10.20

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum zu Hause! Egal, ob Lebens­mittel, T-Shirts, Elektronikgeräte oder irgendwelche anderen Produkte, es wird davon eine Menge in Europa verkauft, Produkte, die unter hoch problematischen Bedingungen hergestellt werden. Egal, ob das Soja oder Rindfleisch aus Südamerika sind, wofür der Amazonasregenwald abgeholzt wird; egal, ob das Textilfabriken in Bangladesch oder Pakistan sind, wo die ArbeitnehmerInnenrechte unterdrückt werden, wo die Löhne so niedrig sind, dass die europäische Textilindustrie ausradiert wurde, während die Löhne in diesen Ländern trotzdem nicht steigen; egal, ob das Minen in Afrika sind, von wo die Rohstoffe für unsere Handys herkommen und wo die Menschenrechte gebrochen wer­den: All das sind Probleme, für die auch – auch! – der europäische Konsum verant­wortlich ist.

Heute wird es um 13 Uhr einen Vorschlag der Europäischen Kommission geben, sich dieses Problems anzunehmen und dafür zu sorgen, dass Europas Konzerne Verant­wortung für ihre Produktion und für ihre Lieferketten übernehmen, egal, wo auf der Welt sie ihre Produkte herstellen oder ihre Rohstoffe einkaufen. (Beifall bei den Grünen.)

Diese Maßnahme ist wirklich zentral, wenn wir versuchen, weltweit hohe Standards herzustellen. Gerade wenn wir den Kampf um den Klimaschutz führen, gerade wenn wir uns solcher Themen besonders annehmen und da eine moderne Politik haben wollen, kann das nicht nur lokal passieren, sondern muss das auf europäischer Ebene pas­sieren. Wir als Grüne sind in Österreich in den letzten zwei Jahren diesbezüglich wirklich sehr engagiert gewesen und haben vieles geschafft, was davor unmöglich schien, vom Klimaticket angefangen bis zur Ökosteuerreform. Heute werden wir im Plenum noch das Umweltförderungsgesetz behandeln, mit dem wir viele Maßnahmen in Zukunft finanziell unterstützen können und viel durchkriegen werden, worauf wir uns sehr freuen. Aber das alles hier auf der nationalen Ebene reicht nicht, wir müssen auch europäisch han­deln – und das wird passieren. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Obernosterer.)

Dieses Lieferkettengesetz wird ein ganz zentraler Teil davon sein. Deswegen wollten wir heute die Aktuelle Europastunde dazu abhalten. Wir freuen uns, wenn die Justizminis­terin gleich darüber berichten wird und auch erzählen wird, welche Positionen Österreich in diesen Verhandlungen einnimmt.

Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, das einzuordnen und zu zeigen, was da auf europäischer Ebene alles geschieht, warum das nur ein Baustein von vielen ist und warum Klimaschutz, Umweltschutz und natürlich auch Menschenrechte und Arbeitneh­merInnenrechte als Gesamtes neu aufgesetzt werden müssen.

Dieses Lieferkettengesetz steht in einer Reihe von anderen Maßnahmen. Eine zum Bei­spiel, die jetzt verhandelt wird, wo Österreich im Rat mit am Verhandlungstisch sitzt, ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Es ist für Großkonzerne so modern geworden, zu sagen, wie ökologisch und wie nachhaltig ihre Produktion ist, dass sie 17 Gütezeichen auf ihren Produkten haben und in den Bilanzen schon ein eigenes Nachhaltigkeitskapitel drinnen haben. Dazu gab es auch schon eine Richtlinie der Europäischen Union, diese war aber vollkommen zahnlos. Da soll es jetzt eine neue mit verpflichtenden Standards geben, in der festgeschrieben wird, wie die Nachhaltigkeit kontrolliert werden muss, wie sie ausgewiesen werden muss und wie das vergleichbar gemacht wird. Und wenn ich dann bei diesem Thema immer höre, ja, man müsse da Rücksicht auf die Wirtschaft nehmen, man dürfe der Wirtschaft nicht zu viel auferlegen, dann ist das aus meiner Sicht das beste Beispiel dafür, dass das komplett verkehrt herum gedacht ist. (Beifall bei den Grünen.)

Denn: Man unterstützt Unternehmen, die das vernünftig machen, dann, wenn man eine rechtliche Regelung dafür hat, dass das alle machen müssen, sonst haben die einen Nachteil, die das freiwillig und besonders streng machen, und das darf nicht sein. Es ist dann wirtschaftlich neutral, wenn es alle machen müssen. (Beifall bei den Grünen.)

Deswegen ist der nächste wichtige Schritt, der kommen wird, das Umweltstrafrecht, ein Strafrecht, das Verbrechen gegen die Umwelt als solche behandelt und nicht als Ver­waltungsvergehen. Da müssen auch Konzerne nach dem Strafrecht zur Verantwortung gezogen und da muss hart durchgegriffen werden, und das muss für alle innerhalb der Europäischen Union gelten. (Beifall bei den Grünen.)

Auch dieses Umweltstrafrecht ist unterwegs, und da wird eine ganz wichtige Sache sein da werden auch wir als Nationalrat darauf schauen müssen, dass das für uns in der letzten Version kommt –, dass es nicht reichen kann, dass die Genehmigung einer Anlage, einer Fabrik oder sonst etwas, das den Standards widerspricht, nur eine Verwaltungsübertretung ist, weil es ja die Behörde genehmigt hat.

Da gibt es so viel Korruption europaweit, da gibt es so viele Versuche, irgendwo etwas zu drehen, dass man die Verantwortung dafür nicht von den Konzernen nehmen darf. Wenn ein solches Vergehen passiert, muss es als Umweltverbrechen bestraft werden, auch wenn die Verwaltungsebene geschludert hat. (Beifall bei den Grünen.)

Noch ein wichtiger Punkt, wo uns die Europäische Union jetzt schon wirklich große Er­folge gebracht hat – heute haben wir noch Beschlüsse zu fassen, die, so habe ich den Eindruck, fast ein bisschen untergehen werden, weil sie quasi durchlaufen, das ist aber eine große Sache : Wir heben heute fünf Investitionsschutzabkommen, die Österreich mit europäischen Ländern geschlossen hat, auf. Das ist eine wirklich wichtige Sache, denn was bedeutet das? – Wir haben ein solches Abkommen mit Tschechien. Wenn ein österreichisches Unternehmen nach Tschechien geht oder ein tschechisches nach Österreich, dann bekommt es bis jetzt garantiert, dass die Standards sind, wie sie sind. Und wenn wir in Österreich ein strengeres Umweltrecht einführen oder sonst etwas, dann zahlt der Steuerzahler, die Steuerzahlerin diese Kosten und nicht dieses Unterneh­men – und umgekehrt in Tschechien. Das ist doch innerhalb der Europäischen Union ein Wahnsinn und gehört aufgehoben. Wir heben heute fünf davon auf, weil sie innerhalb der Europäischen Union alle gestrichen werden. (Beifall bei den Grünen.)

Das ist eine gute und notwendige Sache und gehört, das muss man auch sagen, weltweit gemacht. Wir haben solche Abkommen mit Bangladesch, mit Pakistan et cetera. Dass wir denen Strafen auferlegen, wenn sie die Arbeitsstandards erhöhen, Mindestlöhne einführen oder sonst etwas, ist ein Wahnsinn und ein Irrsinn. Da macht sich Europa immer noch schuldig und das gehört beendet.

Damit komme ich zum Handel, der letzten Sache, bevor ich zu den Lieferketten komme. Der Handel ist immer noch der wunde Punkt der Europäischen Union. Das Mercosur-Abkommen mit Südamerika ist fertig verhandelt, steht vor dem Abschluss, aber Öster­reich wird dem nicht zustimmen, weil wir hier im Nationalrat den Mehrheitsbeschluss dazu gefasst haben, dass wir das blockieren. Dieses Abkommen ist 20 Jahre alt, vor 20 Jahren beauftragt worden und ist de facto ein Abtauschabkommen der europäischen Industrie mit der südamerikanischen Landwirtschaft: Schickt uns euer Soja und Rind­fleisch – wofür dann wieder der Amazonasregenwald abgeholzt wird –, dafür dürfen wir Autos exportieren! Es gibt kein klimafeindlicheres und altmodischeres Handelsabkom­men als dieses. Es gibt keines, das dem Klimaschutzgedanken mehr widerspricht als dieses. Es ist 20 Jahre alt, Steinzeit und darf niemals in Kraft treten! (Beifall bei den Grünen.)

Wie gesagt: Der österreichische Nationalrat hat dazu einen fixen Beschluss gefasst, und dieser gilt auf jeden Fall für diese Legislaturperiode. Ich gehe davon aus, dass er auch in der nächsten aufrechtbleibt, egal, wie dann die Konstellation ausschaut, und dieses Abkommen nicht kommen wird.

Damit komme ich zur Lieferkette; es geht nicht nur um diese Handelsabkommen. Es ist wichtig, dass sich alle Konzerne weltweit, die nach Europa importieren, an die euro­päischen Standards halten und nicht nationale Gesetze nutzen, um möglichst niedrige Standards in Afrika, Asien, Südamerika oder sonst wo durchzusetzen. Das ist auch wichtig, um die heimischen Unternehmen zu schützen und denen einen fairen Wettbe­werb zu bieten. Wenn die Industriellenvereinigung jetzt schon ausschickt, man müsse da vorsichtig sein, man dürfe der Industrie nicht zu viel auferlegen, gerade die kleinen und die mittleren Unternehmen wären da besonders belastet, muss man sagen: Nein, überhaupt nicht! Das soll nach Vorschlag der Kommission, wenn er so kommt, wie am Wochenende durchgesickert ist, und davon gehen wir einmal aus, für Unternehmen ab 500 MitarbeiterInnen und für Großkonzerne gelten. Ein österreichisches Unternehmen, ein Klein- und Mittelbetrieb in Österreich ist geschützt und ist besser am Markt aufge­stellt, wenn die Großkonzerne nicht zu Bedingungen importieren können, die alle Stan­dards brechen und dreimal so billig produzieren wie jene hier unter fairen Bedingungen. Diese Situation müssen wir herstellen. (Beifall bei den Grünen.)

Kein österreichischer Klein- und Mittelbetrieb, kein Händler, keine Händlerin mit einem kleinen Geschäft wird davon betroffen sein, niemand von denen wird einen Nachteil haben. Nein, sie werden einen Vorteil haben. Aus meiner Sicht ist es zutiefst wirtschafts­freundlich, ein solches Gesetz, eine solche Richtlinie zu machen und für alle entlang der Lieferkette gleiche und faire Standards einzurichten.

Wir in Europa müssen als größter Markt der Welt, als die einflussreichsten KonsumentIn­nen der Welt für faire Standards sorgen, und das kann nicht die Verantwortung von einigen Einzelnen sein, denen das wichtig ist, die klimaneutral einkaufen, die beim Einkaufen auf faire Arbeitsbedingungen achten, die Fair-Trade-Kaffee einkaufen und fair produzierte Textilien kaufen. Das kann nicht Einzelverantwortung sein, das ist eine politische Verantwortung, und die werden wir in den Verhandlungen wahrzunehmen haben. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

10.30

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Punktlandung. Danke schön.

Zu Wort gemeldet ist die Frau Justizministerin, die ich ganz herzlich begrüßen darf. – Liebe Frau Minister, herzlich willkommen! Bitte sehr.