10.46

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Dr. Wolfgang Mückstein: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Wir haben vergangene Woche einen Gesetzentwurf zur allgemeinen Impfpflicht in Begutachtung geschickt. Dieser Begutachtungsentwurf wird nicht nur von den Grünen und der ÖVP unterstützt, sondern auch von den NEOS und den Sozialdemokraten. (Abg. Wurm: Wir sind dagegen!) So­mit steht tatsächlich eine breite Mehrheit hinter diesem Begutachtungsentwurf. (Abg. Belakowitsch: Könnts stolz drauf sein, ja!)

Warum ist das notwendig? – Weil wir eine breite gesellschaftliche Mehrheit für diesen Entwurf brauchen. Warum ist es inhaltlich notwendig? – Weil wir eine Impfung haben, die nicht nur uns selber, sondern auch unsere Mitmenschen schützt. (Abg. Belakowitsch: Ach so?! Wie? Wie genau?) Nur eine hohe Durchimpfungsrate schützt am Ende auch unser Gesundheitssystem. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir halten heute bei einer Siebentageinzidenz von 294. (Abg. Wurm: Weniger als in Portugal!) Wir haben heute 100 Menschen weniger auf Intensivstationen liegen als noch eine Woche zuvor. Das heißt, wir sehen, dass der allgemeine Lockdown, der am Sonntag geendet hat, seine Wirkung gezeigt hat. Das ist ein grobes Instrument, das ist auch die letzte Möglichkeit, um die Gesundheitsversorgung der Österreicherinnen und Österreicher sicherzustellen.

Es gibt aber auch gute Neuigkeiten: Wir impfen jeden Tag 100 000, 110 000 Menschen, davon ungefähr 70 000, 80 000 Boostershots, also die dritte Teilimpfung. Damit liegen wir im Spitzenfeld Europas. Wir haben bereits ungefähr ein Drittel der Gesamtbevöl­ke­rung mit der dritten Teilimpfung, dem Boostershot, versorgt, und bei den über 65-Jäh­rigen sind es bereits 66 Prozent. Das ist natürlich ganz besonders wichtig, weil das die­jenigen sind, die besonders von einer Coronainfektion betroffen sind.

Ebenfalls eine gute Nachricht ist, dass wir in Österreich genug Impfstoff haben. Es lagern in Österreich über 7,3 Millionen Impfstoffdosen, davon über fünf Millionen MRNA-Impf­stoffe.

Zurück zum Impfvolksbegehren, zur Impfpflicht: Es war von Anfang an klar, dass diese Entscheidung nicht nur eine Entscheidung der Politik sein kann, sondern auch eine Entscheidung ist, die in der Gesellschaft breit diskutiert werden muss. Wir haben neben den Oppositionsparteien SPÖ und NEOS auch zahlreiche Gespräche mit Expertinnen und Experten geführt. Wir haben Verfassungsjuristinnen und -juristen konsultiert. Wir haben die Religions- und Glaubensgemeinschaften eingeladen. Wir haben aber auch die Pensionisten- und JugendvertreterInnen eingeladen. Aus diesen zahlreichen Ge­sprächen, die geführt worden sind, ist eines ganz klar herausgekommen: Das waren sehr konstruktive Gespräche. Wir haben Anregungen, Wünsche und Kritik einfließen lassen, und wir haben alle gemeinsam eine klare Richtung aufgezeigt: Wir brauchen in Österreich eine allgemeine Impfpflicht, um eine Perspektive zu geben. Wir brauchen einen Weg heraus aus der Pandemie. Diesen werden wir nur erreichen, wenn wir in Öster­reich eine ausreichend hohe Durchimpfungsrate erreichen können. (Abg. Belakowitsch: So wie in Portugal!)

Es liegt auch auf der Hand, dass eine allgemeine Impfpflicht im Einklang mit der Bun­desverfassung stehen muss. Es ist auch klar, dass eine allgemeine Impfpflicht in die Grundrechte eingreift. Ich möchte an dieser Stelle Immanuel Kant zitieren, der sagt: „Die Freiheit des Einzelnen endet [...], wo die Freiheit des Anderen“ – in diesem Fall: der anderen – „beginnt.“ – Umgelegt auf die Impfpflicht: Die Impfpflicht beginnt dort, wo sie zum Schutz der Gesundheit anderer unbedingt notwendig ist. Diese Auffassung vertre­ten nicht nur die ÖVP und die Grünen, sondern auch die SPÖ und die NEOS. Es ist aber auch die Auffassung zahlreicher renommierter VerfassungsjuristInnen in Österreich.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es keineswegs die Intention ist, mit der allge­meinen Impfpflicht Menschen zu bestrafen. Das geht alleine aus dem Gesetzentwurf, der jetzt in Begutachtung ist, hervor. Wir haben die Ersatzfreiheitsstrafe explizit ausgeschlossen, auch bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe. Wir haben auch die tätige Reue im Gesetzentwurf mitbedacht, das heißt, Personen, die sich bis zum Abschluss des Strafverfahrens impfen lassen, entgehen einer Strafe. (Ruf bei der FPÖ: ... Verwal­tungsstrafe ...!)

Die Intention dieser allgemeinen Impfpflicht ist, Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig eine hohe Durchimpfungsrate für uns und unsere Gesellschaft ist – nicht nur zum eigenen Schutz; es geht auch um den Schutz der Gesellschaft (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP – Zwischenruf des Abgeordneten Deimek) und darum, dass die Impfpflicht zum Schutz des öffentlichen Interesses unbedingt notwendig ist, nämlich eine medizinische Versorgung für jeden Menschen, der in Österreich lebt, sicherzustellen. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Wissenschaft so schnell reagiert und einen Impfstoff oder Impfstoffe zur Verfügung gestellt hat, die hoch effektiv sind. Da zeigt sich der einzige Ausweg aus der Pandemie, nämlich eine hohe Durch­impfungsrate.

Ich kann es schon nachvollziehen, wenn Menschen verunsichert sind, wenn Menschen Fragen haben. Ich versichere Ihnen, auch als Arzt: Die Coronaschutzimpfung ist sicher. Sie ist tausendfach getestet, wir haben über acht Milliarden verimpfte Impfstoffdosen weltweit. Die Nebenwirkungen der Coronaschutzimpfung – aller zugelassenen Impf­stoffe – sind vergleichbar mit jenen bei anderen Impfungen.

Ich verstehe auch, wenn jemandem das Konzept einer allgemeinen Impfpflicht wider­strebt. Wenn mich im Frühling jemand gefragt hätte, ob es in Österreich eine allgemeine Impfpflicht geben soll, dann hätte ich gesagt: Nein, das brauchen wir nicht!, weil ich mir damals gedacht habe und davon ausgegangen bin, dass wir genug Menschen finden werden, die sich impfen lassen, und dass wir in Österreich mit einer ausreichend hohen Durchimpfungsrate die Pandemie, ihre Wellen, aber auch ihre Virusvarianten bekämpfen können.

Ja, es haben sich in Österreich sehr viele Menschen, nämlich der überwiegende Teil der Bevölkerung, über zwei Drittel, bereits impfen lassen. Allerdings sind die aktuellen Durchimpfungsraten noch nicht hoch genug, um uns alle als Gemeinschaft gegen das Virus zu schützen. Ich habe mich mit dieser Thematik deshalb noch einmal befasst. Ich bin in mich gegangen, ich habe nachgedacht, und ich habe meine Meinung geändert. Ich weiß jetzt, dass wir eine allgemeine Impfpflicht brauchen. Ich weiß jetzt, dass wir diesen gemeinsamen Schritt in Richtung mehr Sicherheit für uns alle gehen müssen, und ich weiß auch, dass es manchmal notwendig ist, seine Meinung aufgrund von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ändern. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

10.54

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kucher. – Bitte.