11.34

Mitglied des Europäischen Parlaments Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! So ganz sicher bin ich mir nicht, worum es heute hier in der Aktuellen Europastunde eigentlich geht, um: Danke, Herr Landeshauptmann in Oberösterreich!, oder vielleicht doch um irgendetwas mit Agrar, Pharma und Chemie oder um den Boden, auf dem wir stehen. Eigentlich würde ich aber gerne über den Wirtschaftsstandort Europa sprechen. (Beifall bei den NEOS.)

Ich hatte gedacht, dass es eigentlich darum geht, und es hat überhaupt keinen Zweck, das in schöne Worthülsen zu kleiden. Ich habe mir vorgenommen, die Dinge hier wirklich beim Namen zu nennen, denn Europa und Österreich drohen sich ja wirklich standort­technisch ein wenig in die internationale Belanglosigkeit zu manövrieren, wenn sie nicht aufpassen. Die Europäische Union schwächt sich ständig selbst durch den Reform­un­willen, der derzeit herrscht, jeden Tag ein Stückchen mehr. Die Pandemiebekämp­fungs­koordinierung hat das gezeigt, ebenso der Bereich Klimaschutz, wo wir uns zwar Ziele setzen, diese dann aber nicht umsetzen können, und auch das Chaos in Afghanistan, wo die europäische Außenpolitik einfach nur noch zusehen und nichts machen konnte, hat das gezeigt. So wird uns täglich vor Augen geführt, dass wir eigentlich nicht schlag­kräftig genug sind. Das ist schon auch schmerzhaft.

Ein aktuelles Beispiel: Australien verbündet sich, wenn es überlegt, mit wem es seine regionalen Interessen absichern möchte, mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Frankreich ist brüskiert und Europa wird vollständig ignoriert. Das ist die Konsequenz unserer momentanen Reformunwilligkeit. (Beifall bei den NEOS.)

Es ist an der Zeit, da das Ruder herumzureißen. Wir müssen in eine europäische Re­formdekade starten. Wir müssen effiziente, bürgernahe, agile Vereinigte Staaten von Europa schaffen, sonst wird es mit dem Wirtschaftsstandort – auch in Oberösterreich – bald nicht mehr so gut ausschauen. Das ist nämlich die Konsequenz der Politik, die derzeit in Österreich und in Europa gemacht wird: Mit dieser Visionslosigkeit, mit dieser Mutlosigkeit riskieren wir nicht nur unsere Position in globalen Sicherheitsfragen, sondern wir riskieren sie auch in Wirtschaftsfragen.

Nehmen wir das Beispiel Freihandel her: Anstatt dazu zu stehen, dass wir den Frei­han­del neu gestalten, dass wir ihn wertebasiert, dass wir ihn nachhaltig machen, verschan­zen wir uns in einem Schneckenhaus und überlassen die globale Handelspolitik jenen, die den Klimawandel leugnen, den Diktatoren und den Ölscheichs dieser Welt. Das sind nämlich jene, die jetzt Freihandelspolitik machen – nicht die Europäische Union. Wir werden die Konsequenzen davon spüren. (Beifall bei den NEOS.)

Noch haben wir nämlich in der Union einen Binnenmarkt mit einer gewaltigen Markt­macht, die man gezielt einsetzen könnte. Noch haben wir über 400 Millionen Konsumen­tinnen und Konsumenten, die mit ihren Kaufentscheidungen entscheiden können, ob unsere Standards an Sicherheit, was das Arbeitsrecht, aber auch den Umweltschutz und den Klimaschutz betrifft, exportiert werden können. Das können wir jetzt noch mitbe­stimmen, mit der Macht, die unser Binnenmarkt hat. Aber wie lange geht das noch gut? Wie lange hat die Europäische Union überhaupt noch die Möglichkeit, globale Handels­politik und damit auch, was in anderen Ländern wie produziert wird, mitzugestalten? Wenn wir weiterhin abbauen, stetig abbauen, indem wir nicht innovationsfreundlicher werden, indem wir nicht unbürokratischer werden, indem wir nicht investitions­freund­licher werden, werden wir auch das bald nicht mehr haben. Und dann fragt uns niemand mehr nach unserer Meinung, wie denn der globale Handel gestaltet werden soll. Dann ist das leider vorbei. (Beifall bei den NEOS.)

Was jetzt noch ein Argument dafür ist, dass man in Europa investieren soll, ist vor allem die Sicherheit für Investoren: Es ist die Demokratie, die garantiert, dass im Moment in Europa investiert wird. Es ist die Rechtsstaatlichkeit, die garantiert, dass in Europa investiert wird. – Aber auch das ist jetzt in Gefahr. Das ist in Polen und in Ungarn in Gefahr, wo der Rechtsstaat und die Demokratie stückchenweise abgebaut und rückge­baut werden. Und was sagt unser Bundeskanzler dazu? – Er ist in einem Interview mit einer französischen Zeitung zitiert, wo er quasi den Spin dieser zwei Länder übernimmt, von Ungarn und Polen, und wie diese sagt: Ach, immer nur auf diese zwei hinhauen! Man muss schon auch schauen, dass das alles fair bleibt. – Ist das das, was sich InvestorInnen erwarten, wenn dieser wichtigste Pfeiler unserer Standortpolitik, Demo­kratie und Rechtsstaatlichkeit, nicht einmal eindeutig verteidigt und klar gesagt wird, wo hier die Probleme sind? Sie sind nämlich in Ungarn und in Polen, sie sind nicht irgendwo anders. (Beifall bei den NEOS.)

Das erwarte ich mir auch von der türkis-grünen Bundesregierung, wenn es darum geht, Standortpolitik für Europa zu machen – andernfalls ist das nämlich überhaupt nichts wert, und dann wird man diese Sicherheit in Europa, die Investitionen bewirkt, auch nicht mehr haben. – Danke. (Beifall bei den NEOS. – Ruf: So ist es!)

11.39

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet ist das Mitglied des Europa­parlaments Frau Angelika Winzig. – Bitte.