15.29

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir hier in den letzten Tagen und Wochen erleben durften, war zunächst ein vollkommenes Versagen der Krisenkommunikation der Bundesregierung und jetzt auch noch eine völlige Aufgabe und ein Versagen des Krisenmanagements dieser Bundesregierung.

Wir stehen an dem Punkt, dass ganz Österreich, allen Menschen in diesem Land ein mindestens zehn-, voraussichtlich 20-tägiger Lockdown droht. Dieser Lockdown als Notbremse, wie ihn die Bundesregierung tituliert, als letzte Maßnahme, die alternativlos sei, hat sich schon in der Vergangenheit als jene Maßnahme erwiesen, die unterm Strich betrachtet mehr Schaden anrichtet, als sie Nutzen bringt.

Dieser Lockdown wird in Österreich pro Woche 1 Milliarde Euro Schaden verursachen. Dieser Lockdown wird aber nicht nur wirtschaftlichen Schaden verursachen, sondern auch im Bildungsbereich und im Gesundheitsbereich negative Spuren hinterlassen. Die genauen Folgen lassen sich noch gar nicht beziffern. Es wird auf jeden Fall sehr, sehr schwierig und ernst.

Wie konnte es dazu kommen? Wie kann es dazu kommen, dass ein Land mit der welt­besten Gesundheitsversorgung – und so kann man unser Gesundheitssystem durchaus bezeichnen – nun erneut vor einem Lockdown steht? – Nun, vielleicht hätte man ein paar von den Maßnahmen, die wir bereits vor über einem Jahr gefordert haben, auch umsetzen sollen. Ich möchte Ihnen ein paar Dinge skizzieren, die wir schon seit über einem Jahr fordern und mit denen man diese Situation gut in den Griff bekommen hätte.

Es beginnt mit ehrlichen und transparenten Daten. Wir befinden uns knapp zwei Jahre in der Coronakrise, und noch immer wissen wir nicht, wie viele Behandlungskapazitäten unsere Spitäler tatsächlich haben. Noch immer werden die offiziellen Daten, die am Ages-Dashboard aufzufinden sind, selbst von Experten wie dem Chef der Intensiv­medizin Dr. Hasibeder angezweifelt und als falsch bezeichnet, wie vor zwei Tagen in einer österreichischen Tageszeitung nachzulesen war.

Noch immer wissen wir nicht, wie viele der Verstorbenen mit oder an Covid-19 verstor­ben sind, ja wir wissen auch nicht, wie viele der sogenannten Covid-Patienten im Spital nur Sars-Cov-2-positiv sind oder tatsächliche Covid-19-Patienten sind.

Wir wissen auch nicht, wie groß die Immunität in der österreichischen Bevölkerung ist, dabei wäre das eine ganz wesentliche Kennzahl, damit die Prognosemodelle für die Infektionswellen auch genau sind. Wie katastrophal diese Nichtkenntnis der Immunität in der österreichischen Bevölkerung ist, sieht man ja an den vollkommen schwammigen Prognoserechnungen, für die offenbar vollkommen überraschend war, wie stark die Welle im Herbst ist.

Wir haben bereits im Frühling letzten Jahres eine flächendeckende Antikörpertestung gefordert. Der Einzige, der eine kleine Studie gemacht hat, war der Herr Bildungs­minister; aus dem Gesundheitsressort ist dazu nichts gekommen, bis heute nicht. Die Folgen müssen wir alle tragen.

Bis heute fehlen uns aber nicht nur die ehrlichen und transparenten Zahlen, auch der konsequente Schutz der Risikogruppen fehlt bis heute. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass aus Oberösterreich und Salzburg Berichte kommen, dass sich die wahren Dramen nicht auf den Intensivstationen, sondern auf den Normalstationen abspielen, und dort werden eben die alten, besonders kranken und schwachen Personen ein­geliefert, bei denen eine intensivmedizinische Behandlung gar nicht mehr möglich ist. Offensichtlich versagen wir also auch in diesem Bereich wieder.

Herr Bundesminister, was haben Sie konkret gemacht, um diesen Bereich zu schützen? Wie konnte das schon wieder passieren?

Aber nun gut, die Fehler sind passiert und wir befinden uns in einer Situation mit knapp 15 000 Neuinfizierten pro Tag, mit gut 500 Menschen auf einer Intensivstation und ungefähr 2 500 Menschen auf einer Normalstation. Jetzt gilt es, rasch zu handeln, um tatsächlich eine Überlastung des österreichischen Gesundheitssystems zu verhindern.

Auch da haben wir vor über einem Jahr die entsprechenden Forderungen aufgestellt: frühzeitige Behandlung der Menschen. Dieses Wegsperren ohne medizinische Behandlung, ohne Richtlinien, wie man sich richtig verhält, worauf man denn tatsächlich achten muss, geht einfach nicht. Das sorgt dafür, dass einfach viel zu viele Menschen viel zu spät mit schon viel zu schweren Symptomen ins Spital kommen und dann die schweren Verläufe kaum mehr zu kontrollieren sind.

Das heißt, wir müssen endlich den niedergelassenen Bereich aktivieren! Wir müssen die Hausärzte in die Pflicht nehmen. Wir müssen die Amtsärzte und die Epidemieärzte in die Pflicht nehmen. Wir müssen die Versorgung zu den Menschen, die sich zu Hause in Quarantäne befinden, die positiv getestet, aber eben hoffentlich noch nicht erkrankt sind, bringen. Die müssen wir medizinisch versorgen – mit allem, was verfügbar ist, immer auf individuelle Empfehlung der behandelnden Ärzte hin, aber wir müssen die Versorgung dort hinbringen.

Wenn die Menschen dann trotzdem tatsächlich so krank werden, dass sie in die Spitäler kommen, ja dann müssen wir dringlichst die neuesten Medikamente zum Einsatz bringen. Darüber, Herr Bundesminister, reden wir auch schon seit über einem Jahr: Ich habe es Ihnen vor einem Jahr gesagt, ich habe es Ihnen in der aktuellen Budgetdebatte gesagt, Sie haben noch immer nichts dafür budgetiert und Sie hinken Monate, die wirklich Leben kosten, hintennach.

Es gibt jetzt seit einer Woche, Herr Bundesminister, auch in Europa eine moderne monoklonale Antikörpertherapie, Casirivimab und Imdevimab, eine duale Therapie, die seit einer Woche von der EMA auch für Europa zugelassen ist. Die Japaner arbeiten damit schon seit letztem Sommer, die Amerikaner arbeiten damit schon seit über einem Jahr. Die Datenlage zeigt, dass frühzeitig mit diesen Präparaten Behandelte, auch Risikopatienten, eine mindestens 70-prozentige Chance haben, gar nicht schwer zu erkranken, bei rechtzeitigem Therapiebeginn können alle Todesfälle verhindert werden.

Seit einer Woche ist dieses Präparat in Europa zugelassen. Wie viel Stück hat Österreich schon beschafft? Wann bekommen wir die ersten Packungen und wann werden sie in den Kliniken verwendet?

Ich glaube, Sie können mir das nicht beantworten, und ich glaube, es ist leider Gottes noch gar nichts beschafft worden. Wir befinden uns gerade in der vierten Welle. Jetzt bräuchten die Patienten in Österreich diese Präparate. Ich frage mich: Was haben Sie in den letzten Monaten gemacht? – Sagen Sie nicht, Sie haben es nicht gewusst; wir haben das im Gesundheitsausschuss schon vor Monaten besprochen.

Es ist zum Verzweifeln, wenn man sieht, dass die Antworten der Bundesregierung nur nicht bewährte Mittel aus der Vergangenheit sind, Dinge, die in der Vergangenheit schon fehlgeschlagen sind und die jetzt wieder aufgewärmt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass das Ganze besser wirkt.

Der Lockdown verschiebt die Problematik nur; Ihre Impfstrategie wird trotzdem nicht alle Menschen erreichen. Selbst wenn das der Fall wäre, selbst wenn Sie jetzt spontan noch einen großen Schwung der Bevölkerung überreden könnten, sich impfen zu lassen, ist es für diese Welle zu spät. Sie wissen selbst, dass es eine Zeit von sechs Wochen benötigt, damit eine ausreichende Immunität aufgebaut wird, um überhaupt einen befristeten Schutz zu haben. Das wird sich nicht mehr ausgehen und das kann sich auch gar nicht mehr ausgehen. (Beifall bei der FPÖ.)

Das Einzige, was mich zuversichtlich stimmt – und das sind Daten, die Sie dem Par­lament bislang auch vorenthalten haben –, ist die Hoffnung, dass wir uns schon sehr bald am Höhepunkt der aktuellen Infektionswelle befinden. Ich habe gehört, dass die Zahlen aus der Abwasseranalyse, was die Gesamtvirusbelastung in Österreich anbe­langt, schon erste positive Tendenzen aufzeigen.

Ich kann nur an alle appellieren, vor allem an alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, ihr Bestes in dieser wirklich schwierigen Situation zu geben. Ich weiß, dass es in einzelnen Fällen tatsächlich zu Überlastungen kommt. Mir tun nicht nur die Erkrankten und ihre Familien und Angehörigen leid, mir tun auch die Beschäftigten im Gesundheits­wesen leid, die diese Suppe auslöffeln müssen, Herr Bundesminister (Ruf bei der ÖVP: Habt ihr eingebrockt!), die Sie mitverursacht haben, weil Sie nicht zusätzlich Mittel für Personal, für die Krankenanstalten und für medizinische Therapien freigegeben haben (Abg. Disoski: Ihr verharmlost die ganze Zeit! Unfassbar!), weil Sie sie nicht für die Gesundheitsbehörden freigegeben haben, damit das Contacttracing noch funktioniert, dass dort ausreichend Personal vorhanden ist. Das alles sind Versäumnisse, die Sie im letzten Jahr hätten korrigieren können.

„Koste es, was es wolle“ war die Vorgabe dieser Bundesregierung in der Bekämpfung der Coronapandemie. (Abg. Disoski: Ihr verharmlost die ganze Zeit! Unverantwortlich!) Sie haben die Gelder ausschließlich für Wirtschaftshilfen und für Maßnahmen, die den Betroffenen und den Kranken und den Bediensteten im Gesundheitssystem überhaupt nicht geholfen haben, ausgegeben, und damit haben Sie diese jetzige Situation auch zu verantworten. (Beifall bei der FPÖ.)

15.38

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Schallmeiner. – Bitte sehr.