12.14

Abgeordneter Kai Jan Krainer (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Hanger hat gerade den Beweis erbracht, dass es in Österreich tatsächlich Parallelgesellschaften gibt. Über Meinungen kann man diskutieren, aber wie Kollege Hanger und die ÖVP hier so tun, als ob Fakten nicht Fakten wären, ist mir ein Rätsel. (Abg. Hanger: Legen Sie es endlich einmal auf den Tisch!) Das ist aber der Beweis, dass Sie in einer Parallelgesellschaft leben, vielleicht sogar in einer Parallelwelt, in einem Paralleluniversum, aber das ist uns ja nicht neu, weil wir Sie ja schon lange aus dem Untersuchungsausschuss kennen.

Im Dezember 2019 hat die sozialdemokratische Parlamentsfraktion gemeinsam mit den NEOS ein Verlangen eingebracht, einen Untersuchungsausschuss über die „mutmaß­liche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“ einzusetzen. Durch das Ibizavideo, durch diese 6 Minuten, wurde ja ein Sittenbild gezeichnet – und das haben wir alle in Österreich gesehen, und wir waren alle über die Bilder und über die Worte erschrocken, die wir gesehen und gehört haben –, dass jedenfalls Teile der Politik bereit sind, für Macht, für Einfluss alles zu verkaufen: Gesetze, das Wasser, alles. Wir wollten schauen, ob das jetzt nur Theorie war, oder ob die Kurz/Strache-Regierung auch in der Praxis käuflich war. – Das Resümee ist relativ einfach: Das Wort „mutmaßliche“ müssen wir streichen. Ja, die türkis-blaue Bundesregierung war käuflich. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Stögmüller. – Abg. Hofinger: Unterstellung! – Abg. Hanger: Ja, legt endlich einmal ...!)

Das ist an einem einfachen Beispiel illustrierbar, nämlich an der Art und Weise, wie von diesen beiden Fraktionen mit den Privatkliniken umgegangen wurde. Es gibt eine Spende von einem Privatklinikbetreiber an die FPÖ, und es gibt das SMS von Strache an diesen Betreiber: „Welches Gesetz soll ich für dich ändern?“

Auf der ÖVP-Seite gibt es eine weitaus höhere Spende, sogar zwei ganz hohe Spenden, und es gibt das E-Mail des ÖVP-Betreibers (Abg. Hanger: Das ist eine Unterstellung, Herr Krainer! Das ist so! Es bleibt eine Unterstellung!): Habe beiliegenden Gesetzentwurf mit Blümel und Löger abgestimmt!, und er wurde so beschlossen, und das hat für den ÖVP-Betreiber mehrere Millionen Euro pro Jahr (Abg. Hanger: Das stimmt ganz einfach nicht! Herr Krainer, das stimmt ganz einfach nicht!) an zusätzlichen Mitteln aus öffent­lichen Geldern bedeutet. (Abg. Gödl: Lüge! Unterstellend! – Abg. Haubner: Bleiben Sie bei der Wahrheit!) – Das sind Fakten, das ist ganz klar: Ja, sie war käuflich.

Ganz ehrlich: Es gibt bereits eine erstinstanzliche Verurteilung, in der schon festgestellt wurde: Ja, diese Bundesregierung war käuflich. (Zwischenruf des Abg. Hanger.) Ich persönlich glaube, es werden weitere kommen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Zanger.)

Wie war das mit dem blauen Teil? – Ja, das Bild, das Strache und Gudenus im Ibizavideo abgegeben haben, hat sich in den Akten wiedergefunden, das wurde bestätigt: dieses Fokussieren und Konzentrieren auf Postenschacher, auf Gesetzesverkauf, auf Spen­densammeln am Rechnungshof vorbei und das Konzentrieren nicht auf die Probleme von Österreicherinnen und Österreichern, sondern auf dubiose Oligarchenprojekte und dergleichen. Es ist gut, dass die zwei nicht mehr in der Politik sind, das hat die Qualität der Politik gehoben. Es sollten ihnen nur andere folgen.

Zur türkisen Seite, mit der wir uns aufgrund der Aktenlage auch sehr intensiv beschäf­tigen mussten, gibt es allerdings auch einiges zu sagen. Das, was wir gesehen haben und gefunden haben, ist ein System Kurz, das man relativ einfach charakterisieren kann.

Das Erste ist „Familie“. Es gehören nicht alle zur Familie, aber die, die zur Familie ge­hören, bekommen eine besondere Förderung – „kriegst eh alles was du willst“, schreibt Kurz an Schmid – und bekommen auch den Schutz der Familie. Das heißt, Familie ist ein wesentlicher Teil dieses Systems Kurz.

Das Zweite ist, dass dieses System Kurz, er selbst und sein Umfeld, absolute Kontrolle darüber haben will, wer in welchem Ministerium arbeitet, wer in welchem Kabinett arbeitet, was er dort macht, wer Kabinettschef ist, wer Generalsekretär ist, was in einem Gesetz drinsteht. Am Ende entscheiden Kurz und sein Umfeld alle diese Fragen. Wie er diese Parallelstrukturen über die Generalsekretäre aufgebaut hat, sehen wir auch aus dem SMS, in dem der ÖVP-Generalsekretär im Finanzministerium Schmid über seinen eigenen Minister schreibt: „sonst glaubt er, er kann Sachen selbst entscheiden“. (Zwi­schenruf bei der ÖVP.) Er kann da nichts entscheiden, weil Schmid als ÖVP-General­sekretär im Finanzministerium und Kurz entscheiden. Die entscheiden, und der Minister entscheidet gar nichts.

Genauso sehen wir das selbst in der Übergangsregierung aus dem Chat zwischen Pilnacek, dem ehemaligen mächtigen Sektionschef, und der damaligen Kabinettschefin, wo sie vereinbaren, dass nicht der Minister informiert wird, aber die Privatperson Kurz, die zu dem Zeitpunkt nur wahlkämpfender ÖVP-Chef war.

Das sind Fakten, anhand derer wir sehen, dass die absolute Kontrolle dieses türkisen Netzwerks von Kurz und seinem Umfeld ausgeht, alle rechtsstaatlichen Institutionen einfach ausgeblendet werden und die Informationspflichten und die Art und Weise, wie diese Republik – aufgrund unserer Gesetze, die wir hier beschließen – funktionieren sollte, ausgehebelt wird. Das sind die Fakten, die man nachlesen kann – wenn man es sehen will. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Hanger.)

Wir sehen eine absolute Abgehobenheit dieser türkisen Clique, also: „Reisen wie der Pöbel“, sich wie die Tiere anstellen müssen beim Amt – das sind alle anderen, Sie nicht. Die türkise Clique steht über den Menschen, alle anderen stehen darunter. (Abg. Hanger: Also diese Verallgemeinerung ist eine Frechheit, Herr Krainer! Das hat der Schmid geschrieben! Das ist eine unglaubliche Entgleisung schon wieder von Ihnen!) Diese Abgehobenheit sehen wir. (Zwischenruf des Abg. Ottenschläger.) Und selbst wenn sich diese Menschen treffen und auf unsere Kosten, auf Kosten der Steuerzahler, feiern, mit Gläsern auf Passanten werfen, gibt es keine Konsequenz. Die Kosten werden irgendwann vom Steuerzahler beglichen. Das ist die moralische Verfasstheit und die Abgehobenheit dieser Gruppe.

Besonders erschreckend ist die Art und Weise, wie mit Macht umgegangen wird; und ja, das, was wir sehen, ist Machtmissbrauch. Wenn die römisch-katholische Kirche die Kurz-Regierung für die Asylpolitik kritisiert, passiert Folgendes: Kurz gibt den Auftrag ans Finanzministerium: Innerhalb von 36 Stunden will ich eine genaue Liste über alle Steuerprivilegien der Kirche haben. – Dann schickt er den ÖVP-Generalsekretär dorthin, zur Kirche, damit er ihnen vorrechnet, wie viel mehr sie in Zukunft an Steuern zahlen müssen, wenn sie nicht spuren. (Abg. Hanger: Red einmal mit dem Herrn Schipka über das Thema, dann hast du ein bisschen ein anderes Bild!) Was schreibt er noch vor diesem Termin? (Abg. Hanger: Red einmal mit ihm! Hast du ja nicht gemacht! Die Kirche ist ...!) Er schreibt: „Ja [...]. Bitte Vollgas geben.“ – Ja, bitte Vollgas geben! (Abg. Hanger: Red einmal mit ihm! Ja, red einmal mit ihm! Das würde ich dir dringend empfehlen!) Das sind die Worte des Herrn Kurz an den ÖVP-Generalsekretär im Finanzministerium, bevor er die Kirche einschüchtern sollte. (Abg. Hanger: Red einmal mit dem Herrn Schipka über das Thema! Da könnte man die Dinge einmal klarstellen, die du seit Wochen erzählst! – Zwischenruf des Abg. Stögmüller.)

Und die vermeintliche Erfolgsmeldung von Herrn Schmid, nämlich: Der Kirchenvertreter war total „fertig“, zuerst war er „rot dann blass dann zittrig“: Wie kommentiert das der Bundeskanzler? – „danke vielmals!!!!“ Super gemacht! Da sehen wir, wie mit Macht umgegangen wird (Abg. Hanger: Red einmal mit dem Herrn Schipka!) und wie Macht missbraucht wird. Bis heute hat der Bundeskanzler in der Öffentlichkeit kein Wort dazu gesagt und hat nicht erklärt, was er mit „Ja [...]. Bitte Vollgas geben.“ gemeint hat. (Abg. Hanger: Du kannst es noch zehnmal erzählen, aber das ist längst ausgeräumt!) – Ich weiß, da rufen Sie dazwischen, aber das zeigt den Machtmissbrauch dieser Gruppe. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Rauch.)

Wir sehen die Spenden und auch die Dankbarkeit, wie im amerikanischen Stil Spenden von den oberen Zehntausend eingehoben wurden, wie die gestückelt und verschoben wurden, um sie möglichst lang vor der Öffentlichkeit zu verbergen, und wie dann auch die Dankbarkeit war.

Nicht nur von den Privatklinikbetreibern, aber auch von den Privatklinikbetreibern hat man die Spende genommen und hat nachher seine Dankbarkeit gezeigt. Das gehört auch zum System Kurz dazu. (Abg. Hanger: Das stimmt ganz einfach nicht! Permanent diese Unterstellungen! – Ruf: Doch, das stimmt!) Diese Gruppe um Kurz fühlt sich auch unantastbar, will sich nicht kontrollieren lassen. Wir haben das ja alle erlebt, wie sie über 20 Monate diesen Untersuchungsausschuss versucht haben zu behindern. Begonnen hat es ja damit, dass Sie versucht haben, den Untersuchungsgegenstand zu zensu­rie­ren. (Abg. Hanger: Ja, aber der entspricht nicht der Geschäftsordnung! Zehn verschie­dene Themen! Nicht erklärbar! Nicht erklärbar!) Das wurde vom Verfassungsgerichtshof übrigens abgelehnt. Die Grünen waren da leider dabei. Der Verfassungsgerichtshof – dieses Faktum ignorieren Kollege Hanger und die ÖVP sehr gerne – hat in sein Erkenntnis geschrieben, der Untersuchungsausschuss ist zur Gänze rechtlich zulässig. (Abg. Hanger: Nein! Er hat zum Untersuchungsgegenstand nichts gesagt!) Dieser Satz steht im Erkenntnis drin. (Abg. Hanger: Nein!) – Dann haben Sie es nicht gelesen. Sie leben in einem Paralleluniversum, wir wissen es. (Abg. Hanger: In der Welt lebst aber schon du! Die Juristerei ... stellst du immer so dar, da könnte ich dir zig andere Beispiele auch sagen!) Das sind die Fakten: zur Gänze zulässig.

Die ÖVP hat durchgehend versucht, zu verhindern: indem sie Erinnerungslücken hatte, indem sie die Aktenlieferung verweigert hat, indem sie die Umsetzung höchstgericht­licher Erkenntnisse verweigert hat. Bis zur Exekution durch den Bundespräsidenten musste es kommen – bis zur Exekution, einmalig! Da sehen Sie, mit welcher Missachtung diese türkise Truppe gegenüber dem Rechtsstaat und den Institutionen auftritt! Sie halten sich für unantastbar.

Das Schlimmste ist, wie diese türkise Truppe versucht, einen Staat im Staat aufzubauen. Wir wissen das aus den Ministerien, wir wissen das aus dem Innenministerium, dem Finanz­ministerium, wir wissen das aus dem Justizministerium, aus dem Bundeskanzleramt, und wir haben auch klar gesehen, wie Sie versucht haben, das auch bei der Oester­reichischen Nationalbank und bei der Finanzmarktaufsicht zu tun, und wir wissen, dass in diesen Institutionen an allen rechtsstaatlichen Regeln, die wir hier beschließen, vorbei Macht ausgeübt wird. Was wir über die Art und Weise, wie das funktioniert, gesehen haben, ist mehr als erschreckend.

Der Untersuchungsausschuss wurde dann vorzeitig abgedreht. Das muss man sagen. (Zwischenruf des Abg. Stögmüller.) – Wir waren nicht fertig, nein. Jetzt würde an und für sich das große Schreddern beginnen. Die Grünen haben immer gesagt, es kommt nicht zum großen Schreddern. Ich werde heute mit meinem Kollegen Hafenecker und der Kollegin  Krisper einen Antrag einbringen, um dieses große Schreddern zu verhin­dern (Abg. Hafenecker – in Richtung Grüne –: Wir wollen Bäume retten!), dass die Akten, die jetzt an die Ministerien zurückgestellt werden, nicht vernichtet werden dürfen, sondern die Minister aufgefordert werden, sie aufzubewahren und einem neuen Unter­suchungsausschuss wieder zur Verfügung zu stellen, damit wir hier weiterarbeiten können. Das ist auch eine Nagelprobe, ob das, was die Grünen noch vor wenigen Wochen gesagt haben, auch passieren wird, nämlich ob sie dem großen Schreddern zustimmen oder es gemeinsam mit uns verhindern.

Es gibt auch das Volksbegehren, das ich unterstütze, weil die Zivilgesellschaft einfach gesehen hat, wie vor allem von der Strache-FPÖ und von der Kurz-ÖVP agiert wird, wie der Staat missbraucht wird und dass wir mehr Kontrolle brauchen, um diesem Macht­missbrauch entgegenzuwirken. (Zwischenruf des Abg. Haubner.) Es ist gut, dass es das gibt.

Ich will mich an dieser Stelle auch bedanken. Ich will mich nicht nur beim eigenen Team und bei den eigenen Abgeordnetenkollegen und Mitarbeitern bedanken, sondern aus­drücklich auch bei allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses aller Fraktionen und auch bei den Mitarbeitern der anderen Klubs. Ein Untersuchungsausschuss ist eine sehr anstrengende, sehr zeitaufreibende Tätigkeit, und alle leisten dabei Großartiges, was den persönlichen Einsatz betrifft. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für alle drei Verfahrensrichter – wir hatten ja nicht nur zwei, sondern drei – und für die beiden Verfah­rensanwälte, für deren Mitarbeiter, für die gesamte Parlamentsdirektion, nämlich für den Parlamentsdirektor genauso wie die Hausarbeiter, die Damen und Herren vom Reini­gungsdienst, vom Sicherheitspersonal. Es sind extreme Anforderungen, die hier an alle gestellt werden. Vielen Dank an alle, dass Sie unsere Arbeit derartig unterstützt haben. Ich glaube, das ist etwas, was man anerkennen sollte. Normalerweise hat es immer ein kleines Dankeschön gegeben. Die Complianceabteilung hat aber verboten, dass wir uns als Abgeordnete gemeinsam bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlaments­direktion bedanken. Deswegen sollte man das zumindest hier an dieser Stelle tun.

Zum Abschluss kann ich nur eines sagen: Die Aufklärung hört nicht auf. Die Arbeit im Parlament hört nicht auf, denn nach dem Ausschuss ist vor dem Ausschuss. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der FPÖ sowie der Abg. Krisper.)

12.27

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Christian Hafenecker. – Bitte.