8804/J XXIV. GP

Eingelangt am 16.06.2011
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Lausch

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Vorgangsweise nach Misshandlungsvorwürfen durch Häftlinge

 

Unlängst wurde verschiedensten Exekutivbeamten und diversen Stellen der Erlass BMJ-L880.014/0010-II 3/2009 neuerdings zur Kenntnis gebracht.

 

Der Erlass betrifft Misshandlungsvorwürfe gegen Organe der Sicherheitsbehörden und Strafvollzugsbediensteten; Sicherstellung einer objektiven und jeden Anschein der Voreingenommenheit ausschließenden Verfahrensführung.

 

Dieser Erlass dient der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Bestimmungen des Übereinkommens, auf die der Erlass Bezug nimmt, lauten unter anderem wie folgt:

 

Artikel 13

Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass jeder, der behauptet, er sei in einem der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterstehenden Gebiet gefoltert worden, das Recht auf Anrufung der zuständigen Behörden und auf umgehende unparteiische Prüfung seines Falles durch diese Behörden hat. Es sind Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, dass der Beschwerdeführer und die Zeugen vor jeder Misshandlung oder Einschüchterung wegen ihrer Beschwerde oder ihrer Aussagen geschützt sind.

 

Unter Punkt C im Erlass wird ausgeführt:

 

C. Verleumdung

1. Zur Gewährleistung der in Art. 13 und 16 Abs. 1 des UNO-Übereinkommens verbürgten Rechtes des Betroffenen auf umgehende unparteiische Prüfung seines geäußerten Misshandlungsvorwurfes, soll ein Ermittlungsverfahren (§ 1 StPO) gegen den Betroffenen wegen wahrheitswidriger Erhebung von Vorwürfen vorerst nicht eingeleitet  werden, es sei denn, dass besondere Gründe (Verjährung) dafür sprechen. Überhaupt wäre jeder Anschein zu vermeiden, dass der Beschwerdeführer wegen der Erhebung seiner Vorwürfe eingeschüchtert oder dass sonst aus diesem Grund gegen ihn vorgegangen werde. Wurde der gegen ein Organ einer Sicherheitsbehörde (bzw. gegen einen Strafvollzugsbediensteten) erhobene Vorwurf durch die Ermittlungen nicht erhärtet, so liegt nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz so lange kein Anlass zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Verleumdung vor, als nicht konkrete Umstände auf einen hinreichenden Tatverdacht hinweisen, der auch das subjektive Tatbestandsmerkmal der Wissentlichkeit umfasst. In diesem Fall sollte von der Staatsanwaltschaft erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens gegen ein Organ einer Sicherheitsbehörde (bzw. gegen einen Strafvollzugsbediensteten), d.h. nach Vorliegen der daraus gewonnenen Beweisergebnisse, die Voraussetzungen der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geprüft werden. Zur Vermeidung einer zwischenzeitigen eintretenden Verjährung soll ein Fristvormerk gesetzt werden.

2. Bei der Prüfung eines hinreichenden Tatverdachtes gegen den Beschwerdeführer sollte auch in Betracht gezogen werden:

a.) Offenbar haltlose und solche Beschuldigungen, die derart unglaubwürdig sind, dass ein behördliches Einschreiten nicht wahrscheinlich ist, setzen den Angeschuldigten nicht einmal der konkreten Gefahr behördlicher Verfolgung aus. In diesen Fällen kommt daher eine Verfolgung wegen § 297 StGB nicht in Betracht. Gleiches gilt für Beschuldigungen, die durch sofortige einfache Ermittlungen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den angeschuldigten Beamten widerlegt werden können (z.B. durch Einsicht in den Dienstplan).

b.) Die Tathandlung nach § 297 StGB besteht darin, dass der Täter eine bestimmte Person (oder eine Mehrzahl bestimmter Personen) falsch verdächtigt. Hiezu genügt grundsätzlich die Angabe von Merkmalen, die auf diese Person hinweisen. Wird diese Person aber z.B. nach einem allgemeinen Misshandlungsvorwurf gegen Beamte, die eine Vernehmung durchgeführt haben, bei der Gegenüberstellung mit diesen Beamten nicht identifiziert, so fehlt die im § 197 StGB vorausgesetzte "Gefahr einer behördlichen Verfolgung".

c.) Bei Beschuldigungen, die in Ausübung eines Verteidigungsrechts erhoben werden, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Zwar kann die Wahrnehmung der Verteidigung in Strafverfahren nicht den wahrheitswidrigen Vorwurf einer strafbaren Handlung rechtfertigen, doch bildet bloßer Wortüberschwang aus erlaubter Verteidigung noch keine Verleumdung. Auch ist die Stresssituation des Beschuldigten, vor allem wenn er sich in Haft befindet, angemessen zu berücksichtigen, sodass ein unmittelbarer Widerruf konkreter Misshandlungsvorwürfe in der Regel auf mangelnden Vorsatz oder zumindest auf den Strafaufhebungsgrund nach § 297 Abs. 2 StGB schließen lässt.

d.) Der Grundsatz "in dubio pro reo" kann sich in den beiden in Betracht kommenden Verfahren (gegen den Beamten, die Beamtin und gegen den Beschwerdeführer) "gegenläufig" auswirken. In nicht wenigen Fällen wird das Verfahren gegen den eines Übergriffs beschuldigten Beamten eingestellt werden, ohne dass der Tatverdacht restlos beseitigt ist. Verbleiben in diesem Sinn Zweifel, die trotz Verfahrenseinstellung ein Zutreffen des erhobenen Vorwurfs zumindest möglich erscheinen lassen, so ist ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen wegen § 297 StGB nicht einzuleiten.

 

Der Erlass im Zusammenhang mit der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe führt quer durch die Belegschaft der Exekutivbeamten zu Unmut und Demotivation und lässt eine Bevorzugung von Häftlingen gegenüber Exekutivbeamten befürchten. Ein weiterer Punkt der durch diesen Erlass zu befürchten ist, ist Jener, dass unbegründete Anschuldigungen von Häftlingen gegenüber Strafvollzugsbediensteten Tür und Tor geöffnet werden.


Es wird im Erlass darauf hingewiesen, dass generell der Umstand berücksichtigt werden muss, dass sich Häftlinge in Stresssituationen befinden.

 

Während ein Verfahren gegen Strafvollzugsbedienstete über Jahre hinweg einen negativen Beigeschmack im Berufswerdegang der Bediensteten nach sich zieht, lässt sich im Grunde erkennen, dass durch diesen Erlass mit jeglichen Mitteln versucht wird, eine Verfolgung von Häftlingen nach § 297 StGB zu Unterbinden. Dass dies eventuell negative Auswirkungen für die Strafvollzugsbediensteten nach sich zieht, wird keine Bedeutung beigemessen.

Während auf die besorgniserregende Entwicklung von zunehmendem Burnout und zunehmenden Stresssituationen für Exekutivbeamte nicht eingegangen wird, ist davon auszugehen, dass sich die ohnedies schwierige Situation für die hervorragend arbeitende Exekutive durch diese Vorgehensweise weiter verschlimmert, sowie die Stressbelastung durch vermehrte unrechtmäßige Anschuldigungen gegen die Beamten weiter zu nimmt. Eine massive Mehrbelastung für unsere Exekutivbeamten scheint vorausprogrammiert.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Frau Bundesministerin für Justiz nachstehende

 

Anfrage:

 

1. Inwiefern begründen sie, dass aus Artikel 13 des Übereinkommens der Vereinten Nationen hervorgehen soll, dass Häftlinge ohne befürchten zu müssen, dass sie bei unrechtmäßigen Anschuldigungen mit § 297 in Berührung kommen, Vorwürfe tätigen können?

 

2. Sind sie im Zusammenhang mit Frage 1 der Meinung, dass die Verfolgung bei unrechtmäßigen Anschuldigungen durch Häftlinge gegen Strafvollzugsbeamte nach § 297 StGB und somit geltendes Recht, als Misshandlung oder Einschüchterung des Beschwerdeführers zu sehen ist?

 

3. Gibt es Studien, die belegen, dass sich alle Häftlinge in Stresssituationen befinden?

           3.1 Wenn ja, welche? (bitte um genaue Auflistung und Erläuterung der Studien)

           3.2 Wenn ja, wie äußern sich diese im Erlass angeführten Stresssituationen?

3.3 Wenn nein, warum sind laut Erlass solche Stresssituationen von vorn herein zu berücksichtigen?

 

4. Gibt es Studien, über die Stresssituation von Exekutivbeamten?

           4.1 Wenn ja, welche?

           4.2 Wenn nein, warum nicht?


5. Gibt es vergleichbare Erlässe in denen die Stresssituation von Beamten von vorne herein im Sinne der Exekutivbeamten zu berücksichtigen sind?

           5.1 Wenn ja, welche? (bitte um Auflistung der Erlässe)

5.2 Wenn nein, warum geht man davon aus, dass sich Häftlinge in Stresssituationen befinden, Exekutivbeamte jedoch nicht bzw. warum gibt es solche Formen der Berücksichtigung nicht auch für Exekutivbeamte?

 

6. Wie wollen sie gegenüber Exekutivbeamten argumentieren, die nun eine massive Verschlechterung Ihrer Situation befürchten?

 

7. Können sie garantieren, dass dieser Erlass in jeglicher Hinsicht mit dem Gleichheitssatz gemäß Art. 2 Staatsgrundgesetz steht?