10274/J XXIV. GP

Eingelangt am 12.01.2012
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Stefan Markowitz, Dr. Spadiut

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Gesundheit

betreffend fadenscheinige Begründung zur Datierung der Einstufung offensichtlicher Contergan-Opfer

 

Die Zeittafel zur Entwicklung des Medikamentes „Contergan“ sieht folgendermaßen aus:

 

1914                Heinrich Mückter wird in Linnich (Ortsteil Körrenzing) geboren.

1940                            Gründung des Institutes für Fleckfieber- und Virusforschung des Ober-Kommandos

des Heeres in Krakau / Polen.

1942                            Dr.med. Heinrich Mückter wird stellvertretender Leiter des Institutes für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres in Krakau/Polen.

1942                Die „Forschungsgruppe der Militärärztlichen Akademie der Wehrmacht“ (Heeresfilm

stelle) produziert den Lehrfilm „Kampf den Fleckfieber“.

1944                            Gemäß der Aussage von Martin Johnson (Thalidomid Trust GB) teilt der IG-Farber Direktor „Fritz ter Meer“ dem ranghöchsten NS-Mediziner, Generalkommissar für Kampfstofffragen (Giftgas) und Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Prof. Dr. Karl Brandt, mit, dass die Substanz Nr. 4589 getestet und zum Einsatz bereit sei. Die Substanz Nr. 4589 soll - so Martin Johnson - mit der chemischen Formel von Thalidomid deckungsgleich sein.

1946                Eintragung der Firma Chemie Grünenthal (Stolberg/Rheinland) ins Handelsregister.

1946                Dr.med. Heinrich Mückter wird Mitarbeiter der Firma Chemie Grünenthal in Stolberg                     bei Aachen.

März 1954      Laut Darstellung der Firma Grünenthal/Stolberg synthetisieren der Pharmakologe Herbert Keller und der Apotheker Dr. Wilhelm Kunz erstmals in der Forschungsabteilung des Unternehmens Thalidomid (N-Pthalylglutamin-Säureimid); ein Derivat des bekannten Schlaf- und Schmerzmittels Doriden des Schweizer Pharmakonzerns Ciba.

Ab 1954          Erste Geburten von mutmaßlich thalidomidgeschädigten Kindern in Chile, Österreich und den USA.

April 1954        Unter der Bezeichnung K 17 wird Thalidomid beim Deutschen Patentamt angemeldet.


1955                Die Substanz K 17 wird an der Medizinischen Universitätsklinik Köln an 300 Patienten getestet. Der durchführende Arzt berichtet nach Abschluss der Versuchsreihe über eine gute Verträglichkeit als Sedativum.

Dez. 1956       „Thalidomid-Symposium; Pharmakologen der Firma Grünenthal stellen die toxikologischen und pharmakologischen Resultate ihrer Studien mit K 17 vor. Bereits zu diesem Zeitpunkt fällt auf, dass sich die Experimente im Tierversuch auf Nagetiere beschränken.

19556                         Der Leiter der Forschungsabteilung der Firma Grünenthal, Dr. Heinrich Mückter, bezeichnet in einem Aufsatz in dem Fachblatt Arzneimittelforschung „K 17 als relativ starkes Sedativum, dessen völlige Ungiftigkeit eine klinische Prüfung rechtfertige“.

1956                Die US-amerikanische Pharmafirma Smith, Kline & French (Philadelphia) zeigt Interesse an einem Lizenzvertrag für Thalidomid. Es kommt jedoch nicht zu einem Vertrag mit der Firma Grünenthal, da das Unternehmen bei hauseigenen Versuchen an Mäusen feststellt, dass der Wirkstoff trotz hoher Dosen von Thalidomid die motorische Aktivität der Tiere kaum reduziert. In einem Brief teilt Smith, Kline & French dem Stolberger Unternehmen mit, dass Thalidomid „keine bedeutende neue Wirkung“ habe.

1956                           Erste Hinweise darauf, das Thalidomid erhebliche Nebenwirkungen hat. Klinische Prüfer berichten von Nervenbeschwerden, Kopfschmerzen, hang-over-Effekt, wahrscheinlich allergischen Hautreaktionen, Obstipation und Schwindel. Sie verweisen aber auch auf die gute schlaffördernde Wirkung. Den Nebenwirkungen wird keine große Bedeutung beigemessen.

1956 -1958     Klinischer Versuch in einer privaten Fachkfinik für Gynäkologie. Schwangeren wird im Rahmen der Testreihe Thalidomid nicht verabreicht.

Juni 1956                    Thalidomid wird von der Firma Grünenthal als neuer Arzneistoff bei der Gesundheitsabteilung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums angemeldet. Eine Rezeptpflicht ist nicht geplant.

August 1956    Der Direktor der Universitätsfrauenklinik Bonn lehnt die klinische Erprobung von Thalidomid aus „prinzipiellen Erwägungen“ ab.

Nov. 1956       Grünenthal bringt das thalidomidhaltige Erkältungsmittel „Grippex“ im Raum Hamburg als Feldversuch in den Handel.

 

Herr A. wurde am 14.07.1954 mit einer offensichtlichen Conterganschädigung in Salzburg geboren. Er hat dazu in Österreich einen Antrag auf Anerkennung gestellt und Anfang 2010 sämtliche Unterlagen Bilder und ärztliche Befunde, die eine mögliche Conterganschädigung bestätigen, an das Gesundheitsministerium übermittelt. Herr A. wurde anfangs in den Kreis als möglich Betroffener eingestuft, bekam jedoch darauf folgend vom Gesundheitsministerium ein Schreiben, dass seine Befunde nicht an die medizinische Kommission weitergeleitet werden. Die Begründung dafür lautet, er sei zu früh geboren und denn es werden nur ab 1956 geborene Personen untersucht.

Herr A. ist sowohl ich im Besitz eines Befundes von einen namhaften Experten, der von einer hohen Wahrscheinlichkeit spricht, dass hier eine Schädigung durch Contergan vorliegt, als auch im Besitz einer selbst finanzierten Gen-Analyse samt Befund, dass er nicht an dem - als Differentialdiagnose auszuschließenden - „Holt-Oram-Syndrom“ leidet.


Im Lichte der Unklarheit, welche Substanz hier in der Zeit zwischen den Jahren 1944 und 1954 tatsächlich entwickelt wurde, dass zwischen der erstmaligen offiziellen Meldung über die Synthese der Substanz Thalidomid im März 1954 und der Anmeldung im Patentamt am 17. April 1954 nur ein Monat an Zeit liegt und dass 1954 die ersten Geburten von mutmaßlich thalidomidgeschädigten Kindern in Chile, Österreich und den USA zu verzeichnen wurden, ist es vollkommen unverständlich, warum Herrn A. von Seiten Ihres Ressorts die Teilnahme an der offiziellen Untersuchung verwehrt wird, wo doch alle Unklarheiten genau damit zu klären wären.

 

Ebenfalls zu beachten gilt, dass keiner der medizinischen Experten, die Herrn A. bisher untersucht haben, aufgrund der bekannten Faktenlage zu dieser Substanz ausschließen möchte, dass sie nicht schon weit vor dieser Zeit in medizinischen Fachkreisen weitergegeben wurde.

Auch lassen die persönlichen Lebensumstände von Herrn A. - seine Mutter war Anfang der 50-er Jahre im Lager Lexenfeld in Salzburg Maxglan, mit vielen Kontakten zu Personen die sich aus der Kriegszeit kannten und regelmäßig trafen wohnhaft, bevor sie ihn gleich nach der Geburt zu Pflegeeltern weitergab.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an den Herrn Bundesminister für Gesundheit nachfolgende

ANFRAGE

 

1.                  Die Firma Chemie Grünenthal wurde 1946 ins Handelsregister eingetragen, die Substanz  Thalidomid  im April 1954 beim Deutschen Patentamt angemeldet. Wie können Sie ausschließen, dass diese Substanz nicht bereits in diesem Zeitraum in medizinischen Fachkreisen zur Erprobung weitergegeben wurde?

2.                  Welche genauesten Kenntnisse haben Sie über die Vorgänge in der Firma Grünenthal in der Zeit zwischen 1946 und 1954?

3.                  Welche genauesten Kenntnisse haben Sie über die Person Dr.med. Heinrich Mückter und seine aus den Kriegslaboratorien übernommenen Kenntnisse in der Zeit zwischen 1946 und 1954?

4.                  Wie können Sie ausschließen, dass Herr A. nicht in Bezug auf sein persönliches Umfeld (Mutter) Betroffener des Thalidomid-Skandals ist?

5.                  Ist Ihnen bekannt dass Herr A. nicht am „Holt-Oram-Syndrom“ leidet?

6.                  Sind Ihnen die persönlichen familiären Lebensumstände von Herrn A., insbesondere seiner Mutter während der Schwangerschaft bekannt?

7.                  Warum verweigern Sie Herrn A. die Untersuchung bei der Kommission Ihres Hauses?

8.                  Welchen Nutzen haben Sie oder die Republik von der Verweigerung dieser Untersuchung und dem Ausschluss von Herrn A. aus dem möglichen Empfängerkreis der Schadenswiedergutmachung?

9.                  Haben Sie vor Herrn A. aufgrund der oben zitierten Faktenlage zu einer Begutachtung durch die medizinische Kommission einzuladen, wenn ja, wann, wenn nein, warum nicht?