8311/J XXIV. GP

Eingelangt am 19.04.2011
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Mag.a Christiane Brunner, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend Einhaltung von Sicherheitsvorschriften beim "Eisenbahnfahren made in Niederösterreich"

 

 

 

 

Die „Grundsatzvereinbarung bezüglich der Übergabe von Eisenbahnstrecken“ zwischen den ÖBB, dem Land Niederösterreich und dem Verkehrsministerium im Jänner 2010 wurde von allen Beteiligten unter Blitzlichtgewitter als großer Erfolg der österreichischen Verkehrs- und Eisenbahnpolitik abgefeiert. Eine neue, geradezu paradiesische Zukunft für die Bahnbenützer wurde da skizziert, alles sollte viel besser funktionieren als bisher (vgl. die Zitate in der Parl. Anfrage der Grünen 4316/J XXIV.GP).

 

Unübersehbar diente die Vereinbarung real jedoch vorrangig dem Ziel, das Bestandsnetz mit seinen lästigen Erhaltungs- und Sanierungserfordernissen auszudünnen, um so Mittel für den viel beliebteren teuren Neubau freizuspielen, wie er von einflussreichen Akteuren bis hinein ins unmittelbare Umfeld der Frau Bundesministerin hartnäckig und wie man sieht nahezu um jeden Preis forciert wird, um einzelne potente Lobbies und „Netzwerkpartner“ im Infrastruktur-Bereich optimal zu bedienen. Dass sich die Oberste Eisenbahnbehörde bei dieser Gelegenheit einige lästige arbeitsintensive Probleme vom Hals schaffen wollte, etwa eine Vielzahl an Eisenbahnkreuzungen, über deren Absicherung sich nun primär der Landeshauptmann von Niederösterreich finanziell den Kopf zerbrechen muss, war ein wohlwollend zur Kenntnis genommenes Nebengeschäft dieses Deals.

 

Gut ein Jahr nach dem Blitzlichtgewitter sieht die Bilanz ernüchternd aus. Bereits kurz nach der Vertragsunterzeichnung sickerten erste Zusperr- und Downsizing-Konzepte über die betroffenen Neben-/Regionalbahnen in die Printmedien, die von den Verantwortlichen in Niederösterreich nur halbherzig dementiert wurden. Verstärkt wurden diesbezügliche Gerüchte aber auch durch „Interessentensuchen“, bei denen eigenartig kurze und im Einzelfall überraschend flexible Fristen sowie wenig transparente Entscheidungen den Eindruck erwecken mussten, dass Interessenten gar nicht gesucht, sondern nur vertrieben werden sollten. Unter anderem durfte die Niederösterreichische Verkehrs-Organisationsgesellschaft (NÖVOG) teilweise potentielle Bewerber gleich selbst überprüfen und aus dem Rennen werfen. Folgerichtig sollen die allermeisten betroffenen Strecken wegen mangelndem Interesse potentieller Betreiber zugesperrt werden.


Auch die Rahmenbedingungen rund um die (wenigen) nicht zugesperrten Strecken klingen für die BahnkundInnen alles andere als erfreulich. Der Bahnbetrieb soll jetzt plötzlich nicht mehr nach den regulären eisenbahnrechtlichen Vorschriften über öffentliche Eisenbahnen durchgeführt werden. Vielmehr sollen die Strecken zu Anschlussbahnen (Güterbahnen) mit „Personen-Mitbeförderung“ abgewertet werden oder gleich überhaupt außerhalb des Eisenbahngesetzes (nach dem Veranstaltungsrecht) weitergeführt werden. Der „Vorteil“ dieser Vorgehensweise besteht darin, dass man denkt, damit die für den Eisenbahnverkehr sonst geltenden Sicherheitsvorschriften mit diesen Kunstgriffen entweder nur mehr eingeschränkt oder gleich gar nicht mehr einhalten zu müssen.

 

Es kann natürlich nicht im Interesse der Bahnkunden liegen, dass im Zuge einer Neuorganisation des niederösterreichischen Eisenbahnnetzes von allen Beteiligten Rechtskonstruktionen forciert werden, bei denen bestehende Sicherheitsstandards, die der Gesetzgeber im Interesse der Bahnkunden festgelegt hat, heruntergeräumt oder sogar umgangen werden können.

 

Kritische Stimmen über diesen originellen neuen Weg bei der Eisenbahnsicherheit waren aus den niederösterreichischen Eisenbahnbehörden und insbesondere aus der niederösterreichischen Regierungs-Politik bisher nicht zu hören. Aber auch die Eisenbahnaufsicht des Verkehrsministeriums übt sich wie schon bisher weiterhin in nobler Zurückhaltung und sieht bei diesem Rückbau der Sicherheitsstandards bisher tatenlos zu. Es ist daher zu befürchten, dass das niederösterreichische Beispiel bald als Vorbild für weitere Experimente herhalten wird, zum Beispiel bei oberösterreichischen oder burgenländischen „Landesbahnen“.

Am Ende stünde dann eine Zweiteilung des österreichischen Eisenbahnnetzes, auf der einen Seite Eisenbahnunternehmen, die Sicherheitsstandards einhalten (müssen), auf der anderen Seite „Eisenbahnunternehmen“ mit besonderen Organisationsformen, für die keine Sicherheitsstandards mehr gelten.

 

Einmal mehr erweisen sich aber auch die mangelhaften legistischen Grundlagen im Eisenbahnwesen als entscheidender Schwachpunkt. Das veraltete Eisenbahngesetz und die nur lückenhaften Regelungen in den diversen Eisenbahnverordnungen verstärken diese Entwicklung. So gibt es beispielsweise für Anschlussbahnen noch immer keine Sicherheitsvorschriften auf Verordnungsebene (Anschlussbahnverordnung), sodass zu einer Flucht aus bestehenden Sicherheitsstandards durch eine „Umwidmung“ von Personenverkehrsstrecken zu Anschlussbahnen geradezu eingeladen wird.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.       Auf mehreren Nebenbahnstrecken in Niederösterreich will die NÖVOG in die „Rechtskonstruktion“ einer Anschlussbahn ausweichen, obwohl dort ein regelmäßiger Personenverkehr geführt werden soll.

a)      Erachten Sie diese Vorgangsweise als rechtskonform?

b)      Falls nein, was werden Sie gegen diese Vorgangsweise unternehmen?

c)      Falls ja, erachten Sie die Beibehaltung von Rechtsvorschriften für sinnvoll, nach denen zum Betrieb eines Personenverkehrs auf die Rechtsform einer Anschlussbahn ausgewichen werden kann?

 

2.       Derzeit ist es offenbar möglich, bestehende Sicherheitsstandards durch ein Ausweichen in andere Organisationsformen (Anschlussbahn, Veranstaltungsrecht) ganz einfach zu unterlaufen.

a)      Halten Sie diese Situation gegenüber den Bahnbenützern für zumutbar?


b)      Halten Sie es für vertretbar, dass Personenverkehre nach Organisationsformen abgewickelt werden, nach denen keine Sicherheitsstandards für die Bahnbenützer festgelegt sind?

c)      Werden Sie gegen diese Situation etwas unternehmen?

d)      Falls ja, bis wann?

e)      Falls nein, warum nicht?

 

3.       Nach dem Eisenbahngesetz darf auf einer Anschlussbahn nur ein Werksverkehr oder ein beschränkt-öffentlicher Verkehr zugelassen werden, der Werksverkehr jedoch nur für Eisenbahnbedienstete. Wenn auf einer Anschlussbahn ein beschränkt-öffentlicher Personenverkehr zugelasen wird, dann muss diese Anschlussbahn die Sicherheitsstandards einer öffentlichen Eisenbahn erfüllen.

a)      Wie wird sichergestellt, dass die NÖVOG auf den Anschlussbahnen mit Personenverkehr die Sicherheitsstandards einer öffentlichen Eisenbahn erfüllt?

b)      Wie wird sichergestellt, dass die NÖVOG auf den Anschlussbahnen mit Anschlussbahnen mit Personenverkehr die Sicherheitsstandards einer öffentlichen Eisenbahn erfüllt?

c)      Weshalb gibt es keine konkreten Festlegungen über die zu erfüllenden Sicherheitsstandards, sondern nur diese allgemein gehaltene Formulierung?

 

4.       Welche Gesetze und Verordnungen des Eisenbahnrechts sind konkret für die Durchführung eines beschränkt-öffentlichen Personenverkehrs auf Anschlussbahnen anzuwenden?

 

5.       Dem Vernehmen nach hat die NÖVOG für die Durchführung des beschränkt-öffentlichen Verkehrs auf den Anschlussbahnen unter anderem auch gebrauchte „Schlierenwagen“ der ÖBB erworben, die nicht den Sicherheitsstandards für öffentliche Eisenbahnen nach der Eisenbahnbau- und -betriebsverordnung entsprechen sollen.

a)      Dürfen diese „Schlierenwagen“ von der NÖVOG auf den Anschlussbahnen in Niederösterreich zur Durchführung des beschränkt-öffentlichen Personenverkehrs überhaupt eingesetzt werden?

b)      Falls nein, was werden Sie unternehmen, damit diese „Schlierenwagen“ nicht dennoch (rechtswidrig) eingesetzt werden?

 

6.       Durch den Betrieb der niederösterreichischen Nebenbahnstrecken als Anschlussbahnen unterliegen diese Strecken auch nicht mehr den Netzzugangsbestimmungen für öffentliche Eisenbahnen.

a)      Welche Eisenbahnverkehrsunternehmen dürfen auf diesen Anschlussbahnen künftig Zugangsrechte ausüben?

b)      Unter welchen Bedingungen dürfen Eisenbahnverkehrsunternehmen auf diesen Anschlussbahnstrecken künftig Zugangsrechte ausüben?

c)      Können Sie ausschließen, dass durch die Organisationsform als Anschlussbahn ein Eingriff in die Zugangsrechte erfolgt ist, der auf den niederösterreichischen Nebenbahnstrecken zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte?

d)      Falls nein, was werden Sie unternehmen?

 

7.       Von den niederösterreichischen Nebenbahnen, die von der NÖVOG jetzt als Anschlussbahnen weitergeführt werden sollen, zweigen zu Unternehmen auch „reguläre“ Anschlussbahnen ab, die durch die neue Organisationsform somit zu Nebenanschlussbahnen degradiert werden.

a)      Können Sie garantieren, dass diesen Anschlussbahnen (künftig Nebenanschlussbahnen) durch diese Organisationsänderung keinerlei Nachteile erwachsen?

b)      Falls nein, was werden Sie unternehmen?

c)      Können die bisherigen Anschlussbahnen (künftig Nebenanschlussbahnen) darauf vertrauen, dass von der NÖVOG oder einem anderen Eisenbahnunternehmen weiterhin beigestellt wird?


d)      Falls nein, was werden Sie unternehmen?

e)      Können Sie ausschließen, dass diese Anschlussbahnen (künftig Nebenanschlussbahnen) künftig einem „NÖVOG-Monopol“ ausgeliefert sind?

f)       Wenn nein, was werden Sie unternehmen?

g)      Können Sie ausschließen, dass diese Anschlussbahnen (künftig nebenanschlussbahnen) von der NÖVOG sang- und klanglos zugesperrt werden?

h)      Falls nein, was werden Sie gegen dieses Unterlaufen der österreichischen Verkehrspolitik (Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene) unternehmen?

i)        Falls Sie nichts dagegen unternehmen wollen – wie erklären Sie dies?

 

8.       Seit etwa zehn Jahren wird seitens des Verkehrsministeriums in regelmäßigen Abständen immer wieder die Vorlage einer Anschlussbahnverordnung versprochen. In einer derartigen Regelung müssten auch klare Sicherheitsstandards für die Personenbeförderung auf Anschlussbahnen (beschränkt-öffentlicher Verkehr) enthalten sein.

a)      Weshalb wurde trotz wiederholter Zusagen bis heute keine Anschlussbahnverordnung vorgelegt?

b)      Wie weit sind die Arbeiten zur Erstellung einer Anschlussbahnverordnung fortgeschritten?

c)      Bis wann wird eine Anschlussbahnverordnung vorgelegt werden?

d)      Bis wann werden klare Sicherheitsstandards für die Personenbeförderung auf Anschlussbahnen vorgelegt?

 

9.       Soweit dies bisher bekannt ist, sollen die Personenverkehre auf den Anschlussbahnen von der NÖVOG weitgehend mit einer Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h, also mit Verschubgeschwindigkeit, geführt werden.

a)      Aus welchen Gründen wurde diese Höchstgeschwindigkeit festgelegt?

b)      Halten Sie eine Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h für ein attraktives Angebot für die Bahnkunden?

c)      Falls nein, was werden Sie dagegen unternehmen?

 

10.     Auch die Mariazellerbahn soll von der NÖVOG ab Laubenbachmühle künftig nicht mehr als öffentliche Eisenbahn, sondern nur mehr als Anschlussbahnen mit „Personen-Mitbeförderung“ (beschränkt-öffentlicher Verkehr) geführt werden.

a)      Wäre diese „Umwandlung“ mitten auf der Strecke nach dem Eisenbahnrecht überhaupt zulässig?

b)      Aus welchen Gründen wäre eine derartige „Umwandlung“ überhaupt sinnvoll?

c)      Würden in diesem Fall ab Laubenbachmühle – also auf der teilweise fernab von Siedlungen und Straßen und in anspruchsvoller Trassierung exponiertem Terrain sowie u.a. durch einen langen Tunnel geführten Bergstrecke - dann geringere Sicherheitsstandards gelten als bis Laubenbachmühle?