8256/J XXIV. GP

Eingelangt am 07.04.2011
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Justiz

 

betreffend Gräberfund von NS-Euthanasieopfern in Hall in Tirol

 

 

In der Zeitung "Echo Tirol" Nr. 02/11 vom 28.01.2011 war auf Seite 38 nachfolgend gekürzter Artikel zu lesen:

Aktenfund mit Folgen

NS-Psychiatrie. Ein in den Archiven der Psychiatrie Hall gefundenes Gräberverzeichnis sorgt für Wirbel. 220 Personen wurden demnach zwischen 1942 und 1945 auf dem Anstaltsfriedhof begraben - 220 Opfer der NS-Euthanasie? Der Fund zeigt aber auch, wie wenig man sich in Tirol dieser dunklen Vergangenheit bewusst ist.
 
Es war allein die Ankündigung einer Pressekonferenz, die einen medialen Wirbel auslöste. Am 3. Jänner verschickte die TILAK vormittags eine Einladung und teilte auch kurz mit, warum: "Ein Bauprojekt bei der Psychiatrie des Landeskrankenhauses Hall hat es notwendig gemacht, dass der alte Anstaltsfriedhof ausgegraben werden muss. Im Zuge der Vorbereitungen sind allerdings erschütternde Details ans Licht getreten. Das Gräberfeld enthält die Überreste von etwa 220 Personen. Erste Nachforschungen haben ergeben, dass die Verstorbenen zwischen 1942 und 1945 bestattet worden sind. Es besteht der Verdacht, dass die Toten, zumindest teilweise, Opfer des NS-Euthanasieprogrammes sind.“ (…)

 
Schon seit mehreren Jahren beschäftigt sich der Historiker Oliver Seifert mit der Geschichte der "Heil- und Pflegeanstalt“, wie die Haller Psychiatrie zwischen 1917 und 1958 hieß. Schwerpunkt seiner Forschung ist die Zeit des Nationalsozialismus. Unter anderem geht es bei seiner Arbeit im Rahmen des Interreg IV-Projekts "Psychiatrische Landschaften. Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten


im historischen Raum Tirol-Südtirol von 1830 bis zur Gegenwart“ auch um die Sichtung und Ordnung der Akten im hauseigenen Archiv. Kein Wunder, dass er, so Seifert, "als Historiker gern dabei war“, als im Frühjahr 2010 die Verwaltung in Hall übersiedelte, "um Sachen, die niemand mitnehmen will, für das Archiv zu sichten“. Unter den alten "Sachen“ fand Seifert ein Gräberverzeichnis von 220 zwischen Oktober 1942 und April 1945 beerdigten Personen. "In der ersten Zeit konnte ich dessen Bedeutung noch nicht kontextualisieren.“ Denn dass es in Hall einen Anstaltsfriedhof gegeben hatte, war sozusagen ein durch alte Haller und durch Pfleger mündlich tradiertes Wissen. Und auch Hartmann Hinterhuber, Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck, hatte schon 1995 darauf hingewiesen.
 
Ermordet & Vergessen. "Nordöstlich des Pförtnerhauses lag der Anstaltsfriedhof, in dem durch viele Jahrzehnte hindurch die in der Heil- und Pflegeanstalt Hall verstorbenen Patienten bestattet worden sind. Heute erinnert kein Gedenkstein, kein Kreuz und auch keine Inschrift an die vielen dort beerdigten Patienten. Aufgrund sanitätsbehördlicher Auflagen wurde der Anstaltsfriedhof Anfang der 50er Jahre aufgelassen“, heißt es in einer Fußnote seines 1995 erschienenen Buchs "Ermordet und vergessen - Nationalsozialistische Verbrechen an psychisch Kranken und Behinderten in Nord- und Südtirol“. Eine Fußnote in einem brisanten Kapitel, geht es doch um einen Besuch von Rudolf Lonauer in Hall. Lonauer war Direktor der Vernichtungsanstalt Hartheim und erkundigte sich in Hall über die Leichenkapelle, den Anstaltsfriedhof und das Personal und "ob die Sache nicht auch in Hall gemacht werden könnte“. Bei der "Sache“ handelte es sich um die "wilde Euthanasie“, mit der nach Ende des Euthanasieprogramms T4 weiter Kranke und Behinderte in Pflegeanstalten ermordet wurden (mehr dazu siehe in dem Beitrag "Ärzte des Todes“ ab Seite 43). Insgesamt zählt Hinterhuber 486 Patienten, die zwischen 1940 und dem 31. August 1942 (also schon nach Ende der T4-Aktion) aus Tirol und Vorarlberg in Vernichtungsanstalten abtransportiert und dort ermordet wurden, 360 kamen aus Hall.* Doch das Sterben nahm kein Ende - die Zahl der in Hall Verstorbenen stieg ab 1941 sprunghaft an.
 
"Schätzungsweise 300 bis 400 Kranke der Heil- und Pflegeanstalt haben die Folgen von Hunger und Unterversorgung nicht überlebt. Es gibt Hinweise, dass ebenfalls auf Anweisung von Dr. Czermak (Hans Czermak, Leiter der Abteilung III der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg und verantwortlich für das Euthanasie-Programm in Tirol; Anm.) die Lebensmittelversorgung der Heil- und Pflegeanstalt Hall drastisch gekürzt worden ist“, schrieb Hinterhuber 1995. In der Folge untersuchte der Psychiater den Anteil der Sterbefälle in den ersten fünf Jahren nach der Aufnahme in Hall. Für die Aufnahmejahre 1933 bis 1937 lag dieser bei 5,4 Prozent, schon 1938 stieg er auf 10,5, ab 1941 schnellte er nach oben: 16,5 Prozent im Jahr 1941, im darauf folgenden Jahr 21,7 Prozent. "Von den insgesamt 2387 in den Jahren 1941 bis 1944 Aufgenommenen starben vor dem 31. Dezember 1945 19,4 Prozent“, so Hinterhuber. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs sank die Zahl der Sterbefälle stark ab.



"Das alles war bei Hinterhuber schon Thema“, bestätigt auch Oliver Seifert. Insofern maß er dem Fund des Gräberverzeichnisses vorerst noch nicht so viel Bedeutung bei. Er glaubte, nur einen Teil eines Gesamt-Gräberverzeichnisses entdeckt zu haben. Trotzdem ließ ihn der alte Akt nicht los und er begann zu recherchieren - und konnte nichts Schriftliches zu einem länger bestehenden Anstaltsfriedhof finden. "Das heiß nicht, dass es ihn nicht gegeben hat. Allerdings kann es auch sein, dass er nur in den Jahren 1942 bis 1945 in Verwendung war. Für mich als Zeithistoriker gewinnt das dann eine andere Bedeutung“, so Seifert. Denn ein speziell in dieser Zeit angelegter Friedhof würde einen direkten Zusammenhang mit der "wilden Euthanasie“ nahelegen. (…)“

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

  1. Hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck Ermittlungen wegen Mordes im Zusammenhang mit dem Auffinden möglicher Gräber von NS-Euthanasieopfern in Hall aufgenommen?
  2. Wenn ja, wann und in welchem Stadium befindet sich das Verfahren?
  3. Wenn nein, warum nicht?
  4. Geht die Staatsanwaltschaft grundsätzlich davon aus, dass kein Verdacht auf Mord besteht und mögliche Opfer der NS-Euthanasie jedenfalls eines natürlichen Todes gestorben sind?
  5. Geht die Staatsanwaltschaft automatisch davon aus, dass 65 bis 70 Jahren nach der Ermordung sämtliche Täter schon verstorben wären?
  6. Wenn, ja hat man das auch überprüft?
  7. Wenn nein, warum nicht, zumal auch gegenwärtig noch international immer wieder NS-Täter verurteilt werden?
  8. Welche weiteren Schritte werden sie in dieser Sache veranlassen?