9624/J XXIV. GP

Eingelangt am 25.10.2011
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Anfrage

 

der Abgeordneten Wolfgang Pirklhuber, Freundinnen und Freunde an den/die Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

betreffend Totalherbizid Glyphosat

BEGRÜNDUNG

 

Glyphosat ist der weltweit meistgenutzte Herbizidwirkstoff und wird in verschiedenen Formulierungen und unter verschiedenen Markennamen (z. B. Roundup) vertrieben. Besonders in Ländern wie Argentinien, Brasilien und Paraguay hat sich infolge des verstärkten Anbaus von gentechnisch verändertem Soja die ausgebrachte Menge an glyphosathaltigen Herbiziden stark erhöht. Doch auch in Österreich wird Glyphosat beim Anbau einer Vielzahl von Feldfrüchten, aber auch in der Forstwirtschaft und von Hobbygärtnern zur Unkrautbekämpfung eingesetzt.

Glyphosat wird in der Praxis nicht als Alleinwirkstoff ausgebracht, sondern in Kombination mit Zusatzstoffen wie POE-Tallowaminen (polyethoxylierte Alkylamine). Durch diese Zusätze wird die Toxizität des Herbizids erheblich und gezielt verstärkt. Nachdem sich Berichte über toxikologische Effekte durch POE-Tallowamine in glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln häuften, ordnete das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit(BVL) bei glyphosathaltigen Herbiziden, die in Deutschland eingesetzt werden, den Austausch des Netzmittels Tallowamin bis 2010 an. Weiterhin verbot das BVL im Januar 2010 die Verwendung von Futtermitteln, bei deren Anbau in Deutschland Spritzmittel eingesetzt wurden, die Tallowamine enthalten.

Bisher wurde Glyphosat selbst (ohne POE-Tallowamine) als ein Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln eingeschätzt, der sich im Vergleich zu anderen Pestizidwirkstoffen durch ein günstiges toxikologisches und ökotoxikologisches Profil auszeichnet. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch Hinweise auf Gefahren für Mensch und Umwelt durch Glyphosat und glyphosathaltige Herbizide. So weisen


neuere epidemiologische Studien unter anderem auf mögliche krebserregende, mutagene und fruchtbarkeitsmindernde Wirkungen von glyphosathaltigen  Herbizidformulierungen bei verschiedensten  Organismengruppen hin. Unter anderem publizierten Wissenschaftler aus Argentinien 2010 eine Studie, wonach Glyphosat Missbildungen bei Hühner- und Froschembryonen auslöst (Paganelli, A. et al., 2010).

2012 hätte auf EU-Ebene eine Überprüfung von Glyphosat stattfinden müssen, da das EU-Recht vorsieht, dass Pestizide zehn Jahren nach Zulassung erneut überprüft werden. Die Europäische Kommission verlängerte die Zulassung für Glyphosat – sowie 38 weitere Pestizide – außerplanmäßig im November 2010 (Richtlinie 2010/77/EU vom 10. November 2010). Nun kann Glyphosat ohne weitere Überprüfung bis 2015 genutzt werden, außerdem kann die bis dahin zu erfolgende Neubewertung auf Basis der Richtlinie 91/414/EU durchgeführt werden anstatt auf Basis der restriktiveren EU-Verordnung 1107/2009, die ab 2012 die Richtlinie 91/414/EU ersetzt.

Umwelt- und KonsumentInnenverbände und einige WissenschaftlerInnen fordern angesichts der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnislage zu möglichen Umwelt-und Gesundheitsschäden eine Neubewertung glyphosathaltiger Herbizide.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Seit wann lagen dem Landwirtschaftsminister Informationen darüber vor, dass die Europäische Kommission die Zulassung für Glyphosat verlängern will, und welche Position hat er hierzu in den Gremien der EU vertreten?

2)    Wurden im Rahmen der Verlängerung der Zulassung für Glyphosat auf EU-Ebene Auswertungen neuer wissenschaftlicher Studien zu Glyphosat an die Europäische Kommission weitergeleitet?

Falls ja, welche Studien wurden hierfür ausgewertet?

Falls nein, warum nicht?

3)    Wird der Landwirtschaftsminister sicherstellen, dass die Neubewertung von Glyphosat bis 2015 nach den Vorgaben der EU-Verordnung 1107/2009 erfolgen wird und nicht nach der Richtlinie 91/414/EU, die ab 2012 durch die EU-Verordnung 1107/2009 ersetzt wird?

Wenn nein, warum nicht?

4)    Welche neuen wissenschaftlichen Studien hinsichtlich gesundheits- und/oder umweltgefährdender Auswirkungen sind seit der Zulassung von Glyphosat in der EU im Jahr 2002 erschienen (bitte tabellarische Aufstellung nach glyphosathaltiger Verbindung, Schadwirkung, Konzentration der glyphosathaltigen Verbindung, Erscheinungsjahr, Datenquelle)?


 

5)    Welche Schlussfolgerungen zieht der Landwirtschaftsminister aus den Ergebnissen des staatlichen argentinischen Forschungsinstituts CONICET, wonach Glyphosat an Frosch- und Hühnerembryonen Entwicklungsstörungen, Schädigungen an den embryonalen inneren Organen (insbesondere denen des Verdauungsapparates), Missbildungen des Kopfes, der Augen und des Rückgrates, Wachstumsstörungen sowie Schädigungen des Nervensystems und Knochenwachstums hervorruft?

6)    Stimmt der Landwirtschaftsminister der Auffassung zu, dass Frosch- und Hühnerembryonen mit menschlichen Embryonen vergleichbare Entwicklungssta-dien durchlaufen?

Falls ja, welche Schlussfolgerungen zieht der Landwirtschaftsminister dann aus den Ergebnissen der CONICET-Studie im Hinblick auf die Entwicklung menschlicher Embryonen?

7)    Stimmt der Landwirtschaftsminister der Auffassung zu, dass Studien zu Glyphosat, bei denen embryonale Missbildungen festgestellt wurden, nicht singulär sind, sondern bei einer Neubewertung von Glyphosat berücksichtigt werden müssen?

8)    Hat der Landwirtschaftsminister vor dem Hintergrund der Risiken für Mensch und Umwelt die Absicht, die Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Österreich aufzuheben oder zu beschränken?

Wenn ja, in welchen Anwendungsbereichen sind Beschränkungen geplant?

Falls nein, auf welche wissenschaftlichen Studien stützt der Landwirtschaftsminister seine Position?

9)    Welche Höchstgrenzwerte gelten derzeit für Glyphosatrückstände (bitte tabellarische Aufstellung nach Futtermitteln, Saatgut, Gewässer, Boden etc.)?

10) Wann, wie und durch wen wurden seit 2002 die Rückstandshöchstmengenwerte für Glyphosat oder POE-Tallowamine in den jeweiligen Bereichen (Futtermittel, Trinkwasser, Gewässer, Böden etc.) verändert?

Wie und auf Basis welcher wissenschaftlichen Studien wurden Erhöhungen oder Absenkungen von Rückstandshöchstmengenwerten begründet, und wie bewertet der Landwirtschaftsminister die jeweiligen Änderungen?

11) Plant der Landwirtschaftsminister weitere Veränderungen von Grenzwerten für Glyphosatrückstände, und wenn ja, in welchen Bereichen und mit welcher Begründung?

12) Wird sich der Landwirtschaftsminister für eine Senkung von Rückstands-höchstmengenwerten einsetzen?

Wenn ja, welche neuen Werte strebt der Landwirtschaftsminister an?

Wenn nein, warum nicht?

13) Liegen für glyphosathaltige Verbindungen standardisierte Nachweisverfahren vor, um diese mit den üblichen Methoden zum simultanen Nach weis mehrerer Pflanzenschutzmittelrückstände erfassen zu können, und wenn ja, für welche Verbindungen?


Wenn nein, welche Aktivitäten unternimmt der Landwirtschaftsminister, um die Entwicklung solcher Nachweisverfahren für glyphosathaltige Verbindungen durch die Hersteller bzw. die Wissenschaft sicherzustellen?

14) Wie viele Labore in Österreich sind in der Lage, glyphosathaltige Verbindungen, Adjuvantien wie POE-Tallowamine und ihre Rückstände nachzuweisen, wie lange dauern die entsprechenden Tests, und wie viel kosten sie?

15) Welche Menge an glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln wurden in Österreich seit 1990 ausgebracht (bitte tabellarische Übersicht nach Menge in t und Jahr, Menge an Glyphosatwirkstoff, Adjuvantien, Zusatz und Wirkstoffe, Aufgliederung nach Bundesländern)?

16) Welche Daten liegen dem Landwirtschaftsminister über Rückstände vor, die durch den Gebrauch von glyphosathaltigen Herbiziden in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Landschaftspflege und in Privathaushalten in Böden und Gewässer eingetragen werden (bitte tabellarische Aufstellung nach Wirkstoff bzw. Metabolit, Rückstandsmenge, Ort der Rückstandsbelastung, vermuteter Quelle der Belastung, Datenquelle)?

17) Welche Informationen liegen dem Landwirtschaftsminister zu Rückständen von glyphosathaltigen Herbiziden in Importfuttermitteln wie Soja oder Mais vor (bitte tabellarische Aufstellung nach Futterpflanze, Rückstandsbelastung und Herkunftsland)?

18) Welche Grenzeinfuhrstellen in Österreich oder anderen EU-Staaten sind im Rahmen der Importüberwachung für Rückstandskontrollen von Importfuttermitteln zuständig, die für Österreich bestimmt sind?

19) Welche Daten liegen dem Landwirtschaftsminister über Rückstände von Glyphosat, AMPA oder weiteren Metaboliten im Grundwasser vor (bitte tabellarische Zusammenstellung nach Stoff, Ort der Belastung, Höhe der Belastung, vermuteter Eintragsquelle, Erhebungsstelle)?

Inwieweit wurden Rückstände in Trinkwassereinzugsgebieten oder -anlagen festgestellt?

20) Inwiefern besteht ein nationales oder europäisches Rückstandsmonitoring für Glyphosat, d. h. bei welchen Produkten werden wie viele Proben in welchem Rhythmus auf Rückstände von Glyphosat, Adjuvantien (v. a. POE-Tallowamine) oder Glyphosat-Metaboliten (v. a. AMPA) untersucht?

21) Welchen Forschungs- und Handlungsbedarf sieht der Landwirtschaftsminister angesichts aktueller Forschungsergebnisse der Universität Hohenheim (Institut für Kulturpflanzenernährung) bzw. US-amerikanischer WissenschaftlerInnen hinsichtlich konkreter Hinweise darauf, dass der Einsatz glyphosathaltiger  Formulierungen bei Kulturpflanzen Schädigungen am Wurzelsystem (z. B. Mycorrhiza-Degeneration), eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten und Pilzerkrankungen (Fusarien) sowie Ertragseinbußen durch eine sinkende Bodenfruchtbarkeit zur Folge hat?

22) Hat der Landwirtschaftsminister Kenntnis, ob die vom deutschen BVL angekündigte erneute Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat in der Kombination mit Tallowaminen enthalten, durchgeführt wurden?

Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?


23)  

a)   Welche Aktivitäten unternimmt der Landwirtschaftsminister, um eine bessere Erforschung der toxischen Effekte von Pestizidwirkstoffen im Zusammenwirken mit deren Beistoffen zu gewährleisten?

b)   Inwieweit wird dem Sachverhalt, dass Beistoffe die Toxizität von Pestiziden erheblich steigern und ausweiten können, im Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel Rechnung getragen, und welchen Nachbesserungs-bedarf sieht der Landwirtschaftsminister hier?

24) Wie hat sich der Einsatz von Roundup und anderen glyphosathaltigen Herbiziden in Österreich (bitte Aufgliederung nach Bundesländern), in Europa, den USA, Argentinien, Brasilien und weltweit (bitte Aufgliederung nach Kontinenten) in den letzten 20 Jahren entwickelt?

25) Über welche Informationen verfügt der Landwirtschaftsminister bezüglich einer eingetretenen bzw. zu erwartenden Zunahme bei der Verwendung glyphosathaltiger Formulierungen infolge von Entwicklungen der landwirtschaftlichen Praxis wie Zunahme von Mulchsaat, enge Getreidefruchtfolgen, Resistenzen bei Beikräutern, zunehmender Anwendung gegen Ausfallgetreide, zur Abreifebeschleunigung sowie zur Ernteerleichterung?

26) Wie stellt der Landwirtschaftsminister sicher, dass im Rahmen des EU-Zulassungsverfahrens für gentechnisch veränderte Pflanzen in den Stellungnahmen der auf nationaler Ebene zuständigen Behörden der Einsatz herbizidresistenter Pflanzen zusammen mit dem ausgebrachten Herbizid hinsichtlich der Wirkung auf Organismen und Boden und der Möglichkeit von Rückständen in Lebens- und Futtermitteln berücksichtigt wird?

27) Wurde im Laufe des EU-rechtlichen Zulassungsverfahrens von herbizidresistenten gentechnisch veränderten Pflanzen vom Antragsteller eine Studie vorgelegt, bei denen der Einsatz herbizidresistenter Pflanzen zusammen mit dem ausgebrachten Herbizid hinsichtlich der Wirkung auf Organismen und Boden untersucht wurde?

28) Welche wissenschaftlichen unabhängigen Studien sind dem Landwirtschaftsminister bekannt, bei denen der Einsatz herbizidresistenter Pflanzen zusammen mit dem ausgebrachten Herbizid hinsichtlich der Wirkung auf Organismen und Boden untersucht wurde?