5131/J XXIV. GP

Eingelangt am 23.04.2010
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Jarmer, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

 

betreffend Deinstitutionalisierung in der Behindertenhilfe

 

 

Bereits 1990 enthielt der von Sozialpartnern, Ländern, Parlamentsparteien, InteressensvertreterInnen und ExpertInnen erstellte Bericht der Arbeitsgruppe "Vorsorge für pflegebedürftige Personen" (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Mai 1990) neben den Vorraussetzungen für die Einführung des Pflegegeldes Qualitätskriterien, die dem Grundsatz „Ambulante Hilfen/ gemeindenahe Unterstützung/ persönliche Assistenz vor stationären Hilfen“ und einer ersten Initiative zur Deinstitutionalisierung der Behindertenhilfe zuzuordnen sind. Dazu folgende Beispiele:

Kapitel "Förderung autonomer Entscheidungen":

"Ein selbstbestimmtes Leben der hilfs- und pflegebedürftigen Menschen muß Richtschnur aller Maßnahmen sein. Die Voraussetzungen dafür müssen allerdings vielfach erst geschaffen werden, so unter anderem

a) durch die Auszahlung eines ausreichenden und den individuellen Bedarf abdeckenden Pflegegeldes direkt an die Betroffenen (u.a. zur Sicherung der Persönlichen Assistenz);

b) durch Training und Schulung der Betroffenen zur eigenständigen Organisation und Anleitung von Hilfen im Sinn Persönlicher Assistenz; und

c) indem die hilfs- und pflegebedürftigen Menschen auf ein Angebot an qualifizierter Hilfe in einer geregelten Dienstleistungsbeziehung zurückgreifen können."

Kapitel über Großheime:

"Großheime (Heime mit über 30 Pflegebetten) sollen (ÖAR und Grüner Klub: dürfen) nicht mehr neu gebaut werden. Der Schwerpunkt der Neubaubestrebungen muß unbedingt in der Schaffung von Wohngruppen liegen. Mehrheitlich wurde die Auffassung vertreten, daß für geistig, körperlich, psychisch und sinnesbehinderte Personen ausschließlich Wohngruppen vorzusehen sind (die Vertreter der Länder sprechen sich gegen diese Ausschließlichkeit aus, ÖAR und Grüner Klub wollen sie auch auf die Gruppe der alten pflegebedürftigen Menschen ausgeweitet sehen)."…."....In diesem Zusammenhang …. ist auch ein Zeitpunkt festzulegen, ab dem keine Neueinweisungen in Großheime mehr erfolgen dürfen."

 

In der nachfolgenden Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Art. 15 a B-VG über gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen aus dem Jahr 1993 wurde nicht nur das bundesweite Pflegegeld geregelt, sondern auch die Einrichtung unterschiedlicher sozialer Dienste vereinbart, die ohne Priorität von ambulanten und gemeindenahen Diensten aufgezählt wurden. Ein Steuerungsprinzip wie „ambulant vor stationär“ wurde nicht mehr formuliert. Die „15a-Vereinbarungen“ waren dabei stark in Richtung Altenpflege formuliert, Belange behinderter Menschen wurden kaum mehr berücksichtigt, „persönliche Assistenz“ schien nicht mehr auf. Ein paritätisch besetzter „Arbeitskreis für Pflegevorsorge“ sollte jährliche Berichte abliefern und die Umsetzung begleiten. Bis 2010 sollten die Ziele vollständig umgesetzt werden. Vereinbart wurden auch Aufsichtsregelungen: „Die Länder übernehmen die Verpflichtung, für eine entsprechende Sicherung der fachlichen Qualität und Kontrolle der Dienste sowie des Ausbaugrades zu sorgen.“(Anlage A, Punkt 2.1 Qualitätskriterien) und  „Die Länder haben Regelungen für die Aufsicht von Alten- und Pflegeheimen, die insbesondere auch den rechtlichen Schutz der Heimbewohner gewährleisten, zu erlassen.“ (Anlage A, Punkt 2.2 Qualitätskriterien) Einrichtungen der Behindertenhilfe wurden nicht direkt genannt. Die Struktur der Behindertenhilfe hat sich in der Folge nur mäßig in Richtung gemeindenaher Unterstützungsformen entwickelt, Großeinrichtungen blieben erhalten, das Pflegegeld wurde durch Nicht-Valorisierung ausgedünnt, insgesamt eine Politik der Institutionalisierung weitergeführt.

 

Scheint in Österreich die Entwicklung mit dieser Bund-Länder-Vereinbarung weitgehend stehen geblieben zu sein, so zeigen Studien im Auftrag der Europäischen Kommission den internationalen Trend zur Deinstitutionalisierung, die vollständige Umverteilung in Richtung gemeindenaher Dienste sowie den entscheidenden Einfluss der direkt Betroffenen in diesem Prozess:

 

„In general, the process must respect user’s rights, and users have to be involved in all decisions-making processes. There has to be a holistic system of prevention of placement into institutions. Community-based services must be created in parallel with the closure of the institutions.” (Report of the Ad Hoc Expert Group on the Transition from Institutional to Community-based Care. European Commission, Directorate-General for Employment, Social Affairs and Equal Opportunities, September 2009.  

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

 

ANFRAGE:

 

 

1)      Wie viele von den jährlich zu erstellenden Berichten hat der „Arbeitskreis für Pflegevorsorge“ gemäß der oben genannten „15a – Vereinbarung“ verfasst?

 

2)      Wem sind diese Bericht vorgelegt worden?

 

3)      Werden diese Berichte in Zukunft auch dem Nationalrat zugeleitet werden?

4)      Wie viele Bedarfs- und Entwicklungspläne haben welche Bundesländer wann vorgelegt?

 

5)      Werden diese Berichte in Zukunft auch dem Nationalrat zugeleitet werden?

 

6       Welche unabhängigen ExpertInnen – insbesondere aus den Reihen der direkt Betroffenen – wurden bei der Beurteilung der gemäß der oben genannten „15a – Vereinbarung“ vorgelegten Bedarfs- und Entwicklungspläne der Bundesländer herangezogen?

 

7)      Wie hat Ihr Ministerium auf ersichtliche Mängel bei Bedarfs- und Entwicklungsplänen der Bundesländer reagiert?

 

8)      Hat das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz die Bundesländer aufgefordert über die gemäß der oben genannten „15a-Vereinbarung“ bis 2010 durchzuführende Umsetzung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu berichten?

          Wenn ja, wann ist dieser Zeitpunkt?

 

9)      Wo wurde vom Ihrem Ministerium das Prinzip „Ambulante Hilfen/gemeindenahe Unterstützung/persönliche Assistenz vor stationären Hilfen“ in welcher Form formuliert, in Maßnahmen umgesetzt oder von den Ländern eingefordert?

 

10)    Welche Maßnahmen planen Sie, um das für die  EU-Kommission formulierte und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen enthaltene Ziel der Deinstitutionalisierung real umzusetzen?