16.43

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministe­rin! Herr Vizekanzler! Kolleginnen und Kollegen! Vor allem aber Zuseherinnen, Zuseher hier auf der Galerie, aber auch zu Hause, weil dieses Thema ja nicht nur uns zu in­teressieren hat, sondern, wie ich weiß, auch unglaublich viele Frauen, aber auch Män­ner, die in Opferschutzeinrichtungen arbeiten, jetzt sicherlich gespannt dieser Debatte folgen! Diese Debatte ist in der Tat eine ernste, unglaublich wichtige, und ich hoffe, dass die Ex-Regierungsparteien noch einmal über das, was sie heute zu beschließen vorhaben, nachdenken.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, vor 40 Jahren, im Jahr 1979, wurde von Jo­hanna Dohnal in Wien die erste Zufluchtsstätte für Frauen, das erste Frauenhaus, eröffnet. Ich darf sagen, damals war ich noch sehr jung, aber im Lauf dieser 40 Jahre hat sich in Österreich der Dialog mit Einrichtungen, die später per Gesetz geschaffen wurden, Frauenberatungseinrichtungen, Gewaltschutzeinrichtungen, Interventionsstel­len, immer weiterentwickelt.

Dieser Dialog hat dazu geführt, dass wir zwei Gewaltschutzgesetze verabschieden konnten, die auf dessen Basis entstanden sind. Wir sind damit auch unseren interna­tionalen Verpflichtungen gegenüber dem Europarat nachgekommen – Sie kennen die sogenannte Istanbulkonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Wir sind diesbezüglich schon einer Staatenprüfung un­terzogen worden, und das Ergebnis hat gezeigt, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.

Ich befürchte für alle Opfer, ob Frauen, Jugendliche oder Kinder, das eine oder andere Mal sicher auch Männer, dass Sie heute diesen Weg des Dialogs für beendet erklären. Das ist äußerst dramatisch, und ich darf Ihnen auch erläutern, warum. (Beifall bei der SPÖ.)

Als von Ex-Kanzler Kurz die vorletzte Regierung gesprengt wurde und 2017 neu ge­wählt wurde, sind auch die Bemühungen um Verbesserungen im Bereich des Ge­waltschutzes eine Zeit lang gestockt. Ich glaube, dass kein einziger Mord an Frauen hätte verhindert werden können, wenn das, was Sie heute zu beschließen vorhaben, schon realisiert worden wäre. Ich glaube nicht, dass sich das positiv hätte auswirken könnte. Ein Jahr lang hat eine große Gruppe von hundert Expertinnen und Experten – einige davon sitzen heute hier – getagt, die in einem Bericht ihre Vorstellungen von einer Weiterentwicklung des Gewaltschutzes dargelegt haben, der aber einfach igno­riert wurde.

Es ging dann so weiter, bis wir am 3. Juli dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt bekommen haben, der heute zur Abstimmung gelangen soll. Die 60 Begutachtungen zu diesem Gesetzentwurf waren durchgehend kritisch bis ablehnend, weil das, was Sie vorhaben, den Frauen und den Kindern, die von Gewalt betroffen sind, nicht helfen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen keine Scheinsicherheit für Frauen und Kinder in diesem Land, sondern wir brauchen echte Sicherheit, diese kann aber nicht erreicht werden, wenn man ganz einfach nur die Strafen erhöht, die Strafen verdoppelt, ohne zu reflektieren.

Wir haben das Sexualstrafrecht hinsichtlich der Sexualdelikte in den letzten zehn Jah­ren fünfmal novelliert, Kolleginnen und Kollegen! Fünfmal wurde das Sexualstrafrecht verbreitert, erweitert und verschärft – also das Bemühen war da.

Kollege Mahrer, Sie werden dann auch ans Rednerpult treten! Sieben Jahre lang hat es multiinstitutionelle Fallkonferenzen gegeben, die jetzt aufgekündigt wurden – Kickl ist nicht da –, und stattdessen wird jetzt einfach einseitig, nur vonseiten der Polizei ein­geladen, wenn schon etwas passiert ist. Davor war es so, dass man vorher, im Be­reich der Prävention, geschaut hat, dass sich keine Morde ereignen. Diese Institu­tionen, die Opferschutzeinrichtungen, aber auch die Polizei haben in sehr guter Zu­sammenarbeit geschaut, dass nichts passiert.

Es reicht jetzt die Zeit leider nicht, aber ich darf Ihnen sagen, dass wir Opferschutz ex­trem ernst nehmen, dass wir auch wollen, dass Täter bestraft werden, dass wir nur finden, dass eine Verdoppelung von Mindeststrafen dazu führen könnte, dass Frauen gar keine Anzeige erstatten, dass sie sich zurückziehen und dass so noch mehr pas­sieren könnte. Das soll Sie vielleicht zum Nachdenken anregen. (Beifall bei der SPÖ. Ruf bei der ÖVP: So ein Blödsinn! Zwischenruf der Abg. Kirchbaumer.)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bringe daher zum Abschluss als Alterna­tive zu diesem Gesetzentwurf, der dem Opferschutz sicher nicht dienlich ist, einen Ent­schließungsantrag der Abgeordneten Heinisch-Hosek, Genossinnen und Genossen betreffend „Echte Verbesserungen im Gewaltschutz statt Rückschritte zu Lasten von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern“ ein.

Er wird gerade verteilt, sehe ich, daher ist er nur in den Kernpunkten zu erläutern. Ich nenne nur drei, vier Punkte, die ganz wichtig wären:

Wir brauchen ein Gewaltschutzsofortmaßnahmenpaket in Höhe von 4 Millionen Euro.

Man kann nicht Gewaltschutz leben, ohne dass Mittel dafür da sind. Das muss Ihnen bitte klar sein. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von NEOS.) Man kann nicht ein Gesetz beschließen, das mit 1.1.2020 wirksam wird, ohne dass ein Cent dafür budgetiert ist, denn das nächste Budget ist ja noch nicht verhandelt. Es ist kein Geld da für das, was Sie hier fordern.

Wir wollen, dass der Nationale Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt wei­tergeführt wird.

Wir wollen eine Stärkung der Prozessbegleitung für Frauen.

Wir wollen Investitionen in die angemessene, gute Aus- und Weiterbildung von Rich­tern, Richterinnen und Staatsanwälten, Staatsanwältinnen.

Wir wollen schon verpflichtende Antigewalttrainings, aber nicht, wie Sie sagen, sofort, sondern erst nach Verurteilung. Was Sie da in den Gesetzentwurf geschrieben haben, geht nämlich rechtlich gar nicht. Das ist juristisch schwach, was Sie da getan haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen – und damit komme ich zum Schluss – auf jeden Fall eine Neuauflage der multiinstitutionellen Zusammenarbeit, die sieben Jahre lang gut funktioniert hat, auch mit Datenaustausch über alle Einrichtungen und Institutionen hinweg, die mit Ge­waltopfern zu tun haben, damit es nicht noch mehr Gewaltopfer gibt.

*****

(Beifall bei der SPÖ.)

16.50

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek

Genossinnen und Genossen

betreffend „Echte Verbesserungen im Gewaltschutz statt Rückschritte zu Lasten von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern“

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 6 Antrag der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Harald Stefan, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das Namensänderungsgesetz, das Allge­meine bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Jugendgerichtsgesetz 1988, die Strafprozeßordnung 1975, das Strafregistergesetz 1968, das Tilgungsgesetz 1972, die Exekutionsordnung, das Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz ge­ändert wird und Verstöße gegen bestimmte einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre zu Verwaltungsübertretungen erklärt werden, das Ärztegesetz 1998, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebammengesetz, das Kardiotechnikergesetz, das MTD-Gesetz, das Medizini­sche Assistenzberufe-Gesetz, das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz, das Sanitätergesetz, das Zahnärztegesetz, das Musiktherapiegesetz, das Psycholo­gengesetz 2013, das Psychotherapiegesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsge­setz, das Verbrechensopfergesetz und das Bundesgesetz mit dem das Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Ju­gendliche geändert werden (Gewaltschutzgesetz 2019) (970/A)

Österreich blickt auf eine lange Geschichte politischer Maßnahmen im Bereich des Ge­waltschutzes zurück. Das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie war die erste Rechtsvorschrift in Europa, die es ermöglichte, dem (mutmaßlichen) Täter häusli­cher Gewalt das Betreten des eigenen Wohnsitzes zu untersagen. Dieses seit 1997 geltende Gesetz wurde in Österreich zum Eckpfeiler in der Prävention und Bekämp­fung von Gewalt gegen Frauen. Es diente als Modell für mehrere Mitgliedsstaaten des Europarates, in denen Betretungsverbote sowie einstweilige Verfügungen nun weithin genutzt werden, um Frauen und Kinder vor Missbrauch zu schützen. Mit dem 2. Ge­waltschutzgesetz, das mit 2009 in Kraft getreten ist, wurde ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbesserung des Opferschutzes in Österreich gesetzt. So wurde u.a. ein neuer Tatbestand betreffend fortgesetzte Gewaltausübung in die Rechtsordnung implemen­tiert, Instrumente wie einstweilige Verfügung und Betretungsverbote wurden ausge­baut. Österreich entwickelte über die Jahre zudem mehrere Aktionspläne und Strate­gien, wobei der Nationale Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt (2014-16) (NAP) und die Nationale Strategie zur schulischen Gewaltprävention (2014-16) an die­ser Stelle hervorgehoben werden sollen.

Am 1. August 2014 trat schließlich die Europaratskonvention gegen Gewalt an Frauen in Kraft (Istanbul-Konvention). Ein echter Meilenstein in Sachen Gewaltschutz.

Sämtliche Gesetze, Initiativen und Strategien wurden im besten Austausch und in Zu­sammenarbeit mit ExpertInnen in den Bereichen Opferschutz, Gewaltschutz, Täterar­beit, sowie den Interventionsstellen, der Polizei, Politik und Justiz entwickelt.

Mit dem nun vorliegenden so genannten 3. Gewaltschutzgesetz verlässt Schwarz-Blau diesen bewährten Weg. Der 1-jährigen Prozess der Task-Force wird ebenso ignoriert wie die Expertise und Warnungen von Justiz und Opferschutzeinrichtungen.

In dieser nun zu Ende gehenden Gesetzgebungsperiode hat die sozialdemokratische Parlamentsfraktion in zahlreichen Anträgen dokumentiert, welche Schritte im Bereich der Weiterentwicklung des Gewaltschutzes wirklich notwendig sind. Grundlage für die Umsetzung ist eine mehrfach geforderte, wesentliche Budgeterhöhung für Opfer- und Gewaltschutz.

Die gefertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, folgende Maßnahmen im Bereich des Gewalt­schutzes umzusetzen:

•           Beschluss eines Gewaltschutz-Sofortpakets in der Höhe von drei Millionen Euro an Sofortmaßnahmen für Interventionsstellen, Gewaltschutzzentren und Frau­enberatungseinrichtungen sowie eine Million Euro für Männerberatung und Täterarbeit;

•           Kontinuierlicher Ausbau der finanziellen Ressourcen für Prävention und Gewalt­schutz um Verpflichtungen der Istanbul-Konvention nachzukommen sowie eine langfristige Strategie zur Umsetzung derselben;

•           Entwicklung von verbindlichen Richtlinien für Strafverfolgungsbehörden über die Behandlung von Fällen von Gewalt an Frauen, um die geringen Verurteilungs­raten deutlich zu steigern;

•           Fortführung des NAP zum Schutz von Frauen vor Gewalt;

•           Ausbau und Stärkung der Prozessbegleitung;

•           Ausbau der opferschutzorientierten Täterarbeit zur Verhinderung von Gewalt an Frauen und Kindern sowie häuslicher Gewalt;

•           Investitionen in angemessene und verpflichtende Aus- und Weiterbildungen für RichterInnen und StaatsanwältInnen;

•           Etablierung verpflichtender Anti-Gewalt-Trainings bei Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt nach Verurteilung;

•           Infokampagnen zur freiwilligen Teilnahme an Antigewalttrainings;

•           Neuauflage der Hochrisikofallkonferenzen in ganz Österreich nach den Grund­sätzen einer multi-institutioneller Kooperation sowie die finanzielle Absicherung der bundesländerübergreifend untergebrachten Opfer;

•           Ausbau von Beratungsstellen für Frauen und Mädchen;

•           Ausbau der Kooperation zwischen Behörden, Gerichten und Gewaltschutz­zentren;

•           Rasche Hilfe für Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen oder Zeugen von Gewalt geworden sind;

•           Umsetzung einer Unterhaltsgarantie, um Frauen und ihren Kindern ein selbst­bestimmtes Leben zu ermöglichen;

•           Ausbau und Finanzierung forensischer Ambulanzen.“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

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Ich darf zur namentlichen Abstimmung über den Abänderungsantrag der Abgeordne­ten Haubner, Fuchs, Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen noch eine Korrektur an­bringen: Es wurde eine Stimmkarte doppelt abgegeben.

Das richtige Ergebnis lautet daher:

Abgegebene Stimmen: 180; davon „Ja“-Stimmen: 121, „Nein“-Stimmen: 58, ungül­tig: 1 – statt bisher keine. (Aha-Rufe bei der ÖVP. Abg. Wurm: Wer war das? Abg. Jarolim: Das ist aber schon sehr seltsam!) – Ja, Herr Abgeordneter Jarolim, „sehr seltsam“, Sie haben die Karte doppelt abgegeben! (Zwischenrufe bei der ÖVP sowie des Abg. Jarolim.)

Die Differenz ist auf das Abstimmungsergebnis ohne Einfluss. (siehe auch S. 129)

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Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Steinacker. – Bitte. (Unruhe im Saal. – Der Präsi­dent gibt das Glockenzeichen.)