16.53

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank, insbesondere Herr Gesund­heits­minister! Eine Impfpflicht, wie wir sie heute diskutieren, ist selbstverständlich ein schwerwiegender Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte. Weil Kollege Ragger vorhin schon Hans Kelsen strapaziert hat: Solche Eingriffe können nur dann gerechtfertigt sein, wenn es einerseits ein öffentliches Interesse an diesem Eingriff gibt, wenn der Eingriff geeignet ist, das geplante Ziel zu erreichen, und wenn er einer Interessenabwägung standhält.

Dass es ein öffentliches Interesse daran gibt, dass die Intensivstationen nicht überfüllt werden, ist, glaube ich, unbestritten. Dass eine Impfpflicht auch hilft, diesem Ziel näher­zukommen – denn je mehr Menschen geimpft sind, desto weniger landen auf der Inten­sivstation –, ist, glaube ich, auch sehr klar.

Die schwierige Frage – das ist die, die wir heute beantworten müssen – ist, ob eine Impf­pflicht einer Interessenabwägung standhält. Wenn ich mir anschaue, welche anderen Optionen es gibt und welche anderen Optionen die Bundesregierung in den letzten Jahren ausprobiert hat, finden wir in Wirklichkeit die regelmäßigen Lockdowns. Lock­downs sind ebenso drastische Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte von allen Men­schen in Österreich.

Lockdowns haben Kinder davon abgehalten, dass sie in die Schule gehen können, dass sie dort Bildung genießen können. Lockdowns haben Kinder davon abgehalten, dass sie ihre Freunde treffen können, dass sie ihre Großeltern treffen können. Diese Lockdowns haben jungen Menschen Monate ihres Lebens gestohlen, die wir ihnen nie wieder zurückgeben können, und sie haben dazu geführt, dass diese Triage, die wir über Monate diskutiert haben, auf der Kinderpsychiatrie schon längst Realität war, als wir erst darüber zu diskutieren begonnen haben.

Lockdowns haben Unternehmerinnen und Unternehmern verboten, dass sie ihr Ge­schäft aufsperren. Sie haben dazu geführt, dass unfassbar fleißige Menschen, die nichts falsch gemacht haben, ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können und von heute auf morgen nicht wussten, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Sie haben leider auch die wirtschaftliche Existenz von vielen Menschen in Österreich vernichtet.

Lockdowns haben die psychische Gesundheit von unfassbar vielen Menschen in Öster­reich nachhaltig belastet. Wir werden auch über die nächsten Jahre und Jahrzehnte da­mit kämpfen müssen, dass wir diesen Menschen helfen können.

Allen Menschen in Österreich wurden durch Lockdowns die grundlegenden Grund- und Freiheitsrechte genommen. Sie durften kein soziales Leben haben, sie durften keine Freunde treffen, ihre Familien nicht treffen, und viele durften ihrem Beruf nicht nach­gehen. Solche Lockdowns sind auf Dauer nicht zu rechtfertigen. Wir haben mitbekom­men, welche unfassbaren wirtschaftlichen und psychosozialen Auswirkungen es durch diese Lockdowns gegeben hat, wir haben miterlebt, welches absurde Ausmaß es ange­nommen hat, und deswegen sind solche Lockdowns auf Dauer schlichtweg nicht mehr tragbar. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Diese unfassbaren Grundrechtseinschränkungen waren für alle Menschen in Österreich, insbesondere aber auch für die mehr als 75 Prozent der Menschen in Österreich, die sich mehrfach haben impfen lassen, um sich und andere zu schützen, die sich regel­mäßig testen, um sich und andere zu schützen. Diese unfassbaren Grundrechts­ein­schränkungen können dann ein Ende nehmen, wenn wir diese Impfpflicht beschließen. Dafür brauchen wir diese Impfpflicht. Gerade ich als überzeugter Liberaler komme bei dieser Interessenabwägung am Schluss zu dem Ergebnis, dass eine Impfpflicht deswegen zu rechtfertigen ist, weil wir es damit schaffen und weil sie das gelindere Mittel ist, um all diesen anderen unfassbaren Grundrechtseinschränkungen endlich ein Ende zu bereiten. (Beifall bei den NEOS.)

Damit das Ganze verfassungskonform ist, was uns ein wichtiges Anliegen war, haben wir auch mehrere Vorschläge in die Verhandlungen eingebracht. Es ist das Prinzip be­raten statt Strafe im Vordergrund, es gibt mehrere Phasen, und es wird keinesfalls Ersatzfreiheitsstrafen für Menschen, die nicht bereit sind, sich impfen zu lassen, geben. Der Hauptausschuss ist in den wesentlichen Fragen eingebunden. Wenn sich heraus­stellt, dass die Impfung nicht wirkt, weil eine andere Variante kommt, muss die Impfpflicht schnellstmöglich aufgehoben werden. Es wird keine Impfpflicht für Kinder und Jugend­liche geben, und das ganze Gesetz hat ein fixes Ablaufdatum.

Ich würde Ihnen abschließend ganz gerne noch einen Appell mitgeben, der uns vielleicht in Zukunft erspart, dass wir uns so schwerwiegenden Fragen überhaupt stellen und sie entscheiden müssen. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass ein wesentlicher Grund für diese absurde Impfskepsis in Österreich historisch bedingt ist. Es ist so, weil über Jahrzehnte leider viele Meinungsmacherinnen und Meinungsmacher in Österreich eine unerträgliche Wissenschaftsfeindlichkeit an den Tag gelegt haben und diese gefördert haben. Es wurde eine aus meiner Sicht nicht nachvollziehbare Skepsis gegenüber der Pharmabranche an den Tag gelegt (Abg. Meinl-Reisinger: Und zwar von linker wie rechter Seite!), es wurden gegen eine Branche, die nachweislich durch das Finden von Impfstoffen Abermillionen Menschenleben gerettet hat, Verschwörungstheorien in die Diskussion eingebracht. (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen.)

Es wurden auch und werden immer noch absurde Falschinformationen im Zusam­men­hang mit Gentechnik verbreitet, ohne dass wir uns jemals überhaupt der Diskussion stel­len, was es denn für Vorteile durch rote und auch grüne Gentechnik geben kann. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Dann gibt es auch noch all diese Verschwörungstheorien rund um irgendwelche philan­thropischen Milliardäre, die teilweise unwidersprochen stehen gelassen und weiter­ver­breitet werden. (Abg. Meinl-Reisinger: Die antisemitisch sind!)

Wenn ich dann gleichzeitig oder vielleicht sogar gerade deswegen auch noch mitkriege, dass esoterischen Lehren mehr geglaubt wird als der Wissenschaft, wenn ich in Apo­theken homöopathische Mittel als quasi gleichwertig neben echter Medizin vorfinde, dann brauche ich mich nicht zu wundern, dass Menschen in Österreich wirklich glauben (Abg. Kickl: Das ist aber eine seltsame ...!), dass sie mit einem Pferdeentwur­mungs­mittel gegen ein Virus vorgehen können. (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abg. Prammer.)

Wenn diese Pandemie eine klitzekleine Chance mit sich bringt, dann ist es hoffentlich die, dass wir dieser unerträglichen Wissenschaftsfeindlichkeit und dieser Skepsis gegen­über der Schulmedizin ein Ende bereiten. Vertrauen Sie der Wissenschaft und lassen Sie sich impfen! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)

17.00

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Prammer. – Bitte.