18.30

Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): „Wenn wir es legalisieren würden, einen Sui­zidwilligen beim Wort zu nehmen, öffnen wir nicht nur den verschiedensten Möglichkeiten des Missbrauchs Tür und Tor, nein, wir beginnen auch damit, das Leben als absoluten Wert zu relativieren.“

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Minister! Das habe ich 2014 im Vorwort zu der Broschüre „An der Hand... ...nicht durch die Hand“ gemeinsam mit dem langjährigen Mitglied dieses Hauses Franz-Joseph Huainigg, von Kopf bis Fuß gelähmt, geschrieben.

Dann hat vor kurzer Zeit der neoliberale Wolfram Proksch, Rechtsanwalt, Mitglied der NEOS und ehemaliger Spitzenkandidat für den Posten des Rechnungshofpräsidenten, mit Unterstützung des gewerblichen Sterbehilfevereins Dignitas beim Verfassungsge­richtshof einen Antrag eingebracht (Abg. Shetty: Was für ein Verbrechen!), um den § 78 Strafgesetzbuch, Mitwirkung am Selbstmord, zu legalisieren. (Abg. Brandstätter: Ich finde es traurig, dass Sie hier Parteipolitik machen! In diesem Zusammenhang Partei­politik zu machen, ist unwürdig, Herr Kollege! Das ist unwürdig ... !) Meine Damen und Herren, im Verfassungsgerichtshof - - (Abg. Brandstätter: Das ist unwürdig! Das ist traurig!) – Herr Kollege, Sie müssen den Tatsachen ins Auge sehen. (Abg. Bernhard: Das ist wirklich eine Schande!)

Sie wissen es ganz genau. (Abg. Brandstätter: Hier Parteipolitik zu machen ist traurig!) Ich erzähle Ihnen, wer diesen Antrag gestellt hat und wer dann entschieden hat, denn auch das ist vielen nicht bewusst. Es ist nicht eine anonyme Institution, die entscheidet, sondern hinter dieser Institution Verfassungsgerichtshof stehen Menschen. (Zwischen­rufe bei der SPÖ.) Dort sitzen 13 Personen, und diese 13 Personen entscheiden mit einfacher Mehrheit, ob man nun das Leben schützt oder das Sterben ermöglicht. Wir wissen nicht, wie das Abstimmungsergebnis war, vielleicht war es auch nur sechs zu sieben. (Abg. Shetty: Ja, das macht doch keinen Unterschied!) Diese sieben Personen haben aber danach entschieden, dass Töten – nach der Abschaffung der Todesstrafe 1968 – erstmals wieder legal möglich sein wird. (Abg. Disoski: Unglaublich! – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ, Grünen und NEOS.)

Meine Damen und Herren, mit dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes er­folgte ein Dammbruch in der österreichischen Rechtsentscheidung. Natürlich respektie­ren Sie von den NEOS immer den Rechtsstaat. Natürlich respektiere auch ich den Rechtsstaat. Ich anerkenne diese Entscheidung, aber ich habe keinen Grund, diese Ent­scheidung als gut zu empfinden, und darf dazu auch eine Meinung haben.

Meine Damen und Herren, hinter jedem Menschen, der sein Leben beenden möchte, stehen eine Verzweiflung, eine vermeintliche Ausweglosigkeit, ein Hilferuf. (Zwischen­rufe bei der SPÖ.) Das wird Ihnen jeder Psychiater bestätigen. Einen solchen Hilferuf gilt es zu hören, und es ist unsere Aufgabe, dass wir den Menschen die Hilfe geben. Dafür gibt es viele Einrichtungen. Ich sage nur: Meine Damen und Herren, wenn Sie zusehen und in einer schwierigen Situation sind: Es gibt die Telefonnummer 142, es gibt ganz viele psychosoziale Dienste in ganz Österreich, in allen Bundesländern, bei denen Sie Hilfe bekommen können. Es ist niemand verpflichtet, sich selbst zu töten.

Weil hier Beispiele gebracht worden sind, möchte ich dazu auch ein Beispiel aus meiner Geschichte bringen: Ich war circa zwölf Jahre alt, mit einem Freund immer zusammen. Wir haben immer miteinander gespielt, wir sind gemeinsam Rad gefahren, wir sind zum Bach gegangen, wir haben viele Spiele gespielt, bis eines Tages seine Mutter nicht mehr nach Hause kam, weil sie sich vor den Zug geworfen hat.

Sie hat Suizid begangen, was mein Freund nie, nie überwunden hat. (Abg. Blimlinger: Was ist das für eine Rede?! Das ist ein Wahnsinn!) Mit 18 Jahren hatte er schneeweiße Haare – schneeweiße Haare! –, und er ist in der Zwischenzeit schon verstorben, weil er mit diesem Trauma nicht umgehen konnte.

Mit dieser Lösung, die wir da schaffen, dass wir ein letales Mittel zur Verfügung stellen, hätten wir das Leid dieser Frau wahrscheinlich nicht verhindern können. – Nein, denn Suizid betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern bringt auch alle Angehörigen in eine ganz, ganz schwierige Situation.

Daher, meine Damen und Herren: Nehmen Sie den psychosozialen Dienst in Anspruch, der in Ihrem Bundesland für Sie zur Verfügung steht! Rufen Sie 142! Es gibt viele Mög­lichkeiten, dass Ihnen geholfen wird.

Diesen Dammbruch hat der Verfassungsgerichtshof zu vertreten und zu verantworten. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Stögmüller: Geh bitte!)

18.36

Präsidentin Doris Bures: Ich erteile nun Herrn Abgeordneten Gerald Loacker das Wort. – Bitte.