15.02

Abgeordneter Kai Jan Krainer (SPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute eine Dringliche Anfrage betreffend „Schluss mit Schred­dern – Aufklärung statt Aktenvernichtung, Herr Bundeskanzler!“ eingebracht. Der Bun­deskanzler ist in Brüssel und wird vom Herrn Vizekanzler vertreten. – Vielen Dank, dass Sie das übernehmen.

Warum das dringend ist, kann man relativ einfach erklären: Wir hatten ja den Ibiza-Unter­suchungsausschuss, und wenn ein Untersuchungsausschuss das Handeln der Regie­rung kontrollieren soll, dann will der Untersuchungsausschuss natürlich die Kommuni­kation und auch die Kalender vom Minister, von Kabinettsmitarbeitern, von Kabinetts­mitarbeiterinnen haben, damit man sehen kann, wie sie Einfluss auf die Geschäfte ihres Ressorts genommen haben.

Als wir das angefordert haben, haben wir von allen ÖVP-Ministerien die Antwort be­kommen: Wir haben alles gelöscht! Es gibt keinen Kalender, der ist gelöscht, es gibt keine E-Mails, die sind alle gelöscht! Alle Kabinettsmitarbeiter haben alles gelöscht.

Wir sind dann einen Umweg gegangen und haben die Kommunikation von Beamten des Hauses mit Ministern beziehungsweise mit Mitarbeitern des Ministers oder der Ministerin angefordert. Dafür mussten wir zwar zum Verfassungsgerichtshof gehen, weil man das auch nicht rausrücken wollte, aber am Ende musste, sowohl aus dem Finanzministerium als auch aus dem Bundeskanzleramt, geliefert werden.

Beim Finanzministerium musste erst der Bundespräsident dafür sorgen, dass geliefert wird. Beim Bundeskanzleramt war das Beispiel des Finanzministers Blümel offenbar ab­schreckend genug, dass es selber geliefert hat, und da hatten wir sehr, sehr viele Treffer.

Der Bundeskanzler sagte zum Beispiel, sein Kalender sei gelöscht, er habe ihn gar nicht mehr. Wir haben dann aber Teile seines Kalenders bekommen, weil die in elektronischen Dateien und E-Mails bei anderen Beamten des Hauses gespeichert waren. Wir haben eine Reihe von Kommunikationen zwischen Kabinettsmitarbeitern und Beamtinnen und Beamten bekommen, aus denen wir die Einflussnahme und die Absprachen der ÖVP-geführten Ressorts mit der Novomatic betreffend Casinos und dergleichen herauslesen konnten.

Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass es diese E-Mails, Akten und Unterlagen gibt, denn wenn wir Minister, Bundeskanzler, Kabinette haben, die nichts anderes tun, als ihre ganzen Unterlagen zu schreddern und zu löschen, kommen wir so trotzdem über Umwege an wichtige Kommunikation heran, die wir brauchen, damit ein Untersuchungs­ausschuss seine Arbeit machen kann.

Jetzt haben wir seit mehreren Tagen, bereits seit über einer Woche Hinweise darauf bekommen, dass in mehreren Ministerien – im Finanzministerium, im Innenminis­te­rium – und im Bundeskanzleramt große Löschaktionen, große Schredderaktionen vorbe­reitet werden. Gestern spät in der Nacht haben wir das erste Mal Beweise bekommen, dass genau das vorbereitet wird, genau das geplant ist, und zwar im Bundeskanzleramt.

Der Zeitplan dazu ist auch höchst interessant: Am 4. Oktober werden Beamte des Innen­ministeriums über die bevorstehenden Hausdurchsuchungen bei der ÖVP, im Bundes­kanzleramt et cetera informiert, und am selben Tag kommt offenbar der Auftrag des Generalsekretärs – zu dem komme ich später noch –, dass diese Löschaktion vorbe­reitet werden soll. Noch am selben Tag geht ein E-Mail an die Personalvertreter des Hauses raus, mit dem sie informiert werden, dass diese Löschaktion vorbereitet wird. Es gibt auch schon ein Datum für den Tag des großen Löschens, nämlich den 10. No­vem­ber.

Bisher war es im Bundeskanzleramt so, dass alle E-Mails, alle Kalendereinträge von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses in einer Art elektronischem Tresor waren. Nach einem Jahr sind sie in diesen Tresor gekommen. Jeder Mitarbeiter hatte den Schlüssel, konnte immer seine E-Mails, seine Kalendereinträge und so weiter anschauen, suchen, was er noch braucht, und konnte natürlich Sachen, die er nicht mehr braucht, jederzeit löschen.

Jetzt soll das umgedreht werden, jetzt soll alles, was über ein Jahr alt ist, automatisch gelöscht werden. Am 10. November soll diese große Löschung quasi stattfinden, und nur das, was manuell schnell in Sicherheit gebracht wird, würde dann überhaupt beste­hen bleiben. Dieser Auftrag kommt von einem gewissen Bernd Brünner. Bernd Brünner ist nicht jemand, den alle besonders gut kennen. Ich hoffe, dass der ehemalige Bun­deskanzler Kurz ihn kennt, denn er sagte ja vor Kurzem auch, dass er seinen Presse­sprecher nicht allzu gut kennt.

Hier (eine Tafel mit Fotos von Sebastian Kurz und weiteren Personen in die Höhe hal­tend und der Reihe nach auf die jeweiligen Fotos deutend) haben wir das Team des Projekt Ballhausplatz, das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Projekt Ball­hausplatz: in der Mitte natürlich der ehemalige Bundeskanzler Kurz, Stefan Steiner zum Beispiel, der als Beschuldigter geführt wird, ebenso Gerald Fleischmann – Herr Kurz wird ja auch in mehreren Verfahren als Beschuldigter geführt – und Herr Bernd Brünner, der im Projekt Ballhausplatz – bei der Übernahme des Bundeskanzleramts – dafür zu­ständig war, dass dort möglichst schnell alle nicht-türkisen Sektionschefs und Abtei­lungs­leiter entfernt und durch Getreue ersetzt werden. Das war seine Aufgabe.

Bernd Brünner war auch der erste Kabinettschef von Herrn Kurz als Bundeskanzler und ist seitdem von ihm als Generalsekretär eingesetzt gewesen – und er hat diesen Auftrag gegeben. Er hat diesen Auftrag zur großen Löschung gegeben, noch dazu zu einem Zeitpunkt, als Herr Kurz noch im Amt war. (Abg. Strasser: Ganz transparent!)

Da kommt von der rechten Hand des Bundeskanzlers an alle Beamtinnen, an alle Beamten des Hauses der Auftrag – das letzte Mal hat der Untersuchungsausschuss Material bekommen, das geht nicht ein zweites Mal –: Wir werden am 10. November alles löschen, alles löschen, was nicht manuell gesichert ist! – Das ist der Auftrag, was da passieren soll, den die rechte Hand des ehemaligen Bundeskanzlers Kurz gegeben hat. Ich sage: Das darf sich ein Parlament nicht gefallen lassen! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS.)

Das geht einfach nicht. Seit einigen Wochen ist allen, die es wissen wollen, bekannt, dass ein neuer Untersuchungsausschuss kommt, der dort beginnt, wo der Ibiza-Unter­suchungsausschuss aufgehört hat. Der wurde ja wegen großen Erfolges von der ÖVP abgedreht, und deswegen kommt jetzt ein neuer. (Zwischenruf des Abg. Gahr.) Wir wissen, das ist alles eine Zeitverzögerung. Wir wissen, dass die Akten und die Unter­lagen vom Parlament an die Ministerien zurückgestellt werden mussten.

Wir haben ja damals, weil beteuert wurde, es werde nichts gelöscht, es werde nichts geschreddert, einen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung explizit aufgefor­dert wurde, diese Akten und Unterlagen zu archivieren und nicht zu schreddern, nicht zu löschen. Der wurde leider noch von einer Mehrheit hier im Haus abgelehnt. Wir sehen, es beginnt das große Löschen und das große Schreddern, und wir haben jetzt erstmals Beweise dafür.

Wir sind gespannt, ob wir nicht auch noch Beweise bekommen, dass genau diese Vorgangsweise nicht nur im Bundeskanzleramt, sondern genauso im Finanzministerium und in anderen Ministerien vorbereitet wird oder womöglich bereits praktiziert wurde. Wir werden aber sicher nicht lockerlassen.

Der Untersuchungsausschuss ist noch nicht eingesetzt, sondern er ist erst eingebracht. Da bedarf es noch der Behandlung im Geschäftsordnungsausschuss und einer weiteren Plenarsitzung. Wir wissen alle: Die nächste Plenarsitzung ist am 17. November, also eine Woche nach dem Tag des großen Löschens. Das ist der frühestmögliche Zeitpunkt, zu dem er eingesetzt wird, und erst wenn er eingesetzt wird, wird das Löschen zu einem Problem für die Regierung. Derweil dürfen sie auf Teufel komm raus löschen. Sobald der Untersuchungsausschuss eingesetzt ist, dürfen sie das nicht mehr.

Jetzt höre ich, dass die ÖVP und die Grünen einen Entschließungsantrag einbringen, mit dem sie diese große Löschaktion absagen. Das hören wir. Ich habe auch bereits ein Exemplar bekommen (eine Kopie in die Höhe haltend), und ich muss Sie darauf aufmerk­sam machen: Dieser Entschließungsantrag löst nicht das Problem. Ich kann Ihnen erklären, wieso.

Im Entschließungsantrag steht: „Die Bundesregierung wird aufgefordert“. – Die Bundes­regierung ist ein Kollegialorgan. Sie kann zum Beispiel über Ministerratsprotokolle ent­scheiden, aber nicht über das Vorgehen in einzelnen Ressorts. Da müsste, wenn über­haupt, die Bundesministerinnen und Bundesminister oder alle Bundesministerinnen und Bundesminister stehen, weil die das jeweils in ihrem eigenen Wirkungsbereich durch­setzen müssen.

Weiters steht darin: Sie werden „aufgefordert, jedenfalls sicherzustellen, dass für die Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrollrechte, wie insbesondere den zuletzt ein­gesetzten Untersuchungsausschuss“ - - – Was ist der zuletzt eingesetzte Untersuchungs­ausschuss? – Der Ibiza-Untersuchungsausschuss. Das ist der zuletzt eingesetzte Untersuchungsausschuss. (Zwischenrufe der Abgeordneten Blimlinger und Maurer.) – Ich sage es Ihnen: Der zuletzt eingesetzte Untersuchungsausschuss ist nicht der ÖVP-Korruptionsausschuss. Der ist eingebracht, der ist verlangt, aber nicht eingesetzt. Eingesetzt kann er erst im nächsten Plenum werden, am 17. November. Das heißt, die Formulierung mit dem „zuletzt eingesetzten Untersuchungsausschuss“ bezieht sich auf den Ibiza-Untersuchungsausschuss und nicht den ÖVP-Korruptionsausschuss. (Zwi­schenruf des Abg. Stögmüller.)

Dann steht da noch, dass ausschließlich „im Bundeskanzleramt“ die „vorgesehene auto­matisierte Löschung“ von allen Dateien, Kalendereinträgen und E-Mails, „die älter als 365 Tage sind“, „ausgesetzt werden“ soll. Sie schreiben nicht einmal hin, bis wann. Für zwei Tage, für vier Tage? Ich weiß, das meinen Sie nicht, aber wenn Sie diesen Ent­schließungsantrag ernst nehmen und ernst meinen, dann müssen Sie auch hin­schreiben, wie lange das ausgesetzt sein soll. Für die Dauer des Ausschusses? Ich weiß es nicht, aber Sie müssen hinschreiben, bis wann, weil es sonst halt für zwei Tage ausgesetzt ist.

Der Antrag ist an die falsche Person gerichtet, es ist der falsche Untersuchungs­aus­schuss genannt, weil der ÖVP-Korruptionsausschuss noch nicht eingesetzt ist (Abg. Maurer: Mimimimimi! – Zwischenruf des Abg. Stögmüller), und es muss auch ganz klar gesagt werden, wie lange die Aussetzung dauert.

Es ist sehr lustig, Frau Kollegin Maurer, dass Sie jetzt „Mimimimimi“ sagen. Das ist kein mimimimimi, denn es geht um ein Kontrollrecht dieses Hauses. (Beifall bei SPÖ und NEOS.) Früher hat es einmal Grüne gegeben, denen dieses Kontrollrecht heilig war. Ich weiß, dass Ihnen das nicht heilig ist. Ich weiß, wie Sie damit umgehen, nämlich persönlich. Solche Zwischenrufe sollten Sie sich wirklich sparen. (Abg. Wöginger: Und du solche Dringlichen! – Abg. Strasser: Solche Fantasiekonstrukte! – Weitere Zwi­schenrufe bei der ÖVP.)

Ich sage noch eines, bevor ich zum Schluss komme: Wir sind sehr gespannt auf die Anfragebeantwortung. Ich möchte besonders auf Frage 17 aufmerksam machen. Da geht es nämlich darum, dass wir auch Hinweise haben, dass wenige Stunden vor der Hausdurchsuchung ein externer Dienstleister, ein Transportunternehmen, Sachen aus dem Bundeskanzleramt abgeholt hat und angeblich verschiedene Ordner, verschiedene Akten, Unterlagen, angeblich sogar PCs eingeladen und weggeführt wurden. (Zwischen­ruf des Abg. Hörl.) Wir sind sehr gespannt, ob diese Informationen, die wir haben, wirklich akkurat sind und ob wirklich wenige Stunden vor der Hausdurchsuchung Akten, Unterlagen und Computer aus dem Bundeskanzleramt abgeholt worden sind.

Ich ersuche wirklich alle, vor allem auch die Regierungsparteien, das ernst zu nehmen. Es geht nicht, dass Ministerien, das Bundeskanzleramt et cetera wenige Tage bevor ein Untersuchungsausschuss beginnt großflächig löschen und schreddern, damit sie dann dem Untersuchungsausschuss keine Akten liefern müssen. Etwas, das es nicht gibt, kann man nicht liefern, das ist schon klar. Wir müssen als Parlament wirklich ein ernst­haftes Zeichen setzen, dass wir es nicht zulassen, dass so mit dem Kontrollrecht um­gegangen wird.

Ich ersuche Sie wirklich, diesen Entschließungsantrag entsprechend abzuändern, weil er sonst nämlich überhaupt keine Wirkung hat. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

15.15

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Vizekanzler Kogler. Ich darf ihm das Wort erteilen. – Bitte sehr, Herr Vizekanzler.