19.59

Abgeordnete Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann (ohne Klubzugehörigkeit): Frau Präsi­dentin! (Ruf bei der ÖVP: ... hat gerade ihre Abschiedsrede gehalten!) – Ja, ich habe mich schon von euch verabschiedet, deswegen kann ich mich nun wieder auf die Sachdebatte konzentrieren.

Schärfere Gesetze und eine Aufstockung der Ressourcen sind wichtig, um Rechtsextre­mismus zu bekämpfen. Daher danke ich Kollegin Stephanie Krisper für den Antrag, den ich mit meiner Stimme gerne unterstütze.

Rechtsextremismus lässt sich aber auch mit Menschlichkeit bekämpfen, und über ein menschliches Schicksal möchte ich heute sprechen: über René und dessen wahre Ge­schichte.

René ist das Kind einer alleinerziehenden Mutter aus Wien, Floridsdorf. Mit 15 Jahren ist er in die Skinheadszene eingetaucht, immer tiefer. Sein Leben war geprägt von Ge­walt, Hass und Verbrechen – gegen Ausländer.

Als er 20 Jahre alt wurde, reichte es dem Richter, und René musste wegen Gewaltde­likten eine viermonatige Haftstrafe absitzen. Die Zeit im Gefängnis hat ihm den nötigen Abstand gegeben, er dachte viel nach und kam zu dem Schluss, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Er versuchte, Abstand von der Neonaziszene zu gewinnen, und suchte Halt im Leben und in der Arbeit.

Er hat sich bei zahlreichen Firmen beworben, die ihm aber immer und immer wieder Absagen erteilt haben. Die Situation war aussichtslos, bis ihn das AMS eines Tages zu einer Sicherheitstechnikfirma in Wien zur Bewerbung geschickt hat. Dort saß er dann beim Bewerbungsgespräch Murat gegenüber. Murat ist der Geschäftsführer und Grün­der dieser sehr erfolgreichen Sicherheitstechnikfirma und hat türkische Wurzeln – eine ungewöhnliche Begegnung. René war Murat gegenüber aber ehrlich und hat im Be­werbungsgespräch alles aus seiner Vergangenheit erzählt: Gefängnis, Rechtsextre­mismus, alles. Er hat abermals eine Absage erwartet, aber Murat hat ihm die Hand gereicht, was vorher niemand getan hat. Murat sagt heute im Nachhinein: Ich habe gesehen, dass man ihm nie eine echte Chance gegeben hat. René musste die Chance bekommen, die ich von meinem Umfeld bekam. René musste die Chance bekommen zu erkennen, dass wir nicht anders sind als er.

So hat Murat ihn angestellt, und seit fünf Jahren arbeitet René nun bei jener öster­reichischen Firma, die von Gastarbeiterkindern gegründet wurde und geführt wird, die René zu seiner rechtsextremen Zeit verabscheute. Murat beschreibt die Arbeit mit Re­né wie folgt: Ich bin froh über diese Entscheidung, ich kann mir mein Unternehmen oh­ne René nicht mehr vorstellen.

Übrigens ist René nun auch ein gefragter Mann in der gesamten Sicherheitstech­nikbranche in Österreich.

Meine Damen und Herren, nehmen wir uns ein Beispiel an René und Murat. Auch so bekämpft man Rechtsextremismus: mit Empathie, menschlicher Begegnung und dem Überwinden von Vorurteilen. Das ist der Schlüssel gegen Hass. Eine Gesellschaft, in welcher Politiker in hohen Ämtern Hass gegen Minderheiten verbreiten, ist keine Ge­sellschaft, in der ich leben möchte. Eine Nation, in der mit Ängsten Politik gemacht wird, ist auch keine Nation, in der ich leben will. Im Kampf gegen den Rechtsextremis­mus und den Hass zeigen uns Murat und René einen Weg, der uns hilft, gemeinsam stärker zu werden.

Meine Damen und Herren, verstehen Sie mich aber nicht falsch. Es ist mir ein wich­tiges Anliegen, zwischen Heimatliebe und Rechtsextremismus zu unterscheiden. Rechtsextremes Gedankengut ist Ablehnung all jener, die anders sind, es ist der Hass auf diejenigen, die dem eigenen Typus nicht entsprechen.

Heimatliebe hingegen heißt, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufmerksam zu machen. Es geht darum, auf diese stolz zu sein, diese auszuleben und wertzuschät­zen; in Vielfalt geeint statt einseitig gehemmt. Oder, um es mit Jean Jaurès zu sagen: Traditionen zu pflegen heißt nicht, die Asche zu bewachen, sondern die Glut anzufa­chen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

20.04