11441/J XXIV. GP

Eingelangt am 19.04.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerstl, Gabriele Tamandl,

Kolleginnen und Kollegen

betreffend Dr. Karl Lueger-Ring und Julius Tandler-Platz in Wien

an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung

Der Dr. Karl-Lueger-Ring in Wien soll künftig in Universitätsring umbenannt werden, um „eine differenzierte Diskussion" über den 1910 verstorbenen früheren Bürgermeister von Wien zu ermöglichen, hat die Wiener Stadtregierung angekündigt. Als Begründung wird genannt, dass Lueger Antisemit gewesen ist“.

Dieser Ankündigung liegt offenbar die Haltung zugrunde, dass historische Persönlichkeiten nur mehr orientiert am Maßstab der heutigen Werthaltungen betrachtet werden dürfen. Ein wissenschaftlich-kritischer Diskurs, der den jeweiligen geschichtlichen Hintergrund, die betroffenen Personen ganzheitlich mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Verdiensten und Fehlern wahrzunehmen bereit und in der Lage ist, ist dann aber nicht mehr möglich. Personen, die in unser heutiges Weltbild nicht uneingeschränkt passen, sollen offenbar nicht einmal mehr erinnert werden dürfen, sei es durch Denkmäler oder durch Straßennamen.

Wenn man den Dr. Karl-Lueger-Ring aus den angekündigten Gründen umbenennt, wären unter vergleichbaren Kriterien auch folgende Fragen zu stellen:

o     Wie passt es mit dem anti-nationalsozialistischen Prinzip in Österreich zusammen, dass der Dr. Karl-Renner-Ring im 1. Bezirk nach einem SPÖ-Politiker benannt ist, der noch im Jahr 1938 aktiv für den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland eingetreten ist? Sollte dieser Teil des Rings dann nicht besser in Parlamentsring“ oder nach dem ersten Präsidenten der provisorischen Nationalversammlung in Jodok-Fink-Ring“ umbenannt werden?

o     Der Julius-Tandler-Platz im 9. Bezirk ist nach einem sozialdemokratischen Politiker benannt, der bereits in den 1920er-Jahren als in diesem Punkt geistiger Vorläufer des Nationalsozialismus dafür eingetreten ist, Geisteskranke wegen der von Ihnen verursachten Kosten für die Volksgemeinschaft als lebensunwert“ umzubringen, was dann 10 Jahre später die Nationalsozialisten und der jahrzehntelang von SPÖ- Justizministern geschützte Primarius Paul Gross in Hartheim bzw. am Spiegelgrund in verbrecherische Tat umgesetzt haben. Sollte der Julius-Tandler-Platz daher nicht besser in Platz der ermordeten Kinder vom Spiegelgrund“ umbenannt werden?


o     Der Leopold-Gratz-Platz im 1. Bezirk ist nach einem SPÖ-Politiker benannt, der vor

Gericht in der Lucona-Affäre gelogen hat, um einen Mörder zu schützen, und der dafür gerichtlich verurteilt wurde.

o     Der Bruno-Kreisky-Platz im 22. Bezirk ist nach einem SPÖ-Politiker benannt ist, der als Bundeskanzler mehrere ehemalige Nazis in seine Regierung aufgenommen hat, mit einem früheren Mitglied der Waffen-SS politisch eng zusammengearbeitet hat und der eine Diffamierungskampagne gegen den Nazi-Jäger Simon Wiesenthal geführt hat, und der dafür gerichtlich verurteilt wurde.

o     Für den Massenmörder Che Guevara wurde erst vor kurzem in Wien ein Denkmal errichtet. Sollte dieses Denkmal nicht besser zum Gedenken an die Opfer des Kommunismus verhüllt werden?

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.       Sind Denk- und Erinnerungsverbote mit der Freiheit der Wissenschaft vereinbar?

2.       Sollen aus Ihrer Sicht als Wissenschaftsminister aus der gemeinsamen Geschichte unserer Heimat jeweils die Aspekte ausgeblendet werden, die mit heutigen Werthaltungen und Einstellungen nicht übereinstimmen?

3.       Sollen Personen, die auch Positionen vertreten haben, die heute unvertretbar sind, aus der kollektiven Erinnerung ausgeblendet werden?

4.       Ist die damnatio memoriae“ aus wissenschaftlicher Sicht eher ein Kennzeichen totalitärer oder liberaler Geisteshaltung? Was können Sie uns zur Praxis der damnatio memoriae“ aus Sicht der historischen Wissenschaft erläutern?

5.       Wäre es demgegenüber aus wissenschaftlicher Sicht generell eher angemessen, intellektuell redlich und einer offenen kritischen Diskussion förderlicher, Denkmäler, Straßennamen usw. einfach als Zeugen der Zeit, in der diese Denkmäler oder Straßennamen entstanden sind, zur Kenntnis zu nehmen, allenfalls dort, wo das heute erforderlich erscheint, mit erläuternden Zusatztafeln zu ergänzen?