16.44

Abgeordnete Mag. Sibylle Hamann (Grüne): Lieber Herr Präsident! Lieber Herr Bun­desminister! Ich möchte jetzt nicht auf die Ausführungen der Kollegin Belakowitsch eingehen. (Abg. Wurm: Schwierig, gell? Schwierig, wenn es stimmt, wenn es die Wahr­heit ans Licht bringt, Frau Kollegin!) Lieber möchte ich auf den Fragenkatalog dieser Dringlichen Anfrage eingehen und mich dafür bedanken. (Zwischenrufe der Abgeord­neten Steger und Wurm.) Das sind wichtige Fragen, gute Fragen, die ihr formuliert habt, die man immer wieder stellen muss, weil man in so einer komplexen Krise, wie wir sie im Moment haben, immer wieder nachfragen muss, immer wieder den Kurs korrigieren muss, immer wieder Verbesserungsvorschläge auch annehmen und Maßnahmen an­passen muss, weil uns ja auch das Virus ständig vor neue Herausforderungen stellt und unsere Pläne immer wieder über den Haufen wirft.

Sind in diesen eineinhalb Jahren Pandemie Fehler passiert, sind Überforderungen pas­siert? – Na, selbstverständlich! Das kann man zugeben, wie das unsere beiden Gesund­heitsminister von Anfang an immer wieder gemacht haben, das hält man sehr gut aus. Was ich ein bisschen schwerer aushalte, das sind die, die eigentlich immer ganz genau wissen, wie es gegangen wäre, wenn sie es hätten entscheiden können, und die immer so tun, als würden sie alles ganz perfekt hinkriegen. Das finde ich manchmal im Zuge der Debatte ein bisschen unfair und auch nicht ganz redlich.

Interessant finde ich, dass sich diese besserwisserische Haltung manchmal recht schnell in dem Moment entzaubert, in dem man selbst Verantwortung trägt und Entscheidungen treffen muss und dann merkt, dass diese Entscheidungen oft auch gar nicht so einfach sind. Das sieht man schon auch recht deutlich am Beispiel der NEOS in Wien, und ich möchte das, speziell was die Kinder und die Coronaschulmaßnahmen in Wien betrifft, anhand von ein paar Punkten illustrieren.

Erstens – um gleich einmal zu zitieren, was Kollegin Meinl-Reisinger vorhin auch im Text der Anfrage hervorgehoben hat – das Zitat: „Kinder und Jugendliche dürfen nicht den Preis in Form von überschießenden Maßnahmen zahlen, nur weil [...] sich viele Erwach­sene [...] nicht impfen lassen.“ – Das ist vollkommen richtig. Was die psychischen Folgen der Pandemie speziell für Kinder betrifft: Da rennen Sie beim Minister, der hier sitzt und der ja auch für die psychische Gesundheit von Kindern verantwortlich ist, offene Türen ein. Wir haben immer wieder gesagt, wie wichtig es ist, dass Kinder gemeinsam etwas erleben, rausgehen, Sport machen, ins Schwimmbad gehen, in Sommercamps.

Was ist aber in Wien passiert, zum Beispiel im Sommer? – Da waren die meisten Er­wachsenen bereits geimpft, konnten sich frei bewegen, konnten ins Schwimmbad gehen, ins Kaffeehaus, ins Fußballstadion, und gleichzeitig hat man dort für die Kinder ein ganz besonders strenges Regime von Eintrittstests errichtet. Alle Kinder ab sechs Jahren – strenger als in anderen Bundesländern! – mussten sich für jeden Besuch im Schwimm­bad, für jedes Fußballtraining einen aktuellen Test aus der Teststraße oder Apotheke holen. Das kann man schon verlangen, sage ich ganz offen, das kann man auch hin­kriegen, wenn man gut organisierte Eltern hat, aber ich kenne ganz persönlich Familien, in denen die Eltern in den Ferien hart arbeiten, die nicht gut organisiert sind, die nicht die Zeit und nicht den Nerv dafür hatten und die schlicht und einfach überfordert waren, das zu organisieren. Ich sage Ihnen: Ich kenne Kinder, die sind im Sommer wirklich viel zu Hause vor dem Fernseher gesessen, statt ins Schwimmbad zu gehen oder ein Feriencamp zu besuchen, und ich finde das schade. (Beifall bei den Grünen.)

Ein zweiter Punkt aus der Anfrage – nur um zu schildern, wie komplex diese Dinge sind –: Es „werden Klassen reihenweise geschlossen in Quarantäne geschickt, auch wenn nur ein Kind erkrankt ist“. – Vollkommen richtig, stimmt! Sie haben aber vergessen, dazuzu­schreiben, wo das in den ersten beiden Schulwochen vor allem passiert ist, nämlich in Wien. Ich habe die Zahlen da: Sofort nach Schulbeginn wurden in Wien 603 Klassen gesperrt und die Kinder nach Hause geschickt. Zum Vergleich: In Niederösterreich war es ein Sechstel, das waren 94 Klassen. In Wien war das oft nur, weil ein einziges Kind infiziert war. Das war schon damals laut den Empfehlungen des Gesundheitsministe­riums nicht notwendig. Bei einem Einzelfall ist das nicht notwendig gewesen, nicht notwendig auch speziell bei unter Zehnjährigen, die ja generell als K2 eingestuft werden können. Das war auch vor den aktuellen Änderungen schon so.

Auch da sage ich: Das kann man schon machen, wenn man besonders genau, beson­ders streng sein will, aber ich bringe das nicht ganz mit den Vorwürfen zusammen, die Sie gleichzeitig in dieser Anfrage an den Bundesminister richten, und mich würde inter­essieren, was speziell der Wiener Bildungsstadtrat darauf antworten würde, der ja immerhin von Ihrer Partei ist. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf bei den NEOS.)

Noch ein Stichwort: das chaotische Pandemiemanagement. Sie haben schon recht, wir haben in den ersten Schulwochen tatsächlich ganz viele Berichte gekriegt, wie schwierig, wie teilweise chaotisch das mit den Schultests war. Und das ist ja wirklich eine irre Sache, die wir da von den Schülern, von den Eltern und vor allem von den Lehrkräften verlangt haben: Wöchentliche PCR-Tests für eine Million Kinder, das ist ein irrer Auf­wand, organisatorisch, logistisch, es verlangt allen wirklich riesige Anstrengungen sowie Zeit und Mühe ab. Kein anderes Land auf der Welt macht das übrigens.

Wo aber war es ganz besonders schwierig und wo haben wir ganz besonders viele Berichte über Chaos gehört? – Das war leider wieder in Wien. Da wollte man auch wieder doppelt so super sein, da wollte man doppelt so oft testen und außerdem mit einem eigenen System, nämlich Alles gurgelt; und da sage ich gleich dazu: Darauf kann man natürlich zu Recht stolz sein, denn es ist auch ganz besonders großartig, da hat Wien Pionierarbeit geleistet. Das ist ein super ausgeklügeltes System, bei dem man sich online anmeldet, vor der Kamera gurgelt, den Reisepass mit der Kamera einscannt und dann per Mail sein Ergebnis kriegt. Das ist eine super Sache für alle, die das können, für alle, die mit Elektronik, mit der Laptopkamera umgehen können, die Mailadressen haben und die komplizierte Anleitungen lesen können.

Nur: Das können nicht alle! Der Schulbeginn hat leider gezeigt, dass das nicht das ideale System für den Schulalltag, für den gleichzeitigen Massengebrauch durch Zigtausende Kinder, ist. (Abg. Meinl-Reisinger: ... weniger, Entschuldigung!) Da mussten sich – wir haben es ja gehört und wir haben die Berichte gekriegt – Lehrkräfte hinsetzen und Mailkonten für Kinder oder deren Eltern einrichten, mussten das alles stundenlang in Excel-Tabellen eintragen und mit den Kameras E-Cards scannen; und es ist natürlich kein Wunder, dass die Website dann down ist, wenn Hunderttausende Leute das gleich­zeitig machen.

Was lernt man daraus? – Da steht jetzt Wien exemplarisch für ganz viele andere Konfliktzonen in dieser Epidemie: Gute Programme und gute Ideen können in der Praxis an Grenzen stoßen, und es kann zeitweise ein Durcheinander entstehen, nicht, weil jemand unfähig ist, und auch nicht, weil jemand böswillig ist, sondern manchmal auch, weil man etwas besonders gut machen will und weil man dann manchmal kurzfristig überfordert ist, wenn man keinen Fehler machen will. So geht es einzelnen Menschen, so geht es Eltern, so geht es Lehrkräften, so geht es Behörden und so geht es auch verantwortlichen Politikern und Politikerinnen – das wissen wir jetzt auf Bundesebene und das weiß man jetzt auch in Wien.

Übrigens bin ich ziemlich sicher, dass sich das mit den Schultests in den nächsten Tagen und Wochen einspielen wird. Ich höre schon, dass es inzwischen besser läuft, denn man gewöhnt sich an Neues, man entwickelt Routinen, und irgendwann kriegt man es halb­wegs hin. Sinnvoll ist es jedenfalls – wir haben in diesen Wochen viele, viele unentdeckte Infektionen und an sie angebunden Cluster in Privathaushalten gefunden. Das hat defi­nitiv unsere Schulen zu einem sicheren Ort gemacht, und ich will mich bei allen Lehrkräften, Eltern, Kindern und Jugendlichen noch einmal ausdrücklich dafür bedan­ken, dass sie das ermöglicht haben. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Pfurtscheller.)

16.53

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Künsberg Sarre. Bei ihr steht das Wort. – Bitte sehr.