10.24

Abgeordneter Mario Lindner (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist wichtig. Volksbegehren sind wichtige Mittel der Demokratie, die Diskussion gehört zu einer Demokratie, und sie ge­hört ins Hohe Haus.

Die 270 000 Menschen, die dieses Volksbegehren unterschrieben haben, haben es sich verdient, dass ihr Anliegen hier diskutiert wird, und zwar nicht im Hinterzimmer, nicht über Vermutungen in den Medien, sondern von ihren gewählten Vertreterinnen und Vertretern.

Ich möchte etwas klarstellen: Niemand von uns hat sich jemals eine Impfpflicht ge­wünscht. Ich habe sie mir nicht gewünscht. Wenn sie aber das letzte und einzige Mittel gegen permanente Lockdowns, gegen Hunderte Tote und gegen die Pandemie insge­samt ist, dann müssen wir sie diskutieren. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Die Menschen in unserem Land haben das Recht, ihre Meinung dazu zu sagen, im Hinblick darauf zu demonstrieren und eine ehrliche Debatte zu verlangen. Genauso aber, wie in der Pandemie die Freiheit des Einzelnen genau dort endet, wo die Sicherheit und die Gesundheit des Nächsten beginnen, genauso endet die Debatte über die Impfpflicht dort, wo Menschen gefährdet und bedroht werden. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Deshalb möchte ich klar sagen: Es gibt absolut keine Toleranz, wenn die Menschen, die uns durch diese Krise gebracht haben – ÄrztInnen, RettungssanitäterInnen, PolizistInnen, PflegerInnen und viele andere mehr –, bedroht, angegriffen und gefährdet werden. Da darf es keine Toleranz geben, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS.)

Es gibt kein Wegschauen, wenn Krankenhäuser und Impfstraßen geschützt werden müssen, es gibt kein Ignorieren, wenn JournalistInnen angegriffen werden. Das darf in Österreich nicht sein, und dabei werden wir niemals zuschauen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ja, es gibt Unsicherheiten hinsichtlich der Impfung. Ja, es gibt Ängste. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir zumindest einen großen Teil der Menschen, die heute noch unsicher sind, mit Respekt und mit Ehrlichkeit, mit offener Kommunikation und mit Hinhören und trotzdem mit null Toleranz gegen Hetze und Gewalt überzeugen können. Andere Länder haben das vorgemacht.

Was aber hat unsere Bundesregierung getan? Es gab eine Impfkampagne, als es keinen Impfstoff gegeben hat. Dann hatten wir einen Impfstoff, aber keine Impfkampagne. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Altkanzler Kurz erklärte im Sommer die Pandemie für beendet. Bundesminister Faßmann war zum zweiten Mal überrascht, als im September die Schule wieder losging. Im oberösterreichischen Landtagswahlkampf durfte sowieso gar nichts passieren, und dann hat man immer noch nichts gemacht. Die Regierung hat alles verschlafen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich frage vor allem die KollegInnen von der ÖVP: Können Sie es irgendjemandem wirklich verdenken, wenn er dieser Regierung nicht mehr vertraut? Können Sie sich in den Spiegel schauen und sagen: Wir haben diese Pandemie noch im Griff!?

Ich verstehe, wenn Menschen verunsichert sind, wenn sie Angst haben, wenn sie nicht mehr wissen, wem sie glauben sollen. Und dann kommen die KollegInnen von der FPÖ und nutzen aus purem, gewissenlosem Populismus diese Unsicherheit aus. Da kommt Frau Belakowitsch auf Demonstrationen und behauptet – Zitat –: „Das sind nämlich nicht die bösen Ungeimpften, oh nein, das sind ganz, ganz viele Geimpfte, die aufgrund eines Impfschadens behandelt werden müssen.“ (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Ich zitiere aus der „ZiB 2“: Mit Stichtag 19. November wurden in Österreich 12 779 527 Co­ronaimpfungen verabreicht. 1 360 PatientInnen, das sind 0,01 Prozent, mussten in zeit­lichem Zusammenhang mit der Impfung ins Spital. Bei 0,3 Prozent der Impfungen, ins­gesamt 38 397 Mal, wurden vermutete Impfnebenwirkungen gemeldet. Der Großteil der Meldungen betrifft Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gelenks­schmerzen oder Fieber.

Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer Österreich, sagte, das, was Frau Dr. Belakowitsch bei der Demonstration gesagt hat, „ist schlicht falsch und irrefüh­rend, ich muss das aufs Schärfste zurückweisen“. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Wir haben also eine planlose Regierung, eine absolut opportunistische ÖVP und eine FPÖ, die alles behaupten würde, um Stimmung zu machen. (Abg. Wurm: Wo steht ihr eigentlich?)

Die Menschen in diesem Land haben sich etwas anderes verdient. Die Menschen in diesem Land haben sich eine Politik verdient, die sie ernst nimmt, die aufklärt, die Fake­news entschieden entgegentritt und die endlich ernsthaft dafür arbeitet, diese Pandemie endlich zu besiegen. Es wäre nicht schwer: Wir müssen den Menschen, die verunsichert sind, endlich ein Angebot machen, wir müssen auf unsere ExpertInnen und ÄrztInnen hören und – noch wichtiger – auf Gespräche mit Familienmitgliedern und FreundInnen setzen.

Und wir müssen endlich Impfanreize schaffen. Genau das fordern unter anderem der ÖGB und die Wirtschaftskammer. Die SPÖ will genau deshalb einen rot-weiß-roten Impfscheck: 500 Euro für alle, die voll immunisiert sind. (Zwischenruf des Abg. Wurm.) Das ist billiger als die ständigen Lockdowns.

Daher bringe ich folgende Anträge ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rot-weiß-roter-Impfscheck iHv. 500 Euro um weitere Lockdowns zu verhindern, durch erzielen einer 90% Impfquote“

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend eine Impfprämie in Höhe von 500 Euro in Form von Gutscheinen, die bei österreichischen Betrieben eingelöst werden können aufzulegen. Die Gutscheine sollen dabei für alle Menschen nach dem 3. Stich (auch rückwirkend) und sobald eine Impfquote von 90% erreicht ist, gewährt werden.“

*****

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „eine breit ange­legte, niederschwellige Aufklärungs- und Informationsoffensive zur Corona-Schutzimp­fung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine umfassende Aufklärungs- und Informationsoffensive über die Corona-Schutzimpfung zu starten, die der österreichi­schen Bevölkerung niederschwellig und vor Ort die Möglichkeit bietet, sich über die Impfung zu informieren, ihre Fragen beantwortet zu bekommen, ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen und sie darüber hinaus zur Impfung zu motivieren.“

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Österreicherinnen, liebe Österreicher! Bitte gehen Sie impfen, damit wir diese – piep – Pandemie endlich hinter uns lassen können! (Zwischenruf des Abg. Wurm.) Gemeinsam schaffen wir das! (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Wurm.)

10.31

Die Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

des Abgeordneten Philip Kucher,

Genossinnen und Genossen

betreffend Rot-weiß-roter-Impfscheck iHv. 500 Euro um weitere Lockdowns zu ver­hindern, durch erzielen einer 90% Impfquote

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Gesundheitsausschusses über das Volksbegehren (773 d.B.) "FÜR IMPF-FREIHEIT" (1037 d.B.) – Top 1

Angesichts der dramatischen Corona-Infektionszahlen der letzten Wochen sowie der sich rasch ausbreitenden neuen Corona Variante Omikron ist eine rasche Durchimpfung der Bevölkerung zur Verhinderung weiterer Lockdowns von entscheidender Bedeutung.

Die avisierte Impfpflicht kann nur ein Baustein in einer viel breiter anzulegenden Corona-Strategie sein. Die notwendig gewordenen Lockdowns belasten Österreichs Wirtschaft und Bevölkerung gleichermaßen. Die Stimmung in Österreichs Unternehmerlandschaft ist äußerst gedrückt. Von der Krise enorm betroffen sind aber auch die Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer. Umso mehr muss die Kaufkraft der Bevölkerung gestärkt werden, um die regionale Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und der Bevölkerung zu helfen. Gleichzeitig müssen wir weitere Lockdowns im Jahr 2022 um jeden Preis verhindern.

Die Bundesregierung soll daher ab sofort ein gemeinsames Ziel einer Durchimp­fungs­rate von 90 % ausrufen. Wenn dieses Ziel erreicht ist, soll jeder Bürger/jede Bürgerin, die den 3. Stich („Boosterimpfung“) bekommen hat, einen Gutschein in Höhe von 500 Euro bekommen („Rot-weiß-roter Impfscheck“). Dieser positive Impfanreiz soll ab sofort eingeführt werden. Diese Maßnahme soll dann auch nach dem 1. Februar – komple­mentär zur Impfpflicht – weiter gelten. Damit würde ein starker, wichtiger und positiver Anreiz gesetzt, sich impfen zu lassen. Diese Gutscheine sollen bei allen Unternehmen, die den Firmensitz in Österreich haben, in Österreich steuerpflichtig sind, tatsächlich Steuern bezahlt haben (Starbucks soll ausgenommen sein) und zu den besonders be­troffenen Branchen (Tourismus, Gastronomie, Kultur, körpernahe Dienstleistungen so­wie Fitnessstudios) zählen, eingelöst werden können. Die Gutscheine werden allen Men­schen zugeschickt sobald eine Impfquote von 90% erreicht wurde.

Diese Branchen können – anders als etwa der Handel – den Verlust des Lockdowns nicht mehr aufholen; ein nicht gebuchtes Hotelzimmer, ein nicht wahrgenommener Ter­min beim Frisör werden nicht nachgeholt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend eine Impfprämie in Höhe von 500 Euro in Form von Gutscheinen, die bei österreichischen Betrieben eingelöst werden kön­nen aufzulegen. Die Gutscheine sollen dabei für alle Menschen nach dem 3. Stich (auch rückwirkend) und sobald eine Impfquote von 90% erreicht ist,

*****

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Kucher,

Genossinnen und Genossen

betreffend eine breit angelegte, niederschwellige Aufklärungs- und Informationsoffensive zur Corona-Schutzimpfung

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Gesundheitsausschusses über das Volksbegehren (773 d.B.) "FÜR IMPF-FREIHEIT" (1037 d.B.)

Vor fast genau 21 Monaten, am Freitag, dem 13. März 2020 war der Tag vor dem ersten Lockdown der Zweiten Republik. Heute, am Mittwoch, dem 15. Dezember 2021, befindet sich Österreich teilweise immer noch im vierten harten Lockdown.

Dieser vierte Lockdown wäre aber nicht notwendig gewesen wäre, hätte die Bundes­regierung die richtigen Maßnahmen rechtzeitig gesetzt. Doch der ehemalige Bundes­kanzler Sebastian Kurz und die gesamte ÖVP haben bereits im Sommer beschlossen: Die Pandemie ist vorbei.

Dieser Fehler hat sich als sehr dramatisch herausgestellt. Die Zahl der Impfwilligen ist danach dramatisch zurückgegangen. Und anstatt alles erdenklich Mögliche zu unter­nehmen, um die Bevölkerung von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Corona-Schutzimpfung zu überzeugen, hat die ÖVP, als ehemals staatstragende Partei, lieber Wahlkampf in Oberösterreich gemacht.

Seit den ersten Stichen am 27. Dezember 2020, also vor fast einem Jahr, haben sich nur 69 Prozent der in Österreich lebenden Menschen vollimmunisieren lassen. Im Ver­gleich zu anderen europäischen Staaten, wie Malta, Spanien oder Portugal, die alle weit über 80 Prozent ihrer Bevölkerung geimpft haben, wird das politische Versagen der österreichischen Bundesregierung deutlich und auch der Umstand, dass Österreich unter dem EU-Schnitt liegt, muss nachdenklich stimmen.

Nun plant die Regierung eine allgemeine Impfpflicht gegen den Corona-Virus einzu­führen. Aber diese Impfpflicht darf nur ein Teil einer viel breiter anzulegenden Strategie zur Bewältigung der Pandemie und zur Anhebung der Impfquote sein. Man muss die Menschen ernst nehmen. Man muss sie über die Fakten zur Corona-Impfung infor­mieren, Ängste beseitigen und innovative Impfanreize setzen. Der Fokus ausschließlich auf Strafen ist zu einseitig.

Es braucht jetzt sofort eine breit angelegte, niederschwellige Impfoffensive, welche die Menschen vor Ort abholt, ihre Fragen beantwortet, ihre Ängste beseitigt und sie zur Impfung motiviert.

Österreich hat es schon einmal vorgezeigt, wie Überzeugungsarbeit funktionieren kann. Anlässlich des EU-Beitrittes hat die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Franz Vranitzky eine breit angelegte Aufklärungs- und Informationsoffensive durchge­führt, die das vorerst sehr EU-skeptische Österreich zu einer bemerkenswerten Zustim­mung zum EU-Beitritt führte. Durch gezielte Informationsabende in den Gemeinden, durch Informationsbusse, die von Ort zu Ort gefahren wurden und in denen Expert*innen Auskunft erteilten oder durch Veranstaltungen, die gezielt skeptische Bevölkerungs­gruppen angesprochen haben, konnte das gewünschte Ziel, eine breite Zustimmung für den EU-Beitritt zu erlangen, erreicht werden.

Ein derart niederschwelliges Angebot hätte die Regierung schon längst anbieten müs­sen. Umso mehr muss es jetzt sofort zur Aufklärung über die Schutzimpfung zur Verfü­gung gestellt werden, damit wirklich alle Menschen in Österreich die Möglichkeit haben, sich ausreichend zu informieren.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachfolgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine umfassende Aufklärungs- und Infor­mationsoffensive über die Corona-Schutzimpfung zu starten, die der österreichischen Bevölkerung niederschwellig und vor Ort die Möglichkeit bietet, sich über die Impfung zu informieren, ihre Fragen beantwortet zu bekommen, ihren Ängsten Ausdruck zu verlei­hen und sie darüber hinaus zur Impfung zu motivieren.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die beiden Entschließungsanträge sind aus­reichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und stehen somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Smolle. – Bitte sehr.