heimschaffung und Entschädigungsleistungen für Seeleute bei Schiffbruch. Der Kollektivvertrag enthält nicht Ausführungen zu allen im MLC behandelten Bereichen.

 

Im Übrigen gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen, arbeitnehmerschutzrechtlichen, arbeitsmarktrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen.

 

Folgende Gesetze und Verordnungen betreffen Bereiche des MLC:

·        Angestelltengesetz 1921 (AngG 1921), BGBl. Nr. 292/1921, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 58/2010

·        Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz (AVRAG), BGBl. Nr. 495/1993, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2011

·        Urlaubsgesetz (UrlG), BGBl. Nr. 390/1976, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2010

·        Entgeltfortzahlungsgesetz 1974 (EFZG 1974), BGBl. Nr. 399/1974, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2010

·        Arbeitszeitgesetz (AZG), BGBl. Nr. 461/1969, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 93/2010

·        Arbeitsruhegesetz (ARG), BGBl. Nr. 144/1983, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2010

·        Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz (KJBG), BGBl. Nr. 599/1987, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 93/2010

o   KJBG-Verordnung über Beschäftigungsverbote und -beschränkungen, BGBl. II Nr. 436/1998

·        ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl. Nr. 459/1994, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/ 2011

o   Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl. Nr. 218/1983

o   Verordnung über die Gesundheitsüberwachung (VGÜ), BGBl. II Nr. 27/1997

o   Verordnung über die Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente (DOK-VO), BGBl.Nr. 478/1996, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 53/1997

o   Verordnung über die Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP-VO), BGBl. Nr. 172 /1996

o   Verordnung über Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Arbeitnehmerinnen, BGBl. II Nr. 356/2001, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 279/2008

o    Arbeitsmittelverordnung (AM-VO), BGBl. II Nr. 164/2000, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 21/2010

o    Arbeitsstättenverordnung (AStV), BGBl. II Nr. 368/1998, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 256/2009

o    Elektroschutzverordnung 2003 (ESV 2003), BGBl. II Nr. 424/2003

o    Verordnung über die Fachausbildung der Sicherheitsfachkräfte und die Besonderheiten der sicherheitstechnischen Betreuung für den untertägigen Bergbau (SFK-VO), BGBl. Nr. 277/1995, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 13/2007

o    Verordnung über Grenzwerte für Arbeitsstoffe und über krebserzeugende Arbeitsstoffe (Grenzwerteverordnung 2007 – GKV 2007), BGBl. II Nr. 253/2001, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 243/2007

o    Verordnung Lärm und Vibrationen (VOLV), BGBl. II Nr. 22/2006, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 302/2009

o    Verordnung optische Strahlung (VOPST), BGBl. II Nr. 221/2010

o    Verordnung explosionsfähige Atmosphären (VEXAT), BGBl. II Nr. 309/2004, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 140/2005

o    Flüssiggas-Verordnung 2002 (FGV 2002), BGBl. II Nr. 446/2002

o    Bildschirmarbeitsverordnung (BS-V), BGBl. II Nr. 124/1998

o    Druckgaspackungslagerungsverordnung 2002 (DGPLV 2002), BGBl. II Nr. 489/2002

·        Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2011

·        Arbeitsmarktförderungsgesetz 1969 (AMFG 1969), BGBl. Nr. 31/1969, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 12/2009

·        Seeschifffahrtsgesetz (SeeSchFG), BGBl. Nr. 174/1981, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 3/2011 (VfGH)

o    Seeschifffahrts-Verordnung (SeeSchFVO), BGBl. Nr. 189/1981, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr.74/2011 (VfGH)

o    Verordnung über die medizinische Versorgung an Bord von Seeschiffen, BGBl. II Nr. 365/1998

·        Bundesgesetz zur Erfüllung internationaler Seeschifffahrtsübereinkommen (Seeschifffahrts-Erfüllungsgesetz - SSEG), BGBl. Nr. 387/1996, idF. BGBl. I Nr. 32/2002

o    Verordnung über die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW-Verordnung), BGBl. II Nr. 228/2000, idF. BGBl. II Nr. 346/2005

·        Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion 1994 (VAIG 1994) BGBl. Nr. 650/1994, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2011

 

Eine erste Sondierung der österreichischen Rechtslage einschließlich des Kollektivvertrags hat ergeben, dass Österreich im Bereich Arbeitszeit, Arbeitsruhe und Besatzungsstärke der Schiffe das MLC erfüllt, da hier EU-Recht umgesetzt (RL 1999/63/EG, s.o.) werden musste, das Bestimmungen, die dem MLC entsprechen, bereits anlässlich früherer IAO-Übereinkommen übernommen hat. Weiters erfüllt Österreich das Verbot der Kinderarbeit bis 16 Jahre aufgrund des Kollektivvertrags sowie die Jugendschutzvorschriften. Die Vorgaben für das ärztliche Tauglichkeitszeugnis werden zum Teil erfüllt.

 

Hinsichtlich der medizinischen Betreuung, einschließlich der Kostentragung durch den Reeder / die Reederin für Erkrankungen/Verletzungen an Bord und Entgeltfortzahlung sowie hinsichtlich des Arbeitnehmer/innenschutzes erfüllt Österreich weitgehend. Grundsätzlich gelten für Seeschiffe unter österreichischer Flagge die allgemeinen Arbeitnehmer/innenschutzvorschriften des ASchG und die dazu erlassenen Verordnungen. Die wesentliche Bestimmung ist § 31 ASchG. Weiters sieht die SeeSchFVO sehr detaillierte Vorschriften über die Gestaltung der Arbeitsstätte und über sichere Arbeitsvorgänge vor, wie beispielsweise betreffend Schutzvorkehrungen an Luken oder Mastleitern. Laut VAIG 1994 sind Reeder/innen nicht nur verpflichtet, schwere oder tödliche Arbeitsunfälle auf See an das Verkehrs-Arbeitsinspektorat zu melden, sondern alle Arbeitsunfälle, bei denen Arbeitnehmer/innen verletzt oder getötet wurden.

 

Bei der sozialen Sicherheit entspricht die österreichische Rechtslage zum Teil: Die diesbezüglichen österreichischen Regelungen sehen im Zusammenhalt mit den Regelungen der EU den Sozialen Schutz für alle auf unter österreichischer Flagge fahrenden Schiffen beschäftigten Österreicher/innen, EU-Bürger/innen und Drittstaatsangehörigen mit rechtmäßigem Wohnort in einem Mitgliedstaat der EU vor.

 

Hinsichtlich Ausbildung und Befähigungsnachweise erfüllt Österreich weitgehend, da die umfassenden Vorschriften des STCW-Übereinkommens der IMO umgesetzt wurden. Zur Arbeitsvermittlung gibt es in Österreich keine spezifischen Regelungen für Seeleute.

 

Betreffend die in Titel 5 verlangte amtliche Untersuchung von schweren Seeunfällen ist über die Untersuchungspflicht von § 13 SSEG hinaus in Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-RL 2009/18/EG (s.o. Pkt. D.8.) in Aussicht genommen, das Unfalluntersuchungsgesetz, wonach tödliche und schwere Unfälle im Bereich Luftfahrt, Eisenbahn, Seilbahn und Schifffahrt zu untersuchen sind, auf die Seeschifffahrt auszudehnen.

 

Anpassungsbedarf bestünde im Falle einer Ratifikation in vielen Punkten, zum Beispiel:

·        Ein schriftlicher Arbeitsvertrag für Seeleute wäre einzuführen (Norm A2.1 Abs. 1 lit. a).

·        Ein Austrittsrecht für Seeleute aus familiären Gründen wäre vorzusehen (Norm A2.1 Abs. 6).

·        Ein Recht auf Landgang für Seeleute wäre in Ergänzung der Urlaubsbestimmungen zu verankern (Regel 2.4 Abs.2).

·        Beim ärztlichen Tauglichkeitszeugnis wäre u.a. die Ausstellung durch einen unabhängigen und qualifizierten Arzt vorzuschreiben und die Gültigkeit von fünf auf zwei Jahre herabzusetzen (Norm A1.2 Abs. 4 und Abs. 7).

·        Die Bestimmungen des Kollektivvertrags über die Entschädigung der Seeleute bei Schiffverlust/-bruch und über für Seeleute kostenlose Heimschaffung müssten erweitert werden (Regel 2.5, Norm A2.5).

·        Eine innerstaatliche Politik zur Förderung der beruflichen Entwicklung und Qualifizierung sowie von Beschäftigungschancen für Seeleute müsste verfolgt werden (Regel 2.8, Norm A2.8).

·        Es wäre sicherzustellen, dass das Arbeitsmarktservice bei der Arbeitsvermittlung von Seeleuten deren im MLC vorgesehenen Beschäftigungsrechte schützt und fördert (Norm A1.4 Abs.1).

·        Auch wenn die allgemeinen Arbeitnehmer/innenschutzvorschriften und die SeeSchFVO die Vorgaben des MLC (Regel 4.3 und Norm A4.3) weitgehend abdecken, wären wohl noch Durchführungsbestimmungen zu treffen (z.B. zum Sicherheitsausschuss des Schiffes, Norm A4.3 Abs. 2 lit. d).

·        Ein Beschwerdeverfahren an Bord mit Vorkehrungen gegen Schikanierung der Seeleute, die Beschwerden einreichen, müsste vorgesehen werden (Regel 5.1.5, Norm A5.1.5).

 

Sollte der Kollektivvertrag außer Kraft treten, wären jedenfalls zusätzliche legistische Anpassungen im Arbeitsrecht, insbesondere hinsichtlich Mindestalter, wöchentliche Ruhezeit, Jahresurlaub, Entgeltzahlung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Heimschaffung notwendig.

 

Im Falle des Inkrafttretens der EU-Richtlinie 2009/13/EG (s.o. Pkt. D.2.) müsste Österreich die oben genannten Anpassungen voraussichtlich vornehmen. Damit wäre das MLC aber noch lange nicht erfüllt. Darüber hinaus müssten unter anderen noch folgende Anpassungen vorgenommen werden:

 

·        Es müsste vorgeschrieben werden, dass Reeder/innen, wenn sie für ihre Schiffe unter österreichischer Flagge Anwerbungs- und Arbeitsvermittlungsdienste aus Gebieten, in denen das MLC nicht durchgeführt wird, in Anspruch nehmen, soweit wie möglich sicherstellen, dass diese Dienste den Anforderungen des MLC entsprechen (Regel 1.4 Abs. 3, Norm 1.4 Abs. 9).

·        Die detaillierten Vorschriften der SeeSchFVO über die Unterkünfte und Freizeiteinrichtungen an Bord müssten angepasst werden, da das MLC in Titel 3 einen höheren Standard vorsieht (z.B. größere Unterkünfte, bessere sanitäre Ausstattung und in heißen Zonen Klimaanlagen).

·        Hinsichtlich des Anspruchs auf medizinische Betreuung müsste klargestellt werden, dass auch zahnärztliche Behandlung inkludiert ist (Norm A4.1 Einleitungssatz). Weiters wäre eine kostenfreie funkärztliche Beratung vorzusehen (Norm A4.1 Abs. 4 lit. d).

·        Für alle Seeleute mit österreichischem Wohnsitz, die unter der Flagge eines Drittstaats arbeiten, müsste ein den österreichischen Arbeitnehmer/innen zumindest gleich günstiger sozialversicherungsrechtlicher Schutz in drei von den in Norm A4.5 Abs. 1 genannten neun Zweigen der sozialen Sicherheit eingeführt werden (Norm A4.5 Abs. 3).

·        Ein aufwändiges Verfahren zur Ausstellung des Seearbeitszeugnisses und der Seearbeitskonformitätserklärung für Schiffe unter Österreichischer Flagge sowie zur regelmäßigen Überprüfung der Einhaltung der Bedingungen des MLC müsste neu geschaffen werden (Titel 5 Regel 5.1 und Regeln 5.1.1, 5.1.2, 5.1.3, 5.1.4).

 

 

F. Zur Frage der Ratifikation

 

Dazu wurden jene Dienststellen des Bundes, die vom Thema berührt sind, sowie die maßgebenden Organisationen der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen um Stellungnahme ersucht, wobei sich alle Interessenvertretungen abgesehen von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) nicht geäußert haben.

 

Ohne ausdrücklich eine Ratifikation zu befürworten, wies die WKÖ darauf hin, dass die Ratifikation des MLC durch Österreich für eine österreichische Reederei von Nutzen wäre, damit sie für Seeschiffe unter österreichischer Flagge die erforderliche österreichische Seearbeitskonformitätserklärung und das erforderliche Seearbeitszertifikat erhalten könne, bei dessen Vorweis das Schiff grundsätzlich nicht zur Kontrolle der Arbeitsbedingungen im Hafen angehalten werden darf. Dazu ist anzumerken, dass nunmehr keine österreichische Reederei, die Seeschiffe betreibt, existiert.

 

Die Bedeutung der Seeschifffahrt für Österreich ist auf Grund der Binnenlage sowohl als Hafenstaat, Flaggenstaat und auch als Herkunftsstaat von Seeleuten gering: Hafenstaat: Österreich wird de facto von Seeschiffen nicht angelaufen, auch wenn dies theoretisch im Wege der Donau möglich wäre.

Flaggenstaat: Es sind keine Seeschiffe, die gewöhnlich zu gewerblichen Tätigkeiten verwendet werden, unter österreichischer Flagge registriert.

Herkunftsstaat: Die genaue Zahl der in der Seeschifffahrt tätigen Seeleute mit österreichischer Staatsangehörigkeit ist nicht bekannt. Die Zahl österreichischer Staatsbürger/innen, die auf fremden Schiffen verheuert sind, lässt sich anhand der vom BMVIT ausgestellten Seedienstbücher grob schätzen. Seit dem Jahre 1989 wurden 158 Seedienstbücher ausgestellt, wobei anzumerken ist, dass für österreichische Staatsbürger/innen bei einer Verheuerung auf fremden Schiffen - im Gegensatz zur Verheuerung auf österreichischen Seeschiffen - keine Verpflichtung besteht, ein Seedienstbuch zu besitzen bzw. die Ausstellung eines solchen zu beantragen.

 

Für die Ratifikation des MLC besteht nach einhelliger Ansicht der primär zuständigen Bundesministerien (Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz sowie Verkehr, Innovation und Technologie) kein Bedürfnis, da Österreich als Binnenstaat kaum betroffen ist. Auch das Argument internationaler und europäischer Solidarität wird durch den erheblichen legistischen Aufwand der Rechtsanpassung, den eine Ratifikation erfordern würde, und durch die Kosten, die der Verwaltungsaufwand zur Umsetzung des Titels 5 des MLC bedeuten würde und die für Österreich in keinem Kosten-Nutzenverhältnis stehen, entkräftet.

 

Die Bundesregierung hat in der Sitzung des Ministerrates vom 28. Februar 2012 beschlossen, dem Bericht über das Seearbeitsübereinkommen, 2006, zuzustimmen, die beteiligten Bundesministerinnen und Bundesminister einzuladen, bei allfälligen künftigen Maßnahmen auf dem gegenständlichen Gebiet die Bestimmungen des Übereinkommens so weit wie möglich zu berücksichtigen, und den angeschlossenen Bericht dem Nationalrat zu übermitteln.

 

Die Bundesregierung schlägt daher vor, der Nationalrat möge den Bericht über das Seearbeitsübereinkommen, 2006, zur Kenntnis nehmen.



[1] Der Kollektivvertrag stellt auf "Seeschiffe von Reedereien die dem Fachverband

Schifffahrtsunternehmungen angehören" ab. Dieser existiert nicht mehr. Es gibt nun einen

Fachverband für Autobus-, Luftfahrt und Schifffahrtunternehmungen mit Berufsgruppe Schifffahrt.