6381/J XXIV. GP

Eingelangt am 21.09.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Jarolim, Genossinnen und Genossen,

an die Bundesministerin für Justiz, Mag. Claudia Bandion-Ortner,

betreffend

„ORF-Skinhead-Affäre“: Anschlag auf die Pressefreiheit

Dass FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache Stimmen zu vernehmen glaubt, die andere so nicht hören, wird nun amtlich bestätigt. Ein jüngst erstelltes Gerichtsgutachten in der
„Skinhead-Causa" zeigt auf, dass der FPÖ-Parteiobmann versucht hatte, zwei gefährdete
Jugendliche durch Lügen für seine parteipolitischen Ziele zu missbrauchen und zugleich
Journalisten des ORF strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen: ORF-Redakteur Ed Moschitz
begleitete zwei jugendliche Skinheads wochenlang für den Schauplatz-Bericht "Am rechten
Rand". Im Zuge eines Drehs bei einer FPÖ-Wahlveranstaltung im April, als die zwei
kahlrasierten Männer den Parteichef um Autogramme baten, behauptete Strache gehört zu
haben, dass der ORF-Redakteur die Skinheads zu Sieg Heil-Rufen anstiftet hätte. Eine
Anzeige wegen Anstiftung zur Wiederbetätigung gegen Moschitz folgte. Die
Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ließ aufgrund der von Strache aufgetischten Geschichte
unverzüglich das bei der Veranstaltung entstandene Material des ORF beschlagnahmen und

auswerten. Da auf dem Band jedoch keine "Sieg Heil" Rufe zu hören waren, warf Strache


dem ORF Manipulation der Bänder vor. Nach dem jüngsten Gerichtsgutachten wurde das

Band aber nicht manipuliert: Laut einem Bericht des Standard (19.9) "hat der Sachverständige das Band untersucht und dabei weder in Bildabfolge noch in Ton nachträgliche Eingriffe
gefunden."


Dass Herr Strache durch Merkwürdigkeiten die Öffentlichkeit auf sich zu ziehen versteht, ist
spätestens seit der angeblichen Bestellung von „Drei Bier“ und seinem gelungene Auftritt am
letzten „Jägerball“ sattsam bekannt. Ebenso bekannt sind von Strache behauptete
„Verschwörungen“ gegen ihn, welche den Steuerzahlern nicht unerhebliche Beträge für
frustrierte Polizeiarbeit kosten. Es scheint angemessen zu klären, ob den dargestellten
Auffälligkeiten eines Parteiobmanns der Wunsch zugrunde liegen könnte, als „Märtyrer“

erkannt und verehrt zu werden, um so auf zukünftige Wünsche nach der Verfolgung
angeblicher Feinde durch staatliche Stellen adäquat reagieren zu können.

Als auffällig beschämend ist das Verhalten des FPÖ-Obmanns im gegenständlichen Fall aber
gerade durch die bewusste und tatsachenwidrige Gefährdung zweier strauchelnder
Jugendlicher zu bezeichnen.

Für erhebliche Aufruhr in der Fachwelt sorgte aber auch der Umstand, dass die ermittelnde
Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Wr. Neustadt beim ORF abgesehen vom
gegenständlichen Vorfall auch das gesamte übrige Drehmaterial heraus verlangte (16
Stunden, also auch die nicht im öffentlichen Raum gedrehten Sequenzen) - was vom ORF mit
Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis verweigert wurde. Dass die Ermittlungsbehörden kein
Recht auf das weitere Videomaterial haben und der ORF dieses gesetzeskonform zurückhielt,
bestätigte zuletzt auch die zuständige Richterin Katharina Edelbacher in eindrücklicher Form
und unter Verweis auf das Redaktionsgeheimnis. Laut einem Bericht des Standard vom
17.8.2010 will die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt nun Berufung gegen diese Entscheidung
einlegen, da die "Rechtsansicht der Richterin" unrichtig sei".

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist nicht zuletzt in diesem Zusammenhang rechtsstaatlich massiv bedenklich. Zum einen entsteht der Eindruck, dass bei einer Reihe von Wirtschaftsverfahren und "schweren" Neonaziverfahren der nötige Wind in den Ermittlungen fehlt, wohingegen im Fall des ORF-Redakteurs Ed Moschitz bei karger Beweislage mit auffallendem Eifer ans Werk gegangen wird. Abgesehen davon gefährdet die Einstellung der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt die Medienfreiheit, insbesondere das Redaktionsgeheimnis. Die Debatte rund um die Skinhead-Reportage im ORF zeigt deutlich auf, welch hoher Stellenwert dem Redaktionsgeheimnis in einem demokratischen Rechtsstaat zukommt. Denn


das Redaktionsgeheimnis bietet jene Sicherheit, die Medien brauchen, um ihre Funktion als „public watchdog“ (so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) wahrzunehmen. Die Medienfreiheit muss auch bei für PolitikerInnen unbequemer journalistischer Arbeit weiterhin garantiert werden.

 

Die unterzeichnenden Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für Justiz   folgende Anfrage:

1.  Hat die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt die Ermittlungen in der oben genannten Causa allein aufgrund des behaupteten Vorfalls von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache, einen angeblichen Sieg Heil Sager gehört zu haben, eingeleitet?

2.             Finden Sie bzw. das Justizministerium die Beweislage in Form eines "behaupteten Vorfalls" von FPÖ-Chef Heinz Christian Strache für ausreichend um in der Causa überhaupt zu ermitteln und wenn ja,  mit welchen Argumenten lässt sich der geoffenbarte  Ermittlungsdrang  anhand  einer  derart  spärlichen  Beweislage rechtfertigen?

3.             Entsteht bei Ihnen der Eindruck, dass angesichts der politischen Ausrichtung von Herrn Strache mit seiner Anzeige nicht viel eher der kritische Journalismus mundtot gemacht werden hätte sollen als angebliche Wiederbetätigung zu verfolgen?

4.             Wie viele Anzeigen wegen Wiederbetätigung gab es gegen Heinz Christian Strache und andere FPÖ-Funktionäre in den Jahren 2000-2009?

5.             Sind Ihnen bzw. Ihrem Haus andere Vorfälle bekannt, bei welchen Herr Strache unter Vorgabe von Gefährdungslagen inländische Behörden beschäftigt hat und wenn ja, welche und welche Aufwendungen sind daraus resultiert.

6.      Laut einem Bericht des Standard (17.8) will die Staatsanwaltschaft gegen das richterliche Urteil, dass weiteres Bandmaterial nicht herausgegeben werden muss, Berufung einlegen. Treffen diese Angaben zu?

 


7.             Das Redaktionsgeheimnis darf gemäß Art 10 Abs 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention nur dann richterlich eingeschränkt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Demokratie unerlässlich sind. Wie lässt sich die gewollte Beschlagnahmung des Materials im gegenständlichen Fall auch nur ansatzweise rechtfertigen?

8.                  Auf   Grund  der  Existenz  von  Versuchen,  unabhängige BerichterstatterInnen

einzuschüchtern, müssen JournalistInnen sich sicher sein können, dass sie unbeeinflusst von haltlosen Drohungen ihre demokratiepolitisch wertvolle Arbeit machen können. Das Redaktionsgeheimnis ist daher noch weiter auszubauen statt es auszuhöhlen. Welche Schritte planen Sie in diese Richtung?

9.                  Welchen  Maßnahmen  können  getroffen  werden  um  die Medienfreiheit  und insbesondere das Redaktionsgeheimnis  zu  garantieren  und  JournalistInnen vor haltlosen Anschuldigen wie in der ORF-Causa zu schützen?

10.           Wie kommt es überhaupt dazu, die Herausgabe des gesamten Drehmaterials nur aufgrund eines angeblichen Sieg Heil Sagers zu verlangen? Wird in ähnlich gelagerten Fällen nach den gleichen Maßstäben vorgegangen?

11.           Wieso  werden  die  Ermittlungen  in  der  genannten  Causa angesichts  des Gerichtsgutachtens,  welches  die  spärliche  Beweislage  ohnehin ausräumt, nicht eingestellt?

12.           Weist der Schutz der journalistischen Freiheit in Österreich Lücken auf, die aus demokratiepolitischen Überlegungen geschlossen werden müssten?